von Angelika Petrich-Hornetz
Über die Generation Y wird viel geklagt: Sie wäre verwöhnt, funktionierte nur noch, hätte keinen Biss, kein Interesse an Karriere, dächte nicht selbstständig, brauchte ständig Anweisungen und Feedback und wollte lediglich ein bequemes Leben führen. Die Beschwerden beschränken sich keineswegs auf Deutschland und Europa. So bedauerte kürzlich Carsten Fischer, Manager des japanischen Unternehmens Shiseido in der Zeitschrift "Capital" einen Mentalitätswandel der japanischen Jugend. Der Wille der Jugend, im globalen Wettbewerb zu bestehen, nehme ab, die japanische Jugend fröne vielmehr dem Trend zum Wohlgefühl im eigenen Umkreis, so Fischer.
Auch junge Ärzte dieser Generation wollen laut diversen Umfragen nur noch acht Stunden am Tag arbeiten, bemängelten indes die Vorgängergenerationen, die einst noch klaglos unisono die Dreifachbelastung durch Forschung, Lehre und Krankenversorgung ertragen haben. Die Generation-Y-Ärzte fordern indes selbstbewusst Work-Life-Balance für sich ein - von regelmäßigen Überstunden und wissenschaftlicher Arbeit, die bislang vorwiegend in der Freizeit stattfand, halten sie folglich gar nichts. Die Feminisierung in der Medizin trägt ein übriges dazu bei, dass Work-Life-Balance von jungen Ärzten immer mehr zu einem der wichtigsten Kritierien eines gutes Arbeitgebers zählt. Das aber kollidiert direkt mit den herkömmlichen Patientenwünschen, die sich rund um die Uhr medizinische Dienstleistungen und exakt genauso erreichbare Ärzte wünschen.
Die Banken zerbrechen sich derweil den Kopf über die nächste Generation der Anleger, u.a. den in der Generation der Digital Natives vorhandenen Erben. Schließlich werden demnächst gleich mehrere Billionen Euro an die Generationen X und Y vererbt, 2,6 Billionen Euro allein in Deutschland. Aus mehreren Studien geht hervor, dass beide Generationen X und Y Ähnlichkeiten aufweisen, u.a. wurden sie, im ersten Fall vorwiegend noch die Generation X, vom knallenden Platzen der Internetblase sowie anschließend beide Generationen von der Finanzkrise ab 2008 eiskalt erwischt. Darunter hat bei beiden Generationen das Ansehen der Banken deutlich gelitten. Für Generation Y ist darüber hinaus Online-Banking und sind virtuelle Finanzdienstleistungen im Allgemeinen inzwischen ganz normal, der persönliche Kontakt zum Bankberater ist für die junge Generation dagegen etwas ganz Neues, geradezu Exotisches. Damit dürften die IT-Dienstleistungen der Banken für diese Generation künftig schlicht den höchsten und neuesten Standards entsprechen müssen. Die größtmögliche Rendite scheint dagegen nicht mehr das Hauptinteresse der künftigen Bankkunden zu sein, ist ihnen aber keineswegs so unwichtig, wie manche glauben möchten.
Auch die Unternehmensberater registrieren einen anderen, selbstbewussteren Bewerber-Typ in der nächsten Berater-Generation. Größten Wert legen die Youngster auf ihre berufliche und persönliche Weiterentwicklung. Keineswegs sind sie dazu bereit, wie bislang noch üblich und damit selbstverständlich, am Anfang einer Karriere auf sämtliche private Bedürfnisse zu verzichten. Flexible Arbeitszeiten stehen in dieser Generation weit oben auf der Wunschliste, aber um 180 Grad anders gemeint, als noch in der Vergangenheit der Generation X, für die "flexible Arbeitszeiten" vor allem bedeuteten, eine nicht zu knappe Anzahl von Überstunden leisten zu müssen. Im Gegenteil, diese Generation verlangt laut allen möglichen Umfragen ausreichend Freizeit - für Familie, Freunde, Freizeit, Sport.
Allein mit einem hohen Gehalt lockt man sie nicht mehr hinterm Ofen hervor - Karriere um jeden Preis scheint diese Generation nicht zu interessieren, aber eindeutige Wünsche an nicht zu geringe Einstiegsgehälter sind durchaus vorhanden. Der Vorwurf, es werde sich bei den Jüngeren um Job-Hopper handeln, dürfte dagegen wohl eher reine Spekulation bleiben. Hierin unterscheiden sie sich deutlich weniger von der Generation X, als manche schon befüchteten.
