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U-Boot-Bunker Valentin

Badefreuden im Schatten eines alten Monstrums

von Birgid Hanke

Eigentlich ist das Fahrtziel bekannt, wurde zielgenau angesteuert. Dennoch: Der Anblick ist erschreckend, wenn U-Boot-Bunker Valentin trotzdem unvermutet über den steilen Spitzdächern einer bescheidenen Einfamilienhäuschensiedlung auftaucht. Ein Schlag auf den Solarplexus, der ein Gefühl dumpfer Beklommenheit hinterlässt. Wie lebt es sich in unmittelbarer Nachbarschaft dieses grauen Monstrums?

Ob die Anrainer diesen Klotz schon gar nicht mehr bemerken oder seine wuchtige Präsenz einfach ignorieren? Zumindest den Eigentümern des letzten Hauses vor dem Bunker scheint es nicht zu gelingen. Unterscheiden sich die Gärten ihrer Nachbarn mit Blumenrabatten, rechteckiger Rasenfläche mit Planschbecken in der Mitte und kleinem Gemüsebett in nichts von denen anderer deutscher Wohnsiedlungen in örtlicher Randlage, haben diese Bewohner die Freifläche hinter ihrem Haus als Terrassengarten angelegt. Es sind ungewöhnlich hohe Treppen, die von der Hinterfront hinunter in das erste Drittel des Grundstücks steil fallen. Als Baumaterial dient Waschbeton, dessen Grau durch das Grün der kärglichen Bepflanzung schimmert. Die Jalousien der Fenster sind herunter gelassen; blickdicht. Wegen der heißen Mittagssonne? Sind die Bewohner verreist ?
Oder benötigen sie tagtäglich diesen Sichtschutz, weil sie den Anblick von nebenan einfach nicht mehr ertragen?

War man sich bei Anlage dieses „Treppengartens“ bewusst, damit Ecken und Kanten, ja sogar partiell die Rauheit des monströsen Nachbarn aufzugreifen? Oder ist es gar ein gewolltes Zitat?

Verständlich im Nachhinein erscheint der Wunsch der anliegenden Bewohner aus den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts: Sie begehrten, den riesigen Bunker zu einem Hügel aufzuschütten. Nach ihren Vorstellungen sollte er unter einer dicken Erdschicht verschwinden. Ihr Wunsch wurde nicht erfüllt.

U-Boot-Bunker Valentin verschwand dennoch jahrzehntelang, zumindest kartografisch, indem man diesen riesigen Komplex bis 1989 einfach aus sämtlichen Landkarten wegretuschierte. Es war in den Zeiten des kalten Krieges, als die Bundeswehr Bunker und Gelände nutzte. Auch aus dem Gedächtnis der Region schien er jahrelang gestrichen, ehe man den „Koloss von Farge“, den seine Erbauer sich sogar verstiegen, als „achtes Weltwunder“ zu bezeichnen, nach und nach neu entdeckte. Man begann, sich mit seiner Geschichte auseinander zu setzen.
Richtig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte er jedoch erst wieder durch eine mittlerweile legendäre Theaterinszenierung. Mit der Aufführung von „Die letzten Tage der Menschheit“ seines Landsmanns Karl Kraus gelang es dem Theatermacher Hans Kresnik, zwischen 1998 und 2004 an die 40.000 Besucher in den abgelegenen Westen Bremens zu locken. Sie kamen per Schiff über die Weser direkt aus dem Zentrum Bremens.

„Ich fand es schrecklich, irgendwie pervers. Da wurde Krieg gespielt, vor uns aufgeführt, für uns inszeniert, während ich doch wusste, dass hier hinter diesen dicken Mauern die Leichen zahlreicher Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener für immer eingemauert sind. Das konnte ich während er ganzen Aufführung einfach nicht vergessen. Und in der Pause haben wir dann draußen am Weserufer Sekt getrunken.“
Die Erinnerungen dieser Besucherin an ihren Theaterabend im Bunker sind ambivalent, der Tenor der Kritiken war weniger verhalten.

In seiner Substanz blieb „Bunker Valentin“ bis heute als „Bauwerk des Größenwahns“ nahezu unverändert erhalten. Mit seinen 35.375 Quadratmetern Grundfläche, was etwa der Größe von fünf Fussballfeldern entspricht, ist er flächenmäßig der größte Bunker Deutschlands und der zweitgrößte in Europa. In seiner Länge erstreckt sich das Gebäude über 426 Meter Richtung Weserufer. Seine Breite beträgt im Osten 67 und im Westen 97 Meter. Die Dicke seiner Betonwände liegt zwischen 4,5 und 7 Metern.

