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Auf Einladung von Katharina

Zuwanderung und Integration

von Angelika Petrich-Hornetz

In der Integrationsdebatte ringen zwei Sichtweisen um Aufmerksamkeit: Während sich die einen darauf konzentrieren, ein diffuses Gefühl der Überfremdung zu beschwören, warnen andere davor, der deutsche Wirtschaftsmotor würde sehr bald ins Stottern geraten, sollte sich Deutschland weiterhin nicht als Willkommenskultur sondern allenfalls als Auswandererland präsentieren.

So misst das Statistiche Bundesamt, dass inzwischen nicht nur Deutsche, sondern auch immer mehr Türken, die größte Migranten-Gruppe in Deutschland, eher aus- als einwandern. Allgemein verringerte sich laut der Behörde die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer im Jahr 2009 gegenüber dem Vorjahr 2008 um -0,5 Prozent oder -32.800 Personen. Deutschland, so kritisiert die um Fachkräfte bangende Wirtschaft, sei für diese nicht mehr attraktiv genug.

Mittlerweile wird der seit Jahrzehnten beschworene Fachkräftemangel ganz konkret. Der spärliche Nachwuchs wird den Bedarf nicht mehr decken können. Der globale Wettbewerb, insbesondere der alternden Industrienationen um die besten Köpfe hat eingesetzt und wird sich in den kommenden Jahren veschärfen. Die Lasten der Sozialsysteme, u.a. von mehr als 20 Millionen Rentnern können längst nicht mehr allein von der eigenen, immer spärlicher besetzten, jüngeren Generation getragen werden können. Auf der anderen Seite sind die alten Ressentiments gegen alles Fremde immer noch nicht abgelegt. Wie einladend zeigt sich unser Land gegenüber Ausländern und auch gegenüber den eigenen Landsleuten? Die gewünschten Bürger sind schließlich vor allem dienigen, die sich möglichst viel an den Lasten und möglichst wenig am Nutzen der deutschen Sozialsysteme beteiligen. Deutschland, ein Auswandererland? Das gab es schon einmal, auch wenn zu der Zeit noch keine deutsche Nation existierte, sondern mehrere deutsche Königreiche und Fürstentümer.

Doch zunächst zur Gegenwart. Die Rechtsgrundlagen der Zuwanderung sind in der Tat ein Dickicht aus Gesetzen und Verordnungen, das im Internet unter der Adresse www.zuwanderung.de durchforstet werden kann. Es gilt vor allem das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (kurz: AufenthG). Daneben auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (VV zum AufenthG), das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/Eu), das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG), das Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZRG) plus die Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über das Ausländerzentralregister (AZRG-DV) und die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über das Ausländerzentralregister und zur Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über das Ausländerzentralregister (VV zum AZRG) sowie die Aufenthaltsverordnung (AufenthV) und nicht zuletzt die Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (IntV).

Puh! Allein das abgekürzte AufenthG umfasst 107 Paragrahen. Vom Anwendungsbereich bis zur Einschränkung von Grundrechten und der Stadtstaatenklausel definiert es die Voraussetzungen, unter denen sich Ausländer in Deutschland aufhalten oder niederlassen können, also eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Die wichtigste Voraussetzung im Aufenthaltsgesetz: Der oder die Ausländer/in müssen ihren Lebensunterhalt einschließlich eines Krankenversicherungsschutzes ohne Inspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten können. Das alles gilt nicht nur für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sondern zum Beispiel auch für Forscher.

Die Beträge zur Sicherung des Lebensunterhalts werden vom Innenministerium jährlich aktualisiert. Der Lebensunterhalt eines Ausländers nach § 20 des AufenthG gilt 2010 als gesichert, wenn das Jahresnettoeinkommen in den alten Bundesländern 20.440,00 Euro (1.703,33 Euro/Monat) und in den neuen Bundesländern 17.360,000 Euro (1.446,7 Euro/Monat) beträgt. Allerdings gilt das nicht unbedingt für alle. In § 19, der Niederlassungserlaubnis für Hochqualifizierte werden die Anforderungen in Punkt 3 definiert: Spezialisten und Angestellte mit besonderer Berufserfahrung aus dem Ausland sollen hier mindestens ein Gehalt in der Höhe der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen (deutschen) Rentenversichung erhalten. 2010 und 2011 müssen hochqualifizierte Ausländer damit 66.000 Euro im Westen und 57.000 Euro (2010: 55.800) im Osten brutto verdienen. In der Debatte um den Fachkräftemangel bemühen sich nun einige Politiker, diese Einkommensgrenze für Hochqualifizierte weiter abzusenken. Dabei wurde sie bereits gesenkt, vor 2009 und dem "Aktionsprogramm zur Sicherung des Fachkräftebasis in Deutschland" lag die Grenze für eine Niederlassungserlaubnis bei großzügigen 86.400 Euro brutto (doppelte Beitragsbemessunggrenze) im Jahr. Folge: Im Jahr 2008 zogen ganze 160 Hochqualifizierte nach Deutschland, im Jahr 2009, trotz Absenkung des Jahreseinkommens auf (damals) 63.600 Euro kamen ganze 142.

