von Angelika Petrich-Hornetz
Sachsen ist ein schönes Land. Im Sommer sattes Grün, sanfte Hügel und Berghänge, die flirrenden Großstädte Leipzig und Dresden. Und es gibt es dort sehr viele schöne Menschen, und zwar derart schön, dass sie von ihren Mitbürgern anderer Bundesländer inzwischen dafür bewundert werden, wie sie sich immer wieder mutig auf die Straße, an die Tastatur und vor die Kameras schwingen und damit das Bild von Sachsen wieder zurechtrücken, das inzwischen seit über einem Jahr schwer beschädigt wird. Denn das Bild, das dieses Bundesland nicht erst seit dem vergangenen Wochenende in der Öffentlichkeit präsentiert, ist das eines grölenden Mobs und brennender Flüchtlingsunterkünfte. Nicht zu vergessen die „Montagsdemonstrationen“, in denen notorische Realitätsverweigerer ständig mit „Wir sind das Volk“ so tun, als würde es die Millionen anderen Volksangehörigen gar nicht geben, nur, weil die nicht die Zeit haben, gleich jede Woche zurückkeifen.
Auch in fast allen anderen Bundesländern gab oder gibt es Gegröle und feige Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, aber nirgendwo prägen diese so sehr das Image gleich eines ganzen Bundeslandes. Seit vergangenem Wochenende gibt es nun per Video ein neues, solcherart prägendes Bild: Ein vor Angst schluchzender Flüchtlingsjunge verlässt den Bus, mühsam bugsieren ihn Polizisten durch eine tobende, johlende Menge in die Unterkunft. Erteilte Platzverweise werden von dem grölenden Männer-Auflauf mit Gelächter quittiert. Eine eindeutige Geste, wer meint, in diesem Land die Regeln bestimmen zu können.
Das Bild des Jungen hat sich am vergangenen Wochenende der Weltöffentlichkeit eingeprägt, als die deutsche „Willkommenskultur“ vor Ort – in Sachsen. Während der Ministerpräsident seiner Reisetätigkeit auf Staatsempfängen in Warschau und Paris nachging, tobte zu Hause in Sachsen der Mob: Am Donnerstag pöbelten in Clausnitz rund hundert Landsleute gegen per Bus ankommende Flüchtinge und versperrten ihnen den Weg zur Unterkunft - In der Nacht zum Samstag wurde in Bautzen eine neu hergerichtete Flüchtlingsunterkunft in Brand gesetzt, das Löschen des Feuers unter Gejohle versucht zu verhindern. Und wer soll das alles bezahlen? Der Aufbau Ost? Ob diejenigen, denen diese“Vorfälle“ immer noch gelegen kommen, überhaupt abschätzen können, welche Folgen so etwas, insbesondere für das von ihnen angeblich so heiß geliebte Sachsen selbst haben könnte? Einen Bärendienst haben die mitjohlenden und mitlaufenden "besorgten Bürger" ihrem Land damit erwiesen.
Was die ankommenden Flüchtende damit erfahren mussten: Sie sind nicht nur ins Deutschland von Mutter Merkel gekommen, sie werden dort auch von den Tanten Petry, von Storch und Festerling empfangen, die sie keineswegs willkommen heißen. Den Meinungsführerinnen der AfD, die immer wieder aufs Neue gegenüber den von ihren Anhängern als „Lügenpresse“ Betitelten bekunden, auf wen sie in welchem Fall an der Grenze ultima ratio schießen lassen möchten und dann wieder nicht und dann wieder doch, hatte jüngst der deutsche EU-Kommissar Öttinger einen launigen Brocken hingeworfen, indem er behauptete, er würde sich noch in derselben Nacht erschießen, wenn diese Frau Petry seine Gattin wäre (die Schießerei durch Dritte wäre daher gar nicht mehr notwendig). Eine Bemerkung, in Anlehnung an Churchill (daran erinnerte kürzlich ein NDR-Radio-Redakteur), der einer Abgeordneten beschied, die ihm entgegengeschmettert hatte, sie würde ihm, wäre sie mit ihm verheiratet, Gift geben: „Und wenn ich mit Ihnen verheiratet wäre, würde ich es sogar nehmen!“
Man sollte zwar wissen, dass zu den beleidigenden Gesten auch in Deutschland ausdrücklich der - auf vielen Schulhöfen dagegen alltäglich anzutreffende - Stinkefinger und das Kopf-ab-Zeichen gehören, aber die Botschaft aus Clausnitz und Bautzen lautete zumindest am Ereigniswochenende noch ganz anders: Alles Mögliche an Seltsamkeiten ist in Deutschland offenbar auf einmal möglich, u.a. vor lauter Freude hysterisch zu klatschen, sogar Rettungsarbeiten zu behindern (!), wenn ein Flüchtlingsheim brennt, aber NICHT der Stinkefinger, selbst wenn es sich nur um Kinder und Jugendliche handelt.
