von Angelika Petrich-Hornetz
Die Fashion-Weeks in New York, London, Mailand und Paris liegen so gut wie hinter uns, der Frühling und Sommer 2014, noch vor uns. Zum einem nicht geringen Teil liefen regelrechte Huldigungen und Schmeicheleien an die demografische Entwicklung in den Industrienationen über den Laufsteg: häufig etwas hochgeschlossener (u.a. auch weiße, lange Handschuhe), aber alles ein bisschen weiter, tragbarer, außerdem grafisch, sachlich, sportlich, aber auch romantisch, durchsichtig - dabei weich fallend und damit jeder Figur schmeichelnd. Auch Muster und geschickt gesetzte Farben lenken hervorragend von überflüssigen Pfunden und diversen anderen Alterserscheinungen ab. Die Kundschaft wird eben nicht jünger. Im schönen Gegensatz dazu schwingen die Rocksäume ganz symmetrisch oder frech unsymmetrisch unter ziemlich eckigen Jacken, das macht es erst interessant.
Sogar Victoria Beckham schneiderte nicht mehr knapp auf Figur, sondern ließ mindestens zwei Zentimeter Luft in Röcken, Hosen, Jacken, Kleidern, Shirts - und Ärmeln. Sie blieb dabei so elegant wie Joseph Altuzarra, der selbst seinen verführerischsten Kleidern etwa mehr Platz (zum Atmen ) gab. Auch bei Zac Posen (aber eng um die Taille), Donna Karan (sagenhafte Blautöne), Caroline Herrera und Diane von Fürstenberg überwiegt sommerlich flatternde Leichtigkeit. Die Ärmel waren so gut wie überall bequem weit, was der Bewegungsfreude sicher dienlich sein wird, u.a. Marissa Webb. Bequeme Oberteile in knalligen Farben und Mustern, z.B. bei Opening Ceremony zeigten, dass die neue Lässigkeit farblich aufregend sein kann. Luftig weite, halblange Ärmel zeigte auch Derek Lam und reanimierte die Midi-Rock-Länge, genauso wie Michael Kors' Retrostyle, wobei im echten Leben bestimmt nicht jedes Bein diese Länge verträgt. Bequeme, weite Jacken, Parkas, Sommermäntel, luftige Oberteile und flatternde Kleider sowie Hosen in ruhigem Design zeigte Rachel Comey, bunter gemixt bei Jen Kao, Band of Outsiders und Marc Jacobs.
Die neue Lässigkeit hat auch London erfasst, bei Paul Smith z.B. umschmeicheln die Teile, auffallend darunter die Hosenanzüge, in zurückhaltenden bis mutigen Farben die Trägern, nichts wird gestopft oder gepresst. Auch Vivienne Westwood lässt Luft in ihren Kreationen zu, deren Vorführung deutlich exzentrischer ausfiel als die seriösen Stoffe und ruhigeren Schnitte selbst. Auch in UK findet man viele weite, bewegungfreudige Ärmel u.a. Pringle of Scotland, deren Purismus wie immer überzeugt und gleichzeitig jedes Mal aufs Neue überraschend frisch wirkt. Unique hat tolle flatterige Kleider und Oberteile. Barbara Casasola zeigte einige sensationelle (hochgeschlossene) Hingucker und Midi-Längen. Kleider und lange Röcke von Temberley London fallen in weichen Wellen. Burberry Prorsum schneidert midi-figurbetont mit weiten Jacken und Mänteln in Pastell und Himbeerrot, zum Anbeißen. Was man in London sah und auch schon in New York auffiel: Es gibt obenherum wenig Ausschnitt, für den Sommer relativ selten Oberarme und damit Haut zu sehen, mit einem Lichtblick: Wenn oben alles zu ist, haben fast durchgehend alle Designer im Frühling/Sommer 2014 immerhin etwas für die sommerliche Beinfreiheit vorrätig. Sonst müssten wir auch Richtung Nordpol auswandern. Beim Anblick des definitiv schönsten Brautkleids in London, das von L'Wren Scott, würden wir nämlich am liebsten lieber im Winter heiraten. Und die Haare lassen wir ganz im sommerlichen Trend: "Undone".
Auch Mailand hat legere Ärmel an lässigen, großen, weiten oder kastenförmigen kurzen Jacken sowie weite Tops über kurze Röcken für SS 2014 zu bieten, bei Fay ist sogar ein Hund zu sehen, bzw. viel Hund: Die Kollektion wurde "Snoopy" gewidmet. Max Mara hat die weiten Sommermäntel in zurückhaltenden Farben, Fendis Kleider flattern dagegen in luftigen und transparenten Lagen sowie sensationellen Farben und Mustern. Armani lässt sowieso schon immer etwas Luft zwischen Haut und Stoff für fließende Eleganz zu, im nächsten Jahr in wunderschönen Pastellfarben und in fließend glänzenden Stoffen, die Grenze zwischen Rock und Hose zerfließt ebenfalls. Gucci hat eine etwas düstere Version des nächsten Sommers in Tiefschwarz mit Glamourfarbsetzung entworfen, die Schnitte im Gegensatz dazu flatterig, leicht und weit. Costume National treibt den neuen, weiten Look auf seine sachliche Spitze in Schwarz-Weiß oder auch leuchtendem Gelb: Drei-Viertel-Hosen, Midi-Längen, weite Oberteile (auch ärmellose) und Westen. Selbst Prada, deren Models als knallbunte, laufende Kunstwerke auftraten, zeigte Mäntel, Midi und Zwei-Zentimeter-Luft im Frühling-Sommer 2014, das gilt aber nicht für die schicken Wadenwärmer, für die der Norden Europas dem Label sicher dankbar sein wird, bei den dort frostigen Frühlingstemperaturen. Die wildesten Farben und Muster hatte aber Emilio Pucci, und zwar ebenfalls in flatteriger, bequemer Weite, und damit so oder so, ob mit oder ohne Hose - viel Beinfreiheit - bei Pucci in schwarzen Schuhen. Viel Schwarz kontrastiert auch die sonstige Farben- und Musterfreude bei Moschino, wo ebenfalls im lässigen, manchmal lustigen (Kühe, Plüschtiere, Fragezeichen, Zeitungsanzug) Trend geschwelgt wurde. Das heißt auch in Mailand ist das Urteil eindeutig: Nichts wird die Trägerin im Sommer kneifen, sondern diese ausschließlich passend einkleiden.
