Die Fragen stellte Angelika Petrich-Hornetz
Wirtschaftswetter: Frau Fischer, heute ist Muttertag. Wie fühlen Sie sich?
Sarah Fischer: Gut, auch wenn ich noch nichts Selbstgebasteltes bekomme. Meine Tochter ist noch zu klein.
Wirtschaftswetter: Mit Ihrem Buch "Die Mutterglück-Lüge" greifen Sie die Regretting-Motherhood-Debatte", die 2015 von Ornah Donath angestoßen wurde, für Deutschland auf. Welche Reaktionen haben Sie erhalten?
Sarah Fischer: Die Anzahl hat mich überrascht. Ich meine, ich habe mit Reaktionen gerechnet, aber nicht mit so, so vielen. Schön ist es für mich, dass die positiven überwiegen. Manche Frauen und überraschend viele Männer schreiben mir lange Mails, erzählen ihre halbe Lebensgeschichte oder eben von Erlebnissen als Eltern. Sie bedanken sich für meinen Mut – endlich wagt es eine mal darüber offen und ehrlich zu sprechen. "Hätte ich Ihr Buch früher gelesen, wäre ich nicht so allein gewesen, Erlösung für mich", u.v.m. Und diese Zuschriften bestärken mich immer wieder, dass es richtig war, das Buch zu schreiben, vor allem für andere, die betroffen sind.
Viele sagen, das Buch wäre längst überfällig gewesen und dass es sie erleichtert hat. Denn wer in Bezug auf Kinder was bereut, ist ja bei uns schnell ein schlechter Mensch. Bei den negativen Kommentaren ist mir aufgefallen, dass viele mein Buch gar nicht gelesen haben, sondern oft wohl nur auf einen Zug aufgesprungen sind oder ihre eigenen Vorurteile bestätigen wollten. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie müssen besonders laut schreien, um diese Stimme in ihnen zum Schweigen zu bringen, die sagt: "Ohne Kind war manches einfacher." Die negativen Reaktionen haben mir aber auch noch mal gezeigt, wie brisant das Thema ist. Dabei wäre es so schön, eine sachliche Diskussion zu führen, die schließlich alle Frauen und Mütter und Männer und Familien weiterbringen soll.
Wirtschaftswetter: Gab es neben der Studie von Donath noch einen weiteren, konkreten Anlass für Ihr Buch, vielleicht einen Moment, indem Sie dachten, der Eimer ist voll, die Zeit ist reif, das muss jetzt in die Öffentlichkeit?
Sarah Fischer: Ja. Als ich mich einmal am Spielplatz einer anderen Mutter anvertrauen wollte, ganz zart, als die mich dann anschaute als wären bei mir in sekundenschnelle Masern und Windpocken gleichzeitig ausgebrochen. Und als ich dann aber kurz darauf hörte, wie unglücklich sie mit ihrer Situation ist, ohne das auf ihre Rolle als Mutter zu beziehen. Da dachte ich nicht mehr: Mit mir stimmt was nicht, sondern: Mit diesem Mutterding stimmt was nicht. Womöglich bin ich gar nicht allein mit diesen Gedanken. Womöglich gibt es noch andere. Wie viele? Wo sind sie? Tja, und dann habe ich mich aufgemacht, sie zu suchen ... und bin erst mal an eine Mauer des Schweigens geprallt. Das Tabu. Das ich aber jetzt ganz gut geknackt habe mit Hilfe diverser Mitstreiterinnen, meine ich.
Wirtschaftswetter: Seit Jahrzehnten schreiben Frauen über ihre Erfahrungen mit der Mutterrolle und es läuft nach wie vor regelmäßig auf die Quadratur des Kreises hinaus. Eine gelungene Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist immer noch eine Glückssache, abhängig u.a. von Kinderbetreuungsplätzen, einem mitziehenden Partner, einem Netzwerk von Freunden, fitten Großeltern, die auch mal bei Krankheit die Enkel einhüten etc.. Hierzulande haben die Diskussionen um die Dauerüberlastung von Müttern, aber vor allem die Anforderungen der Wirtschaft an Frauen als Erwerbstätige zum Ausbau der Kinderbetreuung und Ganztagsschulen geführt - und das Leben der berufstätigen Mutter angeblich verbessert. Warum wäre Ihnen trotz dieser Errungenschaften die Rolle des Vaters lieber als die der Mutter?