Lange diente der von einem Militärzaun mit Warntafeln geschützte Bunker als Marinedepot. Aber seit die Bundeswehr 2004 bekannt gab, diesen Standort bis Ende 2010 aufzugeben, herrscht Unsicherheit, wie sich eine weitere Nutzung gestalten sollte. Einig ist man sich eigentlich nur, dass dieses Bauwerk erhalten werden muss. Aber „einfach den Bunker in das allgemeine Vermögen des Bundes zu überführen und zum Verkauf anzubieten, ist keine angemessene Lösung“, meinte Bremens Bürgermeister Böhrnsen, genauso wenig die Idee, alles brach liegen zu lassen und einfach den Zaun zu erhöhen.

Am ehesten könnte sich noch der mit diesem Gedanken befreunden, hat sich doch im Laufe der Jahre auf dem Gelände eine tierische Artenvielfalt entwickelt, die bereits schützenswert erscheint. Ob zu dieser schützenswerten Gattung auch der Fuchsbandwurm zählt, vor dem das Schild unmittelbar vor einem dicht bewachsenen Trampelpfad entlang des Militärzauns ausdrücklich warnt? Zahlreiche Fledermäuse haben sich inzwischen in dem dunklen Gemäuer angesiedelt.
Allein die Unterhaltskosten des Bunkers betragen jährlich 700.000 Euro. Der Bremer Senat bewilligte im März 2009 einen Betrag von 150.000 Euro, um eine wissenschaftlich fundierte Konzeption zu entwickeln. Längst nicht genug. Alles in allem auch wieder eine finanzielle Frage, wie die Entwicklung einer Gedenkstätte für dieses „monströse technische Denkmal mit seiner für das NS-System kennzeichnenden Verschränkung von Modernität und Barbarei“ sich in Zukunft gestalten wird.

Mangels offizieller Anmeldung verweigert der Pförtner direkten Zutritt auf das Gelände, damit auch Zugang in das Gebäude. Seine Weigerung wirkt wie eine Erlösung. „Ich muss da nicht rein.“ Ein erleichterter Seufzer entweicht der Brust. Im Vorfeld des Besuchs einfach nur vergessen oder verdrängt, den offiziellen Amtsweg nicht beschritten und eine Besuchererlaubnis erwirkt zu haben?
Der äußere Anblick genügt, um eine Vorstellung von dem Leid und Elend der Menschen, die hinter diesen Mauern schufteten und darbten, die dort für immer begraben liegen, in ganzer Last und Bedrückung zu entwickeln. Offiziell sollen tausend Menschen den Tod gefunden haben, dabei wird jedoch vermutet, dass es tatsächlich sechstausend Polen, Russen, Franzosen und Deutsche - Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer- waren, die während des Baus von U-Boot Bunker Valentin zwischen 1943 und 1945 starben.

Der Franzose Raymond Portefax mit der Häftlingsnummer 37174 ist einer der wenigen, der dieses Martyrium überlebte. „Abgetrennte Finger, brandige Wunden, eitrige Entzündungen und Furunkel sind noch die harmlosesten Krankheiten. Einige spucken Blut, anderen wieder zittern vor Fieber und sind hergekommen, um noch einmal eine Bronchitis oder eine Lungenentzündung bescheinigt zu bekommen“, erinnert er sich an seine Leidensgenossen, die sich noch bis zum Lazarett schleppen konnten.
Das am 17. September 1983 von den Künstler Fritz Stein gestaltete, vor dem Eingangsbereich errichtete Mahnmal benennt diese: „Vernichtung durch Arbeit“ und erinnert an die zehntausend Häftlinge, die hier ihre Fronarbeit verrichteten.

„Natürlich können Sie außen herum gehen, Sie können auch fotografieren. Das alles kann ich ihnen nicht untersagen. Ich darf Sie nur nicht auf das Gelände lassen?“ wiederholt der uniformierte Pförtner. Vielleicht könnte er doch eine winzige Ausnahme machen?

Ein roter Feuerwehrkombi rauscht zum Eingangstor. Der Fahrer springt kurz heraus, bekommt in Sekundenschnelle einen Besucherausweis an die Brust geheftet, lässt sich wieder auf den Fahrersitz fallen und braust davon. Er war angemeldet. Der Pförtner scheint Gedanken lesen zu können.
„Wenn Sie jetzt dem Feuerwehrwagen hinterher fahren würden, hätte ich morgen meinen Arbeitsplatz verloren.“ Er scheint ein bisschen ärgerlich, was seinen polnischen Zungenschlag verstärkt.