Mit Rochas wird der nächste Frühling hell, glänzend und blumig, in Weiß und Pastell, in Midi und Maxi, leichten, gemusterten Mänteln, zarten, flatternden Dreiviertelhosen, Oberteilen und Kleidern. Bequeme Weiteund Eleganz auch bei Dries van Noten in hellen und dunklen Tönen, wie bei Rochas hier und dort auch Rüschen und Blüten, aber in kräftigeren, dunkleren Tönen. Stella McCartney ganz im Trend bewegungsfreudiger Ärmel, und sie zeigte Spitze, auch als zweite Lage. Dunkle Dreivietelhosen, helle, weite Oberteile fließen bei Laroche und die Röcke und Kleider schwingen gekonnt geschnitten überm Knie. Bei allen: weite Jacken und Mäntel. Julien David hat das alles auch und setzt es in himmlisches-, in Jeans- oder glänzendes Meer-Blau, zartes Grün, Pink, Anthrazit - mit und ohne Grafiken und Mustern. Das beste Abbild für diesen Trend zur neuen, hochgeschlossenen Luftigkeit sind aber die Anzüge von Christophe Lemaire. Issey Miyakes Kollektion ist in Schwarz-Weiß sowie in hellen, schönen Farben und klaren Schnitten geradezu in ihrem Element, genauso wie die von Yang Li, die die Röcke wieder so schön überm Knie schwingen lässt. Gareth Pugh steckt die Frauen noch in Schläuche, allerdings sieht man auch hier zumindest in Details eine Tendenz zu mehr Weite, und das bodenlange, weich fallende Kleid in Mittelgrau und Anthrazit ist der Hingucker schlechthin. Zarte Farben, tragbare Weiten, große Ärmel, viel Beinfreiheit in Blautönen bei Felipe Oliveira Baptista. Carven zeigte Riesen-Jacken - und welche in transparenten Stoffen, schön für einen einen heißen Sommer. Was für Farben dagegen bei Dior. Die Silhouette relativ schmal, aber der Trend (zwei Zentimeter Luft, übergroße Jacken) auch hier deutlich, dennoch die Schnitte und der Look anders, mutig, ausgefallen, extra-klasse. Make Up und Haare: Sogar in Paris setzte sich der Trend (nicht bei allen pur) fort: mehr oder weniger "Undone". Die Friseure und Make-Up-Artisten werden damit ihre liebe Mühe haben.
Hat man diesen Schnitt und das eine oder andere Muster nicht schon irgendwo gesehen? Ja, es gibt bestimmte Stilelemente von Coco Chanel, die Erste, die tragbare Mode für Frauen mit einem mordsmäßig langen Arbeitsalltag schuf. Darin war sie ihrer Zeit weit voraus und im Frühling/Sommer 2014 erlebt der Chanel-Stil ein äußerst vielschichtiges Comeback. Vielleicht huldigen die Designer damit sogar alle ein bisschen Karl Lagerfeld, den alle nur noch, fast schon aufdringlich liebevoll "Karl" nennen. Lagerfeld hat nicht nur fürs französische Modehaus Chanel, und viele weitere Modehäuser, sondern höchstwahrscheinlich auch für das von Haus aus eigentlich eher nicht so elegante deutsche Image mehr getan, als es jedes Diplomatenkorps je vermocht hätte.
Wer hatte denn das erfunden? Trotz der demografischen Entwicklung - Yohji Yamamoto färbte seinen Models sogar die Haare grau und die Augenbrauen weiß - sieht die Mode nun viel luftiger, leichter und damit auch viel jugendlicher und lässiger aus, als die angeblich sexy Presswurstschläuche, die uns in den Modewochen der jüngeren Vergangenheit präsentiert wurden. Das figurbetonte Eingequetschtsein in ein tolles Teil hat zumindest in der Gegenwart offenbar seinen Reiz verspielt. Man will nicht mehr steif wie eine Statue herumstehen, sondern sich in seiner (teuren) Ausstattung endlich auch wieder bewegen können.
Mit diesen Aussichten auf eine neue leichte Bequemlichkeit und viel künftige Bewegungsfreude im nächsten Jahr werden wir den dick eingepackten Winter dieses Jahr jedenfalls einigermaßen ertragen können. Auch die Zeiten quetschender Stiftröcke und seltsam anmutender, knappster Jäckchen scheinen mit dem derzeitigen Abgesang auf alles zu Enge erst einmal vorbei zu sein - diesen Trend kann man also auch getrost auf jetzt schon vorziehen. Und das Beste: Vielleicht gibt's auf den roten Teppichen bald mal wieder etwas anderes als Unterwäsche mit Wadenvolant zu sehen?
2013-10-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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