von Angelika Petrich-Hornetz
Während die Wirtschaft, federführend dabei einige Großkonzerne, die entsprechendes Equipment vertreiben, die Digitalisierung von Produktion, Einkauf, Verkauf, Marketing, Logistik - und damit von allem und jedem anstrebt, bekommt das Bild vom künftig wundervollen, per Algorithmus automatsierten Leben die ersten ernstzunehmende Risse. Und die betreffen weniger die immer reibungsloser funktionierende Maschine-zu-Maschine-, sondern die Mensch-zu-Mensch-über-Maschine-Kommunikation.
Allen voran mit Hatespeech und Fake News hervorgetan hat sich ein weltweit unternehmerisch tätiges, sogenanntes Soziales Netzwerk, gegründet in den USA, dem auch in Deutschland mehrere Millionen Menschen angehören und das einst damit lockte, "Freunde zu finden" und seinen Geschäftszweck mit "Menschen verbinden" bewarb. Seit dem Börsengang steigerte es seinen Wert auf über 300 Milliarden US-Dollar. Das ursprüngliche Prinzip – den Jahrbüchern aus Unizeiten entsprechend - persönlicher Profilseiten, die sich verknüpfen und gegenseitig bewerten können, gilt dabei bis heute.
Längst werden Mitglieder nicht mehr nur mit Mitgliedern, sondern auch mit Unternehmen in vielfältiger Weise verbunden und immer mehr Unternehmen folgten dem Sog des potentiellen Profits und erstellten ihrerseits Profile, um vorhandene sowie potenzielle Kunden in diesem weltumspannenden Netzwerk zu erreichen. Was Daten- und Verbraucherschützer vor allem kritisieren, ist indes nicht die Präsenz von privatwirtschaftlichen Untenehmen, die mit ihren Werbeschaltungen den Konzern-Gewinn in die Höhe trieben, wogegen grundsätzlich erst einmal nichts einzuwenden ist, sondern, dass sich auch immer mehr öffentliche Institutionen, von Ministerien über Verwaltungen bis hin zu lokalen Behörden daran beteiligten, mit der Tendenz, wichtige Informationen von öffentlichem Interesse nur noch hinter Konzernmauern zu teilen – und sich damit nicht zuletzt den Regeln und Interessen eines geschlossenen Firmen-Clubs unterzuordnen. Von den Datenflüssen öffentlicher Informationen direkt zum Konzern ganz zu schweigen.
Bis heute weiß niemand ohne Insiderwissen wirklich so genau, wie viele und welche Daten gesammelt, wo gespeichert werden und wohin diese wandern, die allerdings nichts Geringeres als die Grundlage für den geschäftlichen Erfolg des Unternehmens bilden. Wie groß inzwischen der Einfluss auch auf das analoge Leben werden kann, zeigte die neueste Ankündigung des US-Heimatschutzministeriums (Department of Homeland Security), das bei Einreise in die USA von den Reisenden inzwischen eine freiwillige Auskunft über eigene Konten in Sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, Youtube etc. verlangt. Vor dem Hintergrund von aktuellen Engleisungen erscheint dies sogar nachvollziehbar, doch die Heimatschützer als solche. sollten sich zum Thema auch in ihrem eigenen Interesse in Sue Halperns gelungenen Artikel in The New York Review of Books einlesen, dessen Titel den Inhalt treffsicher zusammenfasst:
"They Have, Right Now, Another You"
In Deutschland ist die Verwendung von Steuergeldern zum Betrieb von Profilseiten öffentlicher Institutionen, die der Gewinnerzielung eines einzelnen Konzerns nützlich sind, dabei nur ein Teilaspekt der fortlaufenden Kritik. Weitere Kritikpunkte sind u.a. der Suchtfaktor, der User zum täglichen sowie jeweils stundenlangen Verweilen in einem einzigen Netzwerk führt, und der daraus entstehende, ständige Druck, bei grundsätzlicher oder zu langer Abwesenheit, angeblich irgendetwas Wichtiges zu verpassen. Was volljährigen Menschen durchaus als ein Privatproblem unterstellt werden darf, ist Minderjährige betreffend zumindest zweifelhaft
Zumal mit immer wieder neue technischen Raffinessen aufgwartet wird und der Datenhunger wächst, um den Datenfluss zwischen Menschen über Programme, zwischen Menschen und Unternehmen über Programme oder lediglich die Werbewirkung von Firmen zu „verbessern“. Damit wird die Kommunikation zwischen Menschen nicht unbedingt erleichtet, wie die Werbung verspricht, sondern vor allem in die vom Unternehmen gewünschten, ökonomisch einträgliche Bahnen gelenkt. Und es hat funktioniert. Schließlich kommt kaum noch jemand, der sich täglich in den von Algorithmen bestimmten Kommunikationslandschaften bewegt, noch auf die Idee, sein Gegenüber einfach direkt anzurufen oder sich „umständlich“ zu verabreden, um etwa so etwas Analoges wie ein schlichtes, persönliches Gespräch zu suchen. Im Gegenteil, das Bild von Schülern, die nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, direkt nebeneinander sitzen, aber statt sich anzusehen und von Angesicht zu Angesicht miteinander zu sprechen, sich lieber auf ihr Smartphone-Display starrend über Messengerdienste miteinander unterhalten, ist inzwischen eine ganz normale, alltägliche "Gesprächs-Situation".
Die Nachteile mangelnder Aufmerksamkeit der echten, analogen Umwelt gegenüber werden immer größer. Die Nutzung von Smartphones im Straßenverkehr ist inzwischen nur eines der vielen ernstzunehmenden Probleme, mit ganz neuen Formen Schwer-und Schwerstverletzter, über die sich Ärzte nach dem angerichteten Schaden die Köpfe zerbrechen müssen und deren hohe Kosten durchaus eine Rolle in volkswirtschaftlichen Rechnungen spielen. Verkehrshüter reden sich den Mund fusselig, nur hört keiner zu. Autofahrer halten es immer noch für harmlos, ohne Freisprechanlage zu kommunizieren und damit wider besseren Wissens Menschenleben zu gefährden. Normalerweise würden bereits für einen Bruchteil solch eines hochriskanten Verhaltens zügig Gebühren oder Steuern fällig - nicht zuletzt die in den vergangenen zwanzig Jahren extrem gestiegenen Kfz-Steuern und Kfz-Versicherungsbeiträge sind nur ein Beispiel dafür -, um den Schaden zu bezahlen, den solche Gerätschaften anrichten können. Auf Schäden durch digitale Kommunikation bleiben offenbar die Bürger als Steuerzahler erst einmal sitzen.
