von Angelika Petrich-Hornetz
Über die so genannte "Mütterrente" (für Mütter von vor 1992 geborene Kindern) wird derzeit ähnlich lebhaft gestritten wie noch vor kurzem über die so genannte "Herdprämie" (eigentlich: "Betreuungsgeld"). Ob diese beiden Sozialleistungen nun sinnvoll sind oder nicht, sei dahingestellt, obwohl man schon erwähnen sollte, dass nicht wenige Sozialpolitiker längst wissen sollten, dass sich gerade durch die Finanzkrise zeigte, dass die bislang einzige sichere Altersvorsorge in der Herstellung und Pflege einer nächsten, arbeitsfähigen Generation bestand,. Man daher die Leistung der sie aufziehenden Mütter und Väter möglicherweise künftig nicht mehr so links liegen lassen, wie bisher. Die Finanzierung der Mütterrente ist ähnlich wie beim Betreuungsgeld einer der Hauptstreitpunkte, in die von der Großen Koalition durch ihre Ankündigung, die Rentenbeiträge nicht wie geplant zu senken, reichlich Öl gegossen wurde.
Was viele aber nicht wissen, ist, dass gegen die bisherigen Regeln der Anrechnung von Kindererziehungszeiten lange vor der politischen Diskussion über die Einführung einer solchen Mütterrente bereits in mehreren Bundesländern Klagen eingereicht und inzwischen auch einige davon verhandelt worden sind, deren Ziel es war oder ist, eine erlittene Benachteiligung durch eine aus der Sicht der Klagenden willkürlichen Jahresgrenze 1992 abzuschaffen und damit für alle Mütter eine gleiche Anrechnung zu erreichen. Bislang urteilten die Gerichte jedoch im Sinne des Gesetzgebers für die bestehende Stichtagsregelung, u.a. gerade weil Stichtagsregelungen in der Sozialgesetzgebung nicht nur üblich, sondern auch ausdrücklich vorgesehen und damit erlaubt sind. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte bisher schon mindestens eine solche Klage zur Gleichstellung älterer und jüngerer Mütter abgelehnt. Dennoch könnten sich die häufenden Prozesse zur Mütterrente auf die Politik ausgewirkt haben, zumindest auf den Wahlkampf, und die schwarz-rote Koalition einigte sich im Koalitionsvertrag darauf, diese Stichtags-Gleichstellung der Mütter nun herbeizuführen - und nicht etwa eine grundsätzliche.
Die Klagen im Um- und Vorfeld dieser Einigung machen aber auch deutlich, dass einige der älteren Mütter-Generation offenbar keineswegs mehr zum Verzicht zugunsten einer jüngeren Mütter-Generation bereit sind, während diese jüngere Mütter-Generation, sofern sie berufstätig ist, jedoch nun ihrerseits auf eine Rentenbeitragssenkung zugunsten älterer Mütter und zu Ungunsten ihrer eigenen, der jüngeren, berufstätigen Müttergeneration verzichten muss, womit sich eine berechtigte Frage ergibt:
Warum klagen junge Frauen nicht ähnlich wie ihre älteren Kolleginnen nun auch auf eine Angleichung, bzw. gegen die vielen Benachteiligungen, die ihnen selbst aufgebürdet werden? Denn, wo keine Klage existiert, da ist bekanntlich auch kein Richter.
Ein Hauptargument bei den Streiterinnen für die Mütterrente lautet sowohl in Prozessen als auch in zahllosen politischen Pro-Statements, die älteren Mütter würden gegenüber den jüngeren Müttern benachteiligt, zumal es früher angeblich viel weniger Kinderbetreuungsmöglichkeiten gegeben hätte. Das müsste in den Ohren heutiger Mütter, die immer noch händeringend Betreuungsplätze suchen, wie blanker Hohn klingen. Und wer so kleinkariert aufrechnet, wird sich dann aber auch die deutlichen Benachteiligungen jüngerer Mütter gegenüber älteren Müttern anhören müssen. Es gibt dabei gleich mehrere Felder, auf denen dies der Fall ist, u.a. die so genannte Witwenrente (die auch für Witwer gilt).
