Wirtschaftswetter Online-Zeitschrift      Wirtschaftswetter-Themen, Schwerpunkt Motivation, Link Werbeseite


Anspruch auf Langzeitsarbeitslosigkeit exklusiv für Ältere

Mehr Anspruch auf Langzeitarbeitslosigkeit bringt den Arbeitsmarkt wieder zum Einschlafen. Kommentar zu den Vorschlägen von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) für eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für Ältere

von Angelika Petrich-Hornetz

No ParkingWer in dieser Woche die ZDF-Reportage-Sendung Frontal 21 gesehen hat, in der eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für Ältere und das ewige Vorhaben der Union, den Kündigungsschutz zu lockern, filmisch kombiniert wurde, der ahnte, dass der Witz, schneller arbeitslos zu werden und es dann länger zu sein, schnell zur eiskalten Realität werden könnte. An der Praxis, gerade ältere Arbeitnehmer noch kurz vor dem Ruhestand in die Arbeitslosigkeit abzuschieben, würde sich auch mit dem Alleingang verlängerter Bezugsdauer rein gar nichts ändern - egal wie diese im Detail auch gestaltet werden mag.

Die Kombination gar, gelockerter Kündigungsschutz und längeres Arbeitslosengeld für Ältere. könnte dem Arbeitsplatzabbau gerade in der Gruppe der ab 50-Jährigen sogar noch einmal neuen Schwung verleihen. Eine staatliche Unterstützung ausschließlich zugunsten von Älteren, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, macht nur dann Sinn, wenn sie mit dem Verbleib oder der Entstehung eines Arbeitsplatzes kombiniert wird, also eine Art Kombilohn. Alles andere leistet einer auf dem deutschen Arbeitsmarkt seit Jahrzehnten stattfindenden, unschönen Sitte Vorschub: dem Verheizen von jüngeren und dem Verdrängen von älteren Arbeitnehmern.

Und eines wurde dabei wieder einmal ganz vergessen: Ein höheres Arbeitsmarktrisiko pauschal mit einem höheren Alter gleichzusetzen ist genauso lückenhaft und blind, wie es der DGB derzeit dem Rüttgers-Modell vorhält, wenn sich der DGB seinerseits nicht vorhalten lassen will, eine bislang nur theoretisch für ihn wichtige Klientel schon wieder, das heißt nicht zum ersten Mal, komplett übersehen zu haben, nämlich Kinder erziehende Arbeitnehmer und Arbeitslose.

Dass gerade Kinder in Deutschland momentan als das Arbeitsmarktrisiko schlechthin gelten, weil die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch erlebte Realität vieler, kindererziehender Eltern und darunter vorwiegend von Frauen ist, darf eine Arbeitnehmervertretung aber nicht so einfach übersehen, die sich auf die Fahnen schreibt, sie vertrete alle Arbeitnehmer. Damit spricht sie auch für diejenigen, die zusätzlich zu ihrem Beruf, ihre Kinder großziehen und die arbeiten wollen und müssen.

Seinem Modell des Arbeitsmarktsrisikos folgend müsste der DGB konsequent und gleichzeitig ein längeres Arbeitslosengeld I für Kinderziehende fordern, insbesondere für Alleinerziehende. Wenn diese nämlich das Glück haben, endlich einen mit ihren Kindern kompatiblen Arbeitsplatz gefunden zu haben und den irgendwann wieder verlieren, dann haben sie große Chancen - auf Hartz IV.
So beklagte Bundesarbeitsagentur-Chef Weise erst vor ein paar Tagen, dass zu wenige Kitaplätze für arbeitslose Alleinerziehende vorhanden seien. Weit über eine halbe Million, 620.000 alleinerziehende Frauen und Männer, beziehen Arbeitslosengeld II. Dass der DGB dem Arbeitsmarktrisiko Kind dennoch keinerlei Aufmerksamtkeit schenkt, liegt sicher nicht daran, dass beides in Kombination, die längere Alimentierung von Älteren und (Allein-)Erziehenden sicher zu teuer würde, und die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags in Frage stellen könnte. Eher liegt es wohl daran, dass weder die große und weiter wachsende Zahl von Alleinerziehenden noch die Realität von Erziehenden auf dem deutschen Arbeitsmarkt das Interesse einer breiten Öffentlichkeit und der politischen Entscheider findet.

Erziehende Eltern, und darunter Alleinerziehende, bringen zwar genauso die notwendigen Qualifikationen mit, wie andere auch, aber ungesicherte Betreuungssituationen stellen diesen potenziellen Arbeitnehmern sowie deren potenziellen Arbeitgebern ein nachvollziehbares Hindernis auf. Insofern ist der Kommentar der Linkspartei zum DGB-Vorschlag auch nicht richtig, indem versprochen wird, für den DGB-Vorschlag müsse angeblich niemand bluten: Neben allen Erziehenden, deren Arbeitmarktrisiko Kind wieder einmal unter den Teppich gekehrt wurden, zahlreichen anderen Gruppen, die Arbeitsmarktrisikomerkmale tragen, würden bei der Umsetzung der DGB-Forderung auch alle Arbeitnehmer, die bereits die Heraufsetzung des Rentenbeitrags, des Renteneintrittsalters und nicht selten auch Arbeitszeitverlängerungen hinzunehmen haben, für jeden Vorschlag eines längeren Arbeitslosengeldsbezugs einzelner Gruppen bluten. Und bringen würde es weder ihnen noch den betroffenen Älteren etwas.

