von Annegret Handel-Kempf
Leider haben auch wir uns entschlossen, seit der Saison Sommer 2003 keine Umstandskollektion mehr zu entwerfen, da diese für unser Unternehmen nicht mehr rentabel ist, so der Verkaufsleiter der im oberbayerischen Murnau beheimateten Hummelsheim GmbH & Co KG, Thomas Scheck.
Einkaufen ohne Umstände wird während der Schwangerschaft augenscheinlich immer schwieriger.
In der Bundesrepublik gibt es pro Jahr nur noch rund 600 000 Schwangere, die im Schnitt 1,5 Kleidungsteile für neun Monate mit wachsendem Bauch kaufen. Manche greifen allerdings sogar zu fünf Hosen sowie zu einigen elastischen kurzen Röckchen. – Ist Schwangerschaft diesen wenigen Beherzten zum Trotz insgesamt dennoch ein rückläufiger Markt, der den Modebummel zur Plage werden lässt?
Schule, Studium, Hineintasten in den Beruf, Karriere in die Wege leiten: Der aktuelle Lebensweg vieler junger Frauen schlägt sich im Vergleich zu früher in weniger Geburten bis zur Menopause nieder. In mehrfacher Hinsicht schade, denn dies ist die einzige Zeit, in der man nach gängigem Schönheitsideal einen Bauch nicht nur haben, sondern ihn auch ohne Scheu und Rüschen zeigen darf – sofern die angebotene Kleidung dazu taugt.
Keine Änderung in Sicht: Nach den Zahlen, die ein Kinder- und Jugend-Bericht der Bundesregierung zur demographischen Entwicklung in Deutschland enthält, wird der Anteil junger Menschen unter 20 Jahren im Jahre 2020 auf 17 Prozent der Gesamtbevölkerung sinken. Zugleich steigt der Anteil der über 65jährigen auf 22 Prozent.
Früher als die Politik reagierten augenscheinlich die Textilindustrie und ein Teil des von Absatzrückgängen geplagten Einzelhandels auf diese Entwicklung: Verschiedene Direktanbieter machen es diesem Textilzweig sehr schwer, eigenständig bestehen zu können, erläutert Verkaufleiter Scheck, dessen Arbeitgeber Hummelsheim sich jetzt ausschließlich auf Baby-, Kleinkinder- und Kindermode konzentriert.
Wohl auch eine Folge solcher Rückzüge ist, dass, wo Frau noch vor wenigen Jahren in den Oberbekleidungs-Abteilungen der Kaufhäuser manchmal versehentlich zu einem schicken Teil griff, das sich bei näherem Hinsehen als Garderobe für die besonderen Umstände herausstellte, greifen auch die Körper-Umhüllung suchenden Hände von Schwangeren heute meist ins Leere.
Fast alle Kauf- und Warenhäuser führen keine Umstandsmoden mehr und haben einst vorhandene Abteilungen aufgelöst, bestätigt Margreth Christoff vom Fellbacher Textilhersteller Christoff-Umstandsmoden den Trend. Das auf Röcke und Hosen spezialisierte Unternehmen gehört zu einer Handvoll übrig gebliebener deutscher Produzenten in einer Branche, die mit doppelt so vielen Herstellern früher gut florierte. Dem Unternehmen Christoff geht es prima – mehrere Jahre in Folge wurden nach eigenen Angaben jeweils mit einem zweistelligen Plus abgeschlossen. Grund: Im Gegensatz zu den Massenwaren-Umstands-Abteilungen wachse die Zahl der Umstandsfachgeschäfte sogar.
Einzelne, in Großstädten wie Hamburg, Düsseldorf oder Würzburg angesiedelte Baby-Spezialgeschäfte, zu denen beispielsweise auch Schlichting in München oder KorbMayer in Stuttgart gehören, kümmern sich weiterhin liebevoll um das anspruchsvolle Geschäft, Schwangere selbst fürs Berufsleben gut und modisch zu kleiden.
Manche unserer Händler-Kunden klagen, manche machen gute Umsätze, berichtet Verkaufsleiterin Christoff, die sich auch um den Einkauf von immer neuen Stoffen kümmert, die in besonderem Maße für die Bequemlichkeits-, Dehnbarkeits- und Attraktivitäts-Bedürfnisse von Schwangeren geeignet sein sollen. Wer seine Umstandsabteilung pflegt, der hat gute Umsätze. Wer es aber von Haus aus als lästig empfindet, Umstandsmoden anbieten zu müssen, bei dem läuft es schlecht.
