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Zum OECD-Lob der Studiengebühren

von Angelika Petrich-Hornetz

Der jüngste OECD-Bildungsbericht machte Deutschland einmal mehr deutlich, dass langsames Einschlafen des Interesses einer alternden Gesellschaft gegenüber ihrer einzig wahren Ressource - nein, nicht die kapitalfinanzierte Altersvorsorge - , sondern Investitionen in die Bildung nächster Generationen - keine tragfähige Zukunftsperspektive ist. Die deutschen Bildungs-Bemühungen seien zu langsam, heißt es dort. Unter anderem kämen zu wenige Spitzenkräfte aus Deutschland und in deutsche Grundschüler werde viel zu wenig Geld investiert. Auch wenn die Basisausbildung dagegen lobend erwähnt wird, bestehe laut OECD tatsächlich die Gefahr eines gesellschatlichen Zusammenbruchs, wenn sich die Einkommensschere weiter so rasant wie bisher vergrößere. Unverändert, so der Bericht, sei in Deutschland immer noch das Elternhaus der wichtigste Faktor für die Wahl und den Erfolg des Bildungsweges. Die Organisation rechnet vor, dass die für die persönliche Ausbildung des Einzelnen in Deutschland so wichtige Herkunft allein keineswegs ausreichten, damit ein ganzer Staat ausreichend international kompatible Top-Talente hervorbringe.

Es ist eine berechtigte Kritik, Deutschland lässt sich im internationalen Vergleich abhängen, die Zahlen lassen keine andere Interpretation zu. Doch in einem Punkt muss man der OECD widersprechen: Mit ihrem notorischen Lob der Studiengebühren-Systeme anderer Länder liefert die OECD keine Lösung, die den Bildungsproblemen der Gegenwart in Deutschland und anderen alternden Industrienationen gerecht wird, im Gegenteil. Gerade in Deutschland fördern Studiengebühren die bereits bestehende, und offenbar zementierte Chancenungleichheit von Kindern mit diesem oder jenem familiären Hintergrund. Es reicht in den älter werdenden Gesellschaften eben nicht, Bildungsinvestitionen aus den älteren Auszubildenden-Jahrgängen abzuziehen und lediglich in die jüngeren Jahrgänge umzuschichten.

Man findet bestimmt noch bessere Beispiele aus vielen Ländern, die Studiengebühren als den Holzweg entlarven, der sie sind, als den Watergate-Whistleblower, der im hohen Alter seine Version der Geschichte nur veröffentlicht haben soll, um die Studien-Schulden seiner Enkel zu bezahlen. Es reichte aber auch nur ein Blick in das aktuelle Amerika, in dem jeder sechste US-Amerikaner in Armut lebt. Nicht zuletzt sind es auch dort ausgerechnet jüngere Erwachsene, die ihre persönlichen Schulden wegen eines Studiums nun wie Endmoränen vor sich her schieben, weil ihre einst gutsituierte Mittelstandsfamilien wegen Arbeitslosigkeit und/oder Krankheit in die Armut stürzten. Und wenn sie nicht bald einen hochbezahlten Job finden oder der Opa nichts Interessantes aus seiner abenteuerlichen Vergangenheit mehr zu erzählen hat? Dann kommen zusätzlich zu den privaten noch die öffentlichen Schulden der alternden Staaten hinzu, die von den nächsten, immer dünner besetzten Generationen abgetragen werden sollen. Nur, womit?

Es mag sein, dass in Ländern mit einem hohen Anteil an Jugendlichen wie in den USA Studienkredite theoretisch angebracht(er) sind (als anderswo), aber selbst das gilt vor dem Hintergrund einer schwächelnden Wirtschaft jetzt nicht mehr. Und für Deutschland - mit seinem dauerhaften Kindermangel - wirken diese wie pures Gift, weil dem Land mit verschuldeten Berufsanfängern und einer teuren alten Generation der Stillstand droht. In Deutschland, in dem regierende Politiker offen äußern, dass "die Falschen die Kinder bekommen", setzt sich gerade erst der Gedanke zaghaft fest, dass man nicht ohne diese "falschen" Kinder auskommen wird. Die Idee, dass man mit jenen arbeiten muss, die schlicht noch vorhanden sind und dass es auch tatsächlich möglich ist, auch diejenigen zu Spitzenleistungen zu motivieren, die es von zu Hause aus vielleicht nicht ganz so gut haben, setzt sich dennoch viel zu langsam durch, zu langsam für die unbeständige, globale Wirtschaft.

Diese Mehrheit von finanziell weniger begüterten Kindern hat kein Geld für Studiengebühren übrig, genauso wenig wie ihre Eltern für die private Altersvorsorge. Das bedeutet für die Heranwachsenden entweder der Verzicht auf ein Studium oder sie müssen sich für ihre Ausbildung höher verschulden als die Studierenden in den vergangenen Jahren. Das Ergebnis dürfte dasselbe sein und es ist fatal: Zusätzlich zur entweder schlechteren Ausbildung oder einer mit abzutragenden Darlehen soll nämlich auch ein höherer Anteil junger Menschen in Deutschland später für eine immer größere Gruppe Ruheständler sorgen als in den Generationen davor und als in anderen Ländern, die gar nicht so viele Ältere zu versorgen haben. Außerdem sollen die jüngeren Generationen privat für ihren eigenen Ruhestand vorsorgen. Also müssten eigentlich noch mehr junge Menschen studieren, um höhere Einkommen zu erzielen - können sie aber nicht.