Derlei anspruchsvolle Verdienst- und Arbeitszeitwünsche bereiten auch der Werbebranche Kopfschmerzen, in der, ähnlich wie bei den Unternehmensberatern, 16-Stunden-Tage und stete Reisebereitschaft bisher zum ganz normalen Arbeitsalltag gehörten. Neben Gehalts- und Entwicklungsmöglichkeiten legen die Milleniums außerdem großen Wert auf eine gute Arbeitsatmosphäre.
Hierzulande betrachten Manager und Unternehmer gerade den Führungsnachwuchs deshalb zunehmend mit Sorge, besonders ein offenbar mangelndes Interesse an Unternehmensgründungen. Die Generation Y arbeitet lieber im sicheren Umfeld bereits gut etablierter Unternehmen und bleibt ihrer Umgebung treu.
Die Jugend von heute habe zu wenig Interesse an der Übernahme von Verantwortung, lautet ein Vorwurf, desgleichen am Risiko und keinerlei Gespür für in diesem liegende Chancen und genauso wenig an jeglichen Anstrengungen für eine Karriere oder Unternehmensgründung. Sie sei weder kommunikationsfähig noch belastbar, schallt es aus den mit Vorgängergenerationen bestückten Führungsriegen. Der Wille, sich in den harten Wind des Wettbewerbs zu stellen, scheine verloren gegangen zu sein, klagt die Generation X über die Generation Y, die angeblich nur noch die Beschaulichkeit ihres persönlichen Terrains kultiviere. Das stellt bisher gültige Personalstrategien in Frage, die sich nun mit einer gut ausgebildeten, persönlich ehrgeizigen, selbstbewussten - und verwöhnten Generation anfreunden müssen. Der TÜVRheinland hat für die innerhalb der Generation Y nach Personal fahndenden Unternehmen deshalb eigens ein neues Zertifizierungsverfahren aufgelegt: Das Siegel "Ausgezeichneter Arbeitgeber" soll den jungen, anspruchsvollen Bewerbern die Qualitäten ihres künftigen Arbeitgebers transparent näherbringen - für die Arbeitgeber ist die "zielgerichtete Ansprache der Generation Y" im Paket des Prüfsiegels enthalten.
Dabei ist die viel bemühte Work-Life-Balance, die Generation Y nun einfordert sowie auch eine gewisse Abkehr von außen nach innen, alles andere als eine neue Erfindung der Generation Y, sondern exakt der vorherigen. Und die beklagt damit jetzt haargenau das an der Jugend, was sie einst höchstselbst erfunden und ihr ebenso beflissen vorgelebt hat: Cocooning - sich verpuppen, einspinnen - die Tendenz, sich aus der Öffentlichkeit, dem Wettbewerb und aus Gruppenveranstaltungen ins häusliche Privatleben zurückzuziehen, kam bereits Ende der 1980er Jahre auf, und liegt damit in der Zeit der Karrieren von Babyboomern und Vertretern der X-Generation, d.h. bei den Eltern der jetzt viel kritisierten Folge-Generation.
Am schönsten war und ist es also zu Hause? Der Eindruck einer angeblich ganz neuen Wertschätzung von Heim, Herd und Familie ist kein Zufall, sondern hat eine Entwicklung: In den 1980er Jahren landeten zumindest die rauen Sitten amerikanischer Arbeitsverhältnisse auch auf dem europäischen Kontinent: Es galt damals als schick, 80-Stunden-Wochen zu arbeiten, einen Termin nach dem anderen zu haben, grundsätzlich auswärts zu essen, beruflich oder privat um die Welt zu jetten, auf den Urlaub weitestgehend und natürlich großzügig zu verzichten, wofür alle anderen, die sich das nicht leisten konnten, gefälligst dankbar zu sein hatten - und dafür, als Ersatz für den ganzen Stress, eine Menge Geld zu scheffeln. Mit diesem vermeintlich wohlverdienten Salär wusste man vor allem eines anzufangen: es auszugeben.