Kleidung für werdende Mütter zu verkaufen, ist beratungsintensiv, vor allem, wenn es sich um die erste Schwangerschaft handelt. Engagierter Einkauf für die begrenzte Zahl an Kundinnen bedeutet allerdings auch Maßhalten im eigenen Interesse: Mehr als drei, vier Teile ordert keines der Fachgeschäfte von einer Größe. Viel Aufwand für vergleichsweise wenig Absatz, höherer Stoffverbrauch und kleinere Stückzahlen – kein Wunder, dass Umstandsmode meist etwas teurer ist als normale Garderobe, die von potenziell 30 Millionen Bundesbürgerinnen gekauft wird.
Mühsam ist der Einkauf für diese wenigen verbliebenen Bekleider auch deshalb geworden, weil sie aufgrund des schmal gewordenen Inlands-Angebots ihre Ware gutteils in Italien, Holland oder Frankreich ordern müssen. Doch passt etwa auf Italienerinnen abgestimmte Umstandsmode nicht unbedingt einer deutschen Schwangeren. Auch stehen werdende Mütter in Deutschland weniger auf Klassiker in Grau und Beige. Zudem sind Verkaufshits, wie attraktive Fest- und Hochzeitskleider im Frühjahr und Sommer schnell vergriffen, und können etwa bei italienischer Ware kaum einmal nachbestellt werden.
Lohnt sich der Aufwand? - Da wir Umstandsmoden anbieten, wollen wir das auch richtig machen. Deshalb spüren wir keinen Absatzrückgang, sagt Helga Michel, die sich seit gut 30 Jahren bei Schlichting in München um Einkauf und Kundinnen kümmert. Ein Anbieter darf nicht die aus fünf Jahren übrig gebliebenen Sachen in einer Ecke aufhängen. Denn wer Umstandskleidung fernab der Mode anbietet, hat heute sehr viel schlechtere Absatzchancen als noch vor 15 Jahren. Schließlich ist jede zweite schwangere Kundin berufstätig und kann sich nicht mit irgendeinem Kittelchen behelfen.
Anders sieht das die Kaufhof-Zentrale in Köln. Sie offeriert eine Alternative, die anscheinend von der Prämisse ausgeht, dass sich das entstehende Baby flächendeckend am Körper der Mutter verteilt: Wir wissen aus Marktstudien, dass werdende Mütter in der Zeit fortgeschrittener Schwangerschaft eher auf weit geschnittene Teile aus den ‚normalen’ Bekleidungssortimenten zurückgreifen. … Unsere Abteilung M-Chic bietet hier zum Beispiel chice Mode auch in größeren Größenbereichen, die gerne von werdenden Müttern in Anspruch genommen werden, so die Pressestelle.
Das wirtschaftliche Kalkül dahinter: Die Kaufhof Warenhaus AG bietet in ihren Filialen keine Umstandsmode an, weil es sich um eine Angebotssegment mit nur begrenztem Marktvolumen handelt.
Kein Einzelfall - Der Bundesverband des Textil- und Einzelhandels (BTE) hält sich mit einem Engagement im Segment chicer Schwangeren-Mode ebenfalls betont zurück: Uns liegen keinerlei Erkenntnisse oder Statistiken vor, ob und in welchem Maße das Angebot an Umstandsmoden zurückgegangen ist. Zwar ist sicherlich auch in den letzten zwei Jahren die Zahl der Kinderfachgeschäfte gesunken, aber gleichzeitig ist nach unserem Dafürhalten die Zahl kleiner und kleinster Second-Hand-Geschäfte gestiegen, die für diesen kurzfristigen Bedarf im unteren Preisbereich eine gute Angebotsform darstellen, so Peter Engmann vom BTE.
Umstandsmode aus zweiter Hand zu kaufen, gehört zu den vielfach praktizierten Auswegen. Andere sind, sich Teile von der Freundin zu leihen, sich mit Sicherheitsnadeln zu behelfen oder mindestens fünf der neun Monate in der Jogginghose des Ehemanns zu verbringen. Oder den Modetrend knapper und kurzer Oberteile noch auf die Spitze des Bauches zu treiben…
Kein Zweifel: Schwangerschaft gestaltbar zu machen, ist ein vernachlässigter Faktor in einer Gesellschaft, die doch als Lösung für Fachkräftemangel und Rentenfinanzierung der Nachwuchsmüdigkeit mit Familienprogrammen auf die Sprünge helfen will. Ein Gegensatz zwischen Theorie und Praxis der Forderung nach Gleichstellung und Familienförderung ist ebenso in folgendem zu sehen: Zu dem Markt für Umstandsmode führen wir derzeit keine Untersuchungen durch. Leider haben wir auch keine Informationen vorliegen, vermeldet Thilo Lohmüller von der Textilmarktforschung bei der Gesellschaft für Konsumgüterforschung (GfK).