Das Abbrennen von Flüchtlingsunterkünften unter Gejohle ruft sofort Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen 1992 wach - und ändert damit genauso zügig die Richtung, aus der eine Gefahr für Leib und Leben zu erwarten ist. Dass die Polizei in Clausnitz deshalb mit dem berechtigten Hintergedanken, die Situation könnte jeden Moment eskalieren, die Menschen, die angesichts solch einer „Begrüßung“ verständlicherweise nicht mehr aus dem Bus steigen wollten, mit Nachdruck herausholten, erscheint insoweit nachvollziehbar - jedenfalls dann, wenn keine Zeit mehr vorhanden ist, weitere Kräfte anzufordern und den Platz zu räumen, um die Menschen anschließend unbehelligt aussteigen lassen zu können. Aktuell auftauchende, neue Details über die Hintergründe, wie diese johlende Menge überhaupt vor Ort sein und Flüchtlinge und Polizei derart überrumpeln konnte, sorgen inzwischen für noch mehr Entsetzen.
Unverständlich blieb, dass es zunächst hieß, es werde wegen provozierender Gesten und negativer Meinungsäußerungen, die sich offenbar beide Seiten lieferten, nur in Richtung Flüchtlinge ermittelt, zumal es sich bei Flüchtlingen um Menschen handelt, die i.d.R. noch keine Kenntnis vom „ortsüblichen Kommunikationsgebaren“ haben. Von Flüchtlingen kann man angesichts solch eines aggressiven „Empfangs“ wohl kaum noch eine durch jahrelange Exerzitien eingeübte Demuts-Haltung wie von japanischen Zen-Meistern erwarten.
Die Gesten Stinkefinger und Vogel-Zeigen waren dabei eine lange Zeit auf sämtlichen deutschen Straßen in täglichem Gebrauch. So mancher Streit zwischen vorher sich vollkommen unbekannten Verkehrsteilnehmern eskalierte deshalb und der Umgang „miteinander“ im Berufsverkehr wurde immer unerträglicher. Man muss den alten Dauerclinch unter Autofahrern um das angeblich bessere Fahrverhalten sicher nicht an anderer Stelle wiederaufleben lassen.
Nach §185 StGB ist die erfolgte Beleidigung mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe zu ahnden, ein Stinkefinger kann durchaus ein paar hundert bis tausend Euro kosten. Neben beleidigenden Gesten sind auch Flüche und verbale Beleidigungen verboten. Selbst eine Videokamera – ein Blitzgerät – kann mit einem Stinkefinger beleidigt werden, urteilte einst ein Landgericht, weil der dahinter sitzende Beamte beleidigt werde. Im Straßenverkehr können Beleidungen für zusätzliche Sanktionen sorgen, wie einen Eintrag von Strafpunkten für Autofahrer.
„ Sau“, „Blödman“ und „Bekloppter“ sollte man sich in der Öffentlichkeit ebenfalls verkneifen – und selbst Beleidigungen in indirekter Rede können teuer werden. Gesten sind überhaupt eine äußerst delikate Angelegenheit und je mehr Globalisierung, desto mehr Missverständnisse tauchen auf. Auch das macht die internationale Welt anstrengender als die nationale. Wer sich die Vielzahl der vorhandenen, unterschiedlich deutbaren Gesten weltweit ansieht weiß warum. Je nachdem, wo man sich aufhält, kann dieselbe Geste etwas Positives oder etwas schwer Beleidigendes bedeuten. Geschäftlich und touristisch Reisende informieren sich jeweils vor Reiseantritt über die üblichen Gesten im Zielland, zumal Gestikulieren manchnmal sogar die fehlende gemeinsame Sprache ersetzten muss. Und am Ende lautet immer die Frage: Wer hat angefangen? In Bautzen ist die Frage so gut wie geklärt, das Haus war unbewohnt und konnte nicht anfangen. In Clausnitz ist man derzeit auf dem Stand einer mutmaßlichen, unter dubiosen Umständen erfolgten Verabredung zum gemeinsamen Krawallmachen.
