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Chatten, Chatten, Chatten

von Susanne Hagedorn

Die Tür geht auf. Eine Schultasche fliegt in Richtung Garderobe und ein Hi Mum, wann gibt´s Essen? dringt durch die Wohnung. Der erste Gang ist nicht der zum Mittagessen, nein, zuerst muss der Computer hochgefahren werden, damit im Anschluss ans Mittagessen keine Zeit fürs Chatten verloren geht.

Zeit ist wichtig, da der Internetzugang zwischen vierzehn und siebzehn Uhr für den Sprössling gekappt wird. Warum? Hausaufgaben, so denken jedenfalls Lehrer und Eltern, sind auch nicht unwichtig. Und wenn immer wieder ein komischer Ton erklingt, dann können diese Eltern sicher sein, dass zwischen diversen Gesprächen hin und her geswitcht wird. Da bleibt dann leider keine Konzentration auf die Matheaufgaben oder für die Vorbereitung auf einen Vokabeltest mehr übrig. So ziehen viele Eltern inzwischen die Reißleine - und der Internetanschluss wird für eine bestimmte Zeitspanne gesperrt.

Aber danach geht´s ab im Jugendzimmer! Haben Sie Ihre Kinder einmal beim Chatten beobachtet? Machen Sie sich die Mühe: Halb-Worte wie vllt schwirren durch die virtuelle Welt. Was bedeutet das? Es heißt übersetzt: "vielleicht". KP dagegen bedeutet "kein Plan". Wer in die Tiefe gehen will, findet inzwischen Übersetzungshilfen. Parallel dazu fragen sich immer mehr Eltern, wozu sie ihren Nachwuchs überhaupt noch in die Schule schicken, wenn dabei lediglich etwas herauskommt, das eher an einen akuten logopädischen Bedarf als an so etwas wie Sprache erinnert.

Sollte es dann beruhigen, wenn die das finanzielle Polster erwirtschaftende, ältere Generation zu hören bekommt:
"Mum, du hast keine Ahnung. Die schreiben alle so."
Ach. Alle?
"Wer sind "alle???"
"Alle auf meiner Freundesliste!"
"Wie viele Freunde hast du denn???"
"150, aber das ist ja noch wenig, Luisa* hat mittlerweile schon 300 Freunde."
"Mit wem schreibst du denn gerade?"
"Kennst du nicht, ist jemand aus Freiburg."

Das elterliche Gehirn springt an: Wen, um Himmels Willen, kennen wir in Freiburg??? Werden wir langsam zu alt? Das alte Hirn traut sich kaum noch zu fragen, wen der Filius da in Freiburg kennt und woher nur? Schließlich würde eine mögliche Antwort den Status eines total veralteten Outsiders nur noch unterstreichen. Manche wagen es trotzdem. Antwort: "Ach, der hat mich irgendwann mal angeschrieben über SchülerVz, und dann haben wir ein bisschen geschrieben und uns gegenseitig in den Chat aufgenommen. Ist ein ganz Netter." Ach. Ein ganz Netter. So, so.

Und dann kommt noch so etwas, wie: "Ach ja, der Frank* ist total komisch geworden. Der schreibt mich überhaupt nicht mehr an, auch wenn er online ist."
"Frank*? Der aus deiner Klasse?"
"Genau der!"
"Aber vorgestern war doch noch alles in Ordnung. Ihr habt doch zusammen Hausaufgaben gemacht?"
"Ja, vorgestern war auch noch alles klar, aber im Moment ..."
Auf den Einwand offensichtlich total veraltet denkender Kreaturen: "Könnt ihr nicht darüber reden?", folgt lediglich ein jugendlich Genervtes: "So wie der im Moment schreibt, kann ich mit dem nicht reden, da bekomme ich nur einen dummen Kommentar."

Völlig überfordert ziehen sich spätestens jetzt die vorgestrigen Exemplare längst vergangener Kommunikationsarten zurück und grübeln über eine Zukunft in Horrorszenarien:
Früher. Ja, früher haben wir uns manchmal richtig gestritten - allerdings noch in Worten - und anschließend wieder vertragen. Das war immer ein gutes Gefühl und ein Lernprozess, der einem später auch beruflich half, zum Beispiel in schwierigen Verhandlungen. Man hatte über viele Jahre Geduld gelernt. Und wie man einen Konsens findet. Und dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. In der nächsten Generation dagegen gilt: Ein falsches Wort, wenn man diese Zeichen noch so nennen will, und zwischen den Kindern herrscht Funkstille, im Chat und im richtigen Leben. Bei 150 Freunden kommt es auf den Verlust des einen oder anderen schließlich nicht mehr an.

Geredet wird nicht mehr. Telefonieren war gestern, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen, um Missverständnisse auszuräumen, ebenfalls. Alles wird schriftlich geäußert, in einem Dauermonolog, vor allem: ohne die Mimik und Gestik seines Gegenübers zu sehen.
Wie geht das weiter? Sollten diese Kinder einmal heiraten, haben beide Ehepartner wahrscheinlich einen Account bei einem Messenger. Und wenn das Essen fertig ist, gibt's die Nachricht: "Pling. Komm bitte an den Tisch, das Essen wird kalt." Trennungen per SMS dürften den Gesetzgeber, der sich stets neuen Realitäten anpassen will, vor ganz neue Aufgaben stellen. Die Online-Scheidung eines Accounts vom anderen - mit oder ohne Datenlöschung?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich kann nur hoffen, dass die nächste Generation noch rechtzeitig lernt, miteinander zu reden, zu streiten und sich zu einigen, bevor sie sich Kp schreibend in Vllts verliert.

*Anmerkung: Alle Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.


2010-02-13 Susanne Hagedorn, Wirtschaftswetter
Text: ©Susanne Hagedorn

Schlussredaktion: Ellen Heidböhmer
Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible, aph, Ines Kistenbrügger
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