Es ist ein kleiner Spaziergang, fast ein halber Kilometer, der entlang des Militärzauns vor grauen Bunkerwänden bis zum Weserdeich führt. In der mittäglichen Hochsommerhitze wird es ein gemächliches Flanieren. Ein hohes Baustellenschild mit zahlreichen Firmenlogos, Bundes-und Landeswappen verkündet vom, dem Klimawandel geschuldeten riesigen Vorhaben Deicherhöhung, liefert Erklärung für die vielen geschäftig hin-und her fahrenden LKWs. Ihre breiten Reifen hinterlassen riesige Staubfahnen auf der Fahrspur. Ein kleiner Bagger brummt dazu und schaufelt eifrig Sand und Geröll. Die Baustelle ist für Fußgänger passierbar. Ein schmaler Weg schlängelt sich hinauf zum Deich. Hinter einem Sandhaufen, einmal um die Ecke gebogen, bleibt man auf der Deichkrone überrascht stehen.

Welch ein Flirren und Glitzern! Ein strahlend blauer Himmel wölbt sich über der norddeutschen Flusslandschaft. Grün das Ufer, ockerfarben der Strand, silbrig das Wasser. Seine Wellen glucksen an den Sandstrand einer winzigen Bucht Kinder spielen im Schilf der Uferbewachsung. Im Schutz einer ausladende Weide steht eine rotblaue Strandmuschel. Auf einem Badelaken daneben räkelt sich ein dunkelbraun gebranntes Pärchen. Über Badebucht und hinter grünem Weserdeich thront der Bunker in seiner düsteren Wuchtigkeit. Sein Schatten fällt genau auf die Baustelle. Die LKW-Fahrer wissen zu schätzen und bugsieren ihre schweren Gefährte in den Sonnenschutz.

Ein dunkelblaues Containerschiff gleitet langsam über die Mitte der Weser, schickt sich an, den Bunker zu passieren. Blendendes Glitzerwasser, schwarze Bunkerwand, helles Grün der Uferwiesen und das große Schiff. Ein Motiv! Viel zu schnell ist es jedoch um die Bunkerecke verschwunden. Es ist nicht gelungen, dieses Bild mit der Kamera einzufangen.
„Sie müssen nur zehn Minuten warten, da kommt schon das nächste Schiff, schauen Sie mal da hinten, das ist ein richtiger Brummer“, tröstet ein Passant, der auf dem Deich steht, dort die hochsommerliche Aussicht auf Wasser, Schiffe und Felder genießt. Er weist mit ausgestreckter Hand hinaus auf den Horizont. Erst sieht es aus, als würden sich Antennen und weiße Schornsteine durch grüne Wiesen schieben. Dann wird der weiße Aufbau eines Containerschiffes erkennbar und schließlich taucht der „Brummer“ in seiner ganzen Pracht und Größe in der Mitte der Weser auf.

„Der will zum Neustädter Hafen.“ Woanders könnte er im Bremer Stadtgebiet auch gar nicht anlegen.
Unten am Strand erhebt sich eine Frau aus dem Schutz ihrer Strandmuschel.
„Deidre, Tamara, kommt raus, kommt raus aus dem Wasser“, ruft sie.
Die beiden spielenden Mädchen hören nicht.
„Tamara, Deidre, los kommt raus!“ Die Kinder plantschen weiter. Das Schiff gleitet jetzt fast auf gleicher Höhe der kleinen Badebucht vorüber.
„Kommt sofort heraus, ihr wisst doch, wie hoch die Wellen werden, das ist gefährlich.“ Mamas Stimme wird schärfer. Sie scheint wirklich besorgt; so besorgt, dass sie in ihre Muttersprache verfällt. Das ist Russisch.

Endlich leisten die Kinder der immer schriller werdenden Aufforderung Folge. Sie verlassen die Wasserlinie, an der es heftiger zu plätschern beginnt. So ein riesiges Containerschiff kann Wellengang mit kleinen Brechern verursachen, zu gefährlich für Deidre und Tamara, die gerade liebevoll ärgerlich von Mama ausgescholten werden.
Ob Mama und Töchter etwas von der Geschichte des unheimlichen Baus in ihren Rücken wissen? Eher nicht.

Weitere Informationen:
Landeszentrale für politische Bildung Bremen: Denkort Bunker Valentin


2014-04-01, Birgid Hanke
Text: ©Birgid Hanke
Fotos, Bunker in Dänemark ©Birgid Hanke
Foto Banner: ©aph, Wirtschaftswetter®
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