von Birgid Hanke
Da Heinz Erich Fritz bei Borgward in einem "kriegswichtigen Betrieb" arbeitete, war er lange „u.k.“ (unabkömmlich) gestellt. Schon während dieser ersten Kriegsjahre mietete er in Bremer Bahnhofsnähe Räumlichkeiten an, in denen er und einige seiner Kollegen nach Feierabend eifrig Pläne zeichneten.
Im Jahre 1944 erwischte es aber auch ihn.
Er wurde eingezogen und landete zu seinem großen Verdruss bei der Infanterie. Eine Beschwerde während des Heimaturlaubs bei seinem Mentor Büchner jedoch genügte. Umgehend verwendete dieser sich für seinen Adlatus beim zuständigen Verbindungsoffizier. Ein Herr von Ahlefeld sorgte schließlich dafür, dass der junge Konstrukteur zur Panzereinheit 300 nach Eisenach versetzt wurde. „Da waren doch auch die ganzen anderen Borgwardianer.“
Sehr schnell registrierten die dortigen Vorgesetzten die große Sportlichkeit ihres neuen Rekruten und schlugen ihn zum „ROB“ vor. Fritz selbst hatte gar kein Interesse an einem Aufstieg zum "Reserveoffiziersbewerber". „Ich bin Konstrukteur und möchte es bleiben“, versuchte er, dieser Laufbahn zu entgehen.
Einsatz in Kaunas, Litauen. Heftige Gefechte in den letzten Kriegstagen, dazu viele Erlebnisse, die er lieber vergessen würde. Aber gerade in ersten Maiwochen, wenn sich mit dem 8. Mai der Jahrestag der endgültigen deutschen Kapitulation wieder einmal nähert, kehren die Erinnerungen zurück, holen ihn nächtliche Alpträume heim, über die er lieber schweigt, von denen er nur wenigen Menschen jemals erzählt hat.
Ringt er sich einmal dazu durch, gestalten sich seine Erzählungen über die persönlichen (Überlebens)Kämpfe bei Tangermünde während der letzten Kriegstage so anschaulich, so detailliert und drastisch, dass einen schon beim Zuhören das Grauen packt. Auf seine Bitte hin bleibt dergleichen unveröffentlicht.
50 Splitterverletzungen behielt er aus diesen Wochen zurück. Ein Teil dieser Splitter blieb für immer in seinem Körper stecken.
Fritz geriet in englische Gefangenschaft. Da die Camps nicht alle Kriegsgefangenen aufnehmen konnten, verteilte die englische Militärregierung die überzähligen Soldaten auf Bauernhöfe. Fritz landete irgendwo in Schleswig-Holstein bei „Mutter Harms“, einer Kriegerwitwe mit zwei Töchtern. Trotz der schweren Verletzung seines rechten Arms versuchte Fritz, sich bei ihr nützlich zu machen; alleine schon, um der Langeweile zu entgehen.
„Dat wüll ick aba nöch!“ wehrte die resolute Bäuerin diesen Einsatz störrisch ab.
Wesentlich aufgeschlossener zeigte sie sich jedoch gegenüber den Kartenlegekünsten eines weiteren Kriegsgefangenen, der in ihrer Scheune einquartiert war. Fritz versorgte ihn regelmäßig mit Details des seinerseits im Inneren des Wohnhauses zufällig Aufgeschnappten.
Dieser ließ die Informationen in die nächste „Sitzung“ einfließen. Die abergläubische Witwe entlohnte ihren „Wahrsager“ mit schwarz Geschlachtetem oder Eiern, die sich die beiden Kameraden redlich teilten. Bei allem Chaos, Tragik und Schmerz entbehrte die unmittelbare Nachkriegszeit keineswegs komischer Momente.
Einen Schock erlebte Heinz Erich Fritz unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft und Rückkehr nach Bremen.
Auf rüde Art und Weise, lediglich durch Zuruf über die Straße, musste er vom Tod seiner Jugendfreundin erfahren. Fritz hatte sich zu Fuß vom Bahnhof aus auf den Weg durch die Trümmerlandschaft begeben.
„Ach, da biste ja wieder. Dein Mädchen ham' se totgetreten“, rief ihm ein Bekannter im Ostertorsteinweg schon von Weitem bei entgegen. Die junge Frau war während eines Bombenalarms auf den Stufen eines Luftschutzbunkers am Osterdeich gestolpert, gefallen und von anderen Flüchtenden zu Tode getrampelt worden.