Eine längere Alimentierung macht nur dann Sinn, wenn diese Sinn macht: Sie muss an Bedingungen geknüpft werden, die dem Arbeitsmarkt und den Arbeitssuchenden förderlich sind, zum Beispiel an den Erhalt von Arbeitsplätzen oder deren Einrichtung gekoppelt werden. Warum sich bislang niemand ausdrücklich zu kurzfristig subventionierten Arbeitsplätze für Ältere und Kinderziehende (mit familienfreundlichen Arbeitszeiten) äußerte, ist vielleicht ein deutsches Rätsel - auch die Gewerkschaften, von denen man eine Anwort für beide Gruppen hätte erwarten dürfen, bleiben diese schuldig. Kinder werden größer und damit unabhängiger zu ihren proportional dazu immer unabhängiger und flexibler werdenden erziehenden Eltern. Die Älteren gehen irgendwann in den Ruhestand, eine überschaubare Zeit, die sie noch arbeiten müssen. Eine Subventionierung von Arbeitsplätzen für diese beide Gruppen wäre immer nur ein Modell auf Zeit, bietet beiden dennoch zumindest eine Chance einer drohenden längerfristigen bis lebenslangen Alimentierung sowie einer damit einhergehenden schlechten Altersvorsorge, zu entkommen.

Ein temporär subventionierter Arbeitsplatz kann ein Baustein zum ersten Arbeitsmarkt sein, wo sonst eine Lücke klaffte, die womöglich nie wieder geschlossen werden kann, und trägt damit, dank steigender Lebenserwartung, zu der für den Einzelnen und für die ganze Gesellschaft immer wichtiger werdenden Alterssicherung bei - und entlastet damit langfristig die öffentlichen Kassen. Ein verlängertes Arbeitslosengeld allein indes birgt immer die Gefahr einer Einbahnstraße, die in der Sackgasse Voll-Allimentierung endet, mit allen Konsequenzen wie langfristiger Verarmung und daraus resultierend auch einem langfristigen Verlust von Arbeitsfähigkeit und Sozialversicherungsbeiträgen. Die Einbahnstraße Langzeitarbeitslosigkeit zeigt in Richtung weg vom Arbeitsmarkt in Richtung Grundsicherung - zunächst die Grundsicherung bei Arbeitslosigkeit und am Ende folgt die Grundsicherungrente.

Wer dabei aus deutschen Landen auf den dänischen, unternehmensfreundlichen Kündigungsschutz schielt, der sollte genau aufpassen, nicht schon wieder, wie bei Frühverrentung und Alterteilzeit, eine Steilvorlage für den Arbeitsmarktausverkauf hinzulegen, sondern genau hinsehen: Die Forderung und Förderung von Arbeitslosen lassen sich die Dänen sehr viel kosten, weil sie wissen, dass Langzeitarbeitslosigkeit, die sich in Deutschland derzeit Vertreter aus fast allen Parteien sowie nun auch der Deutsche Gewerkschaftsbund erstaunlich schönreden, lediglich in einer Sackgasse endet. Wer in Dänemark über 50 Jahre alt ist, der bekommt nach einem halben Jahr ein konkretes Jobangebot. Wer das Angebot nicht annimmt, verliert seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. In Deutschland waren im Jahr 2003 genau 50 Prozent aller Arbeitssuchenden Langzeitarbeitslose, das heißt länger als ein Jahr ohne Arbeit, in Dänemark waren es im selben Jahr 19,9 Prozent. Befristete Jobs mit staatlichen subventionierten Löhnen, sind nur ein Mittel der dänischen Politik, dem Arbeitsmarkt Beine zu machen und ihn ständig in Bewegung zu halten - kurze Kündigungsfristen sind lediglich ein anderes, doch beides funktioniert nur gemeinsam. Längere Bezugszeiten von Arbeitslosengeld für über 50-Jährige - womöglich plus kürzeren Kündigungszeiten für alle - erhöhen lediglich den Anspruch auf Langzeitarbeitslosigkeit für eine bestimmte Gruppe, verschlechtert ihre Wiedereinstiegschancen, verschlechtert darüber hinaus die Arbeitsbedingungen für alle und bringt einen ein bisschen mehr als in den letzten Jahren motivierten Arbeitsmarkt höchstens wieder zum Einschlafen.

2006-12-07 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto: ©Cornelia Schaible
Foto, Motivationsbanner © Ines Kistenbrügger
Infos zu Datenschutz + Cookies

Zurück zu: Themen

wirtschaftswetter

Kontakt: wirtschaftswetter.de
© 2003-2021 Wirtschaftswetter® Online-Zeitschrift