Sarah Fischer: Väter müssen sich viel seltener rechtfertigen. Beispielsweise, wenn sie etwas mit ihren Kumpels unternehmen, abends nach der Arbeit müde sind, andere Hobbies als Kinderkram haben, auf Dienstreise sind. Wer fragt einen Vater, wenn er geschäftlich unterwegs ist: "Und wer kümmert sich um Ihr Kind?" Eine Mutter, die unterwegs ist, wird das gefragt bzw. sie wird seltsam angesehen. Väter werden dafür abgefeiert, wenn sie zwei ganze Tage am Wochenende auf die Kinder aufpassen. Denn sie sind ja sooo von ihrem Beruf vereinnahmt, sonst.
Ich als Mutter soll doch bitte zufrieden und glücklich sein, weil ich Mutter bin. Und arbeiten darf ich ja auch noch. Wieso beschwere ich mich darüber? In unserer Gesellschaft müssen sich immer noch fast ausschließlich die Frauen die Frage nach Vereinbarkeit stellen und daran ändern auch zwei Monate Vaterschaftsurlaub nichts. Solange Männer in den gleichen Berufen mehr verdienen, keine Teilzeit für beide Eltern gleichzeitig möglich ist, zu wenige Männer zu Hause bleiben, es aber zu teure Sozialversicherungen gibt, (z.B.Krankenversicherung oder Rentenpflichtversicherungen für Selbständige), solange verabschiedet sich das schöne Modell der Gleichberechtigung exakt ab dem Zeitpunkt, an dem das Kind auf der Welt ist.
Wirtschaftswetter: Welchen Erkenntnisse aus Ihren Erlebnissen als Mutter stehen Sie nach wie vor ohnmächtig gegenüber und welche konnten Sie als Bereicherung in ihr persönliches Leben einbauen?
Sarah Fischer: Ohnmächtig gegenüber den Einstellungen anderer, vor allem, dass ich als Mutter doch bitte zufrieden und rundum ständig glücklich sein soll, einzig und allein, weil ich Mutter bin. Und alles, worauf ich verzichte, ist gar kein Verzicht, sondern eine Gnade, weil ich doch jetzt eine Mutter bin. Ich soll ruckzuck einen Heiligenschein haben und wenn nicht: Rabenmutter, Fegefeuer. Und noch schlimmer ist, dass die Ablehnung der Mutterrolle gleichgesetzt wird mit fehlender Liebe gegenüber meinem Kind. Dabei liebe ich meine Tochter über alles. Und diesen Tabubruch begehe ich natürlich auch ausdrücklich für sie. Sie wird auch einmal eine Frau sein, die vielleicht Mutter wird. Was mich auch noch ohnmächtig macht: Dass Geld verdienen in meinem Beruf sehr schwierig bis fast unmöglich geworden ist, da ich mich an feste Kindergartenbring- und Abholzeiten halten muss. Dass also das, was ich auch liebe, meinen Beruf, mir zum Teil verunmöglicht wird. Aber jetzt soll ich darüber auch noch lächeln und glücklich sein. Macht ja nichts. Habe ja ein Kind, juhu.
Als Bereicherung erfahre ich eine Qualität und Tiefe der Liebe, wie ich es noch nie erleben durfte. Wenn ich sehe, dass meine Tochter sich freut, wenn sie etwas begreift, wenn sie mit Appetit isst - da geht mir das Herz auf. Manchmal schaue ich ihr nur zu, höre ihr zu, wenn sie mir etwas erzählt - und bin glücklich.
Wirtschaftswetter: Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten viel erreicht, außer die Doppelt- und Dreifach-Belastung der Mütter zu ändern. Die Ansprüche ändern sich zwar, aber grundsätzlich hat die Mutter immer noch zu funktionieren und dabei gefälligst glücklich zu sein. Welche Rolle spielen, insbesondere in Deutschland, dabei das traditionelle sowie das aktuelle Bild der Mutter und damit die Erwartungen der Gesellschaft?
Sarah Fischer: Ich glaube eine sehr große, denn in anderen Ländern gibt es nicht mal ein Wort für Rabenmutter.
Wirtschaftswetter: Den jüngeren Frauen-Generationen wird immer vorgehalten, sie ruhten sich auf den Errungenschaften der vorangegangenen Frauen-Generationen aus, die sich aber ihrerseits auch nur teils befreiten: Auch deren Vertreterinnen fügten sich einst entweder in die Rolle der funktionierenden Multitasking-Mutter oder verzichteten wegen der Karriere ganz auf Kinder. Wird Ihrer Meinung nach die junge Frauengeneration - durch die Regretting-Motherhood-Debatte angestoßen - nun die Mutter als solche endlich befreien? Oder wird auch diese Frauen-Generation wieder sang- und klanglos aus der Öffentlichkeit in das aufreibende Hamsterrad zwischen Beruf, Haushalt und Kindern verschwinden?
