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Interview mit Clarrisa Stein


Die Fragen stellte Astrid Wehling für Wirtschaftswetter

Buchmesse in Sydney Wirtschaftswetter: Clarissa Stein, Sie leben in Australien, in der Nähe von Ballarat, Victoria. Seit 1991 sind Sie Herausgeberin und Inhaberin eines Verlages, der ein etwas anderes Programm als die großen Verlage des Landes herausgibt. Bevor Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen, möchte ich Sie doch zuerst einmal fragen, was Sie nach Australien gebracht hat und wie Sie hier leben?

Clarissa Stein: 1980 lernte ich meinen zweiten Mann kennen, der zu dem Zeitpunkt eine Partnerin suchte, die mit ihm nach Australien gehen wollte. Da ich immer schon einmal im Ausland leben wollte, bedurfte es für mein Jawort keine lange Zeit des Überlegens. Australien erschien uns beiden als ein gutes Land mit Zukunft für meine Tochter aus erster Ehe und die noch geplanten Kinder.
Und so ging es im April 1983 über Sydney nach Melbourne - eine Stadt, die ich gerne das antipodische München nenne - wo wir zwischenzeitlich ein Reihenhaus gekauft hatten. Ballarat, vor den Toren Melbournes, ist eine Stadt mit Geschichte, die uns auf unseren Ausflügen von Anfang an gefallen hatte. Und nachdem sich 1995 die Gelegenheit ergab, in dieser Gegend ein Grundstück zu erwerben, war ich nicht im geringsten überrascht, sondern begeistert.
Und so leben wir nun - mein Mann seit Mai 2003, ich seit März 2000 - auf unserer Farm mit Olivenhain und unseren Ersatzkindern, sechs vor dem Schlachthof geretteten Pferde, elf Ziegen, sieben in den vergangenen drei Wochen geborenen jungen Geisslein, fünfzehn Hühnern, vier Küken, vier Hunden, zwei Katzen und nicht zu vergessen die Anzahl von Manuskripten, die auf Veröffentlichung warten.

Wirtschaftswetter: Wie fiel die Entscheidung, einen Verlag zu gründen?

Clarissa Stein: Mehr oder weniger aus Langeweile hatte ich in 1986 ein Teilzeit-Fernstudium für Literatur und australische Geschichte an der Deakin-Universität begonnen, das ich aber aus gesundheitlichen Gründen nicht fortsetzen wollte.
Im Zuge dieses Studiums hatte ich wieder angefangen zu schreiben, und Ende der achtziger Jahre war ich Mitglied verschiedener Autorenvereinigungen, wie beispielsweise der Victorian Association of Multicultural Writers, der Migrant Women Writers und der Deakin Literary Society.
Die Mitglieder der beiden ersten Gruppen trafen sich einmal im Monat. Beide Vereinigungen veranstalteten darüber hinaus auch öffentliche Lesungen in verschiedenen Melbourner Bibliotheken und auch während des St Kilda Writers' Festivals. Auf diese Weise sammelten ihre Mitglieder einiges an gutem Material, welches beide Vereinigungen in je einer Anthologie herausbringen wollten. Leider fand sich kein Verlag bereit, diese Anthologien in sein Programm aufzunehmen. Da ich die Manuskripte bereits getippt und mein Mann sie gesetzt hatte, schlugen wir vor, die Anthologien für beide Gruppen zu verlegen und so ist Papyrus Publishing entstanden.

Wirtschaftswetter: Mögen Sie uns etwas über Ihr Verlagsprogramm erzählen? Liesel Lowy, Jianguo Wu, Felicity Stehlik, Dominique Hecq und Dipti Saravanamuttu, um nur ein paar zu nennen - wer sind Ihre Autoren und wie finden Sie diese?