In die Arbeitswelt ab den 1980er Jahren zog die Beschleunigung und Leistungsverdichtung ein. Auch die in der Gegenwart kulminierte Dauererreichbarkeit hat ihre Wurzeln in den Jahren, als man noch froh darüber war, ständig auf dem gerade erfundenen Handy angerufen zu werden, statt mühsam Briefe, Faxe und persönliche Meetings arrangieren zu müssen. Dass das einmal zu viel werden würde, daran hätte damals wirklich niemand geglaubt. Auch das damalige Freizeitverhalten, die angeblichen "Erholungsphasen" verliefen körperlich und seelisch eher wenig erholsam: Natürlich mussten es Fernreisen sein, je weiter, desto besser, möglichst mehrmals im Jahr und als Kurztrips an Wochenenden, inklusive Ausübung exotischer Extremsportarten plus Partys ohne Ende- aber an der langen Leine, jederzeit erreich- und damit abrufbar. Geld spielte keine Rolle. Dann wurde eben kurz aus dem Urlaub zurück- und anschließend wieder hingejettet. Kerosin war schließlich billig. Das alles hatte eher wenig mit Erholung zu tun, sondern vielmehr mit einer konsequenten Fortsetzung des Aktionismus auch im Privatleben - dessen Grenzen zum Arbeitsleben zunehmend verschwammen. Das Zeitalter des schnellen Geldes machte es möglich, man konnte in kürzester Zeit unglaublich reich werden und verschob die Rast auf irgendein unbestimmtes Später.
Irgendwann begannen jedoch die erste Zeitgenossen die Symptome zu entwickeln, die man heute dem so genannten "Burn Out" zuordnet. In Wahrheit lavierten so manche High Potentials in ihren 80- bis 100-Stunden-Siebentage-Wochen mit selbstverständlicher Anwesenheitspflicht, in der angeblich ausschließlich Leistung, Leistung, Leistung zählte, die egal-wie messbar zu sein hatte, nicht selten am Rande einer Dauer-Depression herum.
Die ersten sichtbar drastischen Misserfolge in Form von geplatzten Internet-, Börsen- Immobilien- und Finanzblasen, dazu politische Krisen und neue Kriege, ließen so manche auf der Überholspur Rasende plötzlich unsanft aus ihren Träumen erwachen, es könnte angeblich ewig so weiter gehen und verstärkten bei nicht wenigen Vertretern der Generation X erste, ernsthafte Zweifel an der Machbarkeit und damit am dauernden Erfolg eines Hochverfügbarkeits-Arbeitslebens, als dem einzig vertretbaren Lebensmodell.
Man begann nach Alternativen zu suchen - oder man musste es gänzlich unfreiwillig. Neben dem Rückzug ins bereits vorhandene Private, setzte u.a. eine Welle der Stadtflucht ein, man zog wieder aufs Land - oder sehnte sich zumindest danach, was u.a. den Erfolg zahlreicher Hochglanzmagazine für Landleben und Garten erklären kann, die sich bis heute erstaunlich gut behaupten können, während ein Wirtschafts- und Nachrichtblatt nach dem anderen die Fahnen streichen musste und muss.
Im TV wurden die täglichen Börsen- und Wirtschaftsnachrichten, für die sich vorher noch die Masse der Babyboomer und Generation-X über ein, zwei Jahrzehnte lang vorbehaltlos begeistern konnte, spätestens mit dem Millenniumwechsels zunehmend von genauso erfolgreichen Do-It-Yourself- und Kochshow-Formaten abgelöst, Letztere liegen ebenfalls bis heute im Trend. Die Ausstattung und Pflege des eigenen Heims, der Kleingarten, und gut essen (natürlich zu Hause, selbst gekocht), in den 1970er und 1980er-Jahren noch letzte, verpönte Relikte des Spießbürgertum der 1950er- und 1960er-Jahre, wurden auf einmal wieder gesellschaftsfähig.
Viele künftige Führungskräfte der Generation Y sind exakt in solchen heimeligen, Gartenarbeit betreibenden, gut situierten Haushalten aufgewachsen, als einziges Kind oder mit höchstens einem Geschwisterkind - im Einfamilienhaus im Speckgürtel einer Karriere fördernden Großstadt oder mit zwei großen Pkw vor der Tür zweier berufstätiger, gut verdienender Eltern oder in einer schicken städtischen Wohngegend mit viel Grün.
