von Angelika Petrich-Hornetz
Mit den wärmeren Temperaturen locken Grillabende, Strandpartys und andere Feten, doch eine Gefahr aus dem Winter wurde leider in den Frühling 2012 mitgeschleppt: So genannte KO-Tropfen sorgen nicht immer nur für ein vorübergehendes Knocked-Out, sondern können einen Menschen sogar innerhalb kürzester Zeit umbringen. Wir sagen Ihnen, warum sich die Veranstalter endlich umstellen und Sie sich rechtzeitig darauf einstellen sollten.
Erst Ende Januar passierte es wieder einer jungen Frau, dieses Mal in Lübeck: Auf der Toilette einer beliebten Diskothek kippte die 20-Jährige plötzlich um und stieß mit ihrem Kopf gegen die Wand. Zum Glück war sie nicht allein: Es waren ihre Freunde, die bei Diskotheken-Personal und Rettungssanitätern nicht dem üblichen Hinweis auf übermäßigen Alkoholkonsum klein beigaben, sondern auf das Rufen des Notarztes bestanden.
Der Notarzt stellt sofort eine mögliche Vergiftung fest. Die junge Frau musste auf dem Weg in die Klinik reanimiert werden. Ohne diese lebensrettende Maßnahme wäre sie jetzt tot. Ob das der oder die Täter bewusst in Kauf genommen hatten, weiß bis heute jedoch niemand, weil niemand gefasst und damit zur Verantwortung für diese widerliche Tat gezogen werden konnte. Und ob der oder die Täter noch immer jungen Frauen KO-Tropfen ins Glas kippen, auch das weiß niemand.
Junge Frauen sind die Kernzielgruppe von KO-Tätern bei Vergewaltigungen, junge Männer werden eher ausgeraubt, sind in Großstädten aber auch zunehmend nicht vor sexuellem Missbrauch sicher. Und, wie oben beschrieben, wird auch nicht davor zurück geschreckt, den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf zu nehmen.
Vertrauen sollte man allerdings nicht darauf, dass lediglich junge Frauen und Männer Opfer solcher Angriffe werden, wie Gäste der Weihnachtsmärkte in Berlin vergangenes Jahr feststellen mussten: Dort verteilten ein oder mehrere Männer an alle, ob Männlein oder Weiblein, ob alt oder jung, gefährliche Schnäpse in kleinen Fläschchen und Pappbechern, die ebenfalls mit gifitigen Substanzen versehen waren, und die fröhlich Feierende in kürzester Zeit in unglücklich Reihernde verwandelte.
Verlassen sollte man sich deshalb auf gar nichts, außer auf sich selbst, und das heißt bei so genannten KO-Tropfen, dass man im Zweifelsfall ganz allein auf seine Getränke aufpassen muss - aber, auch das zeigt die Geschichte der 20-Jährigen, möglichst nicht allein unterwegs sein sollte.
So genannte KO-Tropfen können aus verschiedenen Inhaltsstoffen bestehen. Mit den Vorfällen vor allem bekannt geworden ist die Partydroge Gammahydroxibutyrat (GHB) - "Liquid Ecstasy" genannt, oder dessen Vorstufe Gamma-Butyrolacton (GBL), das im Körper zu GHB umgewandelt wird und sich bereits zwölf Stunden nach Verabreichung nicht mehr nachweisen lässt. Aber auch andere Substanzen, die das Bewusstsein trüben, werden verwendet und eiskalt in die Gläser anderer geträufelt. Insgesamt sind etwa dreißig bekannt, darunter Barbiturate, Antihistaminikaa, Antdepressiva, Benzodiazepine und weitere.
Wenn der Verdacht darauf besteht, dass jemandem etwas ins Glas geschüttet wurde, muss man schnell handeln. Unter anderen gab die Berliner Initiative "KO-Tropfen - Nein, Danke!" die entscheidenden Tipps zur Soforthilfe, denn der wichtigste Rat lautet:
1. Sofort den Notarzt rufen! Der Notruf funktioniert auch bei leeren Handys ohne Guthaben!
2. Lebensrettende Maßnahmen einleiten!
3. Wenn daneben noch möglich: Urin oder andere Ausscheidungen aufbewahren, die später zur Untersuchung herangezogen werden können. Anzeige erstatten.
