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Die Welle

Buchbesprechung

von Juliane Beer

BücherLest Ihr gerade ein Buch? Falls nicht, habe ich eine Empfehlung für die schon etwas Älteren unter Euch. Es ist zwar schon etwas länger auf dem Markt, aber immer noch topaktuell.

Das Buch heißt Die Welle und ist von Morton Rue, und darum geht es:
Im Geschichtsunterricht einer 8. Klasse wird der Zweite Weltkrieg besprochen.
Ben Ross, ein bei den Schülern beliebter Lehrer, zeigt einen Film über den Holocaust. Die Klasse reagiert sehr betroffen; sogleich kommt die Frage auf, wie es passieren konnte, dass die Nazis sich etablierten und die Bevölkerung von der Massenvernichtung jüdischer Mitbürger nichts gewusst hätte.

Ben Ross kann diese Frage nicht beantworten. Damit steht er nicht allein da. Diese Frage konnte bislang noch nie zufriedenstellend beantwortet werden, von niemandem. Selbst Experten sind bis heute ratlos. Dennoch: Die Schülerinnen und Schüler sind sich sicher, dass ihnen selbst so etwas nicht passieren könnte, ja, sie glauben sogar, dass eine derartige Manipulation der Bevölkerung heutzutage gar nicht mehr möglich sei.

Da entschließt sich Ben Ross zu einem Experiment. Er gründet die Welle, eine Verbindung mit drei Leitsätzen. In der folgenden Unterrichtsstunde stellt Ben Ross seiner Klasse die Welle mitsamt des ersten Leitsatzes - Macht durch Disziplin - vor. Der sonst so lässige Lehrer hält seine Klasse zu überholt straffer Disziplin an, da dies das Gemeinschaftsgefühl der neuen Verbindung stärken würde. Die Klasse macht mit.

In der nächsten Unterrichtsstunde wird der Klasse der zweite Leitsatz der Welle Macht durch Gemeinschaft - schmackhaft gemacht. Individualität gilt ab sofort als schädlich für das Fortkommen und Wohlergehen der Gruppe. Wieder sind alle zum Mitmachen bereit, es entsteht sogar eine gewisse Begeisterung.

In der dritten Stunde geht der dritte Leitsatz über die Bühne: Macht durch Handeln. Die Klasse wird zu geschlossenem, gemeinschaftlichen Handeln angehalten. Gute und schlechte oder beliebte und unbeliebte Schülerinnen und Schüler gibt es ab sofort nicht mehr, alle sind ab sofort gleich. Verbunden durch das gemeinsame Ziel, die neu gegründete Gruppe zu stärken, machen auch hier wieder alle mit.

Die Schulklasse so begeistert von der Welle, dass sie auf einmal nicht mehr über Sinn und Unsinn der strengen Befehle des Lehrers nachdenken, sondern diese kritiklos ausführen. Auch werden weitere Mitglieder für die Welle angeworben. Und es werden Mitglieder der Gruppe als Wachleute über das neue System auserkoren. Die Welle als neue Vereinigung ist geboren.

Und obwohl die Welle lediglich die oben beschriebenen drei Leitsätze, darüber hinaus jedoch keine inhaltlichen Grundsätze hat, sind die Schülerinnen und Schüler begeistert dabei, genießen das neue Wir-Gefühl, führen Mitgliedskarten, Fahnen und Poster ein.
Besonders die Schwächeren und Außenseiter der Klasse sind ganz vorne mit dabei; endlich erfahren sie die bis dahin vermisste Anerkennung der Gruppe.

Die neue Verbindung greift schnell auf andere Klassen über, bald auch auf die Sportmannschaften der Schule. Nur eine Handvoll kritisch denkender Schüler verweigern sich noch dem Gruppenzwang; doch sie können nichts mehr ausrichten, die Wellen-Mitglieder, begeistert und mitgerissen, hören nicht mehr auf sie. Als schließich ein Schüer von Mitgliedern der Verbindung verprügelt wird, weil er sich der Welle nicht anschließen will, muss Ben Ross das Experiment abbrechen.

Das Experiment hatte besser und reibungsloser funktioniert, als der Lehrer ahnen konnte. Innerhalb weniger Wochen konnte er seiner Klasse beweisen, dass Zustände ähnlich denen im dritten Reich jederzeit wieder installiert werden könnten.

Diese Geschichte zeigt, wie gefährlich es werden kann, wenn Menschen eigene Überzeugungen und Ideale aufgeben und sinnlos gehorsam sind, statt selbständig nachzudenken. Die Geschichte zeigt auch, was passieren kann, wenn Menschen sich der breiten Masse und der allgemein vorherrschenden Meinung anschließen, nur weil sie dazu gehören möchten. Dann können leicht so furchtbare Dinge wie im dritten Reich geschehen.

Im NS-Regime wurde stark an das Wir-Gefühl der Menschen appelliert, damit alle mitmachen. Die Geschichte von der Welle teilt seinen Lesern zudem mit: Auch wenn man merkt, dass es einem nicht gelingen wird, einer ganze Gruppe ihren Irrtum sichtbar zu machen, ist es trotzdem wichtig, weiterhin zu seiner eigenen Überrzeugung zu stehen und danach zu handeln.
Während der Nazi-Zeit beispielsweise konnten durch solche Menschen, die so mutig waren, Juden in ihren Wohnungen und Kellern und Dachböden zu verstecken, Menschenleben gerettet werden.

Der Roman basiert auf einem wahren Ereignis. Das Experiment The Third Wave wurde tatsächlich 1967 an einer High School in Pao Alto von dem Geschichtslehrer Ron Jones verwirklicht. Der Lehrer wollte der Frage auf den Grund gehen, ob die Deutschen besonders autoritätsgläubig (so nennt man Menschen, die gern gehorchen ohne selbst nachzudenken) und deshalb anfällig für totalitäre Regime seien.
Sein Experiment zeigte, dass dies nicht der Fall ist, dass man beispielsweise auch in Amerika mit ein bisschen Geschick und den richtigen Sprüchen, Menschen zur Aufgabe ihrer Individualität und zur Teilname an einer zweifelhaften Massenbewegung verleiten kann. Ein paar Jahre später fasste der Lehrer seine Erfahrungen in einem Sachbuch zusammen. Und 2008 wurde der Stoff verfilmt, Schauplazt das gegenwärtige Deutschland.

Wer Die Welle geschrieben hat: Morton Rhue ist der Künstlername des Autors Todd Strasser. Er wurde im Mai 1950 geboren und studierte Literatur. Bevor er Jugendbücher über Themen wie Nationalsozialismus, Gewalt oder Obdachlosigkeit schrieb, arbeitete er in Amerika als Straßenmusiker und Zeitungsreporter. Mit dem Roman Die Welle wurde er weltweit bekannt.

Bücher:
Morton Rhue: Die Welle
im Ravensburger Verlag

Ron Jones: No Substitute for Madness
bei Island Press

Film: Die Welle (2008)


2010-01-20 Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer
Illu: ©ap
Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible
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