Zwar prozentual nicht so viele, aber durchaus auch eine ganze Menge Vertreter der Generation X sind bereits selbst exakt so aufgewachsen: Es fehlte an nichts, sie hatten, genauso wie später ihre Kinder, alle Möglichkeiten. Deshalb sind sie ihrer Nachfolgegeneration manchmal auch so ähnlich, dass man Generation X und Y kaum noch sauber voneinander unterscheiden kann. Auch ein anderes Beispiel taugt für diese große Ähnlichkeit, auch wenn sie gerne unerwähnt bleibt, nämlich die ewige Schelte auf die Digital Natives, sie hockten angeblich allein vor Bildschirmen: Die Elterngeneration, die seit dem C64 genau vor denselben regelrecht "hängt", gucke sich bitte selbst auf ihre Finger, bevor sie damit auf ihre Kinder zeigt. Die Ähnlichkeit, schon bei der Quantität des Bildschirmkonsums, dürfte nachmessbar sein. Lediglich die Geräte wechseln.
Noch nie hockten Elterngeneration und Kindergeneration auch so nahe und so lange aufeinander wie die Y- und X-Kinder bei ihren Eltern - und auch deshalb ähneln sie sich häufig auch so stark. Denn auch in der Generation X gab es schon das Phänomen einer fortdauernden, sehr engen Eltern-Kind-Beziehung, die sich im Erwachsenenalter einfach fortsetzte, so dass es auch kein Wunder ist, dass viele Vertreter der Generationen X und Y in Umfragen "die Familie" für das Wichtigste im Leben überhaupt halten. Das gilt auch gerade für negative Erfahrungen: Der eine oder andere, der in den wirtschaftlichen Krisen der jüngeren Vergangenheit einige Blessuren davontrug, stellte nämlich auf einmal fest, dass niemand da war oder sein wollte, sobald Geld und Arbeitsplatz weg waren - schon gar keine Bank - außer der lieben Familie. So sieht es häufig auch bei anderen Problemen aus, die Familie gewann als Trutzburg gegen sämtliche Krisen seit dem Jahrtausendwechsel wieder deutlich an Gewicht.
Bereits in der damals neuen, jungen, in den 60er Jahren geborenen Generation hatten nicht wenige Kinder von Anfang an ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern. Die Prügelstrafe war da zwar noch nicht ganz abgeschafft, aber viele Eltern der Nachkriegsgeneration verzichteten, einige noch aus den eigenen schlechten Erfahrungen einer Kindheit im Naziregime heraus, sehr gern auf solche rüden Methoden schwarzer Pädagogik. Solche gut situierten Elternhäuser boten ihren Kindern nicht selten wirklich alles, was diese benötigten, auch materiell, darin eingeschlossen eine gute Schulbildung, Auslandsreisen, die Möglichkeit, Freunde einzuladen, auszugehen, den Hobbys nachzugehen etc..
Für solche Kinder der Generation X gab es deshalb auch keinen Grund, gegen ihr Elternhaus zu revoltieren, und in die Welt hinaus zu rennen, wie noch die 68er-Generation, die es gar nicht mehr abwarten konnten, das Elternhaus, hungrig auf die Welt da draußen, endlich verlassen zu können. Warum aber sollte ein so gesättigtes Kind das Haus verlassen? Aus welchem Grund? Und: Wofür? Schließlich hat(te) man hier doch alles.
Bei der Generation X handelt es sich allerdings um eine zahlenmäßig sehr große - und damit auch noch um eine sehr heterogene: Nicht alle Mitglieder dieser Generation hatten ein materiell gut oder sehr gut ausgestattetes Elternhaus und nicht alle, die materiell alles hatten, hatten gleichzeitig auch ein liebevolles, emotional stärkendes Zuhause. Nicht alle hatten die Möglichkeit, eine gute Schule zu besuchen oder in einer kinderfreundlichen Wohngegend zu leben, und nicht alle hatten kosmopolitische Eltern, manche entstammten Haushalten mit schwer traumatisierten Kriegskinder-Eltern, die das ruhige, jährliche Treffen des Kaninchenzüchtervereins im Bundesland nebenan einer ebenso möglichen, aber für sie zu aufregenden Urlaubsreise nach Italien schlicht vorzogen. Es gab in dieser Generation damit trotz der boomenden Wirtschaft und einer wachsenden Mittelschicht immer noch ganz reelle Chancen auf die ein oder andere individuelle Beschränkung in ihrem in der Regel bereits relativ unbeschwertem Kinderleben.
So schwierig und unterschiedlich diese Beschränkungen auch sein mochten: Es erleichterte einem Teil der Jugend zumindest, diese zum Anlass zu nehmen, Lust auf die große, weite Welt zu entwickeln, die ihnen u.a. auch Kultur und Medien der 1970er Jahre schmackhaft machten. Sie konnten damit ihre mehr oder weniger, in der ein oder anderen Weise beengenden soziokulturellen Hintergründe schlicht und einfach verlassen - und ihr eigenes Leben in die Hand nehmen.