Das Hauptproblem bei diesen seit Ende der neunziger Jahren zunehmenden Vergiftungs-Attacken ist bislang, dass sowohl die Opfer als auch das Thema an sich trotz der langsam wachsenden Bekanntheit, immer noch zu wenig ernst genommen werden. Zum einen liegt es daran, dass übermäßiger Alkoholkonsum mit zunächst ähnlichen Symptomen wie Benommenheit und verwaschene Sprache einhergeht und in Diskotheken sowie bei anderen an sich vergnüglichen Veranstaltungen ein lästiges, aber alltägliches Problem sind. Zum anderen fehlt aber auch offensichtlich die Einsicht von Veranstaltern und Außenstehenden, also nicht unmittelbar Betroffenen, sich mit deesem Phänomen ernsthaft auseinandersetzen zu wollen. .
Einige meinen immer noch, wem etwas derartig Krudes passiert, hätte selbst Schuld, nämlich schlicht nicht feiern - oder einfach besser aufpassen sollen. Das ist aber beides falsch. Die gesamte Freizeitindustrie lebt gut davon, dass Menschen gern auswärts essen, trinken, tanzen, feiern und sich unterhalten lassen. Wer das möchte, "darf" natürlich genauso wenig wie andere Menschen, von Dritten vergiftet werden, denn nichts anderes als eine Vergiftung liegt nach dem Verabreichen von KO-Tropfen vor. Es handelt sich schlicht um eine Straftat.
Auch das "bessere Aufpassen" ist ein schlechtes Argument, weil viele Opfer solcher Attacken versichern, dass sie ihr Glas nie aus den Augen gelassen, auf ihr Getränk oder Teller genau aufgepasst hatten. Doch es braucht nur wenige Tropfen und damit auch nur einen einzigen Augenblick der Unachtsamkeit, um regelrecht ausgeschaltet zu werden. Das widerspricht dem Geist jedes Freizeitvergnügens, bei dem es gerade darum geht, unbefangen zu genießen und sich von geschulten Köchen und Barmixern bedenkenlos verwöhnen zu lassen.
Hört man sich mal um, ist vielen nicht bewusst, welcher Gefahr sie sich aussetzen, sobald sie auswärts etwas unternehmen - und dabei auch etwas trinken oder essen - wollen. Und das gilt leider auch zunehmend für größere Partys, die öffentlich oder halböffentlich sind. Auch auf einer privaten Veranstaltung kann in letzter Konsequenz niemand dafür garantieren, dass nicht irgendein (unbekannter) Gast Übles im Schilde führt. Die Substanz GHB ist geruchs- und farblos, der Grundstoff GBL im Gegensatz zu z.B. Barbituraten überall leicht zu bekommen.
Das Traurige ist die Enttäuschung darüber, dass es mit der Unbefangenheit erst einmal vorbei ist, mit der man sich vor nicht allzu langer Zeit noch in das Nachleben stürzen konnte, außerdem die unangenehme Gewissheit, dass es offenbar Irre gibt, die anderen Menschen das bisschen Vergnügen zerstören wollen, das sie haben. So ein Verhalten ist schon ziemlch krank. Aber: Man muss, will man nicht ständig zu Hause herum hocken, die Situation so nehmen, wie sie ist: Es gibt offensichtlich Leute, die Menschen genau an den Orten hinterhältig ausschalten und deren Wehrlosigkeit dann für eigene Zwecke ausnutzen wollen, an denen man sich in der Regel ausschließlich amüsiert und keinerlei Gedanken an irgendwelche Gefahren verschwenden möchte.
Wenn man das erst einmal realisiert hat, so gemein diese Gewissheit auch ist ist, fällt es anschließend leichter, die nötigen und möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Auch dazu gibt es viele ausführliche Hinweise im Netz.
Der Wichtigste ist der, sich "nicht füttern" zu lassen und den Lieferweg der eigenen Speisen und Getränke zu verfolgen. Im Zweifelsfall ist weg schütten, ablehnen und neu kaufen einfach sicherer, wenn auch teurer. Auch die Zeiten einer bis dato ausschließlich fröhlichen, weil gefahrlosen Sektlaune dürften angesichts der möglichen Gefahren durch miese Taktiker vorbei sein, weil KO-Tropfen mit Alkohol tatsächlich tödlich wirken können, je nachdem, was zusammengemicht wurde.
