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IFA ohne Fernseher

Wie Berlin ohne Ku’damm: Zur IFA wird Fernsehen ohne Fernseher zum Digital-Lifestyle-Trend

von Annegret Handel-Kempf

IFA – über viele Jahrzehnte setzte man das „F“ in der Abkürzung mit Fernsehen gleich, auch wenn es eigentlich für „Funk“ steht. Aktuell müsste die Berliner Unterhaltungselektronik-Messe „IDLA“ heißen: Im Jahr 2013 geht es unterm Funkturm um den „Digital Lifestyle“ der vernetzten und mobilen Nutzer. Weil sich der digitale Mensch ohne Smartphone oder Tablet in seinem Alltag nackt fühlt und auf den portablen Bildschirm-PCs auch Filme anschaut, wird Fernsehen ohne Fernseher zum Haupttrend der Internationalen Funkausstellung vom 6. bis 11. September – Ultra-HDs mit 216 Zentimeter großen Bildschirmdiagonalen zum Trotz.

Dafür gibt es sogar ein außerirdisch klingendes Schlagwort: „Transdigitale Erwartungshaltung und Screen Journey des Konsumenten.“ Man könnte auch sagen: Das Lieblingsprogramm muss überall, sofort und zugeschnitten auf den persönlichen Geschmack abrufbar sein. Es wird vom heimischen Fernseher nahtlos auf Tablet oder Smartphone umgestellt und mitgenommen. Das private Medienmenü ist unterwegs und im Urlaub, unabhängig vom Angebot der Sendeanstalten, jederzeit ganz individuell zu besichtigen.

Wenn künftig über http „gestreamt“ wird, werden nach dem neuen DASH-Standard für Mobilgeräte kleine Schnipsel der Playback-artig verfügbaren Inhalte fürs individuelle Abrufen über den Webbrowser bereit stehen. Das Zerstückeln dient der Qualität, weil es sonst im allgemeinen Datenstau zu eng für echten Filmgenuss wird.

Sogar Kabel-TV-Nutzern soll ihre heimische Medienwelt künftig online zur Verfügung stehen. Beispielsweise Samsung baut die zugehörigen Mittler-Geräte für „Horizon“, um auf der Reise ins Fernsehen ohne Fernseher dabei zu sein. Damit nicht genug der Empfangsgeräte-Einbindungen: Der luxemburgische Satellitenbetreiber SES hat mit anderen den ersten IP-LNB entwickelt. Dieser rauscharme Signalumsetzer liefert von der Satellitenschüssel in entsprechend hoher Qualität Musik, Filme aus Free- oder Pay-TV, sowie Daten, an ortsfeste und mobile Geräte im heimischen Internet-Protocol (IP)-Netzwerk. Fernseher, Tablets, Smartphones oder PCs hören damit gleichermaßen auf die Botschaften aus dem Orbit. Satellitensignale aus acht Kanälen werden so per Ethernet, Powerline-Netz oder WLAN übertragen.

Tablets als portable Fernseher

„Junge Leute benutzen Tablets heute so, wie früher einen tragbaren Fernseher“, berichtet Michael Schidlack vom Branchenverband BITKOM. „Wir gehen davon aus, dass 2014 mehr Tablets als Fernseher verkauft werden.“ Für die Unterhaltungsindustrie wird das IP-Video wegen der zunehmenden Beliebtheit von Tablets und Smartphones zum Dreh- und Angelpunkt.

Der größte Abräumer beim Videokonsum wird bis 2015 voraussichtlich das Smartphone sein, das zum Empfangen und Abspielen nur mit Webbrowser ausgestattet sein muss. Doch die Tablets ziehen nach: Lars Christian Weisswange, als Vize-Präsident beim Netzwerkausstatter Huawei für Endkunden zuständig, spricht von einer Verdreifachung des Tablet-Absatzes bis 2017.

Cisco hat berechnet, dass 2016 alle drei Minuten der Gegenwert aller Filme, die jemals in Hollywood gedreht wurden, via Web übertragen werden wird. Für einen einzelnen Menschen würde es 138 Jahre dauern, alles zu sehen, was dann pro Sekunde gestreamt wird. Die Netze sind für den Massenansturm allerdings nicht ausgebaut, müssten auch für die immer beliebteren Apps verbessert werden.

Zum allseitigen Genuss der aktuellen Unterhaltungselektronik werde eine überall verfügbare Kombination aus Breitband, Mobilität und Cloud dringend benötigt, ist vom Netzspezialisten Ericsson zu erfahren. Gegen das Überlastungsruckeln der Bilder aus dem Web hilft Daten-Sparen: Für eine effiziente TV- und Videoübertragung im Mobilfunk müsste nicht jeder Smartphone- oder Tablet-Nutzer eine eigene Leitung zum Programm aufmachen, sondern das Programm eine Leitung zu allen Nutzern miteinander. Diese Anbieterlösung wäre wesentlich effizienter und entspräche dem bisherigen terrestrischen Fernseh-und Rundfunkprinzip.

Denn der Byte-Boom bremst die Durchlässigkeit: Innerhalb von vier Jahren könnte sich, Weisswange zufolge, das monatliche, mobile Datenaufkommen von 0,9 Exabyte auf mehr als elf Exabyte, das sind elf Milliarden Gigabyte, steigern. Bei einem einzelnen Smartphone bedeutet das eine Zunahme von 450 Megabyte auf 1,9 Gigabyte pro Monat bis 2018.

