Buchauszug
von Juliane Beer
Auf dem Dachboden eines Neuköllner Mehrfamilienhauses treibt ein Geist sein Unwesen. Das zumindest vermuten die Bewohnerinnen. Bis schließlich der Vermieter Butt tot im Treppenhaus aufgefunden wird. Ist der Geist seiner verstorbenen Frau zurückgekehrt, um sich an ihm zu rächen? Oder handelt es sich vielleicht doch um eine nachbarschaftliche Verschwörung? Kommissarin Liz Feldmann nimmt die Ermittlungen auf. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf kleinbürgerliche Nachbarschaftsintrigen, Heimlichtuereien und vertuschte Verbrechen… Juliane Beer gelingt mit diesem Krimi ein Balanceakt zwischen Klischee und Realität, der humorvoll und beinahe nebenbei gesellschaftliche Schieflagen aufdeckt.
Es verberge sich ein Geist in der Weichselstraße 10, wird befürchtet. Ihr Geist. Oben auf dem Dachboden. Nachts schleiche sie ruhelos durchs Haus. Seit ungefähr zwei Jahren.
Sprechen möchte darüber aber niemand. „Ein Geist?“, heißt es höchstens. „Lächerlich!“
Der Dachboden ist bereits gründlich durchsucht und bei der Gelegenheit aufgeräumt worden, an einem Wochenende im vergangenen Spätsommer. Der Manns und der Alt, beide jetzt sechzig, aber nach eigenen Aussagen noch fit wie Turnschuhe, hatten sich bereit erklärt, den Mythos zu entzaubern. Dieser kindische Geisterglaube, diese Andeutungen, geflüstert hinter vorgehaltener Hand, gingen den beiden Männern auf die Nerven. Man bewege sich doch unter mündigen Menschen, oder nicht?
Alte Möbel, die im Laufe der Zeit auf dem Dachboden abgestellt wurden, weil sie zu gut für den Sperrmüll, aber nicht mehr modern genug für die Wohnung waren, haben Manns und Alt ordentlich zusammengeschoben. „Wer etwas von den mittlerweile antiken Stücken braucht, möge sich bedienen.“
Vielleicht könnte man die Sachen auch spenden, schlug Alt vor, so viele arme deutsche Familien, wie es momentan gäbe, um die sich niemand kümmern würde, weil die Flüchtlinge ja augenscheinlich wichtiger wären.
Am Samstagabend waren dann Frau Manns und Frau Alt gefragt gewesen. Mit Putzutensilien rückten sie an, um die drei reich verzierten Holzschränke, das emaillierte Ausgussbecken, die Regale und Stühle und Hocker abzustauben und nass nachzuwischen.
„Was man anfängt will man auch sorgsam zu Ende bringen.“ Erklärte Herr Alt.
Zwei Kisten mit kaputten Elektroteilen haben Manns und Alt zum Reststoffhof der BSR gefahren, ebenso einen Sack mit ausrangierter Kleidung, die nicht mehr schön genug war, um sie einer deutschen Familie anzubieten. Und den Basteltisch haben die beiden langjährigen Mieter auch gleich aufgeräumt, unbrauchbares Werkzeug und Dosen mit vertrockneten Farbresten weggeworfen; hiernach waren Frau Manns und Frau Alt wieder dran, den Boden zu fegen, und damit war die Aktion erfolgreich beendet.
Oder fast beendet, denn die beiden Männer nahmen sich noch vor, die fehlende Glasscheibe in der Tür zum Dachboden zu ersetzen, was aber wieder in Vergessenheit geriet.
Der Holzverschlag neben dem tragenden Balken sowie die Nische dahinter wurden an dem Wochenende nicht betreten. Weil es dort nichts aufzuräumen gäbe, wie Manns und Alt sich gegenseitig immer wieder versicherten.
Es lagern lediglich ein paar Eierkohlen im Verschlag, niemand braucht die mehr, seit 20 Jahren gibt es eine Ölzentralheizung im Haus.
Aber gut, sollten die Kohlen dort erst mal liegen bleiben, fürs nächsten Grillfest würde man sie sich dann holen.
Durch die Bretter-Zwischenräume konnten Manns und Alt die Kohlen daliegen sehen; dass sie an dem Wochenende mal auf einem Haufen, mal einzeln herumlagen, ist den beiden zwar schon aufgefallen, aber keiner hat mit dem anderen über diese Entdeckung gesprochen.