Autorin und Verlegerin in Sovereign Hill Clarissa Stein: Nach den beiden Anthologien Today I Write und Women in Harmony, die beide während des Melbourne Writers' Festival 1992 vorgestellt wurden, kamen die ersten neuen Autoren von der Multicultural Association of Multicultural Writers: Mammad Aidani mit seinem Gedichtband Into the Dark Skin, 1993, neuverlegt im Jahr 1995 als Better Not to Explain sowie Abdul K. Sabawi mit seinem geschichtlichen Roman The Phoenix, der – in Arabisch - 1993 den Annual Gibran International Award erhalten hatte.
Beide Texte gefielen mir gut und ich würde sie gern in Deutsch veröffentlicht sehen. Genauso wie auch zum Beispiel Death Is the Cool Night von John Tully, The Meandering Stream von Jianguo Wu, The Company of Words, von Deborah Miller und Wild Geese, Swans and Nightingales von Marielu Winter.
I'd Rather Be Laughing von Janka Abrami, Ego Off Lead von Hynek Stehlik, Oz Tale Sweet and Sour von Leo Xi Rang Liu , sowie Silver Sails von Phillip Moses sind Immigrantengeschichten, die ebenfalls einem deutschen Publikum gefallen könnten.
Aidani, der seine Heimatstadt im Iran-Irakkrieg verlor, ist heute besser bekannt für seine Theaterstücke. Für die Chinesen Ouyang Yu und Leo Xi Rang Liu waren der Gedichtband Moon over Melbourne und der Roman Oz Tale Sweet and Sour mit ein Sprungbrett für ihre Karrieren als Professoren der Literatur.
Die Stehliks, Felicity wurde in Danzig geboren, Hynek stammt aus Tschechien, und Abrami - waren ebenfalls Mitglieder der Victorian Association of Multicultural Writers. Hyneks Manuskript gefiel mir auf Anhieb, aber es bedurfte, wie bei vielen der anderen Manuskripte, ein gewaltiges Mass an Lektorat, das manchmal einem Umschreiben gleichkam, da das Immigrantenenglisch oft nicht gut genug war, um auf dem Buchmarkt bestehen zu können.
Jianguo Wu und Leo Xi Rang Liu, die beiden chinesischen Romanschriftsteller in unserem Programm, waren Studenten der Literatur, als sie, wie auch Saravanamuttu, in Sri Lanka geboren, in einer Liste alternativer Verleger auf Papyrus Publishing stießen.
Lowys englisches Manuskript ihres Buches Mein Leben - eine vergangene Gegenwart kam auf Empfehlung einer meiner ehemaligen Professorinnen, die heute in Canada lehrt. Da Lowy in Sydney wohnte, wurde der Inhalt der englischen Fassung ihres autobiographischen Romans etwas abgewandelt und unter einem anderen Namen veröffentlicht.
Dominique Hecq (The Book of Elsa, 2000; Good Grief, 2002), wie auch Tully und Brian Edwards (All In Time, 2003; The Escape Sonnets, 2006), sind Akademiker an verschiedenen Universitäten. Ihre Manuskripte kamen über die Deakin Literary Society ins Verlagsprogramm.

Wirtschaftswetter: Zum Verlag gehört auch ein Magazin, das bereits drei Mal für den Australian Human Rights Award nominiert wurde. Was findet der Leser in dem Magazin?

Clarissa Stein: Ja, der Australian Multi-Cultural Book Review. Dort veröffentlichen wir Gedichte, Kurzgeschichten und Essays von australischen Autoren aus verschiedenen Kulturkreisen, aber auch die Werke erfolgreicher Teilnehmer unserer Literaturwettbewerbe, sowie Rezensionen von Büchern, die anderweitig nicht besprochen werden würden.
Aus unserem Verlagsprogramm wurden in der australischen Mainstream-Presse The Age, Australian Book Review und der Australian Jewish News bisher die Bücher: So The Wheel Turns von Doris Sharp, Moon over Melbourne, Curving my Eyes to Almonds von Liat Kirby, All in Time; The Company of Words und meine eigenen Gedichtbände, Notes From My Land und Billy Tea and Sand Ballet besprochen.

Wirtschaftswetter: Wo kann man das Magazin beziehen?
Clarissa Stein: Über das Internet, direkt von Papyrus Publishing.

Auf der Farm von Clarissa Stein Wirtschaftswetter: Was motiviert Sie und worin sehen Sie Ihre Lebensaufgabe?
Clarissa Stein: Einerseits, von unserer organischen Farm leben zu können. Andererseits, mit meinem Verlagsprogramm etwas zu produzieren, das mir die Möglichkeit gibt, meine Ideen, Hoffnungen und Anschauungen mit anderen Leuten zu teilen.
Ich sehe meinen Verlag auch als ein Instrument für das Erkennen der Landschaft der menschlichen Seele und das Bauen einer Gesellschaft, deren Reichtum sich auf die Pflege der verschiedenen Kulturkreise ihrer Bürger gründet.

Wirtschaftswetter: Sie sind auch Autorin und schreiben unter anderem Gedichte. Gedichtbände nehmen zudem einen großen Teil des Verlagsprogrammes ein. Worin liegt für Sie der Reiz der Poesie?