Relativ neu im immer geschlosseneneren Netzwerk-Universum ist indes die bisher noch selbsständig im Internet präsente Presse, die noch bis vor kurzem ihre Inhalte stets auf ihren eigenen, unabhängigen Webseiten zu Gunsten eines großen, weltweiten Publikums veröffentlichte - das seinerseits in den Genuss von öffentlicher, stets zugänglicher Information und auch noch eines breit gefächerten Presseangebots kam.
Doch das Leiden ihrer Verlage vor allem im Printbereich hatte Folgen und so wurden die Verlage ebenfalls von den Möglichkeiten der großen Reichweiten der neuen Player in der Medienbranche angelockt. Die sich bis dato in den mehr oder weniger geschlossenen Netzwerken tummelnde „Öffentlichkeit“ wollte ihrerseits nun auch von Verlagen erreicht werden. Seitdem müssen sie ihren umzäunten Garten nicht einmal mehr per Klick verlassen, um auf unabhängige Webseiten der Zeitungen zu wechseln, sondern werden inhouse beliefert, was vor allem dem ein Social Media-Netwerk betreibenden Unternehmen wirtschaftlich nützt.
Ob das Angebot dieser an die Verlage von Letzteren nicht genauer hätte geprüft werden müssen, ist eine gute Frage. Schließlich bekäme man in einem Netzwerk mit Milliarden Usern auch selbst ein paar Millionen neue Leser, so die eher schlichte Überlegung – und die Klicks und Likes würden gezählt - und sogar bezahlt - und kämen dann auch weiteren Erzeugnissen der Verlage zugute, die u.a. in Reichweiten gemessen werden. So argumentieren zumindest die Social Media-Plattformen. Die Netzwerke selbst warben aber auch mit ihrer fortschrittlichen Technik, vor allem mit schnelleren Ladezeiten für die Inhalte der Verlage, damit kürzeren Veröffentlichungzeiten usw.. Das zog – mit ihren bisher vorhandenen Möglichkeiten waren Verlage gegenüber superschnellen Messengerdienten und Co schließlich - offenbar nach eigener Einschätzung - auch nicht mehr konkurrenzfähig.
Abgesehen davon, wie viel Ärger es schon mit falschen Zahlen bezüglich Klicks, Likes und dergleichen gegeben hat, die anfälig für Manipulationen und fehlerbehaftet sind, je komplexer die auf ein anfangs eher einfaches Muster draufgesetzten Tracking- und Erfassungs-Methoden werden, die nur noch Spezialisten verstehen, wussten einige Presseverlage offenbar nicht, auf was sie sich da genau einließen.
Bereits früh warnten Kritiker dementsprechend, dass sich Verlage damit lediglich abhängig von Sozialen Netzwerken machen würden und der Schuss nach hinten losgehen könnte: Mit dem ganzen schönen Content würden dann nicht mehr Tageszeitungen, Onlinemagazine u.a. Veröffentlichungen der Verlage, sondern lediglich noch die den Content abgrabenden Plattformen von wachsendem Traffic und mehr Aufmerksamkeit extern zugelieferter Leserschaft profitieren. Und genau das scheint nun einzutreten. Soziale Netzwerke, die den Verlagen damit eine nicht zu verachtende Möglichkeit boten, ihre Artikel technisch up-to-date darzustellen, plustern sich mit Hilfe von journalistisch einwandfreien Content zu Medienunternehmen auf - und die Frage lautet, welche Rolle die lediglich nur noch zuliefernde Presse in diesem Umfeld eines Tages noch spielen wird.
Was die Social Media-Seite bewog, dürfte unmissverständlich sein, auch wenn die Anliefernden an Werbeeinnahmen beteiligt werden und einige davon auch tatsächlich profitierten, zumal man zunächst die lästigen Kommentarfunktionen auf den eigenen Seiten einsparte. Inzwischen müssen Verlage dafür teures Personal für die Betreuung ihrer Social Media-Kanäle abstellen. Bereits sehr früh, vor der heute ganz üblichen Massen-Präsenz der Medien in sozialen Netzwerken, die sich anfangs höchstens ein soziales-Netzwerk-Eckchen hier und dort gegönnt hatten, um auf dem Laufenden zu bleiben, um auf eigene Seiten zu verweisen u.ä., bekamen Cybermobbing und Hasskommentare in Sozialen Netzwerken zügig eine wachsende Bedeutung.
Möglicherweise wollte man auf Netzwerkseite sogar mit der Einladung etablierter Nachrichtenmedien auch genau dem, nämlich den immer spontaner, unüberlegter, emotionaler und damit postfaktischer werdendem Kommentar-Chaos etwas mehr Fakten und Seriösität verleihen oder erhoffte es sich zumindest. Währendessen hofften auf der anderen Seite die Eingeladenen iherseits auf größere Reichweiten, mehr Klicks und mehr Werbekunden - und darüber hinaus darauf, sich nicht selbst und eigenständig denkend mit der immer fummeligeren Technikseite sämtlicher Geräte-userfreundlichster Seitengestaltung sowie – Web-Auffindbarkeit zeit- und kostenintensiv herumschlagen zu müssen.
