von Juliane Beer
"Sex mit Gysi" oder: Ist der scheidende Fraktionschef der Partei Die Linke nichts weiter als ein ess- und trinksüchtiger Intrigant? Sarah Waterfelds Debütroman "Sex mit Gysi" erschien nur ein paar Monate vor der Abschiedsrede Gysis im Berliner Bundestag. Zufall? Doch eins nach dem anderen. Worum geht es überhaupt?
Ronen Wellmer, angehender Journalist, der als Barmann im Lokal des ARD-Hauptstadtstudios jobbt, wittert die große Story, als er zufällig den am Tresen telefonierenden Gregor Gysi belauscht. War da nicht gerade von anzüglichen Sex- Praktiken die Rede? Ronen und sein Kumpel Mo, der für die IT-Angelegenheiten der Bundestagsfraktion der Linken zuständig ist, machen sich an die Arbeit, kommen aber Gysis wahren Absichten nicht auf die Spur.
Auch Syana Wasserbrink, Mitarbeiterin im sogenannten Ostbüro der Linken, ahnt nicht, dass sie die Hauptrolle in Gysis Intrige spielt. Seine Partei ist in keinem guten Zustand, man zerfleischt sich gegenseitig und öffentlich, die Umfragewerte sinken. Ein Sündenbock muss her, im Roman als Pharmakós betitelt - so wurde im antiken Griechenland* ein menschliches Opfer bezeichnet, das für Reinigungsrituale vorgesehen war. Gysi hofft, dass wieder Einigkeit einkehrt, nachdem Wasserbrink, den linken Abgeordneten sowieso irgendwie suspekt, geopfert wurde. Sie soll für den Parteivorsitz kandidieren, im Rahmen dessen will Gysi sie vernichten. Die Vorbesprechungen mit seinen Vertrauten zu dieser Tat werden, um vor Abhöraktionen sicher zu sein, mit anzüglichen Begriffen vercodiert.
"Sex mit Gysi" ist eine Satire. Die Satire ist eine überspitzte Darstellung der Realität. Gysi ist vielen als Politiker bekannt, dem man alles zutraut, bzw. dem man gerade aufgrund von Intelligenz, Machtstreben und Witz nicht über den Weg traut. Was würde ein solcher Politiker, überspitzt dargestellt, unternehmen, um seine Partei zu retten? Ein paar BeraterInnen, die normalerweise damit befasst sind, den Kapitalismus am Laufen zu halten, anheuern? Bezahlte, instruierte ´Parteimitglieder´ einschleusen? Gar mit dem Geheimdienst eines sozialistischen Landes zusammenarbeiten? Nichts dergleichen passiert im Roman. Waterfelds Gysi entpuppt sich als Bonvivant, der seine Zeit damit zubringt, lüstern zu überlegen, mit welcher Leckerei er sich als nächstes für die Ärgernisse des Lebens entschädigen könnte - und nur von seinen Ess- und Trinkgelüsten ablässt, um die Intrige gegen eine nichts ahnende Mitarbeiterin Wasserbrink weiter zu spinnen.
Diese Gysi-Darstellung, die zunächst eher wie eine Verniedlichung und nicht wie eine Überspitzung wirkt, wird im Laufe des Romans zunehmend überzeugender, weil Stärke und Witz des Buches in den zahlreichen Details stecken. Beispielsweise erleidet Gysi einen Hörsturz, während er die Opferung der Mitarbeiterin durch das Studium philosophischer Texte zu legitimieren versucht. Im Krankenhaus schwankt er dann zwischen Genugtuung und Ekel ob der Katzbuckelei des Arztes. Oder er reagiert in bekannter (realer) süffisant-schlagfertiger Manier, wenn ihm in seinem Stammlokal Sahne zum Rhabarberkuchen angeboten wird. Eine weitere Stärke des Romans sind die ProtagonistInnen. Sie leben. Syana Wasserbrink, weibliche Hauptdarstellerin, 30 Jahre alt, ihr Mann, ihre Freundinnen und die gleichaltrigen Darsteller Ronen und Mo sind Kinder ihrer Zeit, und zwar von der Sorte, die Kapitalismuskritik hip findet, Engagement gegen den Kapitalismus jedoch eher albern.