Ob das aktive Versperren von öffentlichen Verkehrswegen, privaten Zufahrten und hasserfülltes Gegröle - vom Abbrennen von Häusern ganz zu schweigen - nicht viel schlimmere „Gesten“ sind, steht für eine breite Öffentlichkeit vollkommen außer Frage, wie strafrechtlich relevant das Ganze ausfällt, müssen die Behörden klären. Dass aber gegen einen Minderjährigen wegen eines Stinkefingers ermittelt werden soll, wirkt angesichts des ganzen Geschehens wie die vollkommene Überstrapazierung einer Lappalie.
Ein öffentliches Interesse an der Aufklärung der Vorfälle in Clausnitz und Bautzen dürfte sich vielmehr auf das seltsame Verhalten der vor Ort pöbelnden und angesichts einer brennenden Flüchtlingsunterkunft jubelnden Einheimischen beziehen, die sich offenbar nicht einmal zu schade dafür waren, selbst minderjährigen Kindern Angst und Schrecken einzujagen. Damit haben nicht die Flüchtlinge, sondern die Einheimischen eine Grenze überschritten. Diese wurde schon in vielen anderen, nur weniger bekannten, Fällen überschritten und lieferte der Weltöffentlichkeit Bilder von Sachsen, die laut Touristikern bereits Auswirkungen haben. Was will man damit aber erreichen, außer weitere Touristen zu verschrecken? Was hätte Sachsen davon, „unter sich“ zu bleiben? Die Antwort ist ganz einfach: gar nichts. Spätestens im Jahr 2030 wird das Flächenland Sachsen nur noch etwa so viele Einwohner wie Berlin haben und sterbende Dörfer und Regionen gibt es allen Bundesländern, nicht nur in Sachsen. Der gerade aktuell erschienene Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministerium zeigt: Wenn keine fitten und jungen Arbeitnehmer in ausreichender Zahl vorhanden sind, schafft sich Deutschland selbst ab, allerdings anders, als es ein gewisser Autor mit seinem Buch einst vorauszusehen glaubte. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn es nicht gleichzeitig so hässlich wäre, dass ausgerechnet in den Regionen, die bald leergefegt sein werden, Flüchtlinge so dermaßen unwillkommen sind, dass man dort selbst Familien mit Kindern verscheuchen will.
Den Grund für die zahlreichen Ausfälle in Sachsen sehen manche im ehemals fast nahtlosen Übergang der neuen Bundesländer von einer in die nächste Diktatur und der damit verbundenen, mangelnden Gelegenheit zum selbstbestimmten Handeln in die Lage versetzt zu werden, das notwendig wird, wenn keine Einheitspartei mehr vorhanden ist, die bis ins kleinste Detail vorgibt, was man zu tun und zu lassen hat. Außerdem wird der Mangel an Ausländern in der damaligen DDR häufig genannt, man lebte hinter dichten Grenzen, meistens unter sich. Die Flüchtlingsströme – die alten der Vertriebenen nach dem zweiten Weltkrieg und jetzt die neuen - landeten bisher vorwiegend im Westen an. Die Abwanderung während der DDR-Zeit und in den Wendejahren trugen ihr Übriges zum Leerstand in den neuen Bundesländern bei. Die auf den Dörfern Gebliebenen lebten weiter unter sich, den Frust über den Niedergang der Infrastruktur bekamen sie gratis. Internationales fand trotz Mauerfall bis auf Weiteres immer noch woanders statt, bis die Flüchtlingsbewegung, insbesondere durch den Syrienkrieg, einsetzte. Erstmals kommt nun, nach 40 Jahren DDR und 25 Jahren Wende die Weltpolitik vor die eigene, bis dahin isolierte Haustür.