Die lebenslänglich gezahlte Witwen- und Witwerrente allein stellt satte 23 Prozent (Stand 2011) der Rentenausgaben, davon sind 84 Prozent Witwenrenten und 9,6 Prozent Witwerrenten. Von diesen so genannten Renten wegen Todes profitieren gegenwärtig vor allem Frauen, wegen ihrer höheren Lebenserwartung und wegen der unterschiedlichen Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen Männern und Frauen. Die älteren Frauen der so genannten Mehrfachrentnerinnen, die sowohl Renten aus eigener Erwerbstätigkeit, Versicherung als auch aus der Hinterbliebenenversorgung beziehen, erhalten durchschnittlich immer noch eine höhere Hinterbliebenenrenten als eigene Renten (Stand 2010: durchschnittlich 607 Euro Witwenrente und 490 Euro eigene Versicherungsrente, siehe Quellen).
Frauen, die in der Vergangenheit keine Kinder großgezogen haben und gleichzeitig ökonomisch erfolgreich geheiratet haben, geht es im Alter am besten, sie haben die höchsten Rentenansprüche. Zugleich sind auch geschiedene Frauen früher geschlossener Ehen deutlich besser versorgt, als jüngere, geschiedene Mütter, die seit der Unterhaltsrechtsreform nach einer gescheiterten Ehe für sich selbst sorgen müssen, selbst, wenn sie nach der Trennung (mehrere und jüngere) Kinder allein zu betreuen haben. Ausnahmen sind hier in der Regel immer Einzelfallentscheidungen. Auch der Geschiedenen-Unterhalt ist ein Art der Versorgung, die durch ihr Nicht-Mehr-Existent-Sein jüngere Frauen, vor allem jüngere Mütter deutlich gegenüber älteren Frauen und Müttern benachteiligt, und zwar mit Stichtag. Ähnlich sieht es auch bei der (ebenfalls lebenslänglich ausgezahlten) Witwenrente für Geschiedene aus, also bei Ehen, die vor dem Stichtag 1. Juli 1977 geschieden worden sind: Die Geschiedenen-Witwenrente - inklusive der so genannten "Geschiedenen-Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten", beides dürfte jüngeren Frauen kaum noch ein Begriff sein - ist seitdem ganz abgeschafft, so dass nach 1977 geschiedene, hinterbliebene Ehepartner nur noch eine Erziehungsrente für ihre zu betreuenden Kinder erhalten.
Von den rund 25,18 Millionen Renten im Jahr 2012 (siehe Quellen) für etwa 20,61 Millionen Rentner waren rund 5,42 Millionen Witwen- und Witwerrenten. 2012 betrugen die Rentenausgaben rund 229 Milliarden Euro, inklusive 16 Milliarden Beitragsanteile zur Krankenversicherung der Rentner (Rentenausgaben 2011: 225 Milliarden Euro). Davon entfielen rund 35 Milliarden Euro (2013: rund 38 Milliarden Euro) auf Witwen- und Witwerrenten, die Waisenrenten kamen auf 721 Millionen Euro.
Der Leistungssatz der so genannten großen Witwenrente (bisher: ab 45 Jahre, ansteigend wie Renteneintrittsalter, 2029: ab 47 Jahre) für Ehepartner aus Ehen, die nach dem Stichtag 31.12.2001 geschlossen wurden, beträgt 55 Prozent. Große Witwenrenten, die vor diesem Stichtag geschlossen wurden, und, bei der einer der Ehepartner zudem vor dem 2.1.1962 geboren sein muss, liegen noch bei 60 Prozent und genießen damit so genannten Bestandsschutz, zusätzlich wird eigenes Einkommen wie z.B. aus privaten Versicherungen, Betriebsrenten und Vermögen, anders als nach dem Stichtag, für diese älteren Verwitweten nicht angerechnet.
Diese Stichtage sind dabei genauso willkürlich gewählt, wie das der für vor und nach 1992 geborene Kinder bei den rentenwirksamen Kindererziehungszeiten, womit verwitwete Mütter der jüngeren Generationen gegenüber verwitweten Müttern älterer Generationen eindeutig ähnlich benachteiligt werden. Doch eigens für diese Absenkung der Witwenrente von 60 Prozent auf 55 Prozent für jüngere Ehen sowie ebensolche Hinterbliebene hat der Gesetzgeber den Kinderzuschlag als Ausgleich eingeführt, nämlich eine Erhöhung der rentenwirksamen Kindererziehungszeiten auf drei Jahre. Eine sich daraus ergebende Frage lautet, ob dieser auf drei Jahre verlängerte "Kinderzuschlag" nun auch unter die "Mütterrente" der Großen Koalition fällt bzw. auch älteren, verwitweten Müttern zugesprochen werden soll und ob diese dann weiterhin auf ihren alten Leistungssatz einer Witwenrente von 60 Prozent bestehen können? Schließlich ist in der Witwenrente der Kinderzuschlag eigens und ausdrücklich als Ausgleich zur Absenkung des Leistungssatzes eingeführt worden. Wenn ältere Witwen nun auch drei Jahre Kinderzuschlag verlangten, müssen sie auf ihren Bestandsschutz mit höherem Leistungsatz verzichten oder umgekehrt?