Wer sich nicht gerade dumm anstellte und ein bisschen Engagement zeigte, konnte, trotz der großen, zahlenmäßigen Konkurrenz durch viele Gleichaltrige, problemlos im Beruf Fuß fassen und Karriere machen. Man hatte echte Aufstiegschancen, u.a. auf ähnlich langfristige Arbeitsverträge wie die Elterngeneration und sogar darauf, noch viel mehr als die vielleicht mittelständisch schon ganz gut dastehenden eigenen Eltern zu verdienen. Es herrschten gute Aussichten auf lebenslange Beschäftigung gemäß einer freien Berufswahl und auf ein gutes Einkommen: Das sind alles handfeste Gründe dafür, der Welt hoffnungsvoll und hungrig auf Erfolg - und was dessen tatsächlichen Erfolgsaussichten betraf - auch optimistisch entgegenzutreten.
Und damit zu den Unterschieden zur Generation Y. Die Aussichten auf langfristige Arbeitsplätze, ein auskömmliches Einkommen, geschweige denn einen finanziell gesicherten Ruhestand sind für diese nachweislich drastisch gesunken oder nur noch mit deutlich mehr Anstrengungen zu erreichen, als diese noch die Generation X leisten musste, was Letztere übrigens nur zu gern vergisst. Dazu findet sich Generation Y auf einem globalen Arbeitsmarkt wieder, der erfolgreich, weil offenbar dauerhaft, von tobenden Kriegen und Krisen flankiert wird, in denen das einzelne Individuum genauso abhanden kommen kann wie auf diesem Arbeitsmarkt selbst. Das macht diese Generation von Anfang an misstrauischer, zumindest weniger vertrauensselig als ihre Vorgänger, zumal sie selbst in den Hoch-Zeiten einer ausgewachsenen Finanz- und Wirtschaftskrise groß geworden sind, die einer allzu optimistischen Aussicht auf eine eigene, rosige Zukunft bereits deutliche Risse verpasste, und zwar ausdrücklich auch, was die eigene Familienplanung betrifft.
Diejenigen, die künftig das Führungspersonal stellen sollen, haben gegenwärtig als Kinder, Schüler, Studenten und Auszubildende deutlich mehr zu tun als noch ihre Eltern, um überhaupt den Status quo zu halten. Dafür bekommen sie erst einmal nichts als die schlechteren Zukunftsaussichten. Gleichzeitig haben sie, wie bereits auch einige - aber keineswegs alle - aus der X-Generation, im elterlichen Haus alles, was sie brauchen. Noch nie wurde von Eltern zuvor so viel Geld für eine Kindergeneration ausgegeben, wie von X zu Y - inklusive des technischen Equipments im Kinderzimmer und etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für schlichte Nachhilfe.
Aber im Gegensatz zu ihren Eltern, die noch eine Vormittagsschule mit viel Freizeit am Nachmittag erlebt haben, hat schon ein großer Teil der Generation Y in Ganztagskindergärten und -schulen gesessen, wortwörtlich von morgens bis abends, dazu fünf Tage die Woche Kantinenessen und Ruheraum - zur Entspannung, als handelte es sich um Arbeitnehmer - genossen, um nicht selten auch in den Ferien und an Wochenenden weiter für die Schule zu lernen, etwas, was einem Großteil der Generation X nicht einmal im Traum eingefallen wäre.
Am Abend schlagen diese Schüler dann ähnlich erschöpft wie ihre Väter und Mütter der Generation X zu Hause auf: Den ganzen Tag hatten sie Mitschüler und Lehrer um sich herum (die Eltern: Arbeitskollegen, Kunden, Vorgesetzte etc.), mit dem ebenfalls daraus resultierenden Lärmpegel. Danach, so weiß wirklich jeder Berufstätige, der gerade einen harten Arbeitstag hinter sich gebracht hat, ist einem erst einmal nach: gar nichts, außer, höchstens noch die Füße hochzulegen und möglichst eine halbe Stunde lang nichts zu hören oder zu denken.