Bereits die vielen Veränderungen durch die Wende waren für einige Mitbürger offenbar zu viel, die am liebsten die Mauer gleich wieder hochgezogen hätten, in der falschen Annahme, damit würde irgendetwas ruhiger oder einfacher werden. Nachvollziehbarer Frust breitete sich aus, u.a. die D-Mark, die manche sich so sehr als Währung gewünscht hatten: Kaum war sie da, war sie 2002 auch schon wieder weg. Die Personenkennzahl: Kaum war sie weg, kam schon die Steuer-Identifikationsnummer – sogar für Säuglinge. Nicht zuletzt dann die Abhörskandale am laufenden Band. Ist es noch ein Wunder, dass sich die ehemaligen DDR-Bürger langsam wieder wie im alten System vorkommen, drangsaliert und fremdbestimmt, nun mit noch mehr Armut - und auf dem Land noch schlechterer Infrastruktur „ausgestattet“? Doch kein Frust der Welt rechtfertigt solche menschenunwürdigen Taten und neben dem versursachten Leid sind sie auch noch vollkommen sinnlos: Es könnte noch viel schlimmer werden, die ganze Region in und um Syrien ist ein Pulverfass, so dass die aktuellen Auswirkungen bisher noch nichts dagegen sind, was noch kommen könnte und über die es sich im Vergleich mit dem noch Möglichen deshalb überhaupt nicht zu beklagen lohnt.
Die Veränderungen scheinen immer schneller einzutreffen, Bundestagspräsident a. D. Wolfgang Thierse bescheinigte den Menschen in den neuen Bundesländern als Reaktion auf die jüngsten Geschehnisse in Sachsen einmal mehr, mit den vielen Veränderungen - allein schon durch die Wende - nicht so gut fertig zu werden. Aber das ist nur die eine Hälfte der Medaille: Auch Westdeutsche, die nach Murphys Gesetz gewöhnlich mit allen Eventualitäten des Kapitalismus rechnen, sind mittlerweile in rauen Mengen von der Geschwindigkeit der sich abwechselnden Krisen genervt bis überfordert. Keineswegs haben sie sich etwa "besser" an die Missstände gewöhnt, aber genauso haben sich inzwischen viele daran gewöhnt, dass es keinen Stillstand geben wird - und dass im Zuge dessen auch nicht die vorhandenen Missstände für ewig in Stein gemeißelt sein werden.
Wir sitzen alle im selben Boot. Viele wissen: Nur das Beenden des Syrienkriegs wird die Flüchtlingszahlen in Europa in überhaupt spürbarer Zahl abnehmen lassen. Und was die steigenden Spannungen zwischen Saudi Arabien und Iran für Auswirkungen haben werden, weiß jetzt noch niemand. Einige scheinen aber genau das einfach nicht begreifen zu wollen. Sie wollen auch nichts davon wissen, dass die zunehmende Militarisierung von ganzen Staaten und mit ihr der internationale Waffenhandel die Schlüsselprobleme sind, die sich inzwischen sogar in der Aufrüstung von Privathaushalten niederschlägt.
Niemand kann etwas für die derzeitige Weltlage, jedenfalls nicht Otto Normalverbraucher, aber auch nicht die Flüchtlinge, auch nicht die Bundesregierung oder gar Europa als solches, auch wenn es eklatante politische Fehlentscheidungen waren und sind, die zu dem gegenwärtigen Chaos eindeutig beigetragen haben. Doch es gibt noch viel mehr Faktoren und Fehler kann man auch beheben, wenigstens ein Vorteil des Nie-Stillstands. Man wird jedoch die Weltpolitik nicht mehr aus dem eigenen Land aussperren können, dazu ist die Globalisierung zu weit fortgeschritten und die Weltbevölkerung zu groß. Problem-Lösungen funktionieren nur noch mit wachsender internationaler Zusammenarbeit und nicht mit Mauern, gegenseitigen Beschuldigungen und Aufrüstung.
Auch im Westen treffen unterschiedliche Welten oder besser gesagt, die Vorstellungen davon, aufeinander. So hatte sich jüngst ein Caterer, der auch Kantinen in Flüchtlingsunterkünften beliefert, dagegen verwahrt, auf die Forderung unzufriedener Flüchtlinge einzugehen, halal, nach islamischen Regeln zu kochen. Der Disput, ob immer nur Schweinefleisch oder immer nur Rindfleisch serviert werden müsse wurde nun beendet: Die unterschiedlichen Meinungs-Parteien wollen sich zusammensetzen und jetzt so demokratisch wie schlicht die künftigen Speisepläne gemeinsam beraten. Der ganze Vorgang hat in etwa denselben Unterhaltsungswert wie: „Skandal – Vegetarier wollen keine Wurst essen!“
Die Bereicherung der Küche durch weitere Komponenten als die vegetarische dürfte wohl das kleinste Problem von allen sein – und damit kein Grund zur Aufregung. Das Beispiel zeigt dagegen, dass a) es eine Weile dauern wird und b) dass beide Seiten voneinander lernen können und müssen, nämlich Kompromisse einzugehen. Eine Entweder-Oder-Politik, derzeit gefährlich populär in Europa, funktioniert momentan überhaupt nicht. Und die hat auch nichts mit den guten, einfachen Lösungen gemein, die gerade deshalb so schwer zu finden sind, weil es dazu eines ehrlichen Umgangs miteinander bedarf.
