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Elektroautos

Flotte Flitzer für Freaks und Mitarbeiter statt für Familien

Reichweitenstarke Sonnencoupés und bezahlbare Stadtautos motzen eine schwächelnde eCarTec auf – „Leicht und sicher“ agiert die deutsche Ingenieurskunst bei der E-Mobilität

von Annegret Handel-Kempf

Sun Cruiser, Foto Benjamin Geiger sprüht vor Begeisterung: Inmitten gedämpfter Euphorie auf einer klein gewordenen eCarTec 2014 (20. bis 22. Oktober) steht er in München vor dem PowerCore Sun Cruiser, dem amtierenden Europameister und Vize-Weltmeister der Solarfahrzeuge. Der Student schwärmt von der Auto gewordenen Machbarkeitsstudie, an der er mitgewirkt hat. Wie effizient kann ein E-Pkw, möglichst nah an der Alltagstauglichkeit, sein? Woran sich erfahrene Ingenieure weltweit die Zähne ausbeißen - entspannte Reichweiten zu kreieren, die locker für eine Fahrt von München nach Berlin reichen - , ist der einzigen SolarCar-Manufaktur Deutschlands gelungen. .

Ein designstarkes Gefährt, gebaut vom Ingenieur-Nachwuchs der Hochschule Bochum, zu deren Motoren-Team Geiger gehört. „So sind die drauf“, bestätigt Diplomingenieur Stefan Spychalski von der Projektleitung das Herzblut-Engagement der Studenten. Deren praxiserprobte Fähigkeiten sind bei künftigen Arbeitgebern heiß begehrt.

Blau leuchtet der Sun Cruiser. Umso mehr fällt sein schwarzes Nummernschild ins Auge. Im Leichtfahrzeugsegment, EG-Fahrzeugklasse L7e, ist das Elektroauto bereits für die Straße zugelassen. Die Studenten haben die Vorgabe der „Alltagstauglichkeit“ erfüllt. Bewiesen in Australien, als der Cruiser mit einer 63-kg-Lithium-Batterie-Füllung, bei einer konstanten Geschwindigkeit von 60 bis 70 Kilometer pro Stunde, 700 Kilometer trotz Gegenwind und Steigungen locker durchhielt. Nachgefüttert aus drei Quadratmetern Solarzellen des Spitzenmaterials Galliumarsenid (GaAs). Die 944 Mehrschicht-Solarzellen mit einem Wirkungsgrad von 29,7 Prozent, die je eine Spannung von 2,28 Volt und einen Strom von 0,47 Amper liefern, genügten als Kraftquelle im weiten Land. Eine Ladestation brauchte der – inklusive Batterie - 340 Kilogramm leichte Dreisitzer nicht anzufahren. Üppige 833 Watt Gesamtleistung bewirkten die drei Quadratmeter Raumfahrtzellen. Deutlich mehr, als die 200 Watt elektrischer Leistung pro Quadratmeter, generiert aus einer mit 1000 Watt pro Stunde pro Quadratmeter Strahlleistung vom Himmel strahlenden Sonne, die sonst als Highlight-Leistung in mittleren Breiten bei einem Wirkungsgrad von 20 Prozent bei Photovoltaik-Solarzellen veranschlagt werden.

Gleichzeitig trägt das energieeffiziente Musterauto alles in sich, was die Elektromobilität derzeit stocken und die Präsentationsvielfalt auf ihrer jährlichen Leitmesse immer enger werden lässt: Mit 100.000 Euro Materialkosten für seine drei Quadratmeter extrem leistungseffizienter und robuster Solarzellen aus dem Raumfahrt-Halbleitermaterial GaAs ist das Sonnen-Coupé für Durchschnittsfahrer unerschwinglich. Als Dreisitzer ist das Sonnenauto zu klein für ökologiebewusste Familien, die dem Trend zur Dreikind-Familie zusteuern. Wäre das Fahrzeug größer, wäre es schwerer, somit energiehungriger und hätte die Reichweitenprobleme seiner E-Pkw-Kollegen. Ebenso bei der Verwendung billigerer Solarzellen.