Die angestrebte Win-Win-Situation will sich immer noch nicht so recht einstellen, einige Vorgänger-Versuche waren bekanntlich bereits kläglich gescheitert. Und die fröhliche Hatespeech-Verbreitung wurde durch die Präsenz seriöser Medien auch nicht zurückgedrängt, sondern wird im Gegenteil, trotz Hinzuziehung journalistisch abgeklopften Contents ernstzunehemender Nachrichtenverlage munter weiter exerziert. Derzeit lungert man beiderseits etwas unschlüssig im Szenario zwischen freier Meinungsäußerung, Satire und klassischer Falschmeldung bis hin zu schwerer Beleidigung im luftleeren Raum herum, rechtliche Unwägbarkeiten inklusive. Offenbar weiß momentan niemand so genau, wie es weitergeht, während Politiker im Vorwahlkampf bereits forsche Gesetze zur Eindämmung von Falschmeldungen und Hassmails einfordern und Fachleuten die Köpfe rauchen, was sie da denn überhaupt noch für einen sinnvollen Rat erteilen sollten, außer demjenigen, solche Online-Clubs tunlichst zu meiden.
Einmal abgesehen davon, was die Verlage dazu gebracht haben mag, die bis dato genauestens aufpassten, ihre wertvollen Inhalte niemandem kostenlos zur Nutzung zu überlassen, um plötzlich einem der größten, werbefinanzierten Netzwerke der Welt den ganzen schönen und teuer bezahlten Content kostenlos hinterherzuwerfen, ist es doch erstaunlich, dass so viele Kommunikations- und Medienprofis sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite, d.h. die Manager sozialer Netzwerke und die der Presseverlage diese Entwicklung und deren Folgen nicht im Vorfeld zumindest ansatzweies erahnen konnten.
Offenbar wurde u.a. der so schlichte, wie ausgesprägte menschliche Unterhaltungs- und Spieltrieb, z.B. aus Jux und Dollerei den größten Blödsinn besonders positiv zu bewerten, am häufigsten zu verbreiten und zu teilen, wohl auf beiden Seiten vollkommen unterschätzt.
Wer wundert sich vor diesem Hintergrund, angesichts der Weltlage und überhaupt, noch ernsthaft darüber, wenn vorwiegend die unsinnigsten Falschmeldungen ganz schnell auf den ersten Plätzen aller Ranking-Listen landen? Schließlich wohnen auch erstaunlich viele Menschen immer öfter in Brunsbüttel. Einige Zeitgenossen nutzen den menschlichen Spieltrieb sowie Sinn für Satire schlicht aus – auch das vorhersehbar - und mischen ihre seltsamen bis hin zu extremen Botschaften darunter. Man hätte es wissen können oder zumindest ahnen können.
Spätestens seit ein anderer bekannter US-IT-Konzern einst einen Chat-Bot in die Öffentlichkeit stellte, der bzw. dessen „künstliche Intelligenz“ von den Usern durch Gesprächsführung "trainiert" werden sollte - und der am Ende seiner Trainingseinheiten lediglich noch Nazi-Parolen zum Besten gab, hätte man wissen müssen, dass es mit der digitalen Kommunikation zwischen Menschen (über Maschinen) offenbar nicht ganz so einfach funktioniert wie zwischen Maschinen, die exakt das tun, was sie sollen.
In den nüchtern betrachtet recht einfach gestrickten Bewertungs- und Kommentar-getriebenen Sozialen Netzwerken hätte man darauf kommen können, auf der Verlagsseite ebenso. Insbesondere Publikationen, in denen sich Journalisten kurz zuvor – vor Einführung der Fremdveröffentlichungen auf anderen Plattformen – noch intensiv mit dem Sinn und Unsinn von Kommentarfunktionen auseinandergesetzt hatten, begaben sich auf einmal, ohne jede Not auf Augenhöhe mit den wildesten Kommentarkellern – und es waren dann nicht einmal mehr die eigenen, über die man noch so etwas wie eine Hausmacht gehabt hätte.
Warum stellen Verlage die Kommentarfunktion unter brisanten Artikeln ab, deren Abschaltung schließlich auch keine Leserbriefe ausbremst? Etwa, weil der Inhalt so polarisiert, dass er zwangsläufig zu bestimmten Arten von emotional gefärbten Schnellschüssen und Polemiken verführt? Womit auch nichts anderes aufzeigt wird, als dass sich nicht jedes Werk, das selbstverständlich immer von der Öffentlichkeit diskutiert werden muss, unbedingt zur Veröffentlichung auf immer ein und denselben, langweiligen Netzwerk-Plattformen eignet, denen seit Jahrzehnten auch nichts Besseres einfällt als eben genau das: Kommentare, Bewertungen und Geteile. Wenn man ehrlich sein darf: Es ist inzwischen zum Einschlafen "interessant", es müsste dringend etwas ganz Neues her. Und genaus aus diesem Grund wäre es eigentlich längst überfällig, Verlage hätten sich, statt sich auf "Zurück in die schnöde Vergangenheit" einzulassen, ein eigenes Artikel-Netzwerk zugelegt, am besten europaweit, in dem Lesern endlich etwas Interessantes und damit andere Möglichkeiten geboten werden, als das 0815, das zur Zeit auf dem Markt marktbeherrschend anzutreffen ist und alle in ihr eigenes Korsett zwingt.
Wer sich auf den Marktplatz der Eitelkeiten und damit in die altbekannte, schlichte Realität eines virtuellen Bewertungs-Netztwerks begibt, darf sich dann auch nicht wundern, dass die ersten Plätze an den Polemik-Tischen bereits besetzt sind, und dort harte Fakten "überraschend" relativiert werden. Das werden sie genauso gut an allen Kneipentischen im ganzen Land. Fakten sind in solchen Messenveranstaltungen auch nichts anderes mehr als irgendwelche andereren banalen Beiträge, für die alle versuchen, die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Und ähnlich wie in Kneipen, geht es auch in "Social Media" auch darum, miteinander in Beziehung zu treten und viele andere zwischenmenschliche Dinge mehr, damit werben sie sogar. Leider ist es ausgeartet und während der Wirt wildgewordene Gäste vor die Tür setzen kann, würde das in "sozialen Netzwerken", dem Geschäftsmodell, es handelt sich hierbei immerhin um börsennotierte Unternehmen, sozusagen um börsennotierte Kneipen.
Leser kauften oder suchten bisher so analog wie digital Nachrichtenmagazine und Zeitungen gezielt und bewusst, weil sie davon überzeugt waren, hier oder dort seriöse Informationen zu erhalten. Sie hatten und haben zwar die Qual der Wahl in der (noch) großen Auswahl – aber greifen zu dieser Zeitung und nicht zu jener, überzeugt davon, jeweils die bessere Wahl getroffen zu haben.
