Interview mit dem Geschäftsführer des ForschungsVerbunds Erneuerbare Energien (FVEE), Dr. Gerd Stadermann zu den Aussichten einer raschen Umstellung auf erneuerbare Energien nach dem Abschalten von Atomkraftwerken, vor dem Hintergrund des Supergaus in Japan.
Die Fragen stellte Annegret Handel-Kempf
Angesichts der schrecklichen Ereignisse in Japan und der Einschätzung mancher Experten, dass schon allein aufgrund von Rissen und ähnlichen Schadensfaktoren an deutschen Atomkraftwerken bei uns jederzeit ein ähnliches Szenario eintreten könnte, denken viele Menschen nur noch an: "Abschalten, es reicht".
Wirtschaftswetter: Aber: "Reicht es denn?", reicht das Versorgungs-Potenzial von Windkraft und Co. bereits jetzt zur Energieversorgung aus, ohne dass Atomstrom nach Deutschland importiert werden muss?
Gerd Stadermann: Ja, es reicht vollkommen: Das technische Potenzial der Windenergie beträgt heute das 15-Fache der global notwendigen Energie. Die Solarenergie das 14-Fache, bei Geothermie ist es das 9-Fache. Biomasse das 0,5-Fache, Wasserkraft das 0,3-Fache,
die Meeresenergie das Einfache - zusammen also circa das Vierfache. Ich betone das technische Potenzial. Das energetische ist noch einmal um ein Vielfaches höher. Reicht das nicht? Die Erneuerbaren haben das größte uns bekannte technische Potenzial zur Energieversorgung. Sie sind umweltfreundlich, sozial akzeptiert, global einsetzbar und bei geeigneten Rahmenbedingungen wirtschaftlich, was in Deutschland der Fall ist.
Wirtschaftswetter: Lassen sich die Entwicklung und der Einsatz erneuerbarer Energien so weit vorantreiben, dass sie in kürzest möglicher Zeit den Atomstrom komplett ersetzen können?
Gerd Stadermann: Mit den erneuerbaren Energien lassen sich Kohle, Erdöl, Erdgas und nukleare (Energie) schrittweise ersetzen. Natürlich nur schrittweise und redlicherweise füge ich hinzu, dass wir noch viel Forschung und Entwicklung benötigen, um die Kosten zu reduzieren.
Wirtschaftswetter: Wann könnten nach Ihrer Einschätzung erneuerbare Energien AKWs in den Ruhestand - der wohl auch kein ungefährlicher sein wird - verabschieden?
Gerd Stadermann: Die Entwicklung der Erneuerbaren Energien (EE) ging ja viel schneller als gedacht, so dass wir die Laufzeiten auf das Jahr 2018 herunterschrauben könnten.
Wirtschaftswetter: Gibt es Speicher- und Vernetzungsprobleme? Wenn ja, wann könnten sie gelöst werden?
Gerd Stadermann: Auf dem Gebiet der Energiespeicher sind wir ein großes Stück weiter gekommen. Wir entwickeln jetzt einen chemischen Speicher aus erneuerbarem Methan, das wir aus überschüssigem Strom von Sonne, Wind und Wasser herstellen können. Zuerst produziert man Wasserstoff mit Elektrolyse und methanisiert ihn dann mit CO2 aus der Luft zu Methan = Erdgas, das ist chemisch dasselbe.
Wirtschaftswetter: Wie viel Energie müssten Privatleute und Industrie zusätzlich einsparen, um schneller ans AKW-freie Ziel zu gelangen?
Gerd Stadermann: Energieeffizienz ist sozusagen die halbe Miete. Wenn wir ohne Komfortverluste Strom einsparen, durch sanierte Gebäude, neue Motoren, Elektroautos, Brennstoffzellen, KWK (Kraft-Wärme-Koppelung: Anmerkung der Redaktion) und dergleichen, können wir Atomkraftwerke noch schneller als 2018 ersetzen.
Wirtschaftswetter: Wie viel finanzielle Förderung ist nötig, um die erneuerbaren
Energien schnellstmöglich in hohem Grade nutzbar zu machen?
Gerd Stadermann: Wir wollen für die Forschung und Entwicklung einen Zuwachs von +20 Prozent pro Jahr. In diesem Jahr erhält FuE für Projekte 297 Euro.
Für die Markteinführung brauchen wir das EEG (Erneuerbare Energien-Gesetzt: Anmerkung der Redaktion) und ein besseres Wärme-EG. Die Differenzkosten betragen zurzeit etwa 15 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe brauchen wir noch bis 2020. Dann wird es schnell weniger, weil in der Zeit bis 2030 die EE wirtschaftlich werden, ohne finanzielle Unterstützung.
Ab 2030 werfen die EE Gewinne ab. Das entwickelt sich weiter, bis wir 2050 einen volkswirtschaftlichen Gewinn von 750 Milliarden Euro haben, um die dieses Energiesystem billiger ist als ein fossil-nukleares. Deutschland wird mit erneuerbaren Energien reicher.
2011-03-16 Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf und Gesprächspartner Dr. Gerd Stadermann, FVEE
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