von Angelika Petrich-Hornetz
Stress, „flexible“ Arbeitszeiten, vor allem Schichtarbeit, dazu die Dauererreichbarkeit per Überwachungs-Smartphone, der zunehmende Lärm, die Lichtverschmutzung mit dem viel zitierten Verlust der Nacht/Dunkelheit, womöglich noch eine arbeitsintensive Familie – vieles raubt Menschen nach solcherart vollgetopften Tagen anschließend den Schlaf. Sie liegen wach und grübeln, können deshalb zunächst nicht einschlafen und anschließend auch noch nicht einmal durchschlafen, wenn sie es endlich geschafft hatten, einzunicken. Sie sind allein, zumindest fühlt es sich so an: Alle anderen um sie herum scheinen selig zu schlummern, während sie sich unruhig hin- und herwälzen. Am nächsten Morgen wachen die so Schlafgeplagten gerädert auf und fühlen sich alles andere als fit für den Tag. Wer nicht genug Schlaf bekommt, ist aufgrund des sich auftürmenden Schlafdefizits irgendwann nicht mehr leistungsfähig.
Schlafprobleme sind vielseitig, es gibt tausende, ganz unterschiedliche Gründe dafür, aber auch eine gute Nachricht: Der Schlaf an und für sich ist nämlich ganz genauso vielseitig. Wenn keine ernsthafte Erkrankung dahinter steckt, muss man nur seinen eigenen Schlafrhythmus entdecken und sein Leben danach ausrichten, was zugegeben leichter gesagt als getan ist.
Man kennt die Forschung der Chronobiologie, die u.a. über die unterschiedliche innere Uhr der Tag- und Nachtmenschen berichten. Weil Jugendliche gern später aufstehen, gibt inzwischen sogar Schulen, die ihre Teenager eine Stunde später als gewöhnlich ins Schulgebäude zitieren, dafür müssen sie dann länger bleiben. Bekannt sind auch die Probleme von Schichtarbeitern. Schichtarbeit und Nacharbeit sorgen gerade bei ausgwiesenen Frühaufsteher für Probleme, widerspricht es doch ihrer eigenen inneren Uhr zutiefst, mitten in der Nacht wach bleiben zu müssen und morgens schlafen zu gehen. Die ständige Umstellung bei wechselnden Dienstzeiten auch des Schlafes scheint nur für sehr ausgeglichene Charaktere noch machbar und das, obwohl die 24-Stunden-Verfügbarkeit in der globalen Arbeitswelt längst aus der Nische gekommen ist und auf alle anderen Branchen überzugreifen droht. Unzählige Studien belegen inzwischen eine Gesundheitsbelastung solcher Arbeitszeiten. Anders reagieren die so genannten "Nachteulen", die erst ab dem späten Nachmittag richtig aufdrehen und für die die üblichen Arbeitszeiten von neun bis fünf alles andere als ideal ausfallen, Dienstbeginn um sechs Uhr morgens fühlt sich für diese Menschen ähnlich an, als würden sie im Tiefschlaf arbeiten müssen. Die Schlafenszeiten sind so unterschiedliche wie die Menschen und ihre Berufe.
Hinzu kommt: Von lediglich acht Stunden Arbeit täglich haben sich die meisten längst verabschiedet, nehmen die Arbeit und deren zu knackende Probleme in einigen Fällen nicht nur mit nach Hause, sondern auch gleich mit ins Bett, statt dort erholsamen Schlaf zu finden.