Mit einer gezielten Auswahlt werden tatsächlich Grenzen gezogen. Man setzt sich bewusst ein oder ab, wählt die eine Informationsquelle und schließt die Information durch eine andere aus. Schon deshalb, weil der Tag nur 24 Stunden hat – auch so ein Problem der digitalen Kommunikation, die mehr Zeit frisst, als anfangs gedacht - erscheint das sinnvoll. Und trotzdem bleibt durch die große Auswahl an Presseerzeugnissen die Vielfalt gewahrt, die entfällt, wenn man sich ausschließlich auf einer einzigen Plattform aufhält – und sich ausschließlich deren überall gleiche Regeln als Gott-gegeben unterwirft, ganz egal, wie sehr es von außen auch bestückt wird. Leider scheint darüber auch das Interesse an einer digitalisierten, vielfältigeren Zeitungskultur verloren gegangen zu sein - sonst gäbe es sie schließlich längst.
Wie soll die Vielfalt der Presse aber funktionieren, in einem Netzwerk, in dem alle Informationen auf einem gleichen Level herumschwirren - wie böse Zungen behaupten, auch absichtlich gehalten werden - , als lägen sämtliche Waren auf dem Fußboden eines riesigen unüberschaubaren Ramschsupermarkts, in dem ernstzunehmende Nachrichten zwischen Klopapier und Sahnetörtchen untergehen und Katzencontent (Nichts gegen Katzencontent als solchem! Wir lieben Katzencontent) mindestens genauso viel wert ist wie investigativer Journalismus unter schwierigsten Recherchebedingungen?
Soziale Netzwerke haben natürlich auch einen Wert und sie haben auch Vorteile gegenüber anderen Kommunikationsmöglichkeiten Vor allem zügig mehrere Menschen zu erreichen und direkt anzusprechen, ob für eine Party, eine Suche oder anderes - und damit: Gruppendiskussionen sind - trotz aller Alternativen - über soziale Netzwerke und Messengerdienste denkbar einfach – und zumindest akustisch auch viel leiser. Immer noch gibt es wirklich gute Initiativen, die in einer gewissen Art nur über Netzwerke funktionieren. Auch soziale Themen und viele Kleinunternehmertum finden dort ihren Platz, die noch mehr als große Presseverlage von der einfacheren Technik angelockt werden, als gemeinhin bekannt ist.
Was andere Formen der Kommunikation und Inhalte betrifft, sieht es damit inzwischen aber etwas anders aus. Mit dem aktuell vorherrschenden Ton sind definitiv nicht alle zufrieden. Je öffentlicher und größer Diskussionen werden – und dass es öffentliche Diskussionen geben muss, darüber besteht hoffentlich Konsens - desto mehr professionelle Moderation wäre eigentlich gefragt. Die findet allerdings nicht mehr statt. Der vor dem Milleniumswechsel noch übliche Moderator ist schlicht eingespart worden. An dessen Stelle soll der Algorithmus alles regeln - und versagt immer kläglicher, z.B. angesichts von Extremisten, die wochenlang über social Media ihr Waffenarsenal präsentieren - und was alles damit anfangen können.
Man stelle sich einmal eine TV-Diskussion ohne Moderatorin, Moderator vor. Pfiffige Programmdirektoren sollten genau das sofort ausprobieren, nicht zuletzt, um dem TV-Publikum einmal vorzuführen, was auf gewinnmaximierten Internetplattformen ganz üblich ist – und hätten den unterhaltsamen Vorteil des Bewegtbilds einer Live-Sendung zusätzlich ganz auf ihrer Seite. Die Quote dürfte zumindest interessant werden. Moderation ist anstrengend und teuer und so überlässt man es in den Sozialen Netzwerken nicht ausschließlich, aber vorwiegend den einzelnen Akteuren selbst, wie sie es mehr oder weniger erfolgreich anstellen, sich zu benehmen oder ihre Profilseiten zu moderieren. Auch die Bearbeitung von Beschwerden ist teuer. Man greift auf Billig-Jobber zurück - dabei bräuchte es professionelle Psychologen - und versucht ständig rudimentär nachzubessern oder gleich alles dem Algorhitmus zu überlassen, der inzwischen genauso ständig hinterhinkt wie ehemals immer nur der Gesetzgeber im Internet. Das spart Kosten und die Gewinne steigen. Dabei braucht es aktuell nicht unbedingt viel Talent, um eine Diskussion zu crashen, allein der Wille zählt – und irgendwer, so viel ist sicher, will immer. Auch darauf hätte man sich rechtzeitig einstellen und besser vorbereiten können.
Somit sind auch nicht mehr nur Datenströme gegenüber den solche Netzwerke und Dienste bereitstellenden Firmen der Preis der Bequemlichkeit, den die User zu zahlen haben, sondern auch noch die Zeitfresserei, sich höchstpersönlich immer länger, öfter und intensiver mit den unangenehmen Nebenwirkungen eines Aufenthalts in Sozialen Netzwerken befassen und diese immer aufwendiger und länger abarbeiten zu müssen. Damit hat das Betreiber-Unternehmen sein Ziel erreicht, den möglichen langen Aufenthalt der User, deren Daten damit auch länger erfasst, gespeichert und genutzt werden können. Irgendwann zahlt sich das dann nicht mehr aus und dann möchte so mancher am liebsten gleich alles bleiben lassen, greift wieder zum Telefon und Terminkalender, um störungs- und abhörfreie Geschäftsbesprechungen und private Freunde zu treffem, ohne sich zum Digital-Affen zu machen.
Von einer reibunslosen digitalen Kommunikation kann derzeit wohl kaum noch die Rede sein, geschweige denn von einer krisenfesten. Sonst würde es in Netzwerken zum Beispiel deutlisch weniger einschlägige Propaganda-Videos geben, die dazu anleiten, andere Menschen abzuschlachten. Bleibt alles beim Alten, verwandeln sich durch ihre eigenen Algorithmen getriebene Sozialen Netzwerke in Soziale Hetzwerke - und damit in ihre eigene Karrikatur.