Sarah Fischer: Ich glaube, dass der Kinderwunsch nichts ist, was man durch eine öffentliche Diskussion stärker oder weniger stark hat. Aber die öffentliche Diskussion ermöglicht es Frauen, die sich auch ein Leben ohne Kinder vorstellen können, weil sie vielleicht ihren Beruf sehr mögen, realistisch über die Konsequenzen nachzudenken. Davon abgesehen ist es blauäugig bei Scheidungsquoten von bis zu fünfzig Prozent in Großstädten zu glauben, dass man nie als alleinerziehende Mutter dasteht, und dann auf der Zielgeraden in die Altersarmut ist. Und eine öffentliche Diskussion um das Mutterbild würde vielen Frauen das Leben erleichtern, die nicht komplett in dieser Rolle aufgehen.
Wirtschaftswetter: Es gibt inzwischen zahlreiche Studien darüber, deren Ergebnis übereinstimmend lautet, dass die Lebenszufriedenheit von Eltern minderjähriger Kinder gegenüber Kinderlosen abnimmt und erst wieder steigt, wenn die Kinder älter - oder sogar bereits aus dem Haus sind, d.h. "wenn sie 'es' hinter sich haben". Welchen Anteil an der Lebensunzufriedenheit von Eltern in Deutschland hat die aktuelle Politik und was erwarten Sie selbst von einer vernünftigen, modernen Familienpolitik?
Sarah Fischer: Die aktuelle Politik hat einen großen Anteil an der Lebensunzufriedenheit, weil es immer noch nicht Teilzeit für beide Eltern gibt, weil ein gleiches Gehalt für Frauen und Männer in den gleichen Berufen immer noch nicht selbstverständlich ist, weil der Doppelverdiener-Haushalt nicht gefördert wird, weil es zu wenige Kindergarten- und Krippenplätze gibt. Ich erwarte von einer vernünftigen modernen Familienpolitik daher in der Umkehrung die Teilzeit für beide Elternteile, das gleiche Gehalt für Frauen in den gleichen Berufen, eine Förderung des Doppelverdienerhaushalts, mehr Kindergarten und Krippenplätze.
Wirtschaftswetter: Auch heutzutage entscheiden sich nicht wenige junge Frauen angesichts drohender Doppeltbelastung auf einem immer unsichereren Arbeitsmarkt inklusive instabiler Weltlage gegen eigene Kinder. Sie rütteln damit offenbar an ein Tabu sowie den Grundfesten der Gesellschaft, die sich immer noch auf die kostenlose Reproduktionsarbeit von Frauen verlässt. Kinderlose Frauen müssen sich im Gegensatz zu Männern auch immer noch Egoismus vorwerfen lassen. Würde erst mit abnehmenden Geburtenzahlen das Private wieder politischer?
Sarah Fischer: Das kann ich mir nicht vorstellen, denn es ist ja klar, warum ich so attackiert werde, die Frauenarbeit für Kind und Familie ist schließlich zu wichtig, weil sie kostenlos in unserer Welt ist, das ist ja praktisch. Wenn jetzt ich als Mutter daher komme und demontiere, dass es glücklich macht, sich ausbeuten zu lassen, gehen die Herrscher und herrschenden Meinungen natürlich auf die Barrikaden und wollen mich als Frau einzig und allein mundtot machen... traurig, die moderne Sklaverei.
Wirtschaftswetter: Was ist in Ihren Augen das absolut nervigste am Muttersein in Deutschland, das unverzüglich abgestellt werden müsste?
Sarah Fischer: die aktuellen Kindergartenzeiten, fehlende Kindergartenplätze bzw. Krippenplätze, als Mutter komisch angeschaut zu werden, wenn man sein Leben genau so wie vor dem Kind weiterlebt. Jedes Lebensmodell als Mutter sollte in Ordnung sein, niemand darf sich einmischen und einer Mutter die Kompetenz nehmen, selbst zu entscheiden, was für ihr Kind gut ist.
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Sarah Fischer im Web: sarah-fischer.de
Zum Buch:
"Die Mutterglück-Lüge - Warum ich lieber Vater geworden wäre"
von Sarah Fischer
erschienen 2016 bei Ludwig Random House
ISBN: 978-3-453-28079-3
Paperback, 240 Seiten
2016-05-08, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz und Sarah Fischer
Foto Banner: aph
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