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Augen auf die realen Verhältnisse

Gesundheitsreform und private Kinder

von Annegret Handel-Kempf

Kinder1 Es ist löblich, wenn die Bundeskanzlerin, selber kinderlos, zu einer Erkenntnis kommt: Ihr fällt auf, dass es doch durchaus gerecht wäre, wenn sie die kostenlose Mitversicherung von Kindern in den gesetzlichen Krankenkassen mitbezahlen würde. Bisher kann sie das nicht, denn obwohl ausreichend gut verdienend, um eine solche solidarische Abgabe schmerzfrei zu überstehen, hat sie als Privatversicherte nicht die Möglichkeit dazu. Die haben nur diejenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied sind.

Mütter etwa, die selbst bei aufreibender Vollzeitarbeit, parallel zur wenig unterstützten Vereinbarung von Familie und Beruf, nach wie vor weniger verdienen, als gleich qualifizierte Männer. Und deshalb in großer Zahl in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben mussten. Oder wollten, da eine weite Kreise ziehende Mär in diesem Lande Frauen, die sich nach erfolgreichem Berufsstart in die Kategorie der freiwillig Versicherten hoch verdient haben, vom Sprung in die privaten Versicherungen abhält. Die Fama lautet: Wenn diese Frauen Kinder bekommen, und während oder nach der Schwangerschaft Umstände halber nicht mehr soviel wie zuvor verdienen können, zahlt die gesetzliche Krankenversicherung ihnen ihre Treue zurück, indem sie die Kinder kostenlos mitversichert.
Solches versichern Kassenmitarbeiter noch bis kurz vor der Entbindung. Zu einer Zeit also, wo das Einkommen zumindest selbständig arbeitender Frauen wegen Einschränkungen ihrer Arbeitszeit in der Schwangerschaft schon deutlich niedriger ist, als die Jahre zuvor. Für Ausfallzeiten müssen sie, anders als Angestellte, finanziell sowieso selber geradestehen. Die notwendige, frühzeitige Vorbereitung einer der wenigen realen Möglichkeiten in Deutschland, Familie und Beruf, unter Verzicht auf Schlaf und persönliche Freizeit, tatsächlich zu vereinbaren, nämlich der Wechsel in die Selbständigkeit, wird für sie zur Falle.

Denn spätestens, wenn es zum Geburtstermin hin um die Formalitäten geht, wie die Kasse die ersten Untersuchungen des Babys übernimmt, stellt sich heraus, dass das erwartete Kind doch nicht bei der Mutter mitversichert werden kann. Sein Status orientiert sich am, im zurückliegenden Jahr, besser verdienenden Elternteil. Und das ist spätestens zu diesem Zeitpunkt der Vater. Und der ist in den viel beschworenen Akademikerhaushalten, die endlich wieder mehr Kinder bekommen sollen, in der Regel privat versichert: Gut verdienend und jung, war er bislang der Privaten Liebling und darf nach einmal erfolgtem Ja-Wort nicht mehr in die gesetzliche Versicherung zurückkehren.

Kinder 2 Unterm Strich heißt dies, dass fast jedes Kind eines privat versicherten Mannes, den gesellschaftlichen Verhältnissen nach, in der Regel ebenfalls privat versichert werden muss. Mit saftigen Prämien, wobei es mit einem Arbeitgeberzuschuss bei weiteren Kindern schnell vorbei ist. Statt eine ganze Familie, inklusive Frau, auf einen gesetzlichen versicherten Mann, mit nur einer Beitragszahlung, zu versichern, zahlt bei Doppelverdienern in einem solchen Fall jedes einzelne Familienmitglied, inklusive des frisch geborenen Säuglings, hohe Beiträge in die private und in die gesetzliche Krankenversicherung. Das reißt Löcher in die Familienkasse, die vom Besserverdiener-Status nichts mehr übrig lassen, und die Mühen und Lasten der ganzen Familie für die „Vereinbarkeits“-Schufterei" alles andere als belohnen.

Das Elterngeld soll besonders gut verdienende und ausgebildete Frauen motivieren, (mehr) Kinder zu bekommen. Dieses Ein-Jahres-Zubrot ist aber langfristig für nicht mehr gut, als dafür, als dubiose Fahne aus dem Fenster gehängt zu werden, ähnlich der schwarz-rot-goldenen Flaggen mit Adler, die WM-Stolz und Patriotismus in die Welt hinaus flattern.
Denn die Gesundheitsreform, die im Hochsommer 2006 diskutiert wird, spricht eine andere Sprache. Die ist ganz klar: Wenn Familien, deren Überzahl der Mitglieder privat versichert sind, die gesetzlichen Versicherungen durch Zusatzabgaben subventionieren sollen, sind mehr Kinder einfach nicht mehr finanzierbar.

Es sei denn, eine Steuerfinanzierung der Kinderbeiträge würde auch dem (zwangsläufig) privat versicherten Nachwuchs zugute kommen. Was der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes eigentlich zwingend vorgibt. Doch das ist manchen SPD-Spitzenpolitikern, die anscheinend den Überblick darüber verloren haben, wer bislang eigentlich noch ihre Wähler waren, wohl egal. Andrea Nahles zumindest, hat umgehend eine Beitragsfreistellung der privat versicherten Kinder abgelehnt. Und sei’s um den Preis, dass alle Kinderprämien nicht aus Steuern finanziert werden. Auch dieser nachwuchslosen Gutverdienerin fehlt wohl der unverstellte Bezug zu den Realitäten der Familienfinanzierung durch „Besserverdienende“.

Die Parole zur Reform des Gesundheitswesens, in dessen Finanzkraft sich immer neue, angeblich überraschende, abgrundtiefe Löcher auftun, ist monoton: „Räumt den Beitragszahlern die Taschen aus, Besserverdienende stellt Euch bitte vorne an. Pharmazeutische und Apotheker-Lobbies kocht weiter Euer erfolgreich intervenierendes Süppchen: Die Beitragszahler werden es schon zahlen.“

Wenn auch nur noch für wenige Jahre, denn dann wird es keine ausreichend begüterten Medikamenten-Erwerber und Kassen-Finanzierer mehr geben.

Kinder 3 Bleibt die Frage, warum in der Vergangenheit so viele versicherungsfremde Leistungen aus den Kassenbeiträgen, statt aus Steuermitteln gezahlt worden sind. Insbesondere nach der deutschen Einheit, hätte das aktuelle Debakel vorausberechnet werden können, anstatt treulich gezahlte Gelder Zweck zu entfremden und jetzt mit Steueralmosen für die leer geräumten Kassen zu kommen

Wer sich doch noch mehr als zwei Kinder leistet, wird dem Nachwuchs zumindest Studium und Semestergebühren nicht finanzieren können. Dem Solidarwesen sei dank – Bafög wird es für die durch die angedachte Gesundheitsreform ins Abseits gestellten Kinder der Besserverdienenden sicherlich auch nicht geben: Denn dafür verdienen ihre Eltern zuviel. Auch wenn sie nichts mehr in den Taschen haben, was sie ihren Sprösslingen geben könnten, nachdem sich Finanzamt und Gesundheitswesen bedient haben.


2006-07-01 by Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: © Annegret Handel-Kempf
Fotos: © aph
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