Heinz Erich Fritz hatte keine Zeit zu trauern oder gar an dem Verlust zu zerbrechen; wie so viele seiner Generation. Abgehärtet, zermürbt zugleich von den Erlebnissen an der Front oder während der Bombenangriffe, verdrängten die betroffenen Männer und Frauen ihre Erfahrungen, um sich mit um so größerer Vehemenz in die Aufbauarbeit zu stürzen.
Da die Borgward-Werke in Schutt und Asche lagen, war Fritz arbeitslos. Er schlüpfte bei den Eltern in der Hildesheimer Straße unter und nahm schnell Kontakt zu einem Kollegen auf. Mit diesem hatte er schon während der Kriegsjahre zusammen gearbeitet und bereits damals den großen Traum vom Bau eines eigenen Hauses geträumt. An dessen Umsetzung wollte er nun weiterarbeiten.
Heute lacht der alte Herr über die Naivität, mit der sein Kompagnon und er in jenen Jahren daran gegangen sind. Zu bedenken dabei ist, dass die beiden jungen Männer damals erst Mitte Zwanzig waren, also in einem Alter, in dem sich die heutige Generation noch lange nicht gesettled hat, sondern in der Ausbildung und/oder Findungsphase befindet. In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten die jungen Menschen keine Zeit für dergleichen. Es musste gemacht und nicht zu lange gedacht werden.
Der Einstieg in den richtigen Fertigungsbereich begann mit einem handfesten Krach zwischen Vater und Sohn. Man könnte ihn fast als Urknall der Fritz'schen Produktionswerke bezeichnen, die in den Folgejahren etliche Wandlungsprozesse sowohl juristischer als auch technischer Art vollzogen. Verbunden waren damit etliche Umzüge in Bremen, ehe schließlich 1974 die Entscheidung fiel, sich in Wildeshausen niederzulassen.
Über irgendwelche Kanäle erfuhr Fritz: „In der Bahnhofstraße steht eine Granatendrehmaschine.“ Aus Tschechien, ursprünglich für den Export nach Russland bestimmt, daher sogar kyrillisch beschriftet. Zur Lieferung war es wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr gekommen. Fritz kam, sah und kaufte für wenig Geld. Umgehend war auch ein Transport in die Hildesheimer Straße, wo ihm eine hilfsbereite Nachbarin einen Abstellplatz in ihrer Garage zugesagt hatte, organisiert.
Der alte Fritz kam, sah und tobte. Seine Ausfälligkeiten müssen derart heftig gewesen sein, dass dessen Sohn mehr als siebzig Jahre später aus immer noch schmerzender Kränkung und einstiger Wut kein Hehl macht.
Nachdem sein Vater sich jedoch erst einmal ein richtiges Bild verschaffte und festgestellte, was für ein Schnäppchen sein Sohn überhaupt getätigt hatte, stand er paradoxerweise wenige Tage nach seinem Wutausbruch schon selbst an dieser Maschine.
Nicht viel später kam es zur offiziellen Gründung der ersten Fritz KG, Inhaber Sohn und Vater Fritz. Der erwirtschaftete Gewinn wurde redlich 50:50 geteilt. Die Firma florierte hervorragend mit der Folge, dass Fritz junior immer mehr Mitarbeiter einstellte, die natürlich auch bezahlt werden mussten. Mit entsprechend höheren Lohnkosten war er nun belastet. Diese Tatsache blendete sein Vater schlichtweg aus, bestand nach nie vor auf Halbe-Halbe mit der Konsequenz, dass sein Sohn kurzerhand die gesamte KG auflöste.
Wieder ein Riesenkrach zwischen den beiden, der damit endete, dass Vater Fritz fortan als Angestellter in der nächsten Firma seine Sohnes arbeitete.
In den folgenden Jahren ging es Schlag auf Schlag.
„Da haben Sie in diesen Jahren ja so so etwas wie Ihr ganz persönliches Wirtschaftswunder bewerkstelligt.“
Langes, nachdenkliches Schweigen.
„Ja, es war eines Tages sehr viel Geld mit im Spiel“, kommt es schließlich leise.
