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„Shareconomy“ oder „Der Fremde in meinem Bett“

CeBIT Preview 2013, Annegret Handel-Kempf, Foto

Wie das Motto der diesjährigen Computermesse CeBIT mit philosophischem Überbau zum Teilen der Privatheit anregt

Die Vorschau zur Computermesse von Annegret Handel-Kempf

Shareconomy“ für jedermann: Wenn „Teilen“ und „Wirtschaft“ in einem Kunstbegriff verschmelzen, soll dabei eine Gesellschaft heraus kommen, in der so viel untereinander ausgetauscht wird, dass Arbeit letztlich überflüssig wird. Klingt nach politischer Philosophie, ist aber eine der Dimensionen des diesjährigen Mottos der Computermesse CeBIT in Hannover (5. – 9. März). Der mühelose Zugriff aller aufs Internet, mit gigantischen Speicherräumen in virtuellen Wolken, zur komplikationslosen Auswahl und Absprache, soll diese Utopie der IT-Society vom allgemeinen Wohlstand beflügeln.

Mit dem Austausch von Kenntnissen ging es los: Wikipedia und Co., die Wissensdatenbanken, in denen Informationsvorsprünge geteilt werden, ohne den Autoren bare Münze zu bringen, sind Vorbilder und Auslöser der Shareconomy. Bei ihrer Weiterentwicklung, der so genannten „Collaborative Consumption“, soll aus den Shareconomy-Clouds ein gutes Gefühl auf das solidarische Teilen regnen, während – quasi als angenehme Nebensache – Geld in die Haushaltskasse kommt. Zu den bereits real existierenden Anfängen des „gemeinschaftlichen Konsums“, deren Organisation und Verwaltung in den Internet-Wolken spielt und durch diese erst in Massen ermöglicht wird, später mehr.

Nur mit einem Browser die Welt teilen

Die weniger idealistisch verklärte, pragmatisch-ökonomische Seite der Shareconomy ist bereits Alltag: Immer häufiger werden Daten, also das, was früher auf vielen Schreibmaschinenseiten, in großen Platten- und Dia-Sammlungen und in geräumigen Videotheken stand, in „Clouds“ gesammelt, das sind Giganto-Speicher irgendwo auf der Welt, die dem realen Zugriff und Begreifen der Datenproduzenten und -besitzer vielfach entrückt sind. Eigene PCs, Festplatten und Firmenserver werden nicht mehr damit belastet, Datenmüll darf leichtfertiger angehäuft werden. Jeder „shared“, verteilt Zugriffsrechte zu Dokumenten und Wissen, wodurch gesichert wird, dass in Firmen jeder Berechtigte mit den jeweils aktuellsten Versionen eines Projektes arbeitet. Peter Ruchatz vom Kundenmanagementdienstleister Salesforce zufolge, braucht man für Geschäftsanwendungen und Kundenbeziehungen keine Software mehr, sondern nur noch einen Browser, quasi als Optimum der Cloud-Nutzung. Ruchartz: „Cloud Computing beinhaltet den Wandel zur Customer Company“, das heißt, der Kunde soll im Mittelpunkt der Geschäfte stehen."

Verzicht auf eigene Server und Software

„Kommunikation und Zusammenarbeit wird von vielen Unternehmen nur noch via Cloud-Computing auf- und ausgebaut“, erläutert Dirk Backofen von der Telekom im Vorfeld der CeBIT die neuen Schnellstart-Wolken-Angebote seines Unternehmens für kleine und mittlere Firmen, sowie Privatkunden. Ökonomisch teilen heißt im Privatleben beispielsweise, Verwandte und Freunde schnellstmöglich mit hübschen Bildern und Videos aus dem Urlaub zu erfreuen, ohne die Mobilfunkrechnung in die Höhe schnellen zu lassen: Link und Zugriffsrechte genügen.

Big Data mit 21 Nullen am Tag
Kein Wunder, dass „Big Data“ der zweite Trend der CeBIT sind: Unvorstellbare Datenmengen sammeln sich da an, lagern auf Servern überall auf der Welt, die das physikalische Fundament der „Clouds“ sind. Weltweit vermehren sich die Daten, nach Angaben von Fujitsu Technology Solutions, im Zweijahresturnus um 1,8 Zettabyte. Eine Byte-Zahl mit 21 Nullen. Marcel Schneider, Vorsitzender der Geschäftsführung von FTS, resümierte bei der CeBIT-Preview in München: „Technologie ist zum Konsumgut geworden.“

Der Telekom beispielsweise genügt der Platz auf Servern in Deutschland schon nicht mehr. Über Partnerfirmen lagert sie ihre Clouds auch auf andere Speichergiganten aus, mit Standorten in Ländern, in denen EU-Recht gilt. Immerhin nicht außerhalb der EU. Der Standort ist wichtig, um einen sensiblen Umgang mit den kostbaren Bytes zu garantieren.