Die Effizienzstudien, die aktuell quer über die Republik im Autobauer-Land Deutschland betrieben werden, orientieren sich an Autos, die von 1,4 Fahrgästen besetzt werden. In die passen nicht einmal Durchschnitts-Familien mit durchschnittlich 1,4 Kindern. Dennoch hilft der Sun Cruiser anderen E-Fahrzeugen, vor allem im gewerblichen und im Nahverkehrsbereich dabei, Land in öligem Umfeld zu gewinnen. Jenseits der privaten Beförderung, graben E-Fahrzeuge sogar das reizvolle Spielfeld „Bagger“ an, ist auf der eCarTec zu hören. Entwicklung und Challenge-Teilnahmen des Sun Cruisers erforschen beispielsweise die optimale Geometrie eines schmalen Motors – auch für gewerbliche Fahrzeuge, deren Käufer exakt auf den jeweiligen Einsatz zugeschnittene Fahrzeuge benötigen. An knifflig engen Straßenbaustellen sind solche Nöte augenfällig. Im Rahmen einer Forschungskooperation mit ThyssenKrupp entstand so ein Antriebskonzept, das Elektrostahl der Marke PowerCore im Inneren des Radnabenmotors eines Solarcars verwendet. Sogar zwei Radnabenmotoren, die erstmal Elektrobänder im Kern, „im Herzen“, haben, sind mit je maximal 8,5 Kilowatt Leistung in den Hinterrädern des Sun Cruisers untergebracht und ermöglichen 100 Kilometer pro Stunde als Höchstgeschwindigkeit.

Sonne aufs Dach, Elektromobilität im Herzen und alle Autos auf den Straßen der Welt fahren zu 100 Prozent umweltfreundlich und dabei nicht zu schnell: Dieser Traum wird sich in absehbarer Zeit nicht erfüllen. „In den nächsten zehn Jahren wird es kein solarbetriebenes Serienauto geben“, bremst Spychalski zu hohe Adrenalinausschüttungen beim Anblick des flotten Sun Cruisers. Die deutlich kostengünstigeren Silizium-Solarzellen würden bei wechselnder Sonnenintensität nicht genügend Leistung bringen. Für Zusatzfunktionen wie Ventilatoren, Sitzheizung, Klimaanlagen oder Bordelektronik liefern jedoch schon wenige günstige Solarzellen auf dem Autodach reichlich Energie. Auch diese mittlerweile etwa von Audi real eingesetzte Erkenntnis stammt aus der Forschung mit Solarautos.

Was haben Oldtimer auf der Zukunftsmesse eCarTec zu suchen? Replikas von 365-Porsche-Speedstern nutzt das Münchner Unternehmen Turn-E, um daraus Elektroautos zu bauen, die im Zuge nie endender Weiterentwicklung immer leichter werden und größere Reichweiten bekommen. In diesem Jahr waren auf der eCarTec GFK-Karosse und Speedster zu sehen, deren Rahmenkonzept seinen Ursprung in der Flugzeugindustrie hat.

„Ohne private Investoren könnten wir unsere Elektroautos nicht entwickeln“, beklagt der Chef des kleinen Unternehmens, Christian von Hösslin, die komplexen Fördersysteme der E-Mobilität. Dabei senkten die Tüftler bisher bereits das Gewicht des Chassis um bis zu 30 Prozent und dehnten damit die Reichweiten aus. Die Torsionssteifigkeit – wichtig für die Sicherheit – wurde parallel verbessert. Wie bei Smart, BMW i3 und Tesla Model S kann die Batterie mittlerweile im Unterboden verbaut werden, „von Sicherheit und Fahrverhalten her der beste Bauraum“, erklärt Hösslin, bevor er sich den nächsten Interessenten zuwendet. Denn Hingucker sind die E-Autos des kleinen Teams mindestens so sehr, wie die der großen Entwickler-Kooperationen, die die Deckel vieler Förder- und Sponsoren-Töpfe öffnen.

Neugierige Blicke zog in diesem Jahr auf der Fachmesse ein Prototyp aus der TU-Entwicklungsschmiede in Garching bei München auf sich, der es ebenfalls bis zum fahrbereiten Auto geschafft hat: Der Visio.M, der mittels Effizienz und Leichtigkeit zu einem PKW werden sollte, der nicht mehr kostet, als ein Benziner. „Er ist eine Sammlung von Lösungen der Beteiligten. Zusammen sollten Lösungen geschaffen werden, die ein leichtes Auto sicher machen. Lösungen, die die schlechten Crasheigenschaften eines leichten Autos ins Gegenteil verkehren“, erläutert Dr. Ulrich Marsch, Sprecher des TUM-Präsidenten.