Angesichts der unzähligen Stichtagsregelungen und der daraus nur zu offensichtlichen Benachteiligungen jüngerer Sozialversicherter und späterer Renten-Empfänger, wundert es schon, warum diese jüngere Generation nicht auch auf die Idee kommt, zum Beispiel auf eine Angleichung des Leistungssatzes ihtrt der Witwen- und Witwerrente auf 60 Prozent zu klagen? Handelt es sich etwa um eine Generation, die sich damit abgefunden hat, selbst immer weniger zu bekommen, aber immer mehr für die Finanzierung der vorherigen (und nachfolgenden Generation) in die Sozialsysteme einzubezahlen? Oder ist die mittlere, die so genannte "Sandwich-Generation", zeitlich derart ausgebucht und eingespannt, dass ihr schlicht die Gelegenheit dazu fehlt?
Wenn dem so ist, dass die jüngeren Witwen und Witwer keine Zeit habe oder nicht auf die Idee kommen, auf eine Angleichung der Hinterbliebenenrente nach oben oder einer Wiedereinführung der "Geschiedenen-Witwenrente" oder auf eine Nichtanrechnung von Betriebsrenten auch für nach 1962 geborene Hinterbliebene oder auch für nach 2002 geborene verwaiste Kinder zu pochen, müsste die Politik äußerst dankbar sein - für diesen ihr offenbar geschenkten "Gestaltungsspielraum". Es handelt sich um eine offenbar (noch) sehr nachsichtige und geduldige junge Generation. So ergibt sich die Gelegenheit, u.a. die Hinterbliebenen-Rente nicht etwa für die jüngere Generation heraufsetzen zu müssen, sondern diese auch für Witwen und Witwer aus Altehen von vor 2001 auf 55 Prozent herabzusetzen sowie eine weitere Entrümpelung von alten Privilegien: So könnte auch die Geschiedenen-Witwenrente insbesondere die "Geschiedenen-Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten" für vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehen ganz abgeschafft werden, insbesondere für kinderlose Ehen. Ob die Sozialversicherungsgemeinschaft tatsächlich die persönliche Lebensgestaltung älterer Verwitweter oder Geschiedener, mit mehreren Lebensabschnitts-Partnern bezahlen muss, die sich die jüngere Generationen längst nicht mehr leisten können, ist eine Frage, die angesichts der großzügigen Versorgung zumindest einiger Teile der älteren Generation und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung gestellt werden muss. Auch Bestandschutz muss Grenzen haben, wenn die Einkommenschere auch in der Rente immer weiter auseinanderklafft. Warum gerade ältere, kinderlose Witwen und Witwer gegenüber jüngeren, die womöglich auch noch kleine Kinder zu versorgen haben, in der Hinterbliebenenversorgung grundsätzlich besser gestellt werden (große und kleine Witwenrente) ist eine weitere Frage, die gestellt werden muss. Abgesehen davon ist auch die Erhöhung des Renteneintrittsalters (und mit ihr auch die Altersgrenzen in der Hinterbliebenenrente von 45 auf 47 Jahre) eine reine Stichtagsregelung, und stellt damit ebenfalls eine Benachteiligung ausschließlich jüngerer Betroffener dar.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, das bleibt anderen überlassen, noch zwei weitere Beispiele in der Sozialversicherung, durch die die jüngere Generation dahingehend benachteitigt wird, dass sie allein für diese Versorgung aufzukommen hat und zwar für Begünstigte, die zum Teil selbst, ebenso wenig deren verstorbener Ehepartner, keinen einzigen Cent dafür in die Sozialsysteme eingezahlt haben: Die Witwenrente in der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz plus die Abfindung in Höhe der 50-fachen monatlichen Grundrente bei Wiederverheiratung (in der normalen Hinterbliebenenrente übrigens "nur" der 24-fache) inklusive des Wiederauflebens der Witwenrente bei Trennung. Erst im Jahr 1998 wurde das Bundesversorgungsgesetz immerhin dahingehend geändert, dass Kriegsverbrecher keine Versorgung aus der Kriegsopferfürsorge mehr erhalten sollen, die Ländersache ist, allerdings erst, nachdem die Presse solche Fälle aufgedeckt hatte.