Aber woher kommt dieser lange nicht bemerkte Trend zur Entmenschlichung, der zunehemend raue Ton bis hin zu regelrecht menschenfeindlichem Verhalten, nicht nur in Netzwerken? Warum versammeln sich Menschen um Unfallorte, und glotzen oder fotografieren, statt zu helfen? Warum beschimpfen sich erwachsene Menschen aufs Übelste über alle ihnen heutzutage zur Verfügung stehenden modernen Kommunkationskanäle beim schlichten Streit um irgendeine Meinung oder aus nichtigsten Anlässen, als ginge es um ihr Leben? Wie weit schreitet die digitale erwahrlosung noch voran?
Es ist noch gar nicht so lange her, als sich die Diskussionen um die Verantwortlichkeiten für mieses Verhalten in noch sehr überschaubareren Bahnen bewegten. U.a. Schulen und Unternehmen – nicht zuletzt auch über sämtliche Medien - hielten zum Beispiel Eltern vor, bei Verhalten, Ausdrucksformen, insbesondere bei der Erziehung zum Respekt ihrer Sprösslinge komplett versagt zu haben. Eltern fragten sich derweil, wie weit ihr Einfluss überhaupt noch reichte, in einer durchorganisierten Fremdbetreuungs-Gesellschaft, in der die Kinder wie Arbeitnehmer ganztägig außer Haus verfrachtet sind – und dem elterlichen Einfluss folglich den größten Teil des Tages entzogen. Hinzu kommt der massiv wachsende Gebrauch sozialer Medien, um dessen Gebrauch in Bildungseinrichtungen ebenfalls anhaltend heftig gestritten wird. Infolgedessen warfen Eltern und Unternehmen den Schulen dasselbe Versagen vor, Schüler nicht ädequat auf das echte und das digitale Leben vorzubereiten. Und nicht zuletzt warfen Schulen und Eltern unisono der Wirtschaft vor, das Leben von Kindern und Schülern komplett durchzuökonomisieren und ihnen damit nicht weniger, als die Kindheit zu stehlen.
Und was ist mit der Verantwortung von Herstellern, Programmierern und Sozialen Netzwerken?
Die Fülle an Streit-Themen in den klaffenden Lücken fehlender Regulierung erinnert an die Büchse der Pandora, angefangen bei der Praxis der relativ leichten Umgehung sämtlicher Altersbeschränkungen in Netzwerken und digitalen Dienstleistungen - von wegen kein rechtsfreier Raum – bis hin zu den elendig, klebrigen Diskussionen über das "Recht auf ein privates Smartphone", das Schulen die Hände bindet, die wenigstens während der Schulzeit über die Nutzung immer ausgefeilterer Gerätschaften in ihrem eigenen Gebäude gern ein Wörtchen mitzureden hätten, was im Schul- und Unterrichtsalltag geht und was nicht – und es bis heute nicht dürfen. Damit baden Eltern und Schulen das Versäumnis der Politik aus, sich mit datensaugenden Netzwerken ernsthaft auseinanderzusetzen und diese zu organisieren.
Nicht zuletzt sind exklusive Informationen und schnelle Antworten bald nur noch hinter verschlossenen Türen und damit öffentliche Institutionen in "Walled Gardens" ein immer noch zu wenig medienpräsentes Thema. Welche Vorbildfunktion haben sie noch, wenn sie sich, ihrem öffentlichen Auftrag verpflichtet, mit ihren Informations-Angeboten überraschend selbstverständlich immer mehr hinter die exklusiven Mauern von wenigen Sozialen Netzwerken privatwirtschaftlich organsierter Konzerne begeben?
Steuergelder sind wohl kaum dazu da, um über zumindest zweifelhafte Strukturen nur noch einen exklusiven Teil und nicht mehr die ganze Bevölkerung hinreichend und zeitnah zu informieren. Bis auf die mehr oder weniger erfolgreichen Aktivitäten von empörten Datenschützern fiel das Engagment offizieller Stellen, hier ein vernünftiges Maß sowie praktikable Regeln zu finden, bisher eher mager aus. Wenn sich öffentliche Institutionen aber an keine Regeln halten müssen, wundert sich der in privatwirtschaftlichen Netzwerken nicht als Mitglied eingetragene Bürger künftig wohl noch mehr darüber, dass er selbst keine Antwort mehr erhält oder ewig darauf warten muss, während der in Sozialen Netzwerken mit seinen vielen persönlichen Daten angemeldete Nachbar stets die besten und schnellsten Kontakte zu Behörden pflegt.
Im ausgehenden letzten Jahrhundert war man gegenüber Regeln, das Internet betreffend noch ganz unbedarft und baute auf gegenseitiges Vertrauen. Es gab schon so etwas wie Soziale Netzwerke, aber sehr viel kleinere. Keine Masssenveranstaltungen, folglich auch keine Konzentration von Marktmacht. Virtuelle Netzwerke waren noch eine Randerscheinung. Der allgemein erwünschte „Fortschritt“ hatte freie Bahn. Auch damals gab es in Netzwerken schon Störer und Trolle. So wurden erste Regeln, u.a. die bis heute gültige, aber immer mehr missachtete, Netiquette aufgestellt = Benimmregeln für die Kommunikation über elektronische Plattformen. Jeder, der sich nicht daran hielt, deseskalierte sich damit selbst und wurde schlicht: gefeuert. Der beherzte Rausschmiss war an der Tagesordnung, etwas, was man sich heutzutage gar nicht mehr in dem damals praktizierten Ausmaß vorstellen kann, zumal Gefeuerte auch - wenn sie sich inzwischen geläutert zu benehmen wussten - auch genauso schnell wieder aufgenommen wurden, aber im Unterschied zu heute, war damals eine gute Moderation unverzichtbar. Diese – temporäre oder endgültige - fristlose Kündigung wurde dadurch erleichtert, dass die wenigsten Netzwerke im 20. Jahrhundert rein kommerzielle Absichten verfolgten oder vorwiegend kommerzielle Absichten ihrer Mitglieder zuließen oder fördern sollten.