Clarissa Stein: Der Reiz liegt in der Ökonomie der gewählten Worte und ihrer auf mehreren Ebenen möglichen emotionalen Färbung.

Wirtschaftswetter: Wird Poesie heute überhaupt noch gelesen?

Clarissa Stein: Ja. Es gibt in Australien eine Menge von Örtlichkeiten, wie Gaststätten und Cafes, in denen Gedichte regelmässig einem Publikum vorgetragen werden.

Wirtschaftswetter: Lassen sich die oft widersprüchlichen Erfahrungen von Migranten durch Poesie darstellen?

Clarissa Stein: Ich würde sagen, dass dieses vom einzelnen Schriftsteller abhängt. Die Autoren der schon erwähnten Romane, Ego Off Lead und Oz Tale Sweet and Sour, aber auch Walter Adamson, der Autor von Matilda Stops Waltzing und Marta Sybacynsky in Man in Violet (2006), verarbeiten ihre Immigrantererfahrungen mit grossem Erfolg.
Ich persönlich habe in den frühen Siebzigern mit dem Schreiben von Gedichten angefangen, weil es zu dem Zeitpunkt das für mich gegebene Medium war. Wortsysteme als Gegensatz zu den Zahlensystemen, mit denen ich mich täglich in meinem erlernten Beruf rumschlagen musste. Zudem habe ich Gedichte immer gern gemocht Als ich in Australien wieder anfing zu schreiben, war es nur natürlich für mich, dass ich erst meine deutschen Gedichte in Englisch neu dachte und dann mehr und mehr Gedichte in Englisch schrieb. Insgesamt gesehen haben multikulturelle Texte in Australien bisher aber nicht viel Erfolg gehabt.

Clarissa Stein auf ihrer Farm Wirtschaftswetter: An welchem Gedicht oder Roman hängt Ihr Herz besonders?

Clarissa Stein: Wenn ich diese Frage auf das Verlagsprogramm beziehe, dann muss ich mit Wild Geese, Swans and Nightingales von Marielu Winter antworten. Dieser autobiographische Roman erscheint mir eine ehrliche Auseinandersetzung der Autorin mit den Ereignissen und dem Leben in der Nazi-Dikatur zu sein. Marielu Winter beschreibt darin die Flucht mit ihrer Tochter aus den deutschen Ostgebieten und den Verlust ihres Kindes nach dem Krieg.

Wirtschaftswetter: Suchen Sie derzeit Autoren? Was sollten diese mitbringen?

Clarissa Stein: Als Verlegerin bin ich immer auf der Suche nach neuen Autoren, aber mehr noch nach Werken, die ich publizieren möchte.
Momentan bin ich für eine neue Anthologie auf der Suche nach Manuskripten von deutschen Einwanderern, auf Englisch.
Autoren, die uns Manuskripte senden, sollten verstehen, dass Papyrus Publishing, als ein sogenannter Miniverlag, mit anderen großen Verlagen weder finanziell noch terminlich konkurrieren kann. So kann die Verwirklichung eines Manuskriptes zu einem Buch relativ lange dauern. Sehr zeitaufwendig ist es zum Beispiel, wenn ein Text im Lektorat sehr gründlich überprüft und überarbeitet werden muss - so wie in dem Roman The Phoenix, der eine Anzahl von Koranzitaten enthält. Mein Lesen des Korans wurde erforderlich, nachdem ich auf eine Passage stieß, in welcher der Iman nach einer Sintflut, die alles weggeschwemmt hatte, den Koran zitierend tatsächlich um mehr Regen bat.
Wie sich dann herausstellte, handelte es sich um einen geringfügigen Fehler, der dadurch entstanden war, weil die Übersetzerin in ihrer englisch-arabischen Koranausgabe die Seite in englischer Sprache falsch umgeblättert hatte. Diese wieder aufzufinden, beanspruchte Stunden.
The Phoenix ist mir dadurch besonders ans Herz gewachsen, wie eigentlich alle Bücher aus dem Verlagsprogramm, mit denen ich als Lektorin einige Zeit meines Lebens verbrachte.


Weitere Inspiration und Informationen:
Neue Melodien - ein Gedicht von Clarissa Stein

Im Web: Papyrus Publishing

2006-11-15 by Astrid Wehling, Wirtschaftswetter
Text: © Astrid Wehling und Gesprächspartnerin Clarissa Stein
Fotos: © Papyrus Publishing, Fotograf: H. Stein
Foto, Motivationsbanner © Ines Kistenbrügger
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