Genauso wenig, wie sie über die Sache mit der Marie gesprochen haben. Alt hatte Manns und Klein damals erkannt, aber er hielt die Schnauze. All die Jahre über. Das ist seine Devise. Am besten immer die Schnauze halten. Damit ist er bislang bestens gefahren, auf seiner Arbeit im Einwohnermeldeamt, wie auch zuhause.
Manns hatte nicht bemerkt, dass Alt an jenem Tag just in eben diesem Moment auf den Dachboden gekommen war, um ein Schlüsselbrett zu lackieren, Alt hatte aber rechtzeitig kapiert, was da vorging und konnte sich somit unbemerkt und mitsamt seines Schlüsselbretts wieder aus dem Staub machen.
Dass Alt die Schnauze gehalten hatte war wie üblich von Vorteil gewesen; mit Manns und dem 15 Jahre jüngeren Klein pflegt er nach wie vor ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis, eine herzliche Kameradschaft, könnte man schon fast sagen. Die muss man ja nicht wegen einer Lappalie aufs Spiel setzen.
Und nach der Ordnungsaktion an jenem Spätsommerwochenende hatten Manns und Alt am Sonntagabend nicht ohne Stolz einen Zettel ans schwarzen Brett neben der Eingangstür gepinnt. Beschlossen worden war, den Humor nicht zu kurz kommen zu lassen.
Der Dachboden ist aufgeräumt und geputzt. Bitte schaut nach, ob ihr eines der Möbelstücke gebrauchen könnt. Sonst spenden wir die Sachen. Unser Geist hat übrigens weder beim aufräumen noch beim putzen geholfen.
Das ist acht Monate her.
Gestern ist der Hauseigentümer Butt tot aufgefunden worden.
Martin Butt lag im Hausflur vor dem Treppenaufgang.
Um zehn vor sieben wurde er entdeckt, tragischerweise von Anne, 15jährig, die morgens als erste das Haus verlässt, um nach Charlottenburg zu fahren, wo Vater und Mutter Klein vor einigen Jahren einen Platz auf dem Gymnasium für sie ergattert haben. Auf dem Neuköllner Gymnasium, keine drei Straßen weiter, waren zwar auch noch Plätze frei gewesen, aber Vater Klein wollte vermeiden, dass seine Tochter ihm eines Tages vorwerfen würde, er habe ihr die Zukunft verbaut. Dafür nahm er es hin, dass Anne, weil man sie dem multikulturellen Kreis ihrer Freundinnen entrissen hatte, ein Jahr lang schmollte und verkündete, ihr Vater wäre ein Nationalist.
Als Anne also an diesem Morgen wie immer um zehn vor sieben die Treppe herunter sprang lag auf dem untersten Absatz mit verdrehten Armen und Beinen der Hauseigentümer Butt. Seine Augen standen offen, aus seinem Mund lief ein dünnes Rinnsal Blut.
Anne schrie vor Entsetzen, Etagentüren wurden aufgerissen, einige Nachbarinnen schrien mit, andere riefen die Polizei herbei.
Hausmeisterin Müller aus dem 1. Stock zog die schreiende Anne kurzerhand in ihr Wohnzimmer, befahl dem Mädchen, sich aufs Sofa zu legen, Kopf tief, Beine hoch.
Es gab dann einen Schnaps, natürlich nur ein halbes Gläschen voll, dafür aber Mampe Halb & Halb, ursprünglich, und zwar 1830, von Dr. Carl Mampe als Choleramedikament entwickelt.
Hausmeisterin Müller telefonierte Frau Klein herunter, die auch sofort kam und ihre zitternde Tochter wieder vom Sofa hoch zerrte, um sie nach oben in die elterliche Wohnung zu dirigieren; dass das Mädchen dabei erneut einen Blick auf den Butt werfen musste war bedauerlicherweise nicht zu vermeiden.
Endlich erschienen zwei Polizisten, dann ein Fachmann, der die Leiche inspizierte, und da die drei Beamten aufgrund von Kampfspuren Zweifel hegten, dass der Butt eines natürlichen Todes gestorben war, wurde die Mordkommission verständigt, die Liz Feldmann zum Tatort schickte.
Achtung Werbung + Infos zum Buch:
Unvermeidbare Beeinflussung
von Juliane Beer
erschienen bei Marta Press, September 2016,
156 Seiten
ISBN: 978-3-944442-57-0
Bei Marta Press
2016-10-01, Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer
Foto Banner: aph
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