Seit vielen Jahren bläut man uns ein, weniger als sieben, acht Stunden Schlaf am Stückseien angeblich ungesund. Und so trudeln in manche Arztpraxen heutzutage neben echten Schlafgeplagten, zum,Beispiel Schnarchern, deren Atem nachts ausetzt, nicht selten auch Menschen ein, die sich aus reiner Sorge um ihren nicht vorhandenden Acht-Stunden-Schlaf nur deshalb im Bett wälzen, ein echter Teufelskreis, dabei vollkommen unnötig: Inzwischen spricht sich auf dem Globus langsam herum, dass die angeblich in Stein gemeißelten acht Stunden von einer Vielzahl anderer Schlafmodelle und -kulturen komplettiert worden sind. Bekannt ist auch schon lange, das ältere Menschen weniger Schlaf benötigen als jüngere. Warum also sollte man sich verrückt machen, unbedingt acht Stunden schlafen zu müssen? Etabliert hat sich auch der Fünf-Minuten-Schlaf, auch Nickerchen oder im Neu-Sprech Power-Napping genannt, für den manche Unternehmen extra Ruheräume einrichten. Das Nickerchen im Büro lässt den Körper einmal tief entspannen, alle Muskeln und Gedanken schlaffen für Minuten richtig ab – und genau das ist für manche Menschen deutlich erholsamer als die xte Tasse Kaffee. Aber auch hier gilt wieder: nicht für alle. Man muss selbst herausfinden, welcher Schlaftyp man ist.
Weitaus weniger bekannt ist immer noch, dass nicht nur unterschiedliche Menschen unterschiedlich schlafen, beeinflusst durch ihre Arbeit, familiäres Umfeld, die Region und Kultur und nicht zuletzt auch durch ihre Genetik und ihre bisher eingeübten Schlafrhythmen etc., sondern dass auch die Geschichte zeigt, wie anders als heute zu anderen Zeiten geschlafen wurde, so dass keineswegs davon gesprochen werden kann, acht Stunden am Stück seien für jeden Menschen das Erstrebenstwerteste. Dabei hatte der US-Wissenschaftler Roger Ekirch mit der Veröffentlichung seines Buches „In der Stunde der Nacht“ schon vor zehn Jahren den Grundstein für die Abschaffung des 8-Stunden-Schlafdiktats gelegt. Er war an Hand unzähliger Manuskripte aus vorindustriellen Zeiten dem bis dato großen Geheimnis des ersten und zweiten Schlafs auf die Spur gekommen und der titelgebenden Stunde der Nacht, in der die Menschen hellwachwaren. Diese Recherche dürfte zumindest alle jene beruhigen, die immer noch meinen, nachts ein einziges Mal richtig aufzuwachen sei angeblich etwas Krankhaftes. Die meisten , übrigens sind es viele, lediglich sekundenlangen Aufwacher des Nachts werden gar nicht bemerkt. Beim geteilten Schlaf handelt es sich um ein uraltes Schlafmuster, das vor der Erfindung der Glühbirne, und die damit einhergehende Verlängerung des Tages, laut Ekirch weitverbreitet war. Man schlief in zwei Phasen zu je etwa vier Stunden. Die wache Nacht-Stunde wurde individuell genutzt. Aus alten Schriftenstücken erfuhr Ekirch, dass Kirchen mitten in der Nacht Gottesdienste abhielten, andere Menschen sich dem Liebespiel widmeten und dass sich sogar Nachbarn mitten in der Nacht besuchten. Einige Zeigenossen machten sich regelmäßig zu Raubzügen auf. Die Erfindung des elektischen Lichts und die steigende Lichtverschmutzung der Abendämmerung beendeten nach und nach diesen alten Schlafrhythmus. Diese Entwicklung setzte sich bis zum Ist-Zustand fort, so dass man in der Gegenwart von einem nun sehr langen Tag erschöpft ins Bett fällt und sich diese Nachtstunde einfach nicht mehr leisten kann, man verschläft sie schlicht und einfach.
Für die wenigstens Gegenwartsmenschen dürfte die Wiedereinführung des Musters eines ersten und zweiten Schlafs eine Option sein, doch hier und das könnte es das Schlafdefizit begrenzen, zumindest die Sorge darüber, überhaupt nachts aufzuwachen. Menschen, die sich mit dem 8-Stunden-Diktat herumquälen, bräuchten keinen Arzt mehr, sondern nur die Gelegenheit früh ins Bett zu gehen und eine Idee, was sie mit ihrer neuen, gewonnen „nachtblauen Stunde“ anfangen können. Junge Eltern könnten, sobald ihre noch kleinen Kinder (die älteren kehren diesen Rhythmus um) wie die Hühner ins Bett gehen, sich am besten auch gleich hinlegen und gewinnen möglicherweise endlich eine Stunde nur für sich zurück. Allgemeine Tipps zum frühabendlichen Einschlafen helfen zwar nicht jedem, u.a. weil sie einfach nicht für jeden umsetzbar sind, aber Chronobiologen halten grünes Licht und eine kühle Raumtemperatur im Schlafzimmer für eine gute Unterstützung zumindest für viele Menschen.
