Kritik von Juliane Beer
Kaum ein Internetnutzer blieb Anfang des Jahres von der Aufregung um eine EU-Richtlinie für so genannte tradionelle pflanzliche Arzneimittel verschont. Bestimmt haben auch Sie in diesem Frühjahr mindestens eine Ketten-E-Mail erhalten, in der zur Unterschriftenaktionen gegen eben diese Richtlinie aufgerufen wurde, die mit strengeren Zulassungsbedingungen für pflanzliche Medikamente aufwartet. Zudem warnten zahlreiche Internet-Foren vor der Übermacht der Pharmaindustrie, die damit angeblich ein Verbot von pflanzlichen Heilmitteln erwirkt haben soll.
Zunächst die Fakten: Die EU-Richtlinie "Traditional Herbal Medicinal Products Directives (THMPD), die im Jahr 2004 aufgestellt wurde und damit so neu gar nicht ist, sieht vor, dass bei pflanzlichen Arzneimitteln in Zukunft ein Mindestmaß an Qualität garantiert sein soll. Exakt das wurde auch in der Vergangenheit immer wieder gefordert. Wirklich neu ist indes eine zwar vereinfachte, aber teurere Registrierung.
117.000 Deutsche unterzeichneten in diesem Frühjahr dennoch eine Petition gegen die Auflagen aus der Europäischen Union, die in Österreich bereits 2006 in Kraft traten. In Deutschland liefen Ende April 2011 die Übergangsfristen von insgesamt sieben Jahren aus, so dass nicht registrierte Arzneimittel ab dem 1. Mai 2011 in der gesamten EU nicht mehr verkauft werden dürfen. Die Zulassung pflanzlicher Medikamente ist somit jetzt EU-weit nach einem vereinfachten Verfahren einheitlich geregelt.
In einer Erklärung des österreichischen Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) heißt es, die ganze Aufregung sei "absurd". Man würde mit der neuen Richtlinie den Herstellern von pflanzlichen Arzneimitteln sogar entgegenkommen. Anders als bei Arzneimitteln der Schulmedizin seien keine klinischen Studien erforderlich. Der Nachweis, dass ein pflanzliches Mittel seit mindestens 15 Jahren in der EU angewendet werde, genüge. Die Wirkung müsse gegeben, gesundheitsgefährdende Nebenwirkungen müssten ausgeschlossen sein. Die neue Richtlinie bestehe somit also ausschließlich zum Wohle des Patienten. Über die teure Registrierung* schweigen sich die zuständigen Stellen in Deutschland und Österreich allerdings aus.
Zur Sorge um das Wohl des Patienten passt jedoch nicht der neueste Arzneimittelreport der Barmer GEK, veröffentlicht Mitte Juni 2011. In Deutschland würden immer mehr Arzneimittel verschrieben werden, die dem Patienten mehr schaden als nützen, heißt es dort. Wohlgemerkt handelt es sich dabei ausschließlich um schulmedizinische Arzneimittel. So würde beispielsweise das umstrittene Schmerzmittel Novaminsulfon oder Metamizol - unter den Namen Novalgin, Analgin u.a. auf dem Markt - gegenüber 2010 Umsatzsteigerungen um +178 Prozent verzeichnen. Bereits vor dreißig Jahren war Metamizol indes aufgrund schwerer Nebenwirkungen wie Schockzuständen und Blutarmut in die Kritik geraten. In mehreren Ländern, darunter den USA und Schweden ist das Medikament deshalb nicht auf dem Markt. Was aber nicht heißt, dass in Deutschland in absehbarer Zeit dafür veränderte Zulassungsbedingungen, wie jetzt bei den pflanzlichen Arzneimitteln umgesetzt, erlassen werden könnten.
Die Renaissance von Novaminsulfon sei unerklärlich, sagte Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen bei der Vorstellung des Barmer/GEK-Reports. Der Trend zu riskanten Medikamenten sei besorgniserregend und nicht nachvollziehbar. Man sollte dennoch davon ausgehen, dass der verblüffte Herr Glaeske über bewährte Kommunikations-Methoden zwischen Pharma-Lobby, Ärzten und Politikern durchaus informiert sein müsste.
Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln verfügen über ein "Budget für Wohltaten" in der Regel nicht. Die weitere Registrierung einiger umsatzschwacher pflanzlicher Medikamente ist damit nicht zu stemmen. Für die überregionale Registrierung eines einzigen Mittels muss jetzt mit mindestens 40.000 Euro gerechnet werden. Das bedeutet für einige pflanzliche Arzneien das Aus, selbst wenn sie hochwirksam und relativ frei von Nebenwirkungen sind. Die Mittel verschwinden einfach vom Markt, stellen keine für den Patienten legal erhältliche Alternative zu einem anderen, womöglich nebenwirkungsreichen Medikament mehr dar.
Ein Beispiel aus der Vergangenheit - und es bedarf nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass weitere Präparate folgen werden - ist Petadolex, das gegen Migräne eingesetzt wurde. Informationen zu der geforderten kompletten Neuzulassung findet man auf der Seite des Herstellers: Weber-Weber ("Zulassung aus formalen Gründen erloschen")
So gesehen ist die Aufregung über die neuen Richtlinien also doch nicht so ´absurd´, wie uns das BASG in Österreich und entsprechende Stellen in Deutschland glauben machen wollen. Seit Petadolex vom Markt verschwunden ist, gibt es als verlässliches Mittel gegen Migräne nur noch chemische Keulen oder den guten alten Eisbeutel. Möchten Sie in Zukunft auch Ihre schmerzhafte aber eigentlich doch harmlose Halsentzündung wirklich ausschließlich mit Metamizol und Antibiotika behandeln, obwohl ein gut wirksames pflanzliches Präparat genauso befreiend - und was die Nebenwirkungen angeht sogar noch befreiender - wirken könnte?
Weitere Informationen (Link veraltet):
Barmer GEK Arzneimittelreport 2011 - Fragwürdige Verordnungen für Frauen, Demente und Alkoholabhängige
2011-07-01 Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer
Illustration: ©aph
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