Man sollte nie alles glauben, was in der Zeitung steht und immer damit rechnen, dass es selten zwei gleiche Meinungen gibt. Zeitungen sind individuelle Informationsangebote, d.h. auch nichts anderes als Sichtweisen und Meinungen, die man lesen oder es auch lassen kann. Es handelt sich definitiv nicht um staatliche Organe mit dem Anspruch, die einzige Wahrheit, etwa „von oben“ unters Volk „zu bringen“. Was wäre denn das Gegenteil der angeblichen „Lügenpresse“, etwa eine allwissende „Wahrheitspresse“? An deren mögliche Existenz glaubt ein Demokrat nicht. Im Übrigen gilt dasselbe ungefähr auch für sämtliche Parteien: Sie stehen für diese oder jene Politik, vertreten unterschiedliche Meinungen, Haltungen, Schwerpunkte, Interessen. Die demokratischen Parteien haben nie den Anspruch erhoben, die alleinige Wahrheit für sich allein gepachtet zu haben. Es gibt viele Wahrheiten, und über die sollte man sich austauschen.
Manche haben auch selbst Schuld, vor lauter Informationen nur noch desinformiert zu sein: Wer ständig auf sein Smartphone starrt, in wachsender Panik, irgendetwas zu verpassen, müsste schließlich im analogen Verfahren täglich unzählige gedruckte Zeitungen lesen. Das verkraften höchstens Profis, ohne komplett durchzudrehen. Zu jeder Demokratie gehört auch, dass sich ständig gestritten wird. Es gibt keine Ruhe, die Welt- und damit Nachrichtenlage erlauben es nicht, sie dreht sich 24 Stunden lang an jedem einzelnen Tag. Deshalb muss man sich selbst aktiv Ruhepausen verschaffen, es wird auch kein staatliches Opium fürs Volk frei Haus geliefert. Die Balance ist deshalb ein so wichtiges Thema der Gegenwart, weil letztere ohne selbstständig organisierte, bewusst eingelegte Erholung von der wachsenden Informations- und Anspruchsflut einfach nicht mehr erträglich wäre.
Die besorgten Bürger Sachsens und anderswo sollten endlich aufhören, sich ständig bockig der Realität zu verweigern, sondern begreifen, dass das momentane Weltgeschehen weder per Knopfdruck noch durch Anordnung „von oben“ abgestellt werden kann, ein dafür zuständiges „Oben“ gibt es nicht. Es können und müssen in demokratischen Gremien sowie unter ständigem Verhandeln, demokratische Lösungen gefunden werden. Es wird lange dauern, was angesichts der Schnelligkeit von Message-Diensten manchem Dauer-Nachrichtenempfänger wie ein Schneckentempo vorkommen mag, aber das ist reine Selbsttäuschung, zumal zu den ankommenden Flüchtlingen, die hier bleiben, auch diejenigen zählen, die später u.a. die Steuern und Renten in Sachsen bezahlen werden. Ohne Zuwanderung wird es einfach nicht mehr gehen, und zwar schon sehr bald nicht mehr.
Die "Alternative für Deutschland" wäre die Sachsifizierung Deutschlands. Jeder müsste sofort per Gesetz mindestens sechs bis zwölf eigene Kinder in die Welt setzen – und bitteschön auch zu sozialversichtungs-pflichtigen, ordentlichen Arbeitnehmern erziehen, nur, um die eigene Grundsicherungs-Rente noch einigermaßen finanziert zu bekommen. Aber das wird auch kein Sachse schaffen, schon gar nicht, wenn er ständig damit beschäftigt ist, Flüchtlingsunterkünfte anzuzünden und grölend auf der Straße herumzustehen.
2016-02-23, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: © Angelika Petrich-Hornetz
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