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Die Khan-Akademie

Revolution für die Schule

Buchtipp von Anne Siebertz

Es ist schon erstaunlich, welche bahnbrechenden bildungspolitischen Visionen so ein ganz normaler Amerikaner mit indischen Wurzeln entwickelt hat: „Kostenlose erstklassige Bildung für jeden an jedem Ort der Welt“ - so in etwa wünscht sich Salman Khan die Schule der Zukunft. Das ganze in Verbindung mit einer „Schule als Ort, wo Fehler erlaubt sind, wo man abschweifen darf und wo man großes Denken als einen Prozess begreift - ganz gleich zu welchem Ergebnis er führt“.
In seinem Buch „Die Khan-Akademie“ bleibt kein bildungspolitisches Thema unangetastet, angefangen von der Entwicklung des Lehrlingswesens und des preußischen Bildungssystems, über das leidige Thema Hausaufgaben bis hin zur idealen Schule und einer völlig neu gedachten Hochschule.

Nun aber von vorne: Wer ist dieser Autor Salman Kahn, der angetreten ist, ein revolutionär anmutendes Buch über das westliche Bildungssystem zu schreiben? Der eine Vision einer globalen Dorfschule zeichnet, die weder zeitliche, noch örtliche Beschränkungen des Lernens kennt? Der von einer ganzen Heerschar von selbstmotivierten Schülern schwärmt, die freiwillig Mathe- und Physikaufgaben mit großer Wissbegierde lösen?
Pädagoge? Philosoph? Sozialwissenschaftler? Mitnichten: Khan ist – besser gesagt war - Hedgefonds-Analyst. Jemand, der den ganzen Tag mit Geldern und Wertpapieren handelt und augenscheinlich mit der Bildung von Kindern und Jugendlichen so rein gar nichts zu tun hat.

Vom Analysten zum Lehrer on demand

Khans Leben änderte sich schlagartig im Jahr 2004, als er bei seiner Hochzeit seine damals zwölfjährige Cousine Nadia traf. Für sie war kurz zuvor eine Welt zusammengebrochen, denn sie hatte einen - im amerikanischen Bildungssystem wichtigen - Mathe-Einstufungstest nicht bestanden. Khan, der nicht in der gleichen Stadt wohnte, entschloss sich aus purem Mitleid, ihr aus der Ferne per Computer Nachhilfe in Mathematik zu erteilen.

Aus der Rückschau betrachtet beschreibt er dieses Versprechen als naiv und improvisiert, denn er war weder Lehrer, noch hatte er sich je zuvor Gedanken über eine pädagogisch geeignete Methode der Vermittlung von Unterrichtsstoff gemacht. Sein einziger Antrieb war die optimistische und zugleich ein wenig naiv anmutende Vorstellung, dass jeder Mensch, und damit auch seine Cousine Nadia, Mathematik verstehen kann.

Im Trial-and-Error-Verfahren entwickelte Khan kleine Übungsaufgaben für sie. Dabei stellte er fest, dass seine Cousine allmählich immer mehr verstand. Allerdings erst nach einer einwöchigen Tortur, bei der er viele Rückschläge einstecken musste. Und auch andere Schüler, meist aus dem großen Kreis der indischen Verwandten Khans, gesellten sich zu den Nachhilfeeinheiten über die Ferne hinzu. Khan erkannte, dass er zwar Erfolge hatte, jedoch unmöglich neben seinem Job einer steigenden Zahl von jungen Menschen Nachhilfe geben konnte. So kam er auf eine Idee: Aus seinen Übungen entwickelte er kurze, leicht verständliche Lernvideos, die er für ein allgemeines Publikum bei Youtube einstellte.

Unmerklich war die so „Khan-Akademie“ geboren, eine Schule ohne Unterrichtsräume, ohne feste Lehrpersonen oder Unterrichtszeiten. Per Knopfdruck waren die Videos im Internet abrufbar, wann immer die Schüler Zeit und Muße hatten, sich daran zu setzen. An den Schulen, wo die videogestützten Unterrichtsmethoden ausprobiert wurden, sei es als Projekt während des regulären Unterrichts, sei es als Sommercamp, bekamen die Lehrer eine neue Rolle, weg vom Vermittler des Lernstoffs hin zum Unterstützer des Schülers.