In seinem schlichten Form-Design, garniert mit unauffälligem Silberanstrich, gruppiert sich der Visio.M optisch in die Garde üblicher Benziner ein. Herzstück dieses E-Pkws ist seine Fahrgastzelle aus einem mehrteiligen Monocoque aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff. Kombiniert mit ultraleichten Sandwichmaterialien, die durch eine besonders hohe Steifigkeit gekennzeichnet sind. Wie die Polycarbonat-Fensterscheiben, die nur halb so schwer wie Glas sind, spart diese Fahrgastzelle Gewicht ein. Und spendet Sicherheit. Wie auch eine 360-Grad-Erfassung der unmittelbaren Fahrzeugumgebung mittels Radar- und Kamerasensoren, die frühzeitig Gefahren erkennt und bei nicht mehr vermeidbaren Kollisionen eingebaute Insassenschutzsysteme schon vor dem eigentlichen Crash aktiviert. Weiteres Saftey-Plus ist ein 2-Punkt-Gurt, der zusammen mit dem normalen Gurt die Fahrgäste so gut mit dem Sitz verbindet, dass bei einem Seitenaufprall der betroffene Insasse mit Hilfe seines Sitzes „sitzfest“ nach innen verschoben und aus der Gefahrenzone gebracht wird. Der Seitenairbag wirkt dabei besser. Ein Interaktions-Airbag verhütet einen Zusammenprall zwischen Fahrer und Beifahrer. „Zusätzliche Airbags kosten nicht viel, bringen aber sehr viel Schutz“, zieht Marsch die Verbindungslinie von Sicherheit und Kostenreduktion.

So, wie er jetzt bei Präsentationen und in seiner Entwicklungsheimat Garching steht, hat der 535 Kilogramm schwere Zweisitzer einen Preis von 20.000 Euro. Rechnet man den Betrieb mit einem in drei bis vier Stunden an einem normalen 230V-Anschluss aufladbaren 85-kg-Lithim-Ionen-Akku hinzu, der eine Reichweite von 160 Kilometern bescheren soll, kommt das auf Sicherheit und Komfort (Lenkrad- und Sitzheizung) hin entwickelte Auto sogar billiger als seine Benziner-Konkurrenz. Auch dank bekannter Sponsoren und Partner, die weiterer Unterstützung, etwa durch die Bundesanstalt für Straßenwesen oder die TÜV SÜD AG, den Weg bereiteten. Das Projekt wurde im Rahmen des Förderprogramms IKT 2020 und des Förderschwerpunkts „Schlüsseltechniken für die Elektromobilität – STROM“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung über zweieinhalb Jahre mit insgesamt 10,8 Millionen Euro gefördert.

„Prinzipiell ist der Visio.M so, wie er da steht, produzierbar. Dennoch wird er nicht in einem Jahr auf dem Markt sein“, sagt Marsch. Gesucht wird ein Unternehmen, das das E-Auto, mit seiner Spitzengeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde, in Serie baut. Das könnte den Entwicklern zufolge gerne auch eine kleinere Firma sein. Doch die hätte für eine Produktion sehr viel zu stemmen. Bevor die ersten Visio.Ms vom Band laufen, müssten viele Details des Prototypen, der lediglich die prinzipielle Machbarkeit eines zugleich leichten, sicheren und günstigen Elektrofahrzeugs zeigen sollte, serienreif werden. Angefangen beim Fensterheber, der aus Beständen der Beteiligten passend gemacht wurde.

Visio.M, Foto Im Industriealltag hängen viele Jahre Entwicklungs- und Kalkulationsarbeit an derartigen Feinheiten. „Bis zu einer Serienfertigung ist (…) ein weiter Weg, denn nahezu alle Teile müssten an die Fertigungsbedingungen der Großserie angepasst werden“, dämpft Professor Markus Lienkamp, Inhaber des TUM-Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik, übertriebene Erwartungen. Dennoch darf von einer einigermaßen schnellen Umsetzung des Erforschten in den Straßenalltag geträumt werden. Mit einer rosaroten Schlafbrille sogar von einer Kooperation von Daimler und BMW (Konsortialführer), die beide die Entwicklung sponserten und deren Ingenieure mitbauten. Eine Revolution nicht nur für die E-Mobilität wäre ein solches Gemeinschaftsauto. Prognostiziert würde das Auto 2020 als Serienauto sogar für 16.000 Euro zu haben sein. Wenn beispielsweise die Preise für die Carbon-Fahrgastzelle stärker, als erwartet, sinken, sogar für weniger.

Ein überlegenswerter Preis, doch Josef Schmid, 2. Bürgermeister von München, hakte beim Probesitzen auf der eCarTec gleich beim Hauptmanko auch dieses PKWs ein: Der Urlaubs- und Familientauglichkeit. Der Blick in den großzügigen Kofferraum beruhigte den Politiker nur wenig. Auch er muss auf der Fahrt in den Urlaub oder auf Wochenendausflügen seine Kinder auf Sitzen unterbringen. Zumindest die täglichen Dienstfahrten und auf dem Heimweg einkaufen würden funktionieren. Aber die Kinder fahren vielleicht gar nicht mehr mit in den Urlaub, wenn das Auto endlich in Serie geht. Vorerst soll der Visio.M, weil seine Elektronik im Prototyp nicht verborgen verbaut, sondern schön offen ist, noch viel Raum für Forschung bieten.


2014-11-04, Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Fotos von der Präsentation Sun Cruiser und Visio.M: ©Annegret Handel-Kempf
Foto-Banner: ©aph
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