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United Plastic Nations - Vereinigte Plastik-Staaten

Die Abhängigkeit vom Plastik und ihre inzwischen sichbaren Folgen

von Angelika Petrich-Hornetz

Zeichnung FußballInternationale Fußballturniere sind kein guter Anlass für dieses Thema. Wer die Webseite des Lobbyverbandes plascticseurope.de liest, stellt nämlich fest, dass nicht nur der Ball, der ins Eckige soll, aus Plastik ist, sondern auch die Trillerpfeife, die Tornetze, die Eckfahnen, die roten und gelben Karten, die Schienbeinschoner, die Fußballschuhe, die Trikots und weite Teile der Stadien, u.a. die Sitze. Beinahe alles, außer die Zuschauer, Spieler und Trainer sind aus Kunststoff. Das kann nur von den Kollegen der Roboter-Fußballweltmeisterschaft getoppt werden - da sind es auch die Spieler. Außerdem, so wird der Besucher der Webseite aufgeklärt, hält eine mit Pastik ummantelte Salatgurke 14 Tage frisch. So viel also dazu: Jetzt wissen auch diejenigen Bescheid, die sich regelmäßig darüber ärgern, Salatgurken aus einer bombenfest sitzenden Folie schälen zu müssen, warum das Leben so ist, wie es ist.

In der Gegenwart, so haben Verbraucher, auch ohne jede tiefgehendere Lektüre längst bemerkt, sind wir weitestgehend von Plastik umgeben und die Ausnahmen davon werden immer seltener. Vielleicht sind das Wohnzimmerregal und der Küchentisch noch aus Holz, aber schon die Garderobe macht lediglich noch den Eindruck, sie sei aus Holz, dabei ist es Furnier - und darunter Voll-Kunststoff. Diese Schuhe sind noch aus Leder, das Paar daneben schon nicht mehr. Die Ledersitze im alten Auto sind längst passé, das neue ist komplett aus Plastik, vielleicht hat es noch etwas Stahl in der Karosserie. Der Ausweis ist aus Plastik, die "Gesundheitskarte", die Bankkarten und inzwischen sogar die Visitenkarten. Die Sportklamotten, siehe oben, natürlich auch, genauso wie das dazugehörige Schuhwerk sowie die Plastikflaschen mit Mineralwasser, dessen Geschleppe in Glasflaschen muskelkraftmäßig kaum zu bewältigen wäre. Die Kinder kommen ohne Plastikschnuller, Fasermaler, Frühstücksdosen, Getränkebecher, Maluntensilienmäppchen und wasserabweistendem Kunststoffschulranzen, dito der Turnbeutel (früher tatsächlich noch aus Stoff) nicht mehr aus. Das Volumen an Einmalmaterial und anderem Plastikzeugs, die der pflegebedürftige Opa täglich benötigt, könnten übers Jahr bald die Einrichtung eines eigenen Müllabfuhrunternehmens begründen. Nicht zuletzt braucht der Hund entsprechende Hundekotbeutel, die sich im Sommer in den Mülleimern neben Parkbänken zu regelrechten Stinkebombenbergen auftürmen und den Hundhaufen 450 Jahre haltbar machen. Inzwischen befindet sich Plastik in Form von Mikroplastik-Teilchen (5 Mikrometer bis 5 Millimeter) auch in Kosmetika, Zahnpasta (als Abrasionsmittel), Gesichtscremes und diversen anderen Produkten mehr, die uns nicht nur umgeben, sondern die wir uns direkt ins Gesicht und in den Mund stecken.

