Interview mit Dr. Thilo Weichert, Landesdatenschützer von Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) (von 2004 bis 2015) zum Thema Kinder im Netz
Die Fragen stellte Angelika Petrich-Hornetz
Wirtschaftswetter: Herr Dr. Weichert, Sie haben mit Ihrer strikten Ablehnung von Facebook-Accounts öffentlicher Stellen (u.a. auch Schulen) und auch mit Ihrer Kritik am mangelnden Schutz der Privatsphäre sogenannter sozialer Netzwerke für Furore gesorgt. Nun will das Unternehmen Facebook die (in den USA) übliche Altersbeschränkung von 13 Jahren aufheben und auch jüngeren Kindern offiziell erlauben - unter Aufsicht der Eltern - , einen eigenen Zugang zu dem sozialen Netzwerk zu erhalten. Was halten Sie davon?
Dr. Thilo Weichert: Nichts, aber auch gar nichts. Juristisch sind die Facebook-Angebote insgesamt nicht akzeptabel, für Kinder erst recht nicht, weil die keine wirksamen Einwilligungen erteilen können. Pädagogisch ist Facebook eine Katastrophe, da kein erzieherisches Konzept verfolgt wird, sondern nur ein Geschäftsmodell, das auf eine größtmögliche Datensammlung zu Kindern hinausläuft. Welche technischen Sicherungen eingebaut werden, mit denen die Eltern ihre Aufsicht wahrnehmen können, muss im Detail bewertet werden, wenn diese bekannt sind.
Wirtschaftswetter: Was könnte außerdem beispielhaft passieren, wenn sich weltweit vermehrt jüngere Kinder - mehr oder weniger beaufsichtigt - in Online-Netzwerken tummelten?
Dr. Thilo Weichert: Für Kinder im Netz wird schon sehr viel - auch manches Gute - getan. Es geht um die Einrichtung pädagogisch wertvoller und zugleich geschützter Seiten, bei denen so weit wie möglich eine kommerzielle Ausbeutung ebenso ausgeschlossen werden muss wie der Missbrauch z. B. durch Pädophile oder sonstige problematische Erwachsene. Bei der Schaffung eines solchen Angebotes sollten die positiven Ansätze weiter vernetzt werden sowie die Erfahrungen von Eltern, Schulen und gemeinnützigen Institutionen.
Wirtschaftswetter: Welche Voraussetzungen müssten gegeben sein bzw. geschaffen werden, damit Sie der Nutzung sozialer Netzwerke auch durch jüngere Kindern zustimmen würden?
Dr. Thilo Weichert: Technisch lässt sich nicht absolut ausschließen, dass Kinder im Netz unterwegs sind. Angebote, die inhaltlich Kinder ansprechen und ansprechen sollen, müssen für diese verständlich und beherrschbar sein. Es muss ausgeschlossen werden, dass Anbieter oder Dritte die Unerfahrenheit und die Offenheit von Kindern für eigene Zwecke ausnutzen oder missbrauchen. Denkbar sind technisch abgeschottete Positiv- und Negativlisten, die besonders bzw. überhaupt nicht für Kinder geeignet sind. Weiterhin sollten Tools entwickelt werden, die Kindern einerseits Freiraum lassen, aber zugleich den Eltern die Wahrnehmung ihres Sorgerechts eröffnen. Aus pädagogischer Sicht lässt sich dem sicher noch Einiges hinzufügen.
Wirtschaftswetter: Ende des "vergangenen Jahrhunderts" gab es in der deutschen Öffentlichkeit nachweislich mehr Widerstand gegen jegliche Datensammlungen größeren Umfangs. Woher stammt eigentlich die inzwischen weit verbreitete laxe Haltung gegenüber den Datensammlern von heute - war man früher einfach kritischer?
Dr. Thilo Weichert: Es ist nicht so, dass früher alles besser war, es gab schon immer kritische wie auch sorglose Menschen. Mein Eindruck ist, dass beide Gruppen zahlenmäßig zunehmen zu Lasten derjenigen, die gleichgültig oder uninformiert sind. Die laxe Haltung gegenüber digitalen Spuren liegt an einer immer noch bestehenden großen Uninformiertheit von vielen Menschen. Hier können und müssen wir gegenhalten.
Wirtschaftswetter: Sind Erwachsene schlechte Vorbilder und Lehrmeister, was das Vorleben und die Vermittlung von Datenschutz und Privatsphären-Schutz betrifft oder sind sie damit einfach nur überfordert, weil sie mit der immer ausgefeilteren Technik der Anbieter nicht mehr Schritt halten können?
Dr. Thilo Weichert: Viele Erwachsene sind inzwischen kritischer und kompetenter, als unsere Medien suggerieren. Es gibt aber natürlich auch viele abschreckende erwachsene "Vorbilder". Fatal ist, dass diese zum Leitbild des Konsumenten für viele Medienanbieter genommen werden, die dann mit immer raffinierteren Methoden technisch und ökonomisch über den Tisch gezogen werden. Im internationalen Vergleich sind deutsche Internetuser mit am vorsichtigsten. Dies ändert aber nichts daran, dass informationelle Fremdbestimmung ein sich zuspitzendes Massenphänomen ist.
Wirtschaftswetter: Was müsste sich an der Einstellung von Eltern Ihrer Meinung nach dringend ändern - und was können diese überhaupt noch tun, wenn die Kinder doch immer vehementer, auch gegen den Willen ihrer Eltern, nach sozialen Kontakten im Internet streben?
Dr. Thilo Weichert: Wichtig sind die Medienkompetenz der Eltern sowie die Dialogbereitschaft in Bezug auf ihre Kinder. Der größte Fehler ist einerseits das Verdammen und Verbieten der Techniknutzung, andererseits das unbekümmerte Laisser-faire. Gemeinsame Mediennutzung ist ebenso wichtig wie das Gespräch hierüber. Fehlt es insofern den Eltern an Erfahrung, so kann über Volkshochschulen und andere Anbieter nachgelernt werden.
Weiterführende Informationen: Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD)
2012-07-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: © und Gesprächspartner Dr. Thilo Weichert
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