Die Rechnung hochverschuldeteter Berufsanfänger die gleichzeitig viel mehr Sozialabgaben, Steuern und anderes zur Versorgung Dritter als ihre Vorgängergenerationen aufwenden müssen und die daneben ein eigenes Leben - möglichst mit Kindern - aufbauen sollen, geht in den rapide alternden Industrienationen nicht auf, schon gar nicht in Zeiten anfälliger Wirtschaftssysteme. Doch weder die private noch die öffentliche Schuldenlast der Studentengeneration ist in den OECD-Bildungsberichten ein Thema, das bedacht und mit dem geplant wird. Welchen Einfluss öffentliche Schulden auf die junge Generation dennoch haben und wie gut es Absolventen in maroden Wirtschaftssystemen mit diesen wirklich geht, davon dürften momentan unter anderen die jungen Griechen berichten können. Immerhin hat das die OECD auch registriert: Mit 13,2 Prozent hatte im Jahr 2009 Griechenland mit Abstand die höchste Arbeitslosenquote unter jungen Erwachsenen, im Alter von 25 bis 29 Jahren mit einem Hochschulabschluss. Junge Menschen ohne Hochschulabschluss haben dort weitaus bessere Chancen, einen Job zu ergattern. Die OECD kommentiert dies allerdings lediglich in einem knappen Satz damit, dass die griechische Wirtschaft sich noch nicht in ein "wissens-basiertes Modell" umgewandelt habe. Aha. Das gibt immerhin Raum für Spekulationen, wer als Nächster dran sein wird.

Wenn u.a. eine veraltete Industrie, eine agrarwirtschaftlicher Orientierung als Gründe genannt werden - oder immer mehr ist auch Korruption etwas, das sich sehr schlecht aus den Bilanzen europäischer und anderer Staaten radieren lässt, fehlt beim Thema gelungene Bildungspolitik nur leider grundsätzlich immer der Bezug zur Alterspyramide, die auch in Griechenland finanziert werden will. Selbst die USA mit ihrem relativen Kinderreichtum müssen jetzt feststellen, wie schwierig es für (hochverschuldete) Uni-Absolventen ist, Jobs zu finden. Es gibt nur einen Weg: Die jungen Generationen müssen mehr Unterstützung erfahren. Statt Studiengebühren einzuführen, sollten diese komplett abgeschafft werden. Was früher selbstverständlich und billig war - ein relativ kleiner Prozentsatz Absolventen, reicht heute nicht mehr aus. Auch wenn es natürlich gleichzeitig ein Unding ist, dass gerade bei diesen gestiegenen Anforderungen an die nächsten Generationen, die auch noch die massenhaften öffenltichen Schulden der gesammelten Regierungen zu tragen haben, ausgerechnet gegenwärtig auch in Deutschland die Ausgaben für Grundschüler gesenkt wurden, wie die OECD feststellte.

Der Staat muss sich das Geld für die Ausbildung seiner Kinder und Jugendlichen holen, von wohlhabenden Erwachsenen - die Spendenaufrufe an diejenigen unter ihnen, die längst dazu bereit wären, sind dabei geradezu beleidigend - und auch von wohlhabenden Rentnern und Pensionären. Gerade weil Diversität (Vielfalt) keine alberne Modeerscheinung, sondern Realität ist, gilt: Die junge europäische Generation, die künftig die alten Europäer, mit deren ebenso ganz unterschiedlichen, vielfältigen Lebensmodellen, allesamt versorgen soll, muss ebenfalls, und zwar heute in ihrer Diversität anerkannt und finanziert werden, um für diese Leistung, die sie später schultern soll, überhaupt in der Lage zu sein. Wer das nicht will, muss sich nicht wundern, wenn die umgekehrte Alterpyramide eines Tages auf den Kopf fällt. Aus Griechenland verabschieden sich immer mehr junge Leute auf der Suche nach Arbeit ins Ausland. Es heißt immer: Das Kapital wandert ab. Doch das größte Kapital unserer Gesellschaft sind junge, gut ausgebildete Menschen, die genauso gern dorthin verschwinden, wo es für sie noch eine Zukunft gibt. Und das ist nicht immer dort, wo vorwiegend knausernde Ältere auf ihrem Geld herumsitzen.

Goldsack, Link WirtschaftswetterEs spielt dabei es keine Rolle, ob es sich um Kinder oder Jugendliche handelt- die OECD irrt sich in ihrer Lobpreisung der Studiengebühren. Wenn Bildungsfinanzierung allein durch Streichen bei älteren Schülern und Studenten für Investitionen in Grundschüler erreicht werden kann, beteiligen sich zu wenige an einer Generation, von der später alle profitieren wollen. Gerade für Deutschland gilt, dass es zu wenig ist, wenn sich nur Schüler, Studtenten und Eltern beteiligen. Auch die wachsende Zahl von Menschen ohne Kinder hat für die Finanzierung der nächsten Generationen ihren Beitrag zu leisten, wenn die Jüngeren eines Tages auch diese Kinderlosen, mit der meist höheren Liquidität im Alter ohne Gegenleistung, allesamt finanzieren soll. Eine neue German Angst ist dabei aber vollkommen unangebracht: Die Kreuzfahrten des Reiseweltmeisters dürften bei einem privaten Geldvermögen von knapp 5 Billionen Euro noch drin sein.


2011-10-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto Banner: ©Cornelia Schaible
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