von Annegret Handel-Kempf
Energiesparen tut Not. Leichte Autos helfen dabei. Das nötige Material dafür gibt es, tolle Teile mit kompliziertem Namen: Sogenannte „Hochleistungsfaserverbundwerkstoffe“, besonders kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe mit belastungsgerecht gestaltbarer Endlosfaserverstärkung. Die im Spitzensport, in Fahrradrahmen und in Flugzeugen schon vielfach eingesetzten Carbonfasern sind leicht und nahezu unverwüstlich, wenn auch - nach bisherigen Produktionsverfahren - teuer.
Doch wie reagiert das „Schwarze Gold“ bei Unfällen? Haben die Autoinsassen ein höheres Verletzungs- oder Todesrisiko, als in Stahl- oder Alu-Karosserien? Ist es tatsächlich so, dass sich CFK zunächst nicht verbiegt und dann mit einem Schlag zerbröselt?
Was sagen die Experten: Sind Carbonfasern als zukunftsträchtiges Material für Elektroautos geeignet, oder gibt es Sicherheitsprobleme, die - zumindest materialtechnisch - nicht zu überwinden sind?
Ein „großes Kundeninteresse“ sieht Prof. Dr.-Ing. Frank Haupert von der Hochschule Hamm-Lippsta, ein ausgewiesener Leichtbau-Experte, da die Sicherheit bei Carbon-Fahrzeugen sogar „dreifach fester zum heutigen Stand“ bei Kleinwagen sei. „Carbonfaserlaminierte Werkstoffe sind die crashsichersten Werkstoffe überhaupt“, sagt Haupert. Das Chassis absorbiere die Energie, wovon Formel 1 und Luxuslimousinen, die ganz oder teilweise aus Carbon bestehen, schon jetzt profitierten. „Im Porsche sind alle sicherheitsrelevanten Teile aus Carbon.“
Der Leichtheit bescheinigt der Fachmann aus Hamm-Lippstadt eine „Riesenfestigkeit“. Er wagt eine Prognose: „Irgendwann wird ein großer Teil der Autos aus Carbon bestehen.“ Der genaue Zeitpunkt hänge „ganz massiv“ davon ab, „was Kohlefaser pro Kilogramm kostet“.
„Wird die Faser vom Preis her günstig, ist sie massenproduktionstauglich“, betont auch Professor Dr. Frank Pöhler von der Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Karlsruhe. Gegenwärtig sei Carbon so teuer, dass es nur für Klein- oder Mittelserien im gehobenen Segment tauge. Audi setze auf Carbon plus Leichtbau, Lamborghini auf Carbon total.
Das liege auch daran, dass die Fahrgastzelle aus Carbon länger halte. „Normale sicherheitsrelevante Bauteile bieten den Menschen ein größeres Verletzungsrisiko“, sagt der Experte. „Mit Carbon gibt es bestimmt kein höheres Unfallrisiko. Das sieht man in der Formel 1, wo der Fahrer trotz heftigen Crashs unverletzt bleibt. Die Fasern sind sehr geeignet für solche Sachen.“
Besonders beeindruckt Pöhler das hohe Energieaufnahmevermögen von CFK: „Bei Stabhochsprungstäben im Spitzenbereich zeigt sich die Flexibilität und die Dehnbarkeit der Faser. Sie zerbricht nicht wie Glas. Es kommt lediglich zu einer Deformation.“
Glasfaser biete eine um eine Stufe niedrigere Festigkeit als Carbon. Die speziellen Reparaturtechniken für CFK-Bauteile würden auch im Flugzeug- und Bootsbau eingesetzt. „Die Festigkeit ist dann nicht mehr so groß“, erklärt Pöhler. In der Formel 1 würden zerbrochene, sicherheitsrelevante Carbon-Teile komplett ausgetauscht.
