von Annegret Handel-Kempf
Dem angeblichen Tod des Fernsehens folgt bei der IFA 2014 in Berlin (5. – 10. September) seine Wiederbelebung mit Geräten, die mit 196 Zentimetern Bildschirmdiagonale, vierfacher Hochauflösung (4K/Ultra HD) und verführerischen Kurven nicht zu übersehen sind. Das TV-Verhalten geht derweil retro: Die vom Touchen an Smartphones und Tablets erschöpften Zuschauer lassen sich nach Feierabend lieber vom Fernsehprogramm nach Ansage „linear“ und live berieseln, als in Eigenregie Videos on Demand (VOD) aus dem Netz abzuholen. Dennoch liegt die Zukunft des Fernsehens im Wohnzimmer, nach Meinung der Experten bei der Preview in München - in einer Kombination aus herkömmlichem Fernsehen und Internet.
Allen Unkenrufen zum Trotz: Noch immer schauen deutsche Nutzer im Schnitt 120 Minuten am Tag Fernsehen und sind 96 Prozent aller Haushalte mit einem Fernseher ausgestattet. Satelliten-TV ziehen die Zuschauer dem ebenfalls beliebten Kabelempfang vor. DVB-T (Funkübertragung von digitalen Fernsehsignalen über erdgebundene Wege; ersetzt teilweise den früheren, analogen Antennenempfang) und IPTV (Übertragung von Filmen und Fernsehen über das Internetprotokoll aus dem „Telefonnetz“) haben wenige Anhänger.
Bis 2025 sollen weltweit über 1.000 Ultra-HD-Kanäle via Satellit zu empfangen sein, 220 in Europa. „Ultra HD wird das künftige Satelliten-Fernsehen werden“, so Thomas Wrede, Vize-Präsident Empfangssysteme beim Satellitenanbieter SES. „Bessere Pixel“, mit doppelt so vielen Bildern pro Sekunde, die den Tennisball bewegungsgetreu vor die Augen des Zuschauers führen, weniger Artefakte, mehr Intensität, Leuchtkraft, Kontrast, gegenüber Phase 1 werde erst die zweite Phase von Ultra HD (vierfache Auflösung von HD) ab 2017/2018 bringen. Ein zur IFA auf den Markt kommender 8-Kanal-Satellitenturm, ein IP-LNB, kann acht Programme gleichzeitig empfangen und noch an der Antenne in IP-Signale umwandeln, die er über ein einziges Kabel kostensparend an den Router des Heimnetzwerks weitergibt. Von dort werden die verschiedenen Programme mittels des neuen europäischen Standards SAT-IP an mehrere TV-Geräte, PCs und Tablets im Haus verteilt.
Althergebrachtes und Modernisierung treffen sich beim Fernsehen 2014, beispielsweise auch beim Programm aus dem Telefon: MHL 3.0 ist ein Standard, den jeder neue Smart-TV haben sollte, damit UHD-Inhalte in vierfacher Hochauflösung vom Smartphone bequem übertragen und im Fernsehsessel auf großem Bildschirm konsumiert werden können.
Offen ist derzeit die Frage, welche Plattform der Champion unter den Fernsehangeboten wird. Aus Cloud, Internet und klassischem Fernsehen werden TV-Dienste, wie MagineTV und Netflix, gebastelt, die dem passiven Fernsehbedürfnis entsprechen, dennoch die Erfüllung individueller Wünsche – zeitlich und inhaltlich - technisch möglich machen.
So ist MagineTV, die europäische Antwort auf Netflix, ein cloudbasierter TV-Service aus Schweden, der mit seinen über 70, jederzeit und überall innerhalb Deutschlands via Internet verfügbaren TV-Programmen, wie SAT 1 oder RTL2, Anfang April startete. Die Sendungen können je nach Programmanbieter live, innerhalb von 30 Tagen nach der Ausstrahlung oder ganz nach eigenem Wunsch abgerufen werden. „Das Fernsehen wendet sich dem Nutzer zu“, definiert Friederike Behrends, Deutschland-Managerin bei MagineTV, den neuen Nähe-Trend des Fernsehens aus der Dienstleister-Cloud. Die Technik macht’s möglich. Doch sie muss einfach nutzbar sein, sonst haben die Nutzer in ihrem Feierabend-Verhalten keine Lust darauf.