Wie auch immer man seinen Schlaf gestaltet, in der 24-Stunden-Hochverfügbarkeitsgesellschaft mit Dauer-Belichtung zeigt sich: Wenn es sowieso nicht mehr als acht oder zwei Mal ein paar Stunden Schlaf in 24 Stunden geben wird, ist es auch vollkommen egal, wann in diesen 24 Stunden man schläft – und damit sind weitaus mehr Schlafmodelle gesünder als bisher allgemein angenommen. Sieben bis acht Stunden am Stück, so zeigen bisherige Forschungen, schlafen vor allem Naturvölker, die mit der einsetzenden Dunkelheit schlafen gehen und noch vor Sonnenaufgang wieder aufstehen. Ein Modell, das für die beleuchteten Industrienationen ungeeignet erscheint. Zumindest vom längst überholten 8-Stunden-Diktat kann man sich damit getrost verabschieden und zum Beispiel seine eigene Stunde der Nacht oder das geliebte, aber von Kollegen beäugte, tägliche Power-Napping vorbehaltlos genießen, ob mit oder ohne rosafarbene Schlafbrille. Egal, wie man sich bettet und entspannt, man muss einfach irgendwann schlafen, und damit gibt es durchaus einen Zwang zum Schlafen, um fit zu bleiben, aber wie man schläft, ist individuell höchst unterschiedlich und inzwischen setzt sich diese Erkenntniss als vollkommen legitim.
Und damit zum zweiten Problem der wachsenden Schlaflosigkeit, nämlich das indivuelle Schlafmuster der Umgebung begreiflich zu machen. Einem Baby ist es vollkommen egal, ob der Schlaf der eigenen Eltern oder der von den Nachbarn gestört wird, esschreit los, wenn ihm irgendetwas nicht gefällt. Da die Arbeits- und Schlafrhythmen immer unterschiedlicher werden, wird es auch zunehmend schwerer, die allgemein übliche Nachtruhe ab 22:00 Uhr einzuhalten und damit die immer unterschiedlicheren Schlafmodelle allesamt auf einen einzigen Nenner zu bringen. Sei es die Musikbühne vor der Haustür beim Stadtfest, die den Nachschichtler in den Wahnsinn treibt, der allwochendliche Grill-Lärm der Nachbarn, der dem Wochenend-Frühdienstler deutliche Symptome einer Psychose beschert, der ganztags brüllende Dunstabszug einer Gasstätte, der die Wände im Nachbarhaus sowie dort anwesende Kinder vibrieren lässt oder anderes: Allein die wachsende Lärmbelästigung der 24-Stunden-Gesellschaft, nicht nur in den Städten empfinden viele Menschen bereits heute als extrem. Letztendlich braucht es erstens Respekt vor dem Schlaf der Anderen per se, aber auch ausdrücklich Anerkennung die notwendige Existenz heute ganz unterschiedlicher Schlafmodelle. Um anwendbare Kompromisse, mit denen jeder irgendwie und irgendwann schließlich in den notwendigen, erholsamen Schlaf finden kann, kommt man einfach nicht herum. Dazu sollte man lieber miteinander als übereinander reden, das ist ergebnisführender und sorgt i.d.R. für wachsendes Verständnis füreinander. Aber auch Industrie, Handel und Gastgewerbe haben längst noch nicht alle ihre Möglichkeiten für eine gelungene Kultur der Neuzeit erkannt und ausgereizt, um den dafür potenziell sehr dankbaren, erholungsbedürftigen Menschen erfolgreich durch den Tag und die Nacht zu bringen.
Werbung + Informationen, zum Buch
In der Stunde der Nacht
Eine Geschichte der Dunkelheit
von Roger Ekirch
480 Seiten
978-3785722466
2006 bei Lübbe erschienen
2016-04-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto Banner: ap
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