von Cornelia Schaible
Wenn Pfarrer Haiko Behrens seine Sonntagspredigt verfasst hat, ist er damit nicht fertig – er muss sie anschließend auch noch übersetzen. „Ich halte jeden Sonntag einen Gottesdienst auf Englisch und einen auf Deutsch“, sagt Behrens, ordinierter Pastor von St. Peter’s in Warren. Denn St. Peter’s ist zwar eine amerikanische Kirchengemeinde, aber eine mit deutschsprachigen Wurzeln. Und die Zweisprachigkeit wird bis heute liebevoll gepflegt. Das ist auch der Grund, warum es den 36-jährigen gebürtigen Hamburger in die Industriestadt bei Detroit im US-Bundesstaat Michigan verschlug: „Die Gemeinde wünschte sich einen deutschen Pfarrer.“
„St. Peter’s wurde im Jahr 1930 als ethnische Gemeinde von Siebenbürger Sachsen gegründet“, sagt Behrens. Anfänglich in Detroit beheimatet, zog die Kirchengemeinde im Jahr 1980 nach Warren um. Einen deutschsprachigen Pfarrer gab es in St. Peter’s schon seit Jahren nicht mehr. Insofern mag es mancher in der Gemeinde als günstige Fügung erachten, dass die 23 evangelischen Landeskirchen in Deutschland in jüngster Zeit aufgrund einer finanziellen Krise kaum mehr Pfarrer einstellten. Sonst wäre Haiko Behrens wohl kaum nach Amerika gegangen, um Pastor zu werden.
Nach dem Examen sah es zunächst einmal so aus, als könnte er seinen Berufswunsch nie verwirklichen: „Ich bin der erste staatlich geprüfte schleswig-holsteinische Diplom-Theologe“ – mit diesem Abschluss werden neuerdings all diejenigen evangelischen Theologie-Absolventen abgefunden, die nicht in den kirchlichen Dienst übernommen werden. Der Weg ins Pfarramt ist damit versperrt. „In Deutschland wäre ich jetzt Sprachtrainer“, sagt der Pastorensohn Behrens, der neben Theologie noch Pädagogik studiert hat.
Trotz faktischem Einstellungsstopp in einigen Landeskirchen wirbt die Evanglische Kirche in Deutschland auf ihrer Website nach wie vor für den Pfarrberuf. „Phantasievoll und lebensnah zu predigen ist eine schöne und zugleich anspruchsvolle Aufgabe“, heißt es in der Online-Broschüre. „Abendmahl und Taufgottesdienste sorgsam und liebevoll zu gestalten, macht Freude und erfüllt die Beteiligten mit bleibendem Gewinn.“ Wer einen Gottesdienst erlebt, den Haiko Behrens leitet, kann das leicht nachvollziehen: Er ist mit Leib und Seele Pfarrer, das spürt man.
Auf die Idee, sich in den USA um eine Stelle zu bemühen, brachte ihn ein Freund, der ursprünglich aus Elmshorn stammt: Detlef Huckfeldt betreut heute als ordinierter Pfarrer der Evangelical Lutheran Church in America (ELCA) eine Gemeinde in Pennsylvania. Der Sitz der ELCA ist in Chicago. „Dort habe ich dann eine E-Mail hingeschickt“, erzählt Behrens: „Sucht ihr Pastoren?“ Tatsächlich bestand Bedarf. Bis Haiko Behrens in Amt und Würden war, verging aber noch eine Weile.
Nach einem dreiwöchigen Praktikum sei er erst einmal herumgefahren, sagt Behrens. Schließlich kam ein Angebot aus Michigan: Im November 2003 siedelte Behrens, frisch verheiratet mit seiner japanischen Frau Rie, in die USA über, wo er zunächst als „Pastor in Residence“ – eine Art Aushilfspfarrer – für ein Jahr den Dienst in St. Peter’s übernahm. Behrens: „Während dieser Zeit habe ich noch mein amerikanisches Examen gemacht.“ Die Gemeinde bestimmte ihn per Urwahl zu ihrem Pfarrer, und am 4. Advent 2004 wurde in St. Peter’s die Ordination gefeiert.
Dass er den Schritt wagte, habe er nie bereut, sagt Behrens. „Ich kann das nur empfehlen.“ Längst wechselt er mühelos von einer Sprache in die andere. Etwa 70 Prozent der Gemeindeglieder verstehen noch Deutsch, schätzt Behrens. „Aber sie antworten meistens auf Englisch!“ Es gibt Ausnahmen: Elisabeth Mohr etwa unterhält sich noch gerne in ihrer Muttersprache, nicht nur beim Kaffeetrinken nach dem Gottesdienst. Die 76-Jährige, die ursprünglich aus Einsiedel an der Göllnitz stammt, auf dem Gebiet der heutigen Slowakei, telefoniert auch regelmäßig mit ihrer Schwester in Deutschland.
So schlägt Behrens für seine Gemeinde eine Brücke zurück in die Vergangenheit. Auch für die Pfarrsekretärin: „Mein Deutsch hat sich ganz entschieden verbessert“, meint Astrid Campbell, die im Alter von vier Jahren nach Nordamerika kam und schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Deutschland war. Dass in St. Peter’s die Bräuche aus der alten Heimat gepflegt werden, gefällt ihr: „Wir sind eine sehr traditionelle Gemeinde.“ Und bei Gemeindefesten wird deftige deutsche Hausmannskost aufgetischt – Kartoffelsalat und Knackwurst etwa. Oder Sauerkraut. Daran musste sich der Pastor überhaupt erst gewöhnen. „So viel Sauerkraut hat er vorher nie gegessen“, sagt Campbell und lacht.
Weniger leicht tut sich Haiko Behrens mit der landesüblichen Abhängigkeit vom Auto. Ohne einen fahrbaren Untersatz könnte er sein Pfarramt jedoch gar nicht ausüben; die Entfernungen sind riesig, und die Gemeindeglieder wohnen weit verstreut: „Ich fahre nicht selten zwei Stunden, um eine alte Dame für eine halbe Stunde lang zu besuchen.“ Gerade für die älteren Mitglieder der Gemeinde bedeute es aber außerordentlich viel, endlich wieder Deutsch hören zu können, sagt Hannelore Rehner, die den Kirchenchor leitet: „Das ist ein Stückchen Heimat.“
2006-07-01 by Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text + Fotos: ©Cornelia Schaible
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