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Interview Betreuung und Bildung

Interview mit Cornelia Spachtholz, Dipl.-Kauffrau (FH), Mutter eines Sohnes und Vorstandsvorsitzende des Verbandes Berufstätige Mütter e.V. (VBM)
Die Fragen stellte Angelika Petrich-Hornetz

Wirtschaftswetter: Der "Verband Berufstätige Mütter e.V." fordert für Kinder eine Ganztagsbetreuung von 0 bis 14+ Jahren. Wie kann dies in Zeiten von Fachkräftemangel und leeren Kommunen-Kassen finanziert und gewährleistet werden?

Cornelia Spachtholz: Die Frage müsste eigentlich anders lauten: Was kostet es unsere Kinder, unsere Familien, unsere Unternehmen, unsere Volkswirtschaft und unsere gesamte Gesellschaft, wenn wir diese Investitionen nicht tätigen, völlig losgelöst davon, aus welchen Kassen diese Leistung aktuell erbracht werden sollte?

Aber nun zu Ihrer Frage der Finanzierung von der Umsetzung der Forderung des VBM e.V. von Ganztagsbetreuung für Kinder von 0 bis 14+ Jahren:
Rund 200 Milliarden Euro werden jedes Jahr in ehe- und familienfördernde Leistungen eingebracht, die teilweise kontraproduktiv wirken sowie nicht allen Familien zukommen. Die Umverteilung und eine Reform der Maßnahmen, auch die teilweise Abschaffung oder Zusammenführung einzelner Maßnahmen, wäre wünschenswert und zur Finanzierung von Betreuung geeignet - ganz konkret zum Beispiel die Einführung von der Individualbesteuerung mit Berücksichtigung von Betreuungsleistungen für Kinder, Pflege von Angehörigen bzw. besondere Fürsorgeaufgaben an Stelle des Ehegattensplittings. Ein anderes Beispiel ist das Betreuungsgeld, das abgeschafft werden sollte, und die hierfür veranschlagten Mittel dem quantitativen und qualitativen Ausbau der Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur zugeführt werden sollte, auch die Mittel aus Kindergeld und Kinderfreibeträgen können zur Einführung einer Kindergrundsicherung beitragen. Hier sind wir als VBM e.V. zum Beispiel Mitglied im Bündnis Kindergrundsicherung.

Es gibt ausreichend Expertisen mit Handlungsempfehlungen, u.a. aus dem ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung sowie den Ergebnissen der Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen.
Zur Finanzierung von Kinderbetreuung trügen außerdem das Stopfen von Steuerschlupflöchern und eine aktivere Bekämpfung von Steuerverschwendung bei. Auch zu diesem Thema werden regelmäßig Erkenntnisse aus der Zusammenstellung der Steuersünden vom Bund der Steuerzahler veröffentlicht.

Wenn die Versprechen der Bundesregierung(en) wahrgemacht werden würden, 7 Prozent des BIP in Bildung zu investieren (derzeit ist es gerade die Hälfte), bedeutete dies eine generelle "Umfairteilung" von Mitteln aus anderen Ressorts in die Bildung- und nicht nur in die Hochschulbildung, so dass auch Länder und Kommunen unterstützt werden könnten.
Es gilt außerdem zu prüfen, welche Mittel durch eine grundsätzliche Veränderung oder gegebenenfalls sogar die Aufgabe des Bildungsföderalismus zusätzlich frei werden könnten, und zwar unter der Prämisse, dass die Bildungs-Vielfalt erhalten bleibt, aber gleichwohl bundeseinheitliche Standards nicht mehr erst beim Abschluss zur Geltung kommen.
Zum einen könnte innerhalb dieser Neu-Organisation viel eingespart werden, zum anderen könnten unter Umständen weitere positive volkswirtschaftliche Effekte erzielt werden, wenn die angebotene Vielfalt bestimmten bundeseinheitlichen Standards unterliegt, die von der Kita über die Schule bis hin zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse reichte. Anstelle der Priorität länderhoheitlicher Regelungen könnten damit Chancengleichheit, Kostenersparnis und steigende Qualität entstehen.

Die betrieblich unterstützte Kinderbetreuung wird bereits durch den Bund gefördert, dieses Konzept könnte ausgedehnt werden auf Schulkonzepte; viele Unternehmen und Privatpersonen engagieren sich auch bereits beim Thema Schulgründungen. Dafür gibt es einige Beispiele, auch im ländlichen Raum. Schule muss anders organisiert werden: Es bedarf mehr Transparenz und Durchlässigkeit, auch einer intensiveren Einbindung der Bildungs-, Vereins-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen und -träger vor Ort, die Mentorenprogramme und Inhalte der Lehrpläne optimieren können, sowie der Einbindung von freiwilligem Engagement vor Ort.

