von Angelika Petrich-Hornetz
Der jüngste Gammelfleischskandal sorgt wohl ähnlich wie auch schon beim letzten Mal dafür, dass Bio-Fleischer kaum noch werben müssen: Gewöhnlich treiben die Negativschlagzeilen die Leute recht zuverlässig zur biologisch-dynamischen Konkurrenz. Von denen, die sich die höheren Preise nur irgendwie leisten können, bleiben auch nach dem jeweiligen Anti-Gammelfleisch-Boom einige beim neuen, vertrauenswürdigeren Frischelieferanten hängen und werden zu dessen treuen Bestandskunden.
Gemüse-bezogen vollzieht sich der Wandel des Verbrauchers zum Bio-Verbraucher ähnlich, zum Beispiel immer dann, wenn Gen-Mais und Gen-Reis sich gerade wieder einmal bemühen ihre eigene Negativ-Werbung erfolgreich voranzutreiben. Die Verbraucher werden langsam misstrauischer – und kaufen immer mehr Bio. Man wird den Eindruck nicht los, die Branche könne sich ihre Marketingabteilungen bald ganz sparen, weil sich die herkömmliche Konkurrenz zunehmend selbst ausschaltet.
Darüber hinaus findet die Einspeisung von Bioware ins normale Marktnetz statt, so wie der Babykosthersteller Hipp, ein Pionier aus Tradtion, der schon immer peinlich genau auf die Qualität seiner Rohstoffe achtete und konsequent mit Abwanderung seiner Anbauflächen aus Deutschland drohte, wenn die Gesetze zu Gunsten von Gentechnik geändert werden sollten. Denn bisher kann niemand dafür garantieren, dass Gensaaten an der Feldgrenze halt machen. Auch hier sorgen allein schon die öffentlich gewordenen Skandale für einen fortwährenden Zustrom von Kundschaft zur Bio-Branche.
Kein Lebensmittelmarkt, der es sich heute noch leisten kann, auf mehr oder weniger verlässlich deklarierte Bio-Ware zu verzichten. Überall schießen die neu eingeräumten Regale mit Gemüseaufstrichen, Bio-Möhren und -Wurst wie Pilze aus dem Boden, Längst haben die großen Supermarktketten den Trend aufgenommen.
Zusätzlich vollzieht sich bei Gemüse immer mehr eine Preisangleichung zwischen teurer werdendem herkömmlichen Gemüse und regionaler Bio-Ware. Unter anderem hängt dies auch mit den langen Transportwegen und explodierten Kraftstoff- und Energiepreisen zusammen, wenn der Bio-Hof vor den Toren der Stadt, früher nicht bezahlbar, heute plötzlich wieder konkurrenzfähig wird. Alles wird teurer, und wenn es eh teurer wird, dann greift der Verbraucher zu anderen Unterscheidungsmerkmalen, zum Beispiel bei Herkunft und Qualität.
Es gibt sie aber dennoch, die schlauen Konzepte, die abseits von großen Marktentwicklungen indirekt in andere Branchen eingreifen, den Kunden ansprechen, und die mit Qualität und besonderem Service locken – auch auf dem heiß umkämpften Lebensmittelmarkt und auch bei Gemüse. Eines der besten Beispiele dafür ist die Gemüsekiste, die immer mehr Anhänger findet.
Wer damit anfing ein Abonnement ausgerechnet auf Gemüse zu erfinden, ist uns nicht bekannt, irgendein innovativer Bauer wird’s gewesen sein, der als regionaler Anbieter wohl eher nicht die Absicht hatte, es mit den Großen des Versandhandels und E-Commerce aufzunehmen. Doch immerhin kann man über das Web auch Schafe und Hühner mieten, deren Wolle und Eier dann irgendwann in Empfang nehmen, wohl wissend, woher, ja sogar, von welchem einzelnen Huhn und bestimmten Schaf diese stammen.
Die spannende Kombination - per Internet bestellen und von regionalen Anbietern beliefert zu werden – funktioniert erstaunlich gut, wer hätte das in den Anfängen des WorldWideWeb und in Zeiten der Globalisierung jemals gedacht? Die regionalen Anbieter liefern den zunehmend zeitknappen Verbrauchern dabei eine immense Einkaufshilfe - und eine Entscheidungshilfe, denn Einkaufen ist dank des großen, globalen Angebots weder leichter noch schneller geworden - wenn man erst einmal Herkunftsländer und Inhaltsstoffe im Kleingedruckten studieren muss.
Die regionale Gemüsekiste bietet zudem den Vorteil einer zeitnahen Lieferung ins Haus, was den Gang zum Laden, und damit Zeit sowie Schlepperei spart und sie bietet die Herkunftsgarantie: Drin ist, was auf dem Herstellerhof gerade wächst. Gemüsekistenhändler warten ebenfalls nur mit wenigen Lieferanten ihres Vertrauens auf, die vor Ort agieren sowie transparente Informationen liefern. Sonst würde das Vertrauen der Kunden verloren gehen. Diejenigen, die Gemüsekisten bestellen, legen mehr Wert darauf, wie das Gemüse angebaut wird, als darauf, welche Sorten sie einkaufen. Sie kaufen damit je nach Saison, also eigentlich alles, was gerade vorhanden ist, in Bausch und Bogen. Eine echte Innovation, denn hier findet eine Sortierung durch den Gemüse-Fachmann statt, und der Kunde lässt sich offenbar gern überraschen.