Das ist heute ganz anders: Die kommerziellen Netzwerke von heute haben auch sehr viele kommerziell agierende Mitglieder und werben mit dazu passenden Gewinn-Versprechen, auf deren Einhaltung die Mitglieder dann auch pochen. Ein Regelverstoß muss nun kleinlichst nachgewiesen werden. Mitglieder, die etwa durch einen Rauschmiss ihrerseits Kunden verlieren, könnten unangenehm werden und klagen. So etwas ist nicht nur teuer, auch der Ruf und natürlich der Aktienkurs eines so handelnden Netzwerkes steht genauso auf Messers Schneide wie Ruf und Einkommen von dessen Mitgliedern. Im letzten Jahrhundert war das noch unmöglich: Wenn Admins eines Netzwerks jemanden feuern wollten, konnten sie das auch einfach tun und damit schalten und walten wie sie es für richtig hielten. So viel Freiheit gab es – und trotz all der schönen Versprechen von heute – dann auch nie wieder.
Im ausgehenden vergangenen Jahrhundert wurde dgitales Equipment von allen Herstellern massivst beworben. Glaubte man der Werbung musste man alles haben: Rechner, Laptop, immer leichter werdende Mobiltelefone, dazu Drucker, Scanner, Flachbildschirme, Digitalkameras, Mikrofone, Unmengen Software. Das Neueste war gerade gut genug, die Betriebssysteme updateten im Rhtythmus wechselnder Unterhemden und was gestern noch als der letzte Schrei galt, war kurze Zeit später schon wieder überholt.
Auch damals kauften Konzerne, die nicht mehr selbst entwickelten, die globale Hard-und Software-Konkurrenz einfach auf und die Marktmacht konzentrierte sich allmählich, ähnlich wie heute auf wenige Firmen, die damit nicht mehr oder weniger als die digitale Kommunikation in ihren wenigen Händen halten - und eine immense Verantwortung tragen, keineswegs zuletzt gegenüber dem weltweiten Fortschritt der Kommunikationfähigkeit.
Offenbar sollte damals jeder einzelne Privathaushalt zum digitalen Großraumbüro hochgerüstet werden. Der geneigte, weil fortschrittfreudige und technisch interessierte Kunde folgte brav – und konnte z.B, auf einmal nicht mehr nur zwei Dutzend – mühsam in Fotolaboren hergestellte – analoge Fotos pro Woche, Monat oder Halbjahr käuflich erwerben, sondern es sich auf einmal leisten, tausende, digitale Fotos wortwörtlich zu schießen und auf dem eigenen Rechner mit immer größer werdenden Festplattenkapazitäten zu speichern – und war fortan bald genauso gut "bewaffnet" wie kurz zuvor weltweit lediglich ein paar abzählbare Profi- und Star-Fotografen.
Doch Im Gegensatz zu Waschmaschinen, an denen in einigen Ländern der Warnhinweis, das Heimtier nicht in die Waschtrommel zu stecken, inzwische obligatorisch ist, fanden sich auf den Bedienungsanleitungen von Rechnern, Digitalkameras und Co, kaum Hinweise darauf, was man bei ihrem Gebrauch tunlichst unterlassen sollte. So steht in den meisten Manuals von Digitalkameras bis heute auch nicht, dass Persönlichkeitsrechte beim Fotografieren anderer Menschen zu beachten sind. Es finden sich selten Hinweise in den Anleitungen von Video-Kameras, dass man eine Kamera nicht auf Unfallopfer oder Tote zu richten hat oder den Notarzt beschimpfen sollte, weil dieser beim Filmen im Bild steht. Doch so blöd solche Selbstverständlichkeiten auch klingen mögen. Es ist ganz genau dieser Horror, den Rettungskräfte heutzutage täglich erleben müssen. Exakt solche Anweisungen scheinen einige Anwender teuerster Digital-Ausrüstungen aktuell und ganz dringend zu benötigen.
Beim Gebrauch digitalen Equipments geht es bislang immer nur darum, was es alles kann, wie die Möglichkeiten am besten ausgenutzt werden – und nie um soziale Regeln, wie man sich dermaßen aus- und hochgerüstet korrekt zu verhalten hätte. Erst die Eroberung des Lufraums durch den privaten Drohnen-Anwender rief den Gesetzgeber auf den Plan, endlich etwas an der dreißigjährigen Praxis eines weitestgehend fehlenden Regelwerks für digital aufgerüstete Privatanwender zu ändern, die im Übrigen inzwischen auch mit Wärmebild-Kameras und Abhörvorichtungen unterwegs sind, die einer Stasi-Behörde würdig wären, ebenfalls weitestgehend in Unkenntnis darüber, was sie damit eigentlich alles anstellen dürfen und was genau nicht. In den Schulen wird wiederholt die Einführung von Gesundheitsthemen, Ernährungskunde, Finanzen, Wirtschaft, IT u.a. als regelmäßige Unterrichtung gefordert. Wie wäre es mit der Wiedereinführung von Rechtskunde für den digitalen Privatgebrauch?
Gepaart mit der Aufrüstung des Schusswaffen-Parks in privaten Händen, sollte man sich auf Behördenebene langsam einmal ein paar Antworten auf solche bedenklichen Entwicklungen einfallen lassen, statt sich nur noch mit der Darstellung und Beliebtheit der eigenen Netzwerkeprofile zu befassen.
So brachte es kürzilch ein Vertreter der Polizeigewerkschaft (GdP) in einem TV-Beitrag auf den Punkt. Warum in aller Welt, können Anträge auf den Kleinen Waffenschein in einigen Bundesländern neurdings einfach online im Internet gestellt werden – etwa wie bei einem Kfz-Wunschkennzeichen? In dem auszufüllendem Formular, in dem die „persönliche Eignung“ und „geistige oder körperliche Mängel“, Haftstrafen u.a. nur noch online abgefragt werden, kann man so einiges angeben, das lediglich noch bei einem anonymen „Ansprechpartner“ abgegeben wird - und bis auf ein paar, begrenzte Sicherheitsabfragen bis auf Weiteres gänzlich ungeprüft bleibt. Die Antwort dürfte lauten: Es ist billiger als eine für die Beantragung eines Waffenscheins im Sinne der Sicherheit vernünftigere "Inaugenscheinnahme".