Das Ende des Fernseherrahmens ist erreicht: Noch flacher und größer, als heuer unterm Funkturm in geballter Masse ausgestellt, geht kaum mehr. Manche Aussteller und Zuschauer lassen Rahmen und Bildschirm gleich weg. Sie schauen mit Ultra-Kurzdistanzprojektoren fern. Die passen ins Wohnzimmer, werden nach dem Fernsehen platzsparend weggestellt und erzeugen dennoch ein 50- bis 100-Zoll-großes Bild.
„Der Screeneo mit integriertem DVB-T-Tuner fügt sich in das Marktsegment zwischen Fernseher und Beamer ein", erklärt Dietmar Pils von Sagemcom die Zielgruppe des Gewinners des PREVIEW-Awards für die „Innovation der IFA“. Der Ultra-Kurzdistanzprojektor ist so handlich, dass er an einem Lederriemen auf den Wohnzimmerschrank gehoben werden kann, von wo aus er multimediale Inhalte und TV-Programme an jede freie Zimmerwand wirft – sogar in 3D und begleitet von gutem Sound. Die Wand braucht nicht weiter als zehn bis 44 Zentimeter vom Beamer entfernt zu sein. Leinwand und völlig abgedunkelte Räume kann man sich beim "Private Viewing" auf Projektionsdiagonalen von 127 bis 254 Zentimetern sparen.
Universell nutzbar ist der BenQ-Beamer W1070+W, der für großes Filmvergnügen mit WFHD (Wireless Full HD) und MHL (für die Datenübertragung vom Smartphone oder Tablet) ausgestattet ist. Kino zuhause funktioniert bei einer Reichweite von 20 Metern ganz ohne Kabelsalat. Fernsehprogramme (via Kabel- oder Satellitenfernsehen) und Multimediales sind auf einer Projektionsfläche mit einer Diagonalen von bis zu 235 Zoll in Full HD und 3D sichtbar.
„Curved TV“ in gebogener Version sorgt angeblich für bessere Blickwinkel und räumliche Darstellung. Die Krümmung entspreche der des menschlichen Auges und erweitere das Sichtfeld. Wenn man auch bei LCD-Geräten richtig sitzt, wird man beim Curved TV vom Biegeschirm plastisch und tief in die Szene hineingezogen, ohne dass Augen und Gehirn durch 3D-Tricks irritiert werden.
Gegenüber den Appetizern im Vorjahr hat die Auswahl an gebogenen Bildschirmen deutlich zugenommen. Wahlweise gibt es die elegant gewölbten TVs aus superdünnen, flexiblen Materialien in OLED-Qualität, also mit organischen Leuchtdioden auf biegsamen Folien (z. B. auf Karbon den LG55EA9809 mit 55 Zoll für, sowie als komplexere Leuchtkristallbildschirme, also LCDs mit Leuchtdioden (LEDs) für die Hintergrundbeleuchtung.
Der weltgrößte Ultra HD Curved OLED-Fernseher mit einem gebogenen 77 Zoll (196 Zentimeter)-Bildschirm ist in Berlin am LG-Stand nicht zu übersehen. UHD-Bildauflösung (3.840 x 2.160 Pixel), webOS-Betriebssystem, sowie Soundplate- und Soundbar-Produkte für den guten Ton sollen den Riesen sympathisch machen.
