Nina Freydag, Picus Verlag
Buchtipp von Anne Siebertz
Entspannt zurücklehnen, ein gutes Buch lesen oder einen Film im Fernsehen anschauen: Was eignet sich besser dafür als ein urgemütlicher Sessel, dessen Namen fast jeder kennt: Stressless. Doch kaum jemand weiß, dass diese Marke aus dem nördlichsten Land Europas stammt. Noch weniger bekannt ist die Geschichte des Unternehmens, das diesen Sessel erfunden und patentiert hat. Im norwegischen Ikornnes liegt die 1934 als Sprungfedernfabrik gegründete Firma, gleichsam am Ende der Welt. So jedenfalls betrachtet es die Autorin Nina Freydag, als sie mit ihrem schneetauglichen Fahrzeug den beschwerlichen Weg über 12 Kilometer Tunnel, vereiste Serpentinen, zwei Fährfahrten und nicht enden wollende Fjordumrundungen hinter sich bringt. Wer hier nur noch Einöde erwartet, wird überrascht sein, dort den Firmensitz eines Weltkonzerns und eine der modernsten Möbelfabriken Europas vorzufinden. Immerhin 720 Menschen arbeiten dort, am Fuße des felsigen Fjords von Sykkylven, und fahren zusammen fast achtzig Prozent des Gesamtgewinns norwegischer Möbelproduktion ein.
Doch es nicht nur die bewegende Firmengeschichte, die Nina Freydag in „Lesereise Norwegen“ beschreibt. In insgesamt 14 Kapiteln erklärt sie mit viel Sachverstand etwa, warum die Norweger sehr kontaktfreudig sind. Oder dass sie selbst am äußersten Zipfel des Landes nahe der russischen Grenze noch Handyempfang haben.
Die Journalistin aus Kiel hat sechs Jahre lang in Norwegen gelebt und ist dort auf Reisen gegangen. Als Insiderin wirft sie einen scharfsinnigen Blick auf die landestypischen Sitten und Gebräuche. Während hierzulande Ostern als Zeit der Vorboten des Frühlings und des Aufbruchs gilt, liegt das Land am Polarkreis noch unter tiefem Schnee. Doch die Norweger trotzen Schnee und Kälte und absolvieren gewissermaßen als Pflichtprogramm eine Skiwoche auf der Hütte ohne Strom und Komfort, mit Plumsklo und geschmolzenem Eiswasser. Was dort zählt, sind nicht die Temperaturen, sondern die heller werdenden Tage, das Licht.
Und dann wären da noch so wundersame Bräuche wie die Russetid, eine Zeit, in der die Abiturienten außer Rand und Band geraten. Ganze siebzehn Tage lang, vom 1. bis zum 17. Mai, dem Nationalfeiertag, herrscht in jeder Abschlussklasse Norwegens der totale Ausnahmezustand. Um die achtzig Mutproben sollen die Schüler bestehen, vor allem aber viel saufen, wenig schlafen und viel Sex haben. Für jede der Mutproben kann man sich eine Trophäe mehr an seiner roten Trollmütze befestigen.
Ein Blick von oben auf das Land spart natürlich auch ein Porträt der bekanntesten Autorin Norwegens, Anne Holt, nicht aus. Denn: die ehemalige Justizministerin ist heute eine der meist gelesensten Krimiautorinnen des Nordlandes.
Das in leicht verständlicher Sprache geschriebene Buch wartet mit viel interessanten Details auf und beleuchtet viele Hintergründe. Es gibt Antworten auf die Frage, warum die Norweger heute eine der reichsten Nationen sind, den Zutritt zur EU beharrlich verweigern, und mit Energie nur so um sich werfen. Nina Freydag beleuchtet das Bild der norwegischen Frau, die Emanzipation und die Trinkfreudigkeit des Landes.
Das Buch kommt ganz ohne Bilder aus, lässt aber dennoch vor dem Auge des Lesers das Bild einer einzigartigen Natur mit schroffen Felsen, einsamen Fjorden und duftenden Hochmooren entstehen.
Vor allem aber, so meint die Autorin, müsse man Norwegen gerochen haben, denn nirgendwo dufte es köstlicher. Da heißt es nur: selbst ausprobieren.
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Lesereise Norwegen
von Nina Freydag
© 2004 Picus Verlag Ges.m.b.H, Wien
Überarbeitete Neuausgabe 2010, 132 S.
ISBN 978-3-85452-985-9
2010-10-19 Anne Siebertz, Wirtschaftswetter
Text: ©Anne Siebertz
Fotos Themenbanner: ©ap
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