Die Allgemeinheit fasst derart im Rahmen des Bürokratieabbaus fehlendes Regelwerk offenbar so auf, dass man alles das tun dürfte, was die Ausrüstung nur hergibt. Die Folge aus stunden, monate- und jahrelanger einseitiger Beschäftigung allein mit Handhabung und technischen Möglichkeiten - ohne eine parallel dazu stattfindende bewusste Auseinandersetzung mit weiteren Komponenten wie etwa sozialen, psychologischen oder rechtlichen Folgen eigenen Handelns, hat logischweise genau das zur Folge, was wir nun alltäglich an Eindrücken tiefster menschlicher Verwerfungen erleben:
Eine Rettungshelfern im Weg stehende, starrende, ihre Kameras schweigend auf Unfallorte und Unfallopfer gerichtete Menschenmenge, die zu gar nichts mehr in der Lage ist, als lediglich ihre Geräte zu bedienen. Und genau das konnten sie, von der It-Wirtschaft befördert und von der Politik sträflich vernachlässigt, in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren schließlich ausreichend perfektionieren.
Hinzu kommt nun die kommerzielle Auschlachtung solcher Bilder über Soziale Netzwerke, die mit ihrer eigenen laschen Haltung bedenklichen Inhalten gegenüber, zumindest so viel zulassen, wie es der Gewinnmaximierung dienlich ist, und zudem dank ihren vorhandenen "schlanken" Organistationstrukturen ebenso unvorbereitet auf das Phänomen menschlicher Verwahrlosung in raffiniertester technischer Ausführung treffen. Durch die massenhafte Verbreitung mit Kameras ausgestatteter Smartphones bekam der Fortschritt der sozialen Verwahrlosung noch einmal einen ordentlichen Schub. Und? Gibt es in der Bedienungsanleitung von Mobiltelefonen inzwischen irgendeinen Warnhinweis darauf, dass Unfallopfer nicht zu filmen und zu fotografieren sind?
Kameras und andere Aufnahme- und Erfassunggeräte und Programme als Filter zwischen Menschen verändern den Umgang miteinander. Der Mensch als Subjekt wird zum Objekt, das im Dialog stehende Gegenüber zu einem stummen Datenschatz, der ausgehoben werden kann, solange man nicht daran gehindert wird. So wird eine einst lebendige, mit allen Menschenrechten ausgestattete Person zum Beispiel ganz schlicht auf ein totes Foto- oder Film-Motiv reduziert. Das können nun nicht mehr nur mit teuren Kameras ausgestattete Paparazzi leisten, sondern eine immer größer werdende Masse Menschen.
So anvanciert der Mensch als Objekt zur digitalen Ware, die - ohne zwei übereinstimmende Willensäußerungen wohlgemerkt - technisch gepeichert, verfolgt oder verkauft werden kann, als eine von vielen heute möglichen "Anwendungen" bwz. Nutzungsmöglichkeiten - von Menschen wohlgemerkt. Darüber beschweren sich heute nicht mehr nur Prominente im ewigen Streit mit Paparazzi, sondern machen sich auch Influencer und ihre Auftraggeber zu Nutze. Am anderen Ende der Fahnenstange digitaler Massenkommunikation ist die Umwandlung von Menschen in handelbare Güter einer der Faktoren, warum in der Gegenwart u.a. Kinderpornographie prosperiert– es fehlt am Ende jede Empathie, jede menschliche Eigenschaft, es geht von "Endverbrauchern" abgesehen, in weiten Teilen nur noch um die technische Machbarkeit und nur noch ums Geschäft.
In den Anfängen der Digitalfotografie gerieten dabei einige in einen regelrechten Rausch - und manche sind daraus bis heute noch nicht wieder aufgewacht. Schließlich verlangt auch das Publikum immer sensationellere Bilder. Damit haben wir das alte 20. Jahrhundert, in dem die Presse für solche Geschäftsmethoden zu Recht gescholten wurde, quasi in das 21. Jahrhundert importiert – und dank ebensolcher veralteter Strukturen - (Stichwort: alles was Technik hergibt, wird auch praktiziert) - in den sozialen Netzwerken, lässt uns das vergangene Jahrhundert offenbar auch nie wieder los. Zweifelsohne behindert diese Verharren nebenbei auch jeglichen technischen Fortschritt.
Die Entwicklung der vorhandenen Sozialen Netzwerke stagniert gegenwärtig. Sie bieten inzwischen nur noch wenig echte Innovation an, wenn man einmal von ein paar Verbesserungen und einzelnen Vorteilen für ihre Nutzer absieht, im Gegenteil. Sie befördern eine zunehmende Verantwortungslosigkeit und Entmenschlichung durch die Nutzbarmachung von Menschen als öffentliche zugängliche Datenpakete bis hin zu Schießscheiben, indem sie lediglich wenige, dürftige Anwendungsmöglichkeiten anbieten, die lediglich dazu da sind, damit User im Netzwerk verbleiben, um auch weiterhin genügend Daten zu liefern. Beispielhaft für die wenigen, vorhandenen, mageren Anwendungen steht hier das dauerndhaft installierte Grundmodell des Bewertens von Beiträgen oder Profilen als ein 30 Jahre altes, klassisches Element aus den 1990er Jahren, in genau wie damals fantasielose Punktesysteme gequetscht, und für alles und jeden umgesetzt.
Wer sind wir eigentlich oder besser gefragt: Wie dumm und langweilig sind wir eigenlich, dass wir uns anmaßen, andere Menschen zu bewerten? Welche Prüfungskommission von was maßen wir uns an zu sein, die über das Ranking unseres persönlichen Gesprächspartners zu urteilen hätten, als handele es sich bei diesem um ein Buch oder einen Film? Oder sind wir die "Stifung Warentest" und unser menschliches Gegenüber ist uns etwa nur noch so nützlich wie eine Tube Zahnpasta?