Ein roter Knopf für mehr Persönlichkeit

Auch der Inhalt setzt zu Höhenflügen an. „Das klassische Fernsehprogramm wird durch Online-Streaming vorangetrieben“, prognostiziert Unterhaltungs-Experte Schidlack. Mit dem roten Knopf auf der Fernbedienung oder auf dem Smartphone werde man künftig nicht mehr vom angebotenen, laufenden Programm ins Netz wechseln, sondern umgekehrt. „Weil es viel einfacher ist, persönliches Nutzerverhalten gleich beim Start zu berücksichtigen.“

Dabei werden Set-Top-Boxen zu Vermittlungsgeräten im Home-Media-Netzwerk. Sie bündeln Internet- und Rundfunk-Inhalte, welche meist über Satellitenanschluss ins Haus kommen und verschmelzen dabei etwa von ARD und ZDF zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgestrahlte, also lineare mit Online-Angeboten. Diese Mixtur aus gerade öffentlich angebotener und individuell abgerufener, audio-visueller Unterhaltung verteilen sie über IP-Infrastrukturen im Zuhause. Endlose Suchaktionen nach dem Gewünschten soll es bald nicht mehr geben, „einfache Auffindbarkeit“ dem Nutzer solcher Programmmassen den "Digital Lifestyle" leichter machen.

Gutes Bild mit Smartphones, statt Ultra-HD-TVs ohne Inhalt

Vorbei sind bereits jetzt die Zeiten, in denen mit Plasma und Pixel geprotzt wurde. Der technische Aufbau der Bildschirme sei den Konsumenten egal. Der Erwartung der Gesellschaft für Konsumgüterforschung (gfk) zufolge, werden von den heuer in Deutschland erstandenen knapp 50 Millionen LCD-Bildschirmen ohne PCs 18 Prozent zu TV-Geräten und 55 Prozent zu Smartphones gehören.

Smartphones, Tablets und High-Definition HD-Flachbild-TVs mit 80 Zentimeter Bilddiagonale unterscheiden sich preislich oft wenig. Nur die neuen Ultra-HD-, nach ihrer Kino-Technologie auch „4K-“ genannte Fernseher sind wegen ihrer aufwändigen Entstehung noch extrem teuer. So wie der Gigant von Samsung, der als „Erlebnistechnologie“, S9 Timeless mit 85 Zoll, also 216 Zentimetern Bilddiagonale, tatsächlich zu kaufen ist. Immerhin noch einiges weniger, aber auch nicht gerade billig ist der weniger luxioriöse 65 Zoll-UHD TV F9090. Von Toshiba ist ein 84-Zöller (M9) zu haben. Er soll mit tollen Bildern auch aus nächster Nähe punkten. Das gute Nah-Sehen wird in Zeiten kleiner Wohnumgebungen zum wichtigen Argument fürs Fernsehen mit 4096 × 2304 Pixeln. Bei drei Metern Abstand wird jedoch mit normalem Sehvermögen der Unterschied zwischen Full HD und Ultra-HD auch bei guter Datenübertragung an einem 40-Zoll-Fernseher nicht mehr wahrgenommen. Anders sieht das bei hochwertigen Smartphones-Displays aus, die Qualitätsunterschiede wahrnehmbar machen.

Was auf Ultra-HD-TVs in angemessener Qualität zu sehen sein soll, ist allerdings fraglich: Dem Vernehmen nach, wollen zumindest die Öffentlich-Rechtlichen Senderanstalten „4K“ überspringen und lieber schon mal für Investitionen ins „8K2“, mit entsprechend aufwändigen Studios und Breitbandausstrahlungen, sparen. Die ersten zugehörigen Geräte für diese achtfache Hochauflösung, die auch "Super High Vision (SHV)! genannt wird, werden frühestens ab 2025/2030 im Handel erwartet. Vorerst dürfte sich das tatsächlich von den großen Sendern angebotene Programm also weiter an Full HD orientieren und wird HD anstelle von Standard Definition (SD) zum Standard. Auch wenn aus der Industrie leicht unbestimmt zu hören ist, dass ab 2016 oder 2021 Ultra-HD-Programme im Premium-Segment HDTV ablösen sollen.

Fehlender „Content“ war schon bei der extrem zögerlichen Geburt von hochauflösendem HD-Fernsehen ein Problem und reduziert derzeit auch die Begeisterung für dreidimensionalen TV-Genuss. Ähnlich wie beim Sprung von SD auf HD, greift man deshalb bei Programmangeboten für 4K auf die Umrechnung schlechterer Aufnahmen in Quasi-Ultra-HD-Leistung zurück.

Die Markteinführung von Ultra-HD soll noch langsamer verlaufen, als die von HD, und 2025 möglicherweise erst die Hälfte der Geräte in den Haushalten ausmachen. Ultra HD ist dabei nicht die erste Technologie, die mit höheren Bildwechselraten, damit Sport und Bewegungen flüssiger ablaufen sollen, mit mehr Farben, Kontrasten, Hell- und Dunkel-Gestaltungsmöglichkeiten punkten will. Zuerst muss jedoch ein neues Videokodierungsverfahren etabliert werden, damit die Bandbreite halbierbar ist, ohne dass beispielsweise störende Quadrate als Artefakte entstehen. Sonst wird Fernsehen am Fernseher immer häufiger zur ärgerlichen Lachnummer und ihre hochgeschraubte Technologie zunehmend zur Belastung.


2013-08-30, Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf
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