Außerdem das Sterbegeld der gesetzlichen Krankenkassen (das Sterbegeld und das Bestattungsgeld des Bundesversorgungsgesetz s.o. besteht fort), das schließlich ebenfalls mit einem Stichtag (01.01. 2004) ganz abgeschafft wurde und seitdem Beerdigungen im Familienkreis ausschließlich für jüngere Generationen deutlich verteuert hat, die allerdings für die Altfälle zum Teil noch mit ihren Beiträgen bezahlt haben. Es würde an dieser Stelle tatsächlich zu weit führen, all die vielen Leistungen aufzuzählen, in deren Genuss nur noch die älteren Generationen bis heute kommen, für den allein die aktiven Beitragszahler aufkommen müssen, aber in den diese selbst nie mehr kommen werden.
61 Prozent der Rentnerhaushalte und 80 Prozent der Rentner- und Pensionärshaushalte hatten 2008 ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 1500 und 5000 Euro. Die höchsten Alterseinkommen von Frauen hatten 2011 in den alten und neuen Bundesländern Frauen ab 65 Jahre ohne Kinder Die größte Abgabenlast, sowohl bei Steuern als auch bei den Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung, trugen 2011 dagegen die privaten Haushalte von Paaren mit Kindern.
Allein die Aufgabe des Bestandsschutzes, und damit u.a. die Herabsetzung des Leistungssatzes der Witwen- und Witwerrente für Altehen auf 55 Prozent, die Abschaffung der Geschiedenenrente für Alt-Gesschiedene und ein paar weitere Spezifitäten hätten sicher ein paar Milliarden Einsparungen zur Folge, die mit weiteren Überflüssigkeiten die neue Mütterrente für ältere Mütter wahrscheinlich gleich zweimal gegenfinanzieren könnten (die Mühe der exakten Berechnung überlässt die Autorin gern den dafür Zuständigen und Verantwortlichen).
Die Mütterrente ist schon deshalb etwas gerechter als sämtliche Alt-Witwenrenten, Alt-Geschiedenenrenten sowie großzügige "Rentenabfindungen" für den "Start in ein neues Eheleben" und ähnliche überholte Altlasten, weil sie nicht ausschließlich älteren, ehemals ökonomisch "richtig" Verheirateten sowie ebensolchen Geschiedenen einseitigen Bestandschutz erteilt, der diesen kinderunabhängig zu gute kommt, sondern den äußerst wichtigen Faktor Kind in der Bestandssicherung des ganzen Rentenumlagesystems wenigstens etwas mehr würdigt. Verlieren würden bei der Abschaffung luxuriöser Alimentierung auch ganz gewiss nicht alle "alten" Mütter, sondern nur jene Alt-Witwen und Alt-Geschiedenen, die sich bei der Mütterrente zwar dermaßen benachteiligt fühlten, dass sogar einige bzw. deren Ehemänner vor Gericht zogen, die aber offenbar umgekehrt noch nicht ihre eigenen Privilegien gegenüber sämtlichen nie verheiratet gewesenen, alleinerziehenden Müttern sowie verheirateten Müttern der aktuell jungen Generation überhaupt zur Kenntnis genommen haben oder diese einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Das sollten sie aber, denn diese sind ihre aktuellen und künftigen Finanziers.
Fazit: Grundsätzlich ist es gut, wenn in der Rentenversicherung Mütter für ihre große Leistung, fleißige Sozialversicherungseinzahler kostenlos großgezogen zu haben, von denen vorwiegend andere als sie selbst profitieren, darunter besonders priviligiert die sehr gut einzahlenden Rentversicherten, in dieser Versicherung endlich besser berücksichtigt werden. Das sollte aber für alle Mütter gelten. Die Argumentation, ältere Mütter hätten es gegenüber jüngern Müttern angeblich schwerer gehabt, ist eine ungeprüfte (erstaunlich im Computerzeitalter nämlich möglich) Vermutung, die in Einzelfällen zutreffen mag, im Großen Ganzen wohl eher nicht, womit die unmittelbar Betroffenen, in diesem Fall Mütter gegen Mütter, in Stellung gebracht werden, eine übliche Vorgehensweise, wenn man an vorherrschenden Strukturen grundsätzlich nichts großartig ändern und eine echte Reform vermeiden will.
Update 2021: Nach zwei Jahren Corona-Pandemie dürfte das immer wieder vorgebrachte Argument, jüngere Mütter hätten es einfacher, wohl noch mehr hinken als bereits zuvor.
Quellen: bpb.de, deutsche-rentenversicherung.de
2014-01-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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