Will man Salman Khan Glauben schenken, so setzten sich die Schüler tatsächlich freiwillig an seine Lernvideos. Anfangs einige wenige, nach kurzer Zeit jedoch eine Vielzahl. Eltern und Lehrer begannen sich ebenfalls für die Videos zu interessieren, nicht, um ihren Kindern zu helfen, sondern um ihr eigenes Wissen aufzufrischen. Tausende von E-Mails erreichten Khan von Schülern, die von der Khan-Academy profitiert haben – aus amerikanischen Vorstädten, europäischen Hauptstädten, indischen Dörfern und Orten im Nahen Osten.

Und wirklich überzeugt ein Blick auf die Website der Akademie: Mit spielerischer Leichtigkeit. bricht Khan komplexe mathematische Gleichungen auf ein verständliches Level herunter. Dazu nutzt er verständliche Beispiele. Anstelle von Formeln macht er kleine Zeichnungen mit Pfeilen und erklärt so, welche Kräfte wo wirken und warum die zugrunde liegende Formeln doch eigentlich völlig logisch sind. Das Fach Geschichte erklärt er statt mit Jahreszahlen und auswendig Gelerntem mit kleinen, einprägsamen Histörchen rund um das Zeitgeschehen.

Kein Eisen ist zu heiß für Khans Theorien

Trotz der Aufmachung als pädagogischer Ratgeber liest sich „Die Khan-Akademie“ so leicht wie ein Sommerroman. A propos Sommer: Salman Khan macht auch vor dem Allerheiligsten des westlichen Schulsystem keinen Halt: den Sommerferien. Monatelang leerstehende Gebäude, einhergehend mit dem schlagartigen Vergessen des bis zum letzten Moment noch mühsam eingetrichterten Unterrichtsstoffes, sagt er, seien die reinste Verschwendung. Die Potenziale des Lernens würden über Monate völlig auf Eis gelegt und einen Großteil der Leistungsfähigkeit der Schüler abbauen, vergleichbar mit dem Tempo des Abbaus von Muskeln, die nicht mehr gebraucht würden.

Und nicht zuletzt packt Khan auch das Thema des westlichen Universitätssystems an. Dort ließen sich die vorherrschenden Ungerechtigkeiten abschaffen: mit einem Leistungspunktesystem, das die Studenten ortsunabhängig im Internet erarbeiten könnten, würden weder der Name oder das Renommé der Universität bei der späteren Bewerbung zählen, noch die finanzielle Ausstattung der Studenten durch die Eltern oder durch Stipendien. Allein die Beherrschung des Stoffes würde dann den Ausschlag geben.

Khan ist überzeugt, dass es eine völlig neue Schule der Zukunft geben wird. In aller Bescheidenheit möchte er mit seiner Khan-Akademie einen möglichen Weg hin zu einer internetbasierten globalen Dorfschule aufzeigen, ohne jedoch sein System als das einzig wahre postulieren zu wollen. Wann der Wandel des Bildungssystems vollzogen werde, ist für ihn allein eine Frage der Zeit, eines Zeitraums von 15 bis 20 Jahren.

Bei der Lektüre darf man jedoch nicht ganz außer Acht lassen, dass Khan sich auf das Bildungssystem nach amerikanischem Vorbild bezieht. Manches ist in Deutschland anders, allerdings lassen sich erstaunlich viele Parallelen feststellen. Besonders G8-gestresste Eltern und Schüler werden die erfrischenden Ideen Khans mögen, die die Schüler im selbstgewählten Tempo mit Verständnis der Sache und ganz ohne Eintrichtern von Unverstandenem zum Ziel bringen.

Der Philosoph Richard David Precht, selbst stark in die bildungspolitische Diskussion eingebunden, sagt über die „Khan-Akademie“: „Ein wichtiger Beitrag in der aktuellen Bildungsdiskussion. An diesem Buch kommt niemand vorbei.“ Die Rezensentin kann sich da nur anschließen. Unbedingt lesen!

Buch-Werbung + weitere Infos:
Salman Khan
Die Khan-Akademie
Die Revolution für die Schule von morgen
@2013 Rieman Verlag, München
250 S. ISBN 978-3-570-50144-3


2013-05-13, Anne Siebertz, Wirtschaftswetter
Text: ©Anne Siebertz
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