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Schau' dich um, der Smombie geht um

Glosse

von Annegret Handel-Kempf

Selten wurde das Jugendwort des Jahres treffender gewählt, als der „Smombie“. Zur Erläuterung: „Smombie“ ist kein schwedisches Sahnetörtchen, sondern dieses Smartphone-introvertierte Wesen, das wie ein Zombie unerklärliche und gefährliche Dinge tut.

Wer nur noch auf sein Smartphone starrt und von seiner Umwelt nichts mehr mitbekommt, ist ein „Smombie“. Die Langenscheidt-Verlag-Jury fand die Wortschöpfung aus „Smartphone“ und „Zombie“ so genial, dass sie die smarte Kombi zum neuen Jugendwort des Jahres kürte. Wobei die Online-Voter das „Merkeln“, also das Nichtstun, Nichtäußern und Aussitzen von Entscheidungen, eigentlich besser fanden und eher kannten. Aber für die End-Entscheider war das Wort wohl politisch inkorrekt, nachdem die Bundeskanzlerin mit „Wir schaffen das!“ gleich ein ganzes Heer an Ehrenamtlichen aktivierte.

Statt „Nichtstun“ also „Nichts-Mitbekommen von seiner Umwelt“ oder vielmehr „Smombie“ statt „Merkeln“ als Jugendwort des Jahres. „Nichts-Mitbekommen“ beispielsweise von der Grünschaltung der Ampel.

Wie der Busfahrer in dieser Woche in München, der unerklärlich lange an den Haltestellen stehen blieb und mitten im Berufsverkehr ein ums andere Mal nicht los fuhr, wenn die Verkehrslichter schon längst grün geworden waren.

Zu hupen traute sich lange keiner aus dem langen Tross, den er hinter sich herzog – Busfahrer sind quasi sakrosant und dürfen eigentlich auch nicht überholt werden. Als es dann doch einer wagte, sah er den Smombie: Verkabelte Stöpsel in den Ohren, Smartphone auf dem Lenkrad – ein Busfahrer im Dienst.

Nun weiß man nicht, ob das kleine Smartphone besser oder schlechter war als das große, ebenfalls auf dem Steuer platzierte Tablet, auf dem kürzlich ein LKW-Fahrer fingerfertig agierte, während er sein tonnenschweres Gerät durch München steuerte. Immerhin hatte er keine Lautsprecher in den Ohren und bekam den Warnhupen-Chor mit, der ihn davor bewahrte, final in die vor ihn kreuzende Straßenbahn einzubiegen.

Vielleicht kommentierten die beiden Berufsfahrer-Smombies gerade Neuigkeiten über selbstfahrende Autos, Busse und LKWs. Vielleicht träumten sie dabei von Zeiten, in denen sie sich ganz legitim während der Arbeit auf ihre mobilen Endgeräte konzentrieren dürfen.

Dürfen sie aber voraussichtlich nicht! Denn die Wahrscheinlichkeit, dass autonomes Fahren den Verantwortlichen auf dem Fahrersitz nur kräftig unterstützen, seinen Job aber nicht übernehmen wird, ist groß. Geforscht wird an erweiterten Fahrassistenzsystemen, in denen Fahrfehler durch die Fahrzeug-IT erkannt und ausgeglichen werden, Unaufmerksamkeit aber auch sanktioniert wird. Wie, ist noch nicht raus. Vielleicht mit einem Schuss frischen Wassers, der die heiß gedaddelten Wangen (auch so ein Jugendwort, für „Kommunikation mit dem Computer“, Anm. d. Red.) kühlt und die Smombie-Fahrer in die Realität zurückholt?

Nichts bekam auch die Mutter von ihrer Umwelt mit, die per Fahrrad einen Anhänger voll Kinder bei Ampelschaltung Rot über die Straße zog. Von ihr unbemerkt: Die das Gespann kreuzenden Autos hatten eigentlich den Schwung der hinter ihnen liegenden, achtspurigen Hauptstraße sowie ihrer PKW-Grünphase in sich.

Dennoch konnten sie noch bremsen, während die Mutter auf ihrem Fahrrad mit Anhänger voller Kinder nicht einmal schneller wurde, um aus der Gefahrenzone zu kommen. Schneller radeln und dabei die Balance zu halten, wäre auch schwer gewesen. Schließlich presste sie mit einer Hand ihr Smartphone ans Ohr, um ja nicht durch den Straßenlärm vom schicken Kommunikationsmodell abgelenkt zu werden. Mit der anderen Hand führte die radelnde Smombine ihre Brotzeitsemmel zum Mund.

Gebremste Instinkte waren jüngst auch bei den beiden Müttern festzustellen, die ihre Kinderwägen ganz ohne Ampel über eine heftig befahrene, sechsspurige Fahrbahn lenkten und dabei intensiv mit ihren Smartphones beschäftigt waren – vermutlich inspizierten sie gerade die Verkehrsfunkmeldungen.

Bei den Jugendlichen, deren Jugendwort des Jahres laut Verlags-Jury-Entscheidung angeblich „Smombie“ ist, wirkt eher noch das Handy-Zeitalter nach. Da schon damals so manche Mütter nicht mehr die Mimik- und Gestenkommunikation mit ihrem Nachwuchs während des Spazieren-Schiebens genossen, sondern statt dessen mit der Telefonauskunft oder so Dauergespräche führten, ergab der mangelhaft ausgebildete Menschenbezug bei machen Teenies offenbar die Gleichung: Reaktion zeigen = Ins Smartphone starren.

Das Daddeln ist auch bei dieser Smombie-Gruppe besonders beliebt im Zusammenhang mit dem Überqueren von Fahrbahnen. Verfeinert durch die Variante: Sobald die Füße auf der Straße sind, verharren die Smombies im Schritt, zücken ihre Smartphones und verwöhnen sie mit Beachtung. Sobald die Fußgängerampel auf Rot schaltet, schreckt das Fast-noch-Kind aufgrund der Lichtspiele hoch (Hupen hätte wegen der auch hier beliebten Stöpsel im Ohr, die sogar Außengeräusche komplett ausblenden können, keinen Sinn) und setzt seinen Weg fort.

Jetzt weiß die Karawane der blockierten Autofahrer dank des Jugendworts des Jahres 2015 endlich, was sie in einem solchen Fall rausfluchen soll: „Smombie!“. (Das „Sm“ soll übrigens bei Angehörigen dieser Spezies nicht nur für „Sm“artphone stehen, sondern auch für „S“low „m“otion, also langsame Bewegung. Letztere ein unverwechselbares Kennzeichen der Smombies, das auf den Straßen schnell den Verdacht auf ein Smartphone als dominierenden Verkehrsteilnehmer schließen lässt.) In einem solchen Fall gilt für alle gerade Nicht-Smartphone-Träger: „Schau‘ Dich um, der Smombie geht um!“


2015-11-25, Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter

Text: ©Annegret Handel-Kempf
Foto + Foto-Banner: ©aph, Wirtschaftswetter
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