Shareconomy als flexibel zugängliche Nutzer-IT

IT und ihre Nachbardisziplinen sind 2013 nicht mehr die Sache von Insidern, wie noch vor 40 Jahren. Sie wurde in ihrer Handhabung einfacher, dadurch sozialisiert, zum Gemeingut, was sich nicht nur in „Social Networks“, wie XING und Facebook zeigt. Schneider: „Technologie ist heute nicht mehr isoliert und unflexibel. Sie ist für alle zugänglich, on-demand-verfügbar, bequem; sie ist Shareconomy“. Auch der Fujitsu-Manager sieht eine Wendung der mathematisch verwurzelten Informationstechnologie hin zum Menschen: „Der Nutzer hat den Vorteil. Nicht mehr die IT steht im Vordergrund.“

Verschmelzung von physikalischer und digitaler Welt

Pro Jahr kommen 83 Millionen mehr Bewohner auf der Erde hinzu. Seit 2000 hat sich der Energieverbrauch mehr als verdoppelt. Verstädterung, Klimawandel, demographischer Wandel: Fakten, die auch IT-Manager zum Grübeln bringen. Schneider sieht als Vision der Shareconomy und eines neuen Umgangs mit IT, „unsere physikalische Welt und die digitale Welt zusammen zu bringen.“
Ein Beispiel dafür, wie das praktisch aussehen kann, zeigt Kay Mantzel, Marketing Manager bei Microsoft Deutschland, auf der CeBIT-Preview: „Fahrräder können ganz einfach ausgeliehen werden, indem das eigene Windows Phone an die Leihstation gehalten wird.“ Zu sehen sein wird das Live Szenario in Halle 4, Stand A26. Mantzel: „Der Human Touch besteht bei dieser Shareconomy darin, dass der Manager abends zu Hause leben, spielen und gleich noch die Nutzung und Bilanz des Fahrrad-Verleihs checken kann. Das ergibt eine Kohlendioxid-Ersparnis von zu Hause aus.“

Internet der Dinge als Geheimdienstinformant?

So geht die Shareconomy weiter und trifft sich mit dem „Internet der Dinge“, dem dritten CeBIT-Trend. Jedes Produkt erhält eine eigene Internet-Kennung und wird so weltweit erreichbar sein. Da sind zum einen die Kühlschränke, Waschmaschinen, Kleidungsstücke, Container, Maschinen und Autos, die miteinander, mit dem nächsten Supermarkt oder der zuständigen Werkstatt kommunizieren, ohne dass die Nutzer in diesen Vorgang involviert sind. Klingt ein wenig ungemütlich für aufgeklärte Menschen, die ihre Privatheit als Wert schätzen. Wer ungefragt seine Gefrierkombi über seinen Speisezettel entscheiden lassen will, bekommt vermutlich spätestens bei der Vorstellung Bauchschmerzen, dass sich auch die Geheimdienste für die Nutzung der elektronischen Haustechnik interessieren. Technisch ein Leichtes: Wieso sollte nur der Besitzer aus der Ferne darüber informiert werden, mit wem in seinem Haus telefoniert, Daten ausgetauscht und Jalousien geöffnet werden?

Statussymbole als Tauschobjekte zum Werte-Teilen

Wo die Privatheit dessen flöten geht, was hinter verschlossenen Fenstern und Türen passiert, können auch gleich Tür und Bett für Fremde geöffnet werden. Schneider sieht das beim Preview-Trendtalk in München pragmatisch: „Alle Geschäftsmodelle werden immer mehr ins Nutzen, statt ins Besitzen, gehen.“
Nutzwirtschaft also. Die Shareconomy zeigt sich hier auf Internetportalen, die das, was einst Statussymbole und ureigenste Domänen waren, zum Tauschen und Teilen anbieten. Das Auto, das Haus, die Wohnung sollen in Zeiten, in denen der Eigentümer sie selbst brach liegen lassen würde, gegen eine Gebühr von anderen genutzt werden. „Bei uns sind einige Anbieter registriert, die sich ihr ganz spezielles Traumauto durchs Ausleihen mit finanzieren“, erzählt TAMYCA-Geschäftsführer Michael Minis. „Nur eine von 24 Stunden fahren die 40 Millionen in Deutschland gemeldeten Autos am Tag“, rechnet Minis vor. „Der ADAC geht von 4.000 Euro Fixkosten pro Auto und Jahr aus.“ Die Shareconomy soll das, dem Start-Up-Gründer zufolge, ändern und damit auch der Ressourcenerhaltung dienen. Alexander Holst, der Sustainabilty Services bei accenture leitet: „Die Nachhaltigkeit wird durch Shareconomy unterstützt. Wer Autos teilt, teilt auch Werte.“