Fällt Sozialen Netzwerken wirklich nichts Besseres mehr ein als ein paar Kommentare zu ermöglichen und darüber hinaus lediglich noch Hochladen, Bewerten und Teilen, das uns schon vor dreißig Jahren irgendwann nur noch gelangweilt hat?
Dabei hieß es doch, man würde in Sozialen Netzwerken Menschen einnander näher bringen. Die scheinen heute eher weiter als je zuvor voneinander entfernt zu sein. Die Kommunikation sollte einfacher werden, das Miteinander leichter? Große Teile dieser ganz großartig angepriesenen „sozialen“ Möglichkeiten sind offenbar nicht eingetreten und die Ziele verfehlt worden zu sein.
War das wirklich schon alles? Im analogen Bewertungswahn aufgewachsene Kinder - und anschließend im digitalen Bewertungswahn inzwischen geübte Jugendliche zeigen schon deutliche Symptome einer geschäftsmäßigen Scheinheiligkeit, lediglich die Außenwirkung noch rudimentär bedienen zu müssen, die an Inhaltsleere gleichwohl kaum noch zu überbieten ist, so dass immerhin auch den nächsten Generationen künftiger Therapeuten die Arbeit nie ausgehen wird.
Nachdem mir – ohne eigenes Zutun - seit rund einem Jahr auf einmal mitgeteilt wird, wann immer und von wem mein Profil besucht und angesehen wird, frage ich mich, welchen Sinn das haben soll. Wenn jemand Kontakt aufnehmen will, ist das schließlich auch ohne das Ansehen von Teilen irgendeines Profils von mir problemlos möglich.
Seitdem warte ich darauf, dass ein Netzwerk die Option schafft, mir unverzüglich mitzuteilen, wenn jemand an mich denkt - weil es eine ähnlich wichtige Information und Wirkung hat, nämlich in beiden Fällen: gar keine.
Auch Unternehmen könnten die Netzwerke deutlich mehr anbieten, z.B. per Button die Anfrage "Angebot erwünscht" erlauben oder "Rückruf", "Meeting" (im digitalen oder analogen Leben) - ohne dass die Kontakte gleich eine lebenlängliche Online-Ehe auschließlich mit dem allein profitierendem Netzwerk eingehen müssen, wie es bis heute aber praktiziert wird, als wäre man einem zweifelhaften Eheanbahnungsinstitut (ich entschldige mich an dieser Stelle bei all jenen, die seriös arbeiten für diesen Vergleich) auf den Leim gegangen. Inzwischen können Social Media-Profile sogar vererbt werden, falls dies an Ihnen vorbeigeganen sein sollte, so lange dauert also eine Mitgliedschaft, über den Tod hinaus. Die Motivation, dass sich Netzwerksmitglieder etwa verselbstständigen, vor allem ihren aktiven Kontakt untereinander, und damit ohne die sie zusammenführende Social Media-Plattform auskommen könnten, ist wohl nicht das angestrebte Geschäftsziel. Und damit verpassen die Anbieter glatt das Beste, was sie leisten könnten.
Man kann sich etwas einfallen lassen. Man kann es Menschen und Organisationen einfacher machen, man kann sie darin digital unterstützen, sich authentischer oder zielgerichteter und zweckgebundener zu kontaktieren, zu vernetzen, sich zu treffen, ernsthafter umeinander zu bemühen oder zu kümmern - oder einfach auch nur gute Geschäfte miteinander zu tätigen. Das war und ist technisch möglich.
Man kann aber auch alles so lassen wie es ist, und sie damit fortgesetzt zu Objekten dieser oder jener Begierden herabstufen, was immer interessant wird, wenn einmal wieder Datenabfluss vermeldet werden muss. Auch die latente Gefahr von Fakeprofilen, von angeblichen „Freunden“ flankiert, die nur noch nach außen hin z.B. als todschicker, gemeinnütziger Verein brillieren, würde abnehmen, wenn Kontakt wirklich hergestellt würde. Es gibt tatsächlich noch Netzwerke, die z.B. regelmäßig tote Kontakte und Konten aufräumen, sprich: löschen. Danach fühlen sich regelmäßig alle Beteiligten wieder wortwörtlich "lebendig".
Vielleicht fehlt den betont technisch umtriebigen Unternehmen bisher die Fantasie oder die Energie beim alltäglichen Verheddern im Vorhandenen, um ihren veralteten „Sozialen Netzwerken“ eine neues, zum Zeitgeist passendes Leben einzuhauchen, statt sich und andere ohne jede aktive Gestaltung und Weiterentwickliung zwangsläufig weiter zu ruinieren.
Vergessen wir auch nicht, dass eines der größten, dieser börsennotierten Sozialexperimente einst nicht mehr und nicht weniger als eine schlichte Bewertungsplattform für die Attraktivität von Studentinnen war – und daran scheint sich bis heute erstaunlich wenig geändert zu haben, außer, dass ein paar Millionen Menschen mehr um die Gunst von Bewertungen buhlen und sich die dort nicht gerade wenig vorhandenen Trolle inzwischen Abwertungen, Hass, Gewalt und Morddrohungen usw. als ein früher noch nicht so übliches "Bewertungsinstrument" zu eigen gemacht haben. Neu hinzugekommen ist in jüngster Vergangenheit, dass einige Fälle von Überschreitungen des digitalen Gartenzauns in die reale Welt hinaus inzwischen die Merkmale von Massenpsychosen aufweisen.
Immerhin existieren nun auch innovative Fake News, u.a. die "Tagesschau in 20 Jahren" (aus einer ARD-Satiresendung), die Aussichten auf ein ganz passables „Nachrichten“-Ranking haben dürfte. Es hilft wohl nur noch eins, um der immer größer werdenden Falle zwischen Sozialem Hetzwerk und Biedermeier 4.0 zu entkommen, frei nach Bundeskanzler Willy Brandt:
Sie sollten endlich mehr Demokratie wagen.
2017-01-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto Banner: aph
Infos zu Datenschutz + Cookies
zurück zu: Themen
zurück zu: Startseite
wirtschaftswetter.de
© 2003-2021 Wirtschaftswetter® Online-Zeitschrift