Originelle Prototypen sind TV-Displays, die sich via Fernbedienung wie eine Kinoleinwand leicht einrollen bzw. wieder glätten. Ein Motor erledigte diese Arbeit. Die Marktführer LG und Samsung liefern sich beim Rennen um solche Staun-Formate und Wow-Technik ein heißes Rennen, nachdem 3D in der Zuschauergunst gefloppt ist. 2016 wird die nächste große Welle an Neuanschaffungen in den Haushalten erwartet, da jeder digitale Bildschirm nur eine Lebensdauer von etwa 8,5 Jahren hat.
High Definiton Fernsehen (HD) gibt es jetzt auch auf kleineren Geräten in viermal so hoher Auflösung mit den Bezeichnungen „Ultra HD“ oder „4K“ - ein paar Inhalte, auf speziellen Festplatten, dafür auch. Werden Programme mit ganz einfacher Auflösung (SD) von den Auflösungsgiganten hochgerechnet, frustrieren sie den Nutzer jedoch mit schwammigen Bildern. Mit „überwältigender Bildschärfe“ ist es auf Ultra HD bei einem Großteil des TV-Angebots nicht weit her.
Dabei geht der Auflösungsmarathon noch weiter: 8K ist auch schon entwickelt, wird aber erst in ein paar Jahren zu kaufen sein und benötigt sehr große Bildschirme und Wohnzimmer, um als eine Verbesserung gegenüber 4K wahrgenommen zu werden. Wie 4K- und 8K-Inhalte auf die Fernseher kommen sollen, ist teils noch unklar. Zusätzliche Festplatten, auf die Filme in Vierfach-HD-Auflösung geladen werden, sind eine erste Lösung.
Als Alternative empfehlen sich Ultra HD-Inhalte aus dem Internet bzw. via SAT-IP. Ideale Eingangstore für den Internet-Content auf den Fernseher sind die neuen Schnittstellen DisplayPort (1.2) und HDMI 2.0. Die Ultra-HD-Filme müssen vor dem Streaming mit einer speziellen Technologie komprimiert werden. Dann können die Ultra-Hoch-Auflösungsfilme bereits mit 15 MBIT pro Sekunde online abgerufen werden. Etwa von der Online-Videothek Netflix, die aktuell auch in Europa mit UHD-Filmangeboten an den Start geht. Mit neuen Kameras und Smartphones kann man seine UHD-Filme selbst machen und mit MHL 3.0 auf den Fernseher übertragen.
Zur IFA präsentiert Hisense eine eigene UHD-Lösung, genannt ULED-Technologie, das erste in Kooperation mit dem oberfränkischen Premium-Hersteller Loewe entstandene Produkt. Hier sind Displays mit UHD-Auflösung im Spiel, deren LED-Hintergrundbeleuchtungen in 144 Segmente unterteilt sind. Separate Ansteuerung soll zu einem kontrastreichen Bild mit satten Farben und tiefem Schwarz führen, in Konkurrenz zu den um ein Mehrfaches teureren OLED-Geräten.
Die schwer kritisierten, weil langsamen Betriebssysteme der „Smart TVs“, also von Fernsehern, die ihre Filme via Internet (IP-Signale) empfangen und interaktiv, wie ein Büro-PC, bedienbar sind, werden allmählich leistungsstärker. Die Hersteller setzen neuerdings auf die erprobten Mobil-Systeme der Smartphones und erhoffen sich neben besserer Bedienbarkeit auch eine Zunahme an heruntergeladenen Anwendungen (Apps). Die Fernseher von Philips, Panasonic und LG holen sich die Betriebssysteme künftig von ihren mobilen Display-Geräten, das ist etwa Android beim chinesischen Hersteller TPV. Dieser baut Philips- und dem Vernehmen nach bald auch Sharp-Fernseher.
Damit sich die trendige Verbrüderung von Internet und TV komfortabel gestaltet, hat Logitech mit dem Harmony Smart Keyboard eine Wohnzimmer-Tastatur entwickelt, deren beleuchtete Tasten im abgedunkelten Raum gut bedienbar sind. Der Fernsehabend kann kommen – ganz klassisch und smarter denn je.
2013-09-04, Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf
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