Es fällt dem heute 96-Jährigen nicht leicht, die vielen Umzüge und Metamorphosen seiner verschiedenen Fabriken in eine exakte chronologische Abfolge zu bringen. Zeitzeugen dazu zu befragen, ist nicht mehr möglich, weil sie alle verstorben sind.
Mit vereinten Kräften bringen wir es auf insgesamt acht Standorte, beginnend mit dem kleinen Konstruktionsbüro in Bahnhofsnähe der ersten Kriegsjahre, wo nur gezeichnet wurde, bis zu den Fertigungsbetrieben in den ehemaligen Hallen der Firma Nordmende, (die sich ganz aktuell anschickt, so etwas wie ein Comeback in Bremer Gefilden anzuschieben) im niedersächsischen Wildeshausen.
Immer wieder sind die Erinnerungen des alten Fritz gespickt mit Anekdoten, kleinen Exkursen und Belehrungen.
Mit viel neuem Wissen gehe ich aus unseren Gesprächen hervor, weiß nun, dass der Erfinder des in Kriegszeiten unentbehrlichen Holzvergasers ein Lothringer namens Georges Christian Peter Imbert hieß. Rasch bricht Fritz angesichts meiner verständnislosen Miene den Versuch ab, mir die Funktionsweise dieses Holzvergasers zu erklären.
Er weiß auch, wie der berühmte, bis heute unvergessene Rennfahrer Bernd Rosemeyer entdeckt wurde. Begonnen hatte dieser als Testfahrer für Motorräder bei der Autounion in Zwickau. Einem Vorgesetzten fiel der rasante Fahrer dadurch auf, dass er im Gegensatz zu seinen vorsichtigeren Kollegen auf der gesamten bergigen Teststrecke niemals schaltete. Das prädestinierte ihn zum Rennfahrer. Rosemeyer sattelte um auf Rennwagen und fuhr an die Weltspitze.
Mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis verfolgten aus der Ferne die Herren des Konstrukteurbüros Borgward in jenen Jahren diese Karriere.
„Der Rosemeyer hat das Totenhemd schon an“, orakelte der gebürtige Engländer Scarbisbrick. Und behielt tragischerweise recht. Rosemeyer starb am 28. Januar 1938 während einer Testfahrt zwischen Frankfurt und Darmstadt.
Zurück zu Aufstieg und Niedergang der Fritzschen Firmengeschichte.
Einen Höhepunkt der Entwicklung erlebte die Maschinenfabrik während der bereits beschriebenen Jahre in der Bremer Grundstraße, Firmensitz 4 der Chronik.
Privat hatte man sich mittlerweile einen recht großbürgerlichen Lebensstil zugelegt.
Nicht nur, dass die Schwiegermutter im eigenen Hause lebte. Inzwischen gab es in der Rheinstraße auch zwei Kinder, dazu Kinder-und Hausmädchen. „Sieben Leute mindestens saßen bei uns jeden Tag am Tisch. Und die musste ich ernähren.“
Gefahren wurde eine Limousine, natürlich ein Borgward.
Ein betrügerischer Buchhalter, an dessen Namen sich Vater und Tochter bis heute erinnern, ihn aber nicht genannt haben wollen, vernichtete mit seinen Machenschaften die finanzielle Grundlage eines hervorragend florierenden Unternehmens. Der Konkurs war unausweichlich.
Für Jutta Gaeth, geborene Fritz, eine traumatische Erfahrung.
„Von heute auf morgen der Absturz in das Nichts. Ich war noch ein Kind, wurde damals gerade eingeschult, aber habe es bis heute nicht vergessen.“
Juristisch belangt wurde der Mitarbeiter niemals. Und die Mordgelüste, die Fritz diesem gegenüber hegte, wagte er erst viele Jahre später en famille zu offenbaren.
Aber unterkriegen ließ er sich nicht. Klein und ganz von vorne begann er noch einmal; mit wenigen Maschinen in der Garage des eigenen Hauses. Es dauerte nicht lange, bis sich die Nachbarn der Rheinstraße beschwerten und die gerade zu neuem Leben erwachende Fabrik zum Umzug nötigten. Daraus wurde Firmensitz Nummer 5.
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2017-09-10, Birgid Hanke, Wirtschaftswetter
Text: ©Birgid Hanke
Fotos: ©Birgid Hanke + Heinz Erich Fritz
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