Dass die EU-Kommission nun auf die Idee kam, diesen ausufernden Plastikberg mit dem Abschaffen von lediglich Plastiktüten eindämmen zu wollen, ist erstaunlich, angesichts der geleisteten, ganzen Arbeit der Plastik-Industrie, ihre Produkte als unverzichtbar zu etablieren, Sicher, der Beutel für das Obst im Laden, für das Brot, den Kopfsalat und die Tomaten - eigentlich komplett überflüssig, wäre die Kundschaft nicht so faul und brächte ihre eigenen Taschen mit. Es gibt sie immerhin inzwischen auch fast überall, die guten, alten Stofftaschen, die einst als grob gewebter Jutebeutel, dessen Auftauchen in Deutschland ungefähr in das Entstehungjahr der Partei die Grünen fallen dürfte. Aber der Salat war noch feucht, da wäre der Stoffbeutel - wie schlimm! - auch nass geworden. Überhaupt: Regen. Der fällt in Deutschland gern ergiebig, und der Friesennerz gilt deshalb als eine gute, äußerst nützliche Anschaffung. Allwetter-Radfahrer sind inzwischen so regenfest und wasserabweisend ausgerüstet, dass sie tatsächlich auch bei Regen von allen Seiten trocken am Arbeitsplatz ankommen. Auch der öffentliche Dienst auf der Straße wird regentauglich, und das heißt, in Plastik ausgerüstet. Ohne Kunsstoff würden die Deutschen ständig wie nasse Pudel herumlaufen, mit allen Folgen, wie stundenlangem Trocknen von Bekleidung und dauernden Erkältungen. Das kann sich niemand leisten, außerdem verbraucht auch die Produktion natürlicherer Bekleidung knappe Ressourcen.

Es schön festzustellen, dass gute Filme immer doch eine Wirkung haben, aber werden sie etwas ändern? In der Doku "Plastic Planet" wurden die Verbraucher aus ihrem Traum einer "schönen heilen Kunststoffwelt" herausgerissen, in der bislang alles praktisch, abwaschbar und sauber war, in der man nicht nass wurde und Verpackungen bequem im gelben Sack entsorgt werden konnten. Nicht nur befinden sich in den Ozeanen inzwischen riesige schwimmende Plastikinseln, sondern fanden Forscher jüngst sogar Plastikpartikel im arktischen Eis - in alles andere als geringen Konzentrationen. Andere Forscher fanden auf Hawaii ein neues Gestein - aus Plastik, es handelt sich um ein Konglomerat aus geschmolzenen Kunststoffen, Korallen, Vulkangestein und Sandkörnern, sie nannten es "Platiglomerat". Eine größere Gefahr geht von mikroskopisch kleinsten Kunststofffasern aus, die sich ebenfalls auf der ganzen Welt verteilen, außerdem können sich Schadstoffe, wie Insektizige an die Teilchen anlagern, die in die Nahrungskette geraten. In "Plastic Planet" konnte man bislang vom Thema unbescholtene Forscher dabei beobachten, die geradezu schockiert über das Ausmaß von mit kleinsten Plastikkügelchen verseuchten Stränden waren. Bis dato waren diese schlicht übersehen worden. So ist nun spätestens dem Letzten klar: Plastik ist inzwischen überall - nur weiß noch niemand ganz genau, wo überall und ob und welche Schäden das verteilte Plastik dort oder anderswo anrichten kann, je nachdem, wo es überall noch hingelangen sollte.