Ähnlich attraktiv fallen die Bedingungen für Selbständige aus, deren Mindesteinkommen und Aufwendungen für eine Aufenthaltserlaubnis im § 21 des AufenthG geregelt werden: Neben den üblichen wirtschaftlichen Interessen und positiven Erwartungen Deutschlands oder einer deutschen Region wird die Finanzierung durch Eigenkapital oder durch Kreditzusage verlangt. Mindestens müssen hier 250.000 Euro investiert und 5 Arbeitskräfte beschäftigt werden. Außerdem sollten die ausländischen Unternehmer nicht älter als 45 Jahrealt sein, es sei denn, sie bringen ihre eigene, angemessene Alterversorgung gleich mit. Dafür bekommt der Investor eine zunächst auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis. Eine Niederlassungserlaubnis wird erst erteilt, wenn nach diesen drei Jahren der wirtschaftliche Erfolg gesichert ist sowie die in famililärer Gemeinschaft lebenden Angehörigen ebenfalls durch eigene Einkünfte unterhalten werden können. Allgemein wird die Niederlassungserlaubnis nach §9 jedoch erst nach 5 Jahren (Aufenthaltserlaubnis) erteilt.

Schon fast großzügig würden nach § 33 im Bundesgebiet geborene Kinder eines solchen Unternehmers behandelt, sofern dieser eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzt: Dann wird dem Kinde sogar von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt - allerdings keine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG. Und: Halten sich die Eltern zum Zeitpunkt der Geburt mit oder Visum in Deutschland auf, gilt sogar der Aufenthalt ihres Kindes automatisch bis zum Ende des Visums oder des rechtmäßigen visumsfreien Aufenthalts der Eltern als erlaubt.

Jetzt mal im Ernst: Würden Sie in ein Land auswandern, dort ein Unternehmen gründen und fünf Mitarbeiter einstellen, um nach drei Jahren wieder abgeschoben zu werden, weil eine neue Wirtschaftskrise ausbricht? Wieviel Unsicherheit wollen Sie sich oder ihren Kindern zumuten? Sicher, es gibt Investoren, die deutlich mehr als eine Viertelmillionen Euro und fünf Mitarbeiter in anderen Ländern investierten, aber diese müssen auch nicht gleich auswandern - und mit dem Ende des Visums gleich wieder ausreisen. Und selbst wenn ein großer Investor gleich nach Deutschland umziehen möchte: Ob ausgerechnet die geschicktesten Finanzhaie automatisch zu leistungsorientierten Einwanderern und zu den fleißgen Bürgern mutieren, die erwünscht sind und die die deutsche Wirtschaft inzwischen dringend benötigt, darf getrost in Frage gestellt werden.

Der Gesetzestexte-Dschungel wirkt jedenfalls nicht sehr einladend, auch wenn es zahlreiche Ausnahmen gibt oder in vielen Paragraphen Härtefallregeln vorgesehen sind, so dass dann noch die Einzelfallentscheidungen bleiben, deren Härte die Behörden ganz legitim nehmen können. Trotzdem landen immer wieder minderjährige und volljährige Migranten-Kinder in den Medien, die auch nach einem vielversprechenden Abitur abgeschoben werden - zusammen mit ihren Eltern. Richtig schlimm sind die Fälle von Jugendlichen, die in Abschiebehaft sitzen. Dabei ist es für Jugendliche (und für alle anderen auch), die volljährig sind oder kurz vor der Volljährigkeit stehen, durchaus sinnvoll, wenn ihnen die Aufnahme und Beendigung einer Berufsausbildung oder eines berufsbefähigenden Studiums ermöglicht wird. Wenn sich die so befähigten jungen Menschen anschließend selbst entscheiden, wo sie leben wollen, dürfte das der demographischen Entwicklung in Deutschland gelegen kommen, wenn sie bleiben. Und wenn sie gehen, sind sie überall dort, wo sie zurück- oder hingehen ein Wachstumsmotor. Verhindern kann das niemand, schließlich wandern momemtan vor allem auch genug hochqualifzierte Deutsche aus.