Vertrauen als Währung

Die ans Vermittlungsportal zu zahlenden Gebühren, aus denen sich auch eine Versicherung finanziert, sind das eine Entgelt. Die andere Währung, auf die die Teil-Wirtschaft setzt, ist das Vertrauen. Immer mehr Bonuspunkte, ähnlich denen bei Amazon- und Ebay-Transaktionen, sollen sich als Bewertungen beim Teilen ansammeln und für jedermann einsehbar sein. Auch die Mali, selbst für Arbeitgeber, für Hinz und Kunz, die sich dafür interessieren, ob den Teilzeitbewohner ein schmutziger Socken, der hinter die Waschmaschine gerutscht war, gestört hat. Lena Sönnichsen von Airbnb, einer Internet-Plattform, die von der Bettcouch bis zur kompletten Insel Wohnraum von privat zu privat vermittelt, schwärmt mit IT-inspiriertem Vokabular von sozialen Kontakten und neuem Reichtum in der Welt der Teilenden: „Ich bin langsam in der Lage ein digitales Ich zu schaffen, das verknüpft ist mit meiner echten 3D-Bonität und daraus entsteht Nutzwert-Kapital – meine Internet-Bonität.“ Wachsendes Vertrauen und Toleranz würden sich in zehn Millionen Buchungen weltweit im vergangenen Sommer spiegeln.

Gemeinschaftlicher Konsum zum Ressourcen-Erhalt

„Collaborative Consumption“, so nennt sich diese Shareconomy-Bewegung, die Ressourcen damit schonen will, sich bei Freunden, die durchs Internet gewonnen werden, einzumieten, so wie früher bei Verwandten. Sozialer Zusammenhalt, der durch Wirtschaftswunder, damit zusammenhängende Eigentums-Isolation und Massenkonsum zerstört wurde, soll mithilfe des schnellen Internets wiederbelebt werden. Streufläche: Weltweit, als „dritte Internet-Welle“; airbnb-Mitbegründer Brian Chseky gemäß, nach Internet-Zugang und Vernetzung, nun die Rückkehr in die reale Welt, verbessert durchs weltweite Zusammen-Clicken.

Soweit die schöne Seite der Shareconomy. Dennoch - Immer wieder andere Fremde in meiner Wohnung, in meiner Privatsphäre, in meinem Rückzugsraum: Während die Betreiber solcher Internet-Portale diese Möglichkeit bei der CeBIT-Preview in leuchtenden Farben ausmalen, zupft ein neben mir sitzender Herr die Fuseln von seinem Anzug. Und zupft. Und zupft. Wirft den Ertrag großflächig um sich. Schließlich gibt es nichts mehr zu zupfen, außer den Fäden, die Hose und Jackett zusammenhalten. Da entdeckt er seine Nase. Toll, was er da alles findet. Nach sinnierendem Analyserubbeln zwischen den Fingerspitzen wird der Nasenertrag ebenfalls weggeworfen. Auch in meine Richtung. Nachdem die Nasenhaare alle ausgerupft und entsorgt sind, schaut er kurz enttäuscht. Dann sind die Fingernägel dran. Zu guter Letzt werden die Zähne ausgeräumt. Als der Vortrag zu Ende ist, hat sich um den Herren herum einiges angesammelt. Ich überlege, wie es wohl ist, wenn ich in meine Wohnung zurückkomme, die ich an einen solchen Unbekannten verliehen hatte. Kuschele ich mich noch entspannt aufs Sofa?

Einmieten bei Fremden mit passenden Windeln

Sönnichsen begeistert sich unterdessen: „Ich habe schon so viele einzigartige Erfahrungen durch Wohnungsteilen gewonnen.“ Jede Art Reisender und anderer Mobiler würde auf das Modell gut ansprechen: „Eltern mit Kindern wohnen zeitweise im Haus einer ähnlichen Familie, wo es Spielzeug, Kinderstühlchen und sogar passende Windeln gibt.“

Teilen soll sich wieder lohnen

Vertrauen als Währung der Shareconomy. Interessante neue Kontakte als ihr Profit. Mit dem Verleihen des eigenen Hab und Guts mehr verdienen, als man selbst fürs Nutzen der Besitztümer anderer ausgibt. Auf diese Weise so wohlhabend werden, dass man nicht mehr arbeiten muss. Das Credo: „Teilen lohnt sich“. Schön, wenn die Dinge kräftig genutzt, statt kaum verwendet und dann weggeworfen werden. Toll, wenn man Zeit für den Lebensgenuss hat. Aber wer sorgt für Nachschub, wenn doch einmal etwas kaputt geht und auszuwechseln ist? Wer produziert die tägliche Nahrung? Wo genieße ich meine ewige Freizeit, wenn ich mein eigenes Haus verliehen habe, in einer aus Gewinngründen zwangsläufig bescheideneren, fremden Unterkunft lebe und nicht einmal in den Urlaub fahren kann, weil mein Auto 23 von 24 Stunden verliehen ist?

Weiter zum zweiten Vorbericht: CeBIT 2013 - Produkte


2013-03-03 Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text + Foto: ©Annegret Handel-Kempf
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