Beim nächtlichen Durchfeiern oder gelegentlichem Drogenkonsum können die Kids schwer von dauerndem Selbstoptimierungsgebaren ablassen. Ticks und komische Angewohnheiten werden erdacht und konzipiert, anstatt dass man unschuldig von ihnen überfallen und gequält wird.
Eine Leserin, die ihre Jugend in der Anti-Atomkraft-Bewegung und ihre Spätjugend im Westberlin der 1980er Jahre verbrachte, lässt das abwechselnd schmunzeln und erschaudern. Umgekehrt auch immer wieder amüsant werden die Alt-68er dargestellt: Hier sind es Syanas Eltern, die meinen, man könne den Kapitalismus auf ein paar Demos, mit Aktionen oder innerhalb einer Diskussionsrunde mit Gleichgesinnten, Rotwein und Fladenbrot zur Strecke bringen. Jetzt aber, Jahrzehnte später, hat das Platzen dieser Träume Spuren hinterlassen. Davon bleibt auch die Tochter nicht unberührt.
Bei aller guten Unterhaltung - eines gibt es zu beklagen in Bezug auf die Darstellerin Syana, die attraktiv, gebildet und klug ist und neben dem Job im Bundestag das Familienleben mit zwei Kleinkindern meistert. Zwar besticht Syana durch Selbstbewusstsein, lässt auch gern mal ihre Mutter die Babysitterin geben, um selbst cool gestylt den Abend in einem Club zu verbringen, ist glücklich und zufrieden mit ihrem optischen Erscheinungsbild und nimmt sich das Recht heraus, Männer auch klipp und klar nach dem Äußeren zu beurteilen, brütet anderntags über einer philosophischen Arbeit, streicht mal eben die Wohnung etc., doch all das nur, solange Waterfeld ihre Protagonistin loslässt. Das tut sie aber leider nicht durchgehend. Es kommt hin und wieder der Verdacht auf, Waterfeld traue sich nicht, konsequent eine wunderbare Heldin, die ausdrücklich nicht als gebrochene Persönlichkeit dargestellt wird, ins Rennen zu schicken.
Einige Male wird das sympathische Selbstbewusstsein der Protagonistin durch Zu- und Beschreibungen der Autorin sabotiert, was Syana eitel, fast narzisstisch dastehen lässt. Beinahe wird man dadurch zu der Frage getrieben, ob hier eine Frau mehr Aufhebens um sich selbst macht, als ihr zusteht. Das ist durchaus schade, denn es ist doch umgekehrt wünschenswert, dass Frauen endlich Aufhebens um sich selbst machen. Aber: ist das überhaupt ein Problem speziell dieses Romans oder haben Autorinnen grundsätzlich auch im Jahr 2015 noch Schwierigkeiten, ganz selbstverständlich schöne, kluge, gebildete Heldinnen auftreten zu lassen, die ihr Leben im Griff haben und dafür nicht gleich wieder bestraft werden? Wie auch immer man es sehen mag: In diesem Roman kann, soll und darf man über Gysi den Kopf schütteln, der sich, statt mit Geheimdiensten und Beratern zu kooperieren, an einer Mitarbeiterin abrackert, die sich für ihn umgekehrt nicht im geringsten interessiert. Und, um ein bisschen mehr zu verraten: Am Ende scheitert alles an der modernen Technik.
Zum Buch:
Über die Autorin (Informationen vom Eulenspiegel-Verlag)
Sarah Waterfeld, 1981 in Berlin geboren, wuchs im Wedding auf. Sie studierte Neuere deutsche Literatur und Politik an der FU Berlin sowie Medienwissenschaften an der Universität Potsdam und ist Mutter von zwei Kindern. 2012 trat sie eine Stelle im Bundestag als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Abgeordnete der Linksfraktion an. Sie war Lehrbeauftragte der Europäischen Medienwissenschaft an der Universität Potsdam. »Sex mit Gysi« ist ihr Romandebüt.
Achtung, Werbung + Info:
Sex mit Gysi
von Sarah Waterfeld
Roman, erschienen bei Eulenspiegel
ISBN 978-3-359-02481-1
288 Seiten
Buch beim Eulenspiegel-Verlag
2015-10-10, Juliane Beer
Text: ©Juliane Beer
* (Quelle: Wikipedia)
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