Mit dem Anwerben von fleißigen Bürgern stellte sich eine andere Deutsche einst durchaus geschickter an, als sie ihre eigenen Landsleute - als Ausländer in ihr Reich holte. Der Gedanke ist ein bisschen unangenehm, dass es schon ein paar hundert Jahre her ist, als man in Europa noch wusste, wie man Ausländer motivierend einlädt, damit sie sich hunderte oder tausende Kilometer weit weg von zu Hause niederlassen. Und sie zögerte nicht lange. Bereits kurz nach ihrer Machtübernahme im Jahr 1762 strebte die ehemalige deutsche Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst aus Stettin als Zarin Katharina II die Ansiedlung von Deutschen und anderen Ausländern in Russland an. Damit wollte sie die wirtschaftliche Entwicklung vor allem in brachliegenden Regionen voranbringen.

In einem ersten, in sieben Sprachen gedruckten Manifest von 1762 deklartierte die deutschstämmige Zarin den Beitritt Russlands zur damals in Europa populären Politik des Bevölkerungszuwachses durch Einladung von Ausländern*. Als der erhoffte Erfolg wegen unklarer Formulierungen zu den Bedingungen ausblieb, verfasste Katharina 1763 ein zweites Einladungsmanifest, das in zehn Paragraphen die Bedingungen bzw die Privilegien des Zuzugs genauer formulierte - eine Einladung mit Goldrand. Geboten wurde unter anderem.: die freie Ansiedlung in allen Regionen, Gewerbefreiheit, die Religionsfreiheit und das Recht Kirchen zu bauen, 5 bis 30 Jahre Steuerfreiheit, zinslose Kredite für notwendige Investitionen mit einer Laufzeit von zehn Jahren, zollfreier Export für zehn Jahre - für deutsche Händler, die Fabriken und Manufakturen errichten und die Befreiung vom Militärdienst. Die Kolonisten hatten außerdem das Recht auf Selbstverwaltung und ein uneingeschränktes Recht zu reisen und das Land wieder zu verlassen. Die vielen Privilegien u.a. die Erschließung und der Besitz von Land, noch bevor die russischen Bauern überhaupt aus der Leibeigenschaft befreit worden waren, führten dazu, dass viele Deutsche, die in den damaligen deutschen Einzelstaaten unter Kriegen und wirtschaftlicher Not litten oder die in ihrer Heimat weder Religionsfreiheit noch Besitz hatten, für ein ärmliches Leben Frondienste leisten mussten, dem Ruf der Zarin folgten.

Der wichtigste Faktor dafür, dass in 150 Jahren aus den ersten 100.000 deutschen Auswanderern schließlich die stolze Zahl von 1,7 Millionen Einwanderern mit deutschem Migrationshintergrund wurden, war vor allem ihrem Kinderreichttum zu verdanken. Die weitere Geschichte verlief weder für die Einheimischen noch für die deutschen Einwanderer glücklich, so dass ab 1871, nach dem deutsch-französischen Krieg und der ersten deutschen Einheit den deutschen Einwanderern die Privilegien wieder genommen wurden und damit die Russifizierung einsetzte. U.a. wurde ab 1891 Russisch Unterrichtsfach in den deutschen Schulen. 1874 wurde die Einführung des Militärdienstes auch für Einwanderer beschlossen. Nur die Mennoiten durften eine Art Zivildienst leisten. Dennoch wanderten ab 1874 tausende deutsche Mennoiten nach Kanada und in die USA aus. Andere Deutsche folgten ihnen mit Zunahme der Repressalien in Russland.

Dennoch: Über hundert Jahre genossen die ausländischen Einwanderer in Russland Priviligien, für die sie heutige Migranten in Deutschland beneiden würden. Sie dankten es dem Land damit, in dem sie zum wirtschaftlichen Aufschwung Russlands beitrugen. Bis 1871 regte sich außerdem niemand über den Kinderreichttum der deutschen Siedler auf, obwohl die Geburtenquote deutlich über der der einheimischen Bevölkerung lag. Damit war man vor zweihundert Jahren offensichtlich weitaus fortschrittlicher als heute. Was später geschah ist Geschichte. Doch die Geschichte der ersten hundert Jahre der deutschen Auswanderer in Russland zeigt auch, dass man sich um fleißige Menschen und potenzielle Einwanderer richtig bemühen muss - damit sie überhaupt kommen. Und deshalb Vorsicht vor bereits ausgewanderten Deutschen: Nicht nur Katharina schrieb Einladungen mit Goldrand an ihre ehemaligen Landsleute, Auslandsdeutsche praktizieren das auch heute noch.

Quellen: zuwanderung.de, bundesrecht.juris.de, bamf.de, destatis.de, bmas.de, *lmdr-hannover.de, muenster.org, lum.nrw.de (ehemals ist dort ein Original des zweiten Einladungsmanifests zu sehen gewesen)


2010-10-25 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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