Zeichnung Flugzeugwrack2012 wurden weltweit knapp 290 Tonnen Plastik produziert, etwa die Hälfte davon in Asien, vor 30 Jahren lag die Produktion noch bei einem Fünftel vom heutigen Plastikberg. Ein Drittel davon wird für Verpackungen hergestellt, die, s.o. die Gurke, das Produkt ein paar Tage länger frisch halten - aber selbst von Experten geschätzt, etwa 450 Jahre haltbar sind. Der Plastikmüllberg wächst daher jedes Jahr um etwa +25 Millionen Tonnen und 10 Millionen Tonnen davon landen jedes Jahr in den Ozeanen. Laut EU kursierten 2010 in ganz Europa rund 100 Milliarden Plastiktüten, jeder Europäer benutzt pro Jahr durchschnittlich etwa 200 Plastiktüten, wobei die regionalen Unterschiede groß sind. 8 Milliarden Plastiktüten landen pro Jahr in der Umwelt. In fünf Jahren (2019), so laut einer Entschließung des EU-Parlaments vom April 2014, sollen es vor allem bei leichten Plastiktüten, das sind die Tragetaschen mit einer Stärke bis 50 Mikron (0,05 Milimeter), die am häufigsten benutzt werden, 80 Prozent weniger sein, bis 2017 bereits 50 Prozent weniger - die Umsetzung sollte nach den Europa-Wahlen in Angriff genommen werden, dazu dürfte die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten notwendig sein. Die ultraleichten Tüten mit einer Stärke unter 10 Mikron, die in Supermärkten zum Einpacken von Obst und Gemüse angeboten werden, sollen vollständig von biologisch abbaubaren Tüten ersetzt werden, Außnahmen will man lediglich für Fisch und Fleisch genehmigen. Europa ist nicht damit allein, in den USA haben bereits über 130 Städte und Gemeinden Plastiktüten schlicht verboten, eine Revolution von unten.

Dass Europa jetzt handelt, dürfte auch an Schätzuungen der EU-Kommission liegen, die Plastik-Produktion könnte sich bis 2050 verdreifachen. Neben gesetztlichen Vorschriften zur Eindämmung von nicht unbedingt notwendigen Plastikprodukten, wie Tüten, wäre auch die Erhöhung der Recyclingquoten sinnvoll, ein Verfahren, das in vielen Ländern der Erde allerdings noch gar nicht existiert. Einige EU-Länder, haben mit einer relativ einfachen Maßnahme bereits gute Erfahrungen gemacht, so konnte der Pro-Kopf-Verbrauch in Irland durch die Einführung einer Gebühr von 15 Cent pro Tüte im Jahr 2001 um 90 Prozent verringert werden, 2007 wurde die Gebühr noch einmal auf 22 Cent heraufgesetzt, da noch viele Supermärkte Plastiktüten abgaben. Das Verfahren gilt in Irland als weitestgehend von der Öffentlichkeit akzeptiert, der Plastiktütenmüll verringerte sich auf ein Zwanzigstel. Auch die Besteuerung von Platiktüten ist eine Möglichkeit. Italien hat die Vermarktung von herkömmlichen Plastiktüten bereits 2011 verboten, abbaubare Exemplare (u.a. aus Maisstärke) sind erlaubt. Auch in Frankeich sind Plastiktüten schon länger verboten, 2010 trat ein landesweites Gesetz mit dem Verbot nicht kompostierbarer Plastiktüten und Verpackungen in Kraft.

Doch auf der anderen Seite werden immer neue Produkte auf den Markt geworfen, so dass die steigende Nachfrage nach dem Werkstoff und neuen Produkten daraus gewährleistet bleibt. So ergibt sich der Eindruck, dass auf der einen Seite ein Plastik-Loch gestopft wird und sich im gleichen Moment schon das nächste auftut. Und der Staat mischt ordentlich mit - beim Steigern der Nachfrage, durch gesetzliche Maßnahmen und Vorschriften in den einzlenen Mitgliedsstaaten. Zum Beispiel, die Pflicht in Deutschland u.a. Ländern, Hundekot in Plastikbeuteln zu entsorgen oder die zunehmende Nutzung von Platikeinmalhandschuhen an Ladentheken beim Bäcker, Schlachter etc.. Die gesetzlich vorgeschriebene Zunahme von Plastikausweisen, in Form von Millionen Personalausweisen, Bankkarten und Gesundheitskarten sorgt für stete Nachfrage. Und steht darauf ein Ablaufdatum, gilt dies nur für das Dokument, nicht für das Produkt als solches - so dass auch diese, auch wenn sie längst abgelaufen sind, noch 450 Jahre halten bzw. langsam über den Zeitraum in kleinste Plastikpartikel zerfallen. In England gab es bisher weder eine Ausweispflicht, noch einen Personalausweis. Doch auch ohne Plastik-Personalausweis wird die Nachfrage nach Kunsstoffen in Groß Britannien (wie überall) nie versiegen. Wie der Guardian kürzlich berichtete, wird eine Bank in Schottland im nächsten Jahr Geldscheine aus Plastik einführen, und die Bank of England soll Gleiches planen - die Scheine seien haltbarer, verschmutzten weniger und seien schwerer zu fälschen, so die Schotten.