Immerhin finden sich weiterhin bei den Babyausstattern der Versandhäuser und im Internet, sowie in den Filialen von H & M, C & A, Baby Walz, Benetton oder Loden Frey begrenzte Sortimente für die Bekleidungsbedürfnisse während der neun runder werdenden Monate. Gründliche Anprobe ist allerdings gerade bei preislich günstigeren Anbietern und Teilen dringend geraten, da mancher Billig-Stretchstoff schon nach wenigen Wochen nur noch dazu taugen dürfte, Mutter und Kind die Luft abzuschnüren. Auch die Grundfarbe Schwarz auf vielen Bügeln, überschwängliche Blütenmuster oder fußknöchellang geschnittene, sackartige Überwürfe, die wenig mit Kleidern und Röcken gemein haben, tragen nicht unbedingt zum Wohlbefinden von Frauen bei, die weder an den Fußknöcheln schwanger sind, noch ihren guten Geschmack beim ersten Ultraschall abgegeben haben.
Aber keine Bange: Erfreuliche Ausnahmen lassen sich auch entdecken, vor allem angenehm tragbare Hosen. Sind diese mit modischen, wirklich elastischen, hohen Stretch-Taillen-Bünden ohne Verschlüsse ausstaffiert, erübrigen sich lange Oberteile zum Verdecken von Baucheinsätzen, was übrigens zu einem Rückgang bei Umstands-Oberteilen beitrug.
Wer auf dem Land oder in kleineren Städten lebt, hat die Auswahl in den Sortimenten von Versandhäusern wie Neckermann, Quelle, Baby Walz, Baby-Butt oder bellybutton via Katalog oder übers Internet. Eine weitere löbliche Ausnahme: Wie 40 Karstadt-Filialen bundesweit setzen in München - etwa Karstadt im Olympia-Einkaufszentrum, sowie Karstadt, Haus Oberpollinger und Hertie am Bahnhof, mit ihren rund 100 Teilen umfassenden Saison-Sortimenten beherzt auf junge Mütter.
Dort hieß es: Wir teilen Ihnen gern mit, dass wir die hochmodische Kollektion von bellymama Umstandsmoden führen. Es handelt sich hier um eine funktionelle Mode, die von schwangeren Müttern kreiert wurde, bei der auch das Preisleistungsverhältnis stimmt.
Vorsichtig optimistisch war auch die Prénatal-Fachgeschäfte-Gruppe. Mit vier Neueröffnungen in Hagen, Essen, Köln und Berlin stockte die Prénatal GmbH nach Restrukturierung und massivem Abbau von Verkaufsstellen die Zahl ihrer über 30 Filialen in Deutschland mit einem Jahresumsatz von rund 50 Millionen Euro wieder auf. Die 100-prozentige Tochter der Prénatal SpA gehört seit 1995 zur italienischen Artsana Group mit Hauptsitz in Mailand und ist mit weltweit über 350 Filialen und einem Umsatz von rund 500 Millionen Euro Europas größtes Einzelhandelsunternehmen in dieser Sparte, das auf den Bedarf von werdenden Müttern sowie von Kindern zwischen null und elf Jahren spezialisiert ist.
Prénatal-Deuschland-Chef, Michael Bunse, plant eine Modernisierung des Filialbestandes: Umstandsmode hat bereits einen Sortimentsanteil von 15 Prozent und der soll größer werden. Trendy muss die Umstandsmode sein, denn wir wollen die moderne Schwangere einkleiden, die im gutaussehenden Outfit ihre Rolle in Familie und Haushalt ausfüllt beziehungsweise bis kurz vor der Entbindung im Beruf aktiv ist.
Über einen Frühjahrs-/Sommer-Umstandskatalog Zeigen Sie Bauch!, in dem auch witzige Badeanzüge im Vichy-Karo zu finden waren, sagte Karin Frick, Assistentin der Geschäftsleitung mit Sitz in Köln: Qualität und Gestaltung des Katalogs und natürlich die Umstandsmode selber zeigen, wie wesentlich dieses Segment für uns ist! – Ein guter Ansatz für die ganze Branche: Modische Ware zeigen, in der Schwangere dann auch gerne, Modetrend und Zeitgeist folgend, Bauch zeigen.
2006-10-01 by Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf
Illustrationen: © Angelika Petrich-Hornetz
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