Ein rohstoffarmes Land wie die Bundesrepublik hat nur den Rohstoff "Humankapital". Also muss in Bildung investiert werden. Es handelt sich um Investitionen, die für die Innovationsfähigkeit unabdingbar sind und somit auch mehr als sich nur amortisieren. Zahlreiche Studien belegen, dass sich die frühe Förderung volkswirtschaftlich lohnt. Gute Bildung (auch in sozialer Hinsicht) in frühem Kindesalter erspart der Gesellschaft viele Folgekosten, die unser gegenwärtiges Bildungssystem produziert, wie zum Beispiel den Schulabbruch von durchschnittlich 8 Prozent der Schulabgänger oder teure Nachbeschulung mit mäßigem Erfolg. Unternehmen können teilweise ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen, nicht ausschließlich mangels fehlender Jugendlicher, sondern auch, weil etliche Jugendliche nicht die erforderliche Ausbildungsreife nach ihrer Schulbildung mitbringen. Nicht zuletzt könnte der Jugendkriminalität entgegen gesteuert werden - diese wird auch durch das beste Bildungssystem sicher nicht ganz beseitigt, aber um Dimensionen reduziert werden können, wenn man Kinder früh integriert und nicht allein lässt. Die tatsächliche Umsetzung des vielerorts propagierten Mottos: "Kein Kind bleibt zurück".

Beim Fachkräftemangel einerseits, aber andererseits auch die noch fehlende Einbindung von Müttern auf allen beruflichen Ebenen, wäre entgegen dem aktuell gelebten Rollen- und Familienbild in Familien und Unternehmen eine verlässliche und qualitativ hochwertige Ganztagsbetreuung von 0 - 14+ Jahren ein großes Puzzlestück zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die heutigen Frauen sind bestens ausgebildet und qualifiziert, werden auf dem Arbeitsmarkt als Fach- und Führungskräfte gebraucht und sind mit einer verlässlichen, bedarfsgerechten Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur ganz anders in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der Fachkräftemangel beschränkt sich ja nicht nur auf die sozialen Berufe, weil Erzieherinnen, Erzieher und Pflegepersonal fehlen.

Wirtschaftswetter: Mit den gesetzlichen Ansprüchen auf Betreuung sollten theoretisch alle Kinder ab einem Jahr bis zur Grundschulzeit versorgt sein. Welche Erfahrungen haben berufstätige Mütter mit ihrem Anspruch machen können oder müssen?

Cornelia Spachtholz: Versorgt? Womit? Quantitativ gesehen - in der Anzahl der Plätze? Praktisch sieht es so aus, dass der Rechtsanspruch lückenhaft ist. Der Rechtsanspruch besteht bei 3- bis 6-Jährigen nur für 7 Stunden täglich, die nicht am Stück angeboten werden müssen. (Faktisch daher nur halbe Tage). Die Zeiten garantieren nur die "Kernzeiten", nicht aber die Randzeiten, damit auch Mütter analog zu Vätern eine reguläre Beschäftigung - inklusive Pendelzeiten zum und vom Arbeitsplatz - aufnehmen können.
Der Rechtsanspruch für U3-Kinder ist zwar nun gegeben, das Betreuungsangebot basiert aber auf Schätzungen und Annahmen einer Inanspruchnahme, die zumindest in den Großstädten aktuell schon nicht mehr dem wahren (Platz-)Bedarf gerecht wird.
Ein großes Thema sind nicht nur die Anzahl der Plätze und die Betreuungsuhrzeiten, sondern auch die Inhalte sowie die Art und Weise der Betreuung, sprich: die Qualität.

Wirtschaftswetter: Wie sieht die Lage nach dem Übertritt in die Grundschule aus - setzt sich die Ganztagsbetreuung auch in den Grundschulen flächendeckend durch - oder fallen berufstätige Grundschul-Eltern immer noch in ein "Betreuungsloch"? Mit welchen Betreuungszeiten können Eltern in Grundschulen derzeit wirklich rechnen?