Die Versender bieten ihre Kisten mit frischem Saisongemüse in unterschiedlichen Lieferrhythmen - eine Kiste pro Woche, alle 10 Tage usw. - sowie in verschiedenen Größen an. Bei einigen gut laufenden Höfen wurde der Liefer-Rhythmus gar gestrichen, das Gemüse rollt täglich – auf kurzen Wegen. Geliefert wird just in time, vom Feld auf den Küchentisch. Das ist aber noch nicht alles, denn, was einmal mit einem schlichten Saisongemüse-Abo anfing, differenziert sich in immer zielgruppengenauere Angebote aus.
So gibt es reine Gemüse- oder Obstkisten, oder beides zusammen. Es werden Single-Abos, die entsprechend kleinere Mengen liefern angeboten oder Mutter-und-Kind-Kisten, die auf die besondere Ernährung von Müttern und Säuglingen zugeschnitten sind – bei Bedarf auch mit frischen Kräutern. Es gibt Käse-Kisten mit aufsteigender Sortenzahl für die Liebhaber selbiger und entsprechend auch Brot-Abos mit ein bis mehreren Sorten und inzwischen vieles andere mehr auf dem Markt. Das alles ist zwar auch klassisch telefonisch, aber eben auch ganz bequem im Online-Shop zu bestellen - die Gemüsekiste per Internet, eine unschlagbare Kombination aus Tradition und Moderne.
Das Konzept, regelmäßig benötigte Güter in einem übers Internet zu bestellendem Abonnement zu beziehen gab’s im Internet wohl nach den Zeitschriften zuerst bei Socken. Die Lebensmittelbranche verschlief diese Idee weitestgehend, bis auf den Weinhandel, der schon immer Abos im Angebot für die Freunde edler Tropfen vorhielt und schon immer auch ein klassischer Versender war. Die Lebensmittelhändler und Supermärkte indes bieten ihre riesigen, unüberschaubaren Sortimente noch immer vorwiegend per Einzelbestellung an. Auf die Idee, dass die meisten Menschen Produkte des täglichen Verbrauchs wie Brot, Kaffee, Marmelade, Gemüse oder auch Klopapier und Shampoo regelmäßig benötigen, sind bislang wohl noch nicht alle gekommen. Dabei erschließt sich mit Abonnenten und damit treuen Bestandskunden für die Lieferanten eine zuverlässige Basis, die nicht so sehr auf den Preis sieht, sondern vor allem Sicherheit und Zuverlässigkeit von Ware und Lieferung zu schätzen weiß. Der zeitgepflegte Kunde, der die lästigen, täglichen Besorgungen abonniert, hat zwei Hände frei – und geht nur noch zum Vergnügen shoppen? Noch ist das Zukunftsmusik, dazu brauchte es auf der Verbraucherseite mehr hauswirtschaftliche Kenntnisse, was wie oft und in welcher Menge übers Jahr gebraucht wird - und auf der Anbieter-Seite entsprechend passgenaue Angebote.
Zurück zum mit Gemüse-Kiste beglücktem Empfänger. Der hat nach dem Eintreffen der frischen Ware die Aufgabe – manche zum ersten Mal in ihrem Leben – sich mit der Materie der saisonalen Gemüsesorten auseinander zu setzen. Was für gewiefte Hauswirtschaftler, Spitzenköche und Ernährungsexperten ein Kinderspiel ist, stellt den Neuling der Gemüsekunde vor ungeahnte Rätsel. Wenn der Youngster zum Beispiel rote Beete nur als eingelegte, relativ weiche Kugeln im Glas aus dem Supermarkt kennt, weiß er mit den harten Rüben zunächst nicht viel anzufangen. Und das ist der Clou der klassischen Gemüsekiste: Sie bietet nicht nur gesunde Kost, Herkunftsgarantie und ausgesuchte Qualität, sondern macht schlau. Die Gemüsekiste mit ihrem saisonalen Inhalt, schult das Wissen um Gemüsesorten aus der Region, aus den verschiedenen Jahreszeiten und in ihrer Zubereitung. Das Ergebnis lässt sich sehen: Der so beschickte Koch wird klüger, die Gerichte ausgefeilter, die Vielfalt der Gemüse, die auf dem heimischen Tisch landen, größer.
Sollten auch Sie einmal mit komischen Knollen und bislang nie gesehenem Grünzeug konfrontiert sein: Die meisten Anbieter halten auf ihren Webseiten ein paar Rezeptvorschläge vor und dann weiß ja das Internet immer Rat, wenn man mit der Zubereitung von noch unbekannten Zutaten einmal überfragt sein sollte.
2006-09-06 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Fotos: © Angelika Petrich-Hornetz
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