Eine andeer Möglichkeit, außer auf verzichtbare Produkte wie Tüten zu verzichten ist z.B. das Verfahren Upcycling. Damit werden neue Produkte aus alten Tüten oder anderen Plastikgegenständen hergestellt. Außerdem klingt die Herstellung von biologisch abbaubaren Kunststoffen sowie Produkten daraus vielversprechend - und die existieren auch längst, waren bislang jedoch weniger bekannt, die Lobby war bislang zu klein, die Herstellung galt als zu teuer, gegenüber der "billigen" von herkömmlichen Kunststoffen. Doch dieses Jahr scheint etwas mehr Schwung in die Sache zu kommen, immer mehr, auch große Konzerne interessieren sich für biologisch abbaubare Polymere. Wie die Nachfrage nach abbaubaren Kunsstoffen steigt nun langsam auch das allgemeine Interesse in Unternehmen, dem Plastikmüll zu begegnen, die Hersteller beginnen, auf die Schreckensmeldungen zu reagieren. So will der Industrieverband Körperpflege und Waschmittel e.V. künftig auf den Einsatz von (primärem) Mikroplastik verzichten - primär bedeutet, dass diese Mikroplastik mit Absicht eingebracht wurde und nicht unbeabsichtigt durch Zerfall und und Zersetzung von Kunsstoffmüll entstanden ist. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt- Sicherheit und Energitechnik, kurz "UMSICHT" schlägt nun alternative Werkstoffe zum Ersatz für primäre Mikorplastik in der Kosmetikindustrie vor, zum Beispiel auf Basis von Biowachsen. Bienenwachs, Karnaubawachs und Candelillawachs sind in Wasser biologisch abbaubar. Die kennt der Verbraucher bereits aus der Lebensmittelindustrie. Diese neuen, natürlichen Mikroplastiken könnten, so Umsicht problemlos konfektioniert, d.h. in allen mögichen gewünschten Formen, in Partikelgrößen von 100 bis 500 Mikrometer hergestellt werden.
Zeichnung FischgräteDen Verpackungsschlachten in Supermärkten, beginnen neue Lebensmittelgeschäfte inzwischen mit der Reaktivierung unverpackter Ware zu begegnen. Dort kann man wieder, wie früher, zu Omas Zeiten lose Ware kaufen, z.B. in Kiel. Der Kunde muss nur ein Behältnis mitbringen und kann das Gewünschte dann selbst abwiegen.

Das alles wird die Abhängigkeit von Kunststoffen als solche nicht ändern, und auch nicht das Problem der bereits vorhandenen Plastikmüllberge und damit der bis ins Unendliche reichenden Anzahl über den ganzen Planeten bereits verteilten Mikroplastics lösen. Ähnlich wie beim Öl, Bestandteil von Plastik, hatte der Markt bislang, so stellt man heute überrascht fest, lediglich neue Probleme kreiiert, statt vorhandene zu lösen, u.a. weil der Markt eher einfache und anwendbare Lösungen bevorzugt und manchmal auch dazu neigt, jedes Maß zu verlieren. Die hässliche Seite der Realität der bislang so sauberen Plastikwelt, die jetzt zum Vorschein kommt, überstieg bisher einfach seine Vorstellungskraft.


2014-07-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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