Cornelia Spachtholz: Es gibt vor allem in den Grundschulen eine zunehmende Zahl von Ganztagsbetreuung. Dieser Ganztag ist aber erstens in den meisten Fällen so organisiert, dass er als reine Betreuung am Nachmittag keine echte schulische Ergänzung darstellt. Die Kinder haben damit trotzdem noch nach der Heimkehr Hausaufgaben zu erledigen, also nach einem langen (Arbeits-)Tag noch nicht "schulfrei". Zweitens: Die Angebote unterscheiden sich von Schule zu Schule in Quantität und Qualität deutlich. Häufig wird Betreuung teilweise nur bis 14:00 Uhr oder 15:00 Uhr angeboten; zunehmend zwar auch bis 16:00 Uhr, aber seltener bis 17:00 Uhr oder darüber hinaus. Drittens: eine Betreuung in den Ferienzeiten (12 Wochen pro Jahr) wird ebenfalls nur individuell in den Schulen angeboten, die von gar keiner Ferienbetreuung bis zu - sehr selten - 12 Wochen reicht, allerdings insgesamt pro Schuljahr.
Sehr häufig sind Geschwisterkinder in verschiedenen Bildungseinrichtungen, sei es in Kita und/oder Schule, untergebracht. Nicht selten liegen die betreuten Ferienwochen dadurch teilweise so diametral gegenläufig, dass die Eltern noch vor einem weiteren Betreuungsproblem stehen. Und ein vierter Punkt ist: Die gegenwärtige Betreuungskultur in Ganztagsschulen ist überwiegend nicht gebunden. Sie ist also "offen" und damit die Teilnahme nicht verpflichtend. Dadurch ist sie auch nicht in den Schulalltag derart integriert, dass man von einer echten Ganztagsschule sprechen könnte. Auch damit zementiert man die Abhängigkeit des Schulerfolgs vom Elternhaus, bzw. schafft diese Abhängigkeit nicht ab, so dass Chancengleichheit nach wie vor nicht gegeben ist.

Wirtschaftswetter: Sie fordern eine durchgehende Betreuung bis mindestens 14 Jahre, viele berufstätige Eltern würden zustimmen, auch weiterführende Schulen mit Mensen gibt es immer mehr, doch in der Praxis sieht es oft so aus, dass sich dennoch für viele Nachmittage für die Altersklasse 10 bis 14 Jahre niemand außer den Eltern zuständig fühlt. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass auch für diese Altersgruppe Betreuung angeboten wird, können diese älteren Kinder nicht ein paar Stunden am Tag oder in der Woche alleine bleiben?

Cornelia Spachtholz: Wir fordern flächendeckend eine gebundene, rhythmisierte Ganztagsschule. Damit entfernen wir uns von der reinen Betreuung und fordern den Umbau der Schule zu einem Lebens- und Lernort. Das schließt natürlich auch Betreuung ein, es ist aber viel mehr. Betreuung im Sinne eines Begegnungsraumes für Kinder auch bis 14+ Jahre ist ungemein wichtig. In unserer modernen Gesellschaft und insbesondere in den Städten haben Kinder gerade im Alter von 10 bis 14 Jahren zu wenig Raum für gemeinsame Begegnung. Wer nicht im Sportverein ist oder einer sonstigen Aktivität nachgeht, hängt meist irgendwo herum, vielleicht zu Hause am PC oder am Rand von Spielplätzen.
Jugendeinrichtungen gibt es zu wenige und diese stehen dauernd am Rand eines Bankrotts, weil es sich um freiwillige Leistungen der Kommunen handelt, die bekanntlich als Erste gestrichen werden, wenn die Kommune sparen muss. Schule könnte der ideale Raum sein, Gemeinsamkeit auch jenseits des "reinen Schulalltags" zu erleben und zu gestalten.

Wirtschaftswetter: Welchen Eindruck hat Ihr Verband von der gegenwärtigen Qualität in der Betreuung?

Cornelia Spachtholz: Eine schwierige Frage, weil Betreuung und Bildung zusammengehören. Sie sind ein nicht auseinander zu nehmendes Tandem. Wir haben eine immense Spanne bezüglich der Qualität von Betreuung: von ausgezeichnet über ausreichend bis mangelhaft - von privaten Kleingruppen bis zu länderspezifisch festgelegten Gruppenstärken, die alle Expertenempfehlungen unterlaufen, von vielfältigen Angeboten bis zu reiner Betreuung, von Unterforderung bis teilweise auch Überforderung der Kinder. Das Spektrum ist sehr groß - und immer noch abhängig vom Geldbeutel der Eltern, daher in vielen Aspekten stark verbesserungsfähig. Die (mangelnde) Qualität darf aber nicht allein den Erzieherinnen und Erziehern sowie den Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern angelastet werden: Solange die Gesellschaft diesen Berufen so wenig Anerkennung zubilligt und nicht sieht, wie bedeutend eine gute (Betreuungs- und Bildungs-) Infrastruktur für die Kinder von klein an und für die Gesellschaft insgesamt als solche ist, wird das Chaos im Sinne von fehlenden Qualitätsstandards, mangelnder Durchlässigkeit und Intransparenz in unserer Betreuungs- und Bildungslandschaft noch lange anhalten.

Weitere Informationen: Verband berufstätige Mütter e.V.


2013-10-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz und Gesprächpartnerin Cornelia Spachtholz
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