Die zweite, große Freiheit, die geopfert werden muss ist die, allein auszugehen. Mit Freunden wegzugehen, aufeinander zu achten, sich zu kümmern, die Veranstaltung anschließend am besten auch gemeinsam wieder zu verlassen ist noch der sicherste Weg, auch im Notfall nicht komplett unter die Räder übler Giftmischer zu geraten.
Unbeschwerter wird das Leben damit natürlich nicht, aber angenehmer. Und nicht nur die Gäste selbst, auch Betreiber und Veranstalter können etwas für die Sicherheit ihrer Gäste tun. Das Personal muss zumindest wissen, was passieren kann und wie es im Fall der Fälle reagieren soll. Dazu braucht es entsprechende Informationen und glasklare Regieanweisungen.
Außerdem könnte man Hilfsmittel einsetzen, z.B. Warnhinweise aufgehängt, denen zu entnehmen ist, dass auch der Gastronom willens ist, erstens zu helfen und zweitens Anzeige zu erstatten. Man könnte Deckel mit oder ohne Strohhalm auf Gläser und Becher anbringen, ähnlich wie beim Kaffee zum Mitnehmen. Und auch die ein oder andere Kamera, die eh schon vorhanden ist, könnte auf den Tresen gerichtet werden.
Die Einsicht, dass Sicherheit auch ein Marketingargument ist, sickert leider erst langsam durch. Dass aber aktives Aufrüsten schon einmal die optimistische Grundhaltung zurückbringt und dass die Jugend bei der Selbstverteidigung auch nicht schläft, bewiesen zuletzt zwei Schülerinnen und ein Schüler des Kant-Gymnasiums in Freiburg, die beim Regionalwettbewerb von "Jugend forscht" mit einem von ihnen entwickelten Nachweis für KO-Tropfen der Sorte GBL in Getränken per Teststäbchen gewannen. Wenn dieser Test noch etwas einfacher werden würde - und in Serie gehen ginge, wäre das Partyleben nicht nur wieder sicherer, sondern auch wieder deutlich heiterer, durch die Gewissheit, sich nicht mehr so leicht ohne irgendeine Chance auf Gegenwehr ausknipsen lassen zu müssen.
Auch in Lübeck tut sich etwas. Die junge Frau, die im Januar fast gestorben wäre, und bei der, wie bei so vielen anderen, kein Nachweis der KO-Tropfen mehr möglich war, blieb leider nicht das letzte Opfer in der Hansestadt. Deshalb setzten sich im März die lokale Politik, Polizei, Opferverbände und Diskotheken-Betreiber zusammen, um das Thema offensiv zu besprechen und damit auch verstärkt in die Öffentlichkeit zu gehen.
Erste Maßnahmen und Pläne gingen aus dem Gespräch bereits hervor, ob Hinweis- und Info-Schilder, -Aufkleber und weiteres Infomaterial in den Discos, aber auch eine Kampagne mit speziellen Informationen für Polizisten, Ärzte und Lehrer: Möglichst die ganze Stadt soll sensibilisiert werden. Die Betreiber gaben dabei allerdings auch zu bedenken, dass die Videoüberwachung an den kleinen Phiolen, in denen die KO-Tropfen oft eingeschmuggelt werden, schlicht scheitere. Und sie bezweifelten, ob die Gäste den Mehrpreis für die vorgebrachte Idee, Gläser und Flaschen mit Deckeln oder Verschlusskappen zu versehen, zahlen werden.
Vielleicht sollten sie es einfach ausprobieren und in einer Testphase das "Getränk mit Deckel" - zusätzlich - anbieten. Entscheiden können dann die Gäste. wie gehabt, was sie selbst persönlich bevorzugen. Dass die Gäste sich nicht nur noch mit einem mulmigen Gefühl an den Tresen wagen, sondern in den Bars und Diskotheken wieder wohlfühlen, daran haben schließlich auch die Betreiber ein großes Interesse.
2012-04-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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