„Meiner Einschätzung nach sind Carbonfasern - genauer gesagt carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK) - sehr wohl als zukunftsträchtiges Material nicht nur für Elektroautos geeignet. Sie sind hierfür sogar prädestiniert, und das auch und gerade unter dem Gesichtspunkt „Verhalten von Carbonfasern bei Unfällen““, sagt Dr.-Ing. Rüdiger Bräuning vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT, Stellvertretender Produktbereichsleiter Polymer Engineering. Ein Grund hierfür ist, Bräuning zufolge, das hohe Leichtbaupotenzial, das gewichtsbezogen viel Steifigkeit und Festigkeit biete, und zwar mit bis zu zwei Dritteln Gewichtsreduzierung gegenüber Stahl und einem Drittel gegenüber Aluminium.
Ein weiteres Argument sei die um ein vielfaches höhere spezifische Energieaufnahme im Crashfall gegenüber Stahl und Aluminium. Dadurch würden sich das Verletzungs- und Todesrisiko von Autoinsassen im Vergleich zu Stahl- oder Alu-Karosserien deutlich reduzieren.
Bräuning verweist darauf, dass im Motorsport die hochsteife und hochfeste CFK-Monocoque die Überlebenszelle bildet: Sie bleibe im Idealfall vollständig erhalten und schütze so Fahrer und Passagiere. Und das funktioniert so: Im Front-, Heck- und Seitenbereich wird die Crashenergie, also die bei einem Unfall auftretende negative Beschleunigung, durch die CFK-Bauteile so weit abgebaut, dass weder die Überlebenszelle zu stark beschädigt, noch die für den Fahrer tolerierbare maximale Verzögerung überschritten wird. Die Crash-Elemente verdauen die bei einem Unfall wirkenden Kräfte, indem sie die maximale Energie-Absorption bis zur Selbst-Pulverisierung fressen. Der Serien-Sportwagen Mercedes-Benz SLR McLaren werde bereits nach diesem Formel-1-Schutz-Prinzip gebaut.
In die Großserie startet CFK voraussichtlich erstmals mit dem Elektromobil BMW i13, dem MegaCityVehicle, im Jahr 2013. Der Fraunhofer-Forscher hebt hier das „Drive-Modul“ hervor, also das Chassis aus Aluminium, in dem auch die Batterie steckt. Es soll bei einem Unfall den Großteil der Energie absorbieren. Das „Life-Modul“ stelle die Überlebenszelle dar und spiele vor allem bei Seitenaufprall- und Pfahl-Unfall die „hervorragenden Crasheigenschaften“ von CFK aus.
Professor Dr.-Ing. Herbert Funke, zuständig für Fahrzeugkonstruktion im Bereich Maschinenbau an der Fachhochschule Dortmund, hingegen warnt: „Prinzipiell ist es richtig, dass konventionelle CFK-Laminate zum Splittern neigen, was insbesondere im Crashfall zusätzliche Verletzungsrisiken beinhalten kann. Im Fahrzeugbau gibt es daher auch entsprechende Vorschriften, was den Einsatz von Carbon im Fahrzeuginnenraum betrifft.“ Allerdings gebe es für den Splitterschutz „sehr gute“ innovative Ansätze, um diese Gefahren zu vermeiden. Funke: „Diese Methoden sind sehr wirkungsvoll, so dass ich davon ausgehe, dass CFK in zukünftigen Fahrzeugen vermehrt zum Einsatz kommen kann und die Splittergefahr kein wirkliches Hemmnis zur Verbreitung von CFK im Fahrzeugbereich darstellen wird.“
Eine Optimierung von CFK-Metall-Hybridbauteilen hat sich das Gummiwerk Kraiburg vorgenommen. Der Spezialist für technische Kautschuk-Mischungen entwickelte eine direkte Integration von Rohkautschuk-Mischungen, ohne zusätzliche Arbeitsschritte und Haftvermittler, in den Fertigungsprozess der Faserverbundwerkstoffe. Fasern, Harz und Gummi werden auf diese Weise neu kombiniert. Von den Fasern kommt die Stabilität, das Harz hält die Fasern in Form und der Gummi ermöglicht Verbesserungen der Bauteile für den jeweiligen Einsatzbereich. Eine Erhöhung der Elastizität, Verringerung der Splittergefahr und Verbesserung des Crashverhaltens verspricht sich das Unternehmen davon.
2011-04-01 Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftwetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf
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