Dieser - übrigens von der Wirtschaft vehement geforderte - auf Ruckzuck getaktete Schul- und Bachelor-Alltag der nächsten Generation fordert damit lediglich einen logisch daraus resultierenden Tribut, den man sich allerdings vor Einführung des Arbeitnehmer-Alltags für Kinder auch leicht hätte ausrechnen können. Bereits eine so durchstrukturierte und durchgetaktete Kindheit befördert ganz von selbst die Sehnsucht nach zu Hause, nach Familie und damit nach Rückzug in ein ruhigeres Innenleben. Jeder, der sehr viel arbeiten muss, braucht einfach Pausen und Rückzugsräume.
Hinzu kommen noch einige kleine, nicht unwichtige Details: Wenn die Generation X auf Klassenfahrt ging, besuchte sie noch in den 1990er Jahren Bergbaugruben im Harz oder es gab vielleicht mal ein paar Tage London, Rom oder Prag. Damit blieben dem grundsätzlich von Fernweh geplagten Menschen als solchem noch sehr viele, schöne Reiseziele übrig, deren Finanzierung erst einmal selbst erwirtschaftet werden musste, die vornehmste Aufgabe eines ganz eigenen, selbstbestimmten Erwachsenenlebens. Heute führen die Schulen ihre Klassenfahrten in die ganze Welt, und über diese Reiseziele dankbare Eltern, denn es handelt sich schließlich um Horizonterweiterung im besten Sinne, zücken gern das Portemonnaie, um ihren Kindern großzügig die Sylt-, Israel-, USA- und China-Ausflüge zu ermöglichen. Und den Rest erledigen sie selbst, noch aus der Gewohnheit ihrer eigenen Zeit der Vielfliegerei, reisen sie mit ihren Kindern zu Ostern, zu Weihnachten und im Sommer auch, nach Südafrika, Asien oder Australien.
In den Ganztagsschulen wird der Genration Y damit alles abverlangt, aber andererseits auch alles geboten, was nur irgendwie geht. Zu Hause bekommt sie ebenso alles, was sie braucht, und noch mehr. Gleichzeitig ist die Woche, sieben Tage lang, hart getaktet, so dass die Generation Y durch Schul- und Studentenzeit den lieben langen Tag komplett beschäftigt und ausgelastet ist, als wäre sie nicht etwa erst in der Vorbereitungsphase auf ein Arbeitsleben, sondern als hätte sie längst eines. Die Lufthoheit über bundesdeutsche Kinderbetten hat aktuell eine höchst seltsame Mischung aus Überforderung und Überbehütung glasklar gewonnen.
So manche Abiturienten und Studenten fühlen sich nach dem Abschluss so leer, als hätten sie ihre Karriere nicht erst noch vor sich, sondern, als hätten sie bereits eine komplette Karriere hinter sich gebracht. Doch trotz aller großen Anstrengungen, die sie bringen muss, steigen für die Generation Y weltweit, auch als Folge Weichen stellender politischer und wirtschaftlicher Fehlentscheidungen der eigenen Elterngeneration, die Aussichten auf einen Abstieg trotzdem immer mehr. Und damit wachsen für junge Menschen mit dem Ende ihres Bildungslebens zunächst nur ihre wenig optimistischen Zukunftsaussichten sowie die unmittelbare Aussicht, lediglich aus den überbehüteten und materiell gesicherten Nestern ihrer Elternhäuser, Schulen, Fachhochschulen und Unis zu fallen.
So lautet die große Frage, was die Welt da draußen dieser Generation eigentlich noch zu bieten hat, was sie nicht schon längst kennt und hatte? Für was sollen diese gut funktionierenden Soldaten, die alles getan haben, was von ihnen verlangt wurde, überhaupt "nach draußen" gehen und in die Welt ziehen, deren Reiserouten sie seit frühester Kindheit bereits kennen? Wofür sollen sie jetzt noch mehr leisten? Für wen oder was Verantwortung übernehmen und sich noch mehr einsetzen, als sie es bereits in einem Maße getan haben, zu dem ihre eigenen Eltern nie gezwungen wurden, nicht bereit waren oder keine Lust hatten? Für noch mehr Arbeit, noch größere Erschöpfung, noch mehr Geld, noch auslaugendere Sieben-Tage-Wochen, für noch mehr, noch teurere Fernreisen? Auf was soll diese durch lange Arbeitstage, hohe Anforderungen und viele Erlebnisse früh gesättigte und fremdbestimmte Generation überhaupt noch hungrig und neugierig sein? Oder anders ausgedrückt:
Why?
2014-10-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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