von Angelika Petrich-Hornetz
Bisher bin ich nur ein einziges Mal operiert worden, eine Routine-OP, ganz einfache Sache - und es ist auch schon sehr lange her. Aber ich weiß noch, wie ich in den Operationssaal gefahren wurde, lauter nette, aufmunternd und verständnisvoll lächelnde, junge Menschen waren dort, die so mitfühlend mit mir sprachen, dass auch ich schwach zurück lächeln konnte.
Bevor jedoch der Gedanke an das Wort "Studenten" in meinem damals noch jungen, unerfahrenen und dazu noch sedierten Schädel überhaupt komplett auftauchen konnte, war ich schon weg - und wachte etwas später mit einer "ein bisschen" zu lang geratenden Operations-Narbe wieder auf.
Nun ja, sonst war alles, wirklich alles, alles ok, nur eben war die Narbe ein klitzekleines Etwas zu lang geraten. Man teilte mir nachher ähnlich mitfühlend lächelnd mit, man musste "etwas suchen". Ich kann es bis heute verkraften, und man muss ja auch üben, "der Jugend eine Chance", gerade das war schon immer wirklich gar kein Problem für mich.
Doch es gibt kompliziertere Operationen als diese, bei denen sich nicht mehr die Frage stellt, wer diese oder jene OP überhaupt machen kann oder könnte, vielleicht der oder der, die oder die. Bei solchen kommt es dann tatsächlich auf jeden Millimeter und das Können der Mediziner an. Viele Jahre nach meiner eigenen Operation hatte ich die Gelegenheit, einige Operateure kennenzulernen. Sie waren alle auf ihre Art und Weise etwas egozentrisch, auch wenn sie sehr nett sein konnten - wenn sie wollten, oder gerade Zeit dafür hatten, am Rande eines geradezu irre getakteten Krankenhausalltags.
Sie konnten aber auch den ganzen OP zusammenbrüllen, mitfühlende Verwandtschaften im Dutzend oder ganze Kohorten selbstloser Ehegatten sowie die wohlmeinensten, "besten Freunde" im Rudel mit hier nicht wiederholbaren Worten aus einem Krankenzimmer befördern - wenn dies zum Wohle des Patienten gesagt und getan werden musste. Dabei war es nebensächlich, ob es sich um eine Ärztin oder einen Arzt handelte. Fehlte es diesen etwa an der für den Beruf notwendigen Sozialkompetenz?
Nein. Sie taten das, weil sie genau wissen, was zu tun ist und weil sie medizinisch, richtige Entscheidungen treffen können und müssen, manchmal von einer Sekunde auf die andere, und zwar gerade, weil sie die schnellere und bessere Auffassungsgabe besaßen, weil sie besser rechnen und kombinieren konnten als alle anderen. Nicht-Mediziner haben so viel Ahnung von Medizin wie etwa eine Tänzerin von Traktoren und umgekehrt. Reicht der Vergleich? Oder würde sich, anderes Beispiel, ein Maschinenbauingenieur etwa in das Fach eines Chemikers einmischen, von dem er, Natur der Sache, nur (fast gegen) null Ahnung haben kann?
Zum Glück nicht. Und zum Glück für die davon betroffenen Patienten, für die beileibe nicht nur eine verständnisvolle Ärztin oder ein mitfühlender Arzt, sondern genauso deren Technik, Können und Genauigkeit (über-)lebenswichtig sind. Das macht manche Vertreter dieser Zunft aber gerade für Außenstehende vielleicht zeitweise etwas undurchschaubar. Und das gilt bis heute - und genauso für andere Berufsgruppen. Verstehen Sie z.B. einen Physiker auf Anhieb? Wenn mir jemand die Funktion eines Flugzeuggetriebes erklären will, verstehe ich im schlechtesten Fall nur Bahnhof, im besten habe ich alles in fünf Minuten wieder komplett vergessen. Möchten Sie sich von mir ein Flugzeug konstruieren lassen? Warum sollte also ausgerechnet so etwas Kompliziertes wie ein Medizinstudium plötzlich nicht mehr von den Besten eines Jahrgangs angestrebt werden? Sollen künftig die Zweitbesten am offenen Herzen operieren?
Sind wir nicht alle Genies? Bestimmt, aber jeder auf seine eigene Art und Weise - und schließlich sind wir auch alle gleichzeitig das glatte Gegentteil davon, wenn es sich nicht um unser eigenes Metier handelt. Natürlich muss niemand gut rechnen können, wenn er nicht gerade Arzt/Ärtzin, Flugzeugbauer/in und dergleichen werden will. Und niemand muss hundert Seiten Text auswendig lernen können, und auch noch richtig, wenn er oder sie nicht gerade Schauspieler/in oder Jurist/in werden will, geschweige denn Klavier spielen können, wenn man sich zur Marine, zum Handwerk, zum Tiefbau oder sonstwohin, wo der Klangkörper später eher ein Feierabendvergnügen bedeutet, berufen fühlt. Niemand? Aber: jemand!
Es gibt für viele medizinsche Hochschulen wieder die Möglichkeit an dem (zehn Jahre, bis 1996 routinemäßig eingesetzten) Test für medizinische Studiengänge (TMS) teilzunehmen, mit dem die Chancen auf einen Studienplatz, deutlich verbessert werden können. Es geht gerecht zu. Wer dort durchfällt hat immer noch die gleichen Chancen, wie diejenigen, die an dem Test gar nicht teilgenommen haben. Man kann sich also nur verbessern. Abgefragt werden mit dem Test u.a der Umgang mit komplexen Informationen, die Merkfähigkeit, die Genauigkeit der visuellen Warhnehmung, das räumliche Vorstellungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit und sorgfältiges Arbeiten. All das brauchen Ärzte. Mit diesem Test ist es möglich, dass Schüler mit einem schlechteren Abiturdurchschnitt diejenigen mit einem besseren Abitur überholen - und damit ein Medizinstudium aufnehmen können.
Dass aber die Bewerberzahlen die vorhandenen Studienplätze in Deutschland jedes Jahr aufs Neue bei weitem übersteigen, daran werden kein bewährter Test und auch keine neuen Auswahlverfahren etwas ändern können.
2013-10-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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