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Einkaufssonntage

Sonntagshopping, Daten-Salat und das immer gleiche Transportproblem. Wann kommt das überfällige, digitale Ende der analogen Schlepperei?

von Angelika Petrich-Hornetz

Dauerproblem Leerstand – verödende Innenstädte

Einkaufsmeilen-Ausverkauf, City-Verödung und auf der anderen Seite das galoppierende Wachstum des Online-Handels. Immer neue Hiobsbotschaften für den stationären Einzelhandel des 21. Jahrhunters bestimmen auch im Sommer 2017 die Nachrichtenlage der Branche.

Darüber kann auch eine sichtbar gut überfüllte Altstadt in bester Lage mit viel Flanierpublikum nicht mehr hinwegtäuschen: Gucken, Informieren und dann ab nach Hause und dasselbe im Internet – möglichst noch günstiger – einkaufen, und das auch noch vorwiegend an den verkaufsfreien Sonntagen, so klagen die Interessensvertreter des stationären Einzelnhandels machten den Ladengeschäften und Innenstädten immer mehr zu schaffen. Hinzu kommen die regelrechten Einkaufparks auf der grünen Wiese. Dort bekommt man einfach alles – von großen Elektrogeräten bis zur Herrensocke. Das Auto lässt man nebenbei auch noch Waschen - in einem Bruchteil der Zeit, in der man erst einmal die gesamte Innenstadt nach den gewünschten Waren mühsam Straße für Straße abklapperte. Noch schneller geht es nur noch im Online-Kaufhaus, auch wenn nicht so erlebnisreich – und so entstehen auf der Grünen Wiese u.a. massenhaft Kinderbetreuungs-Möglichkeiten und Restaurants – mit immer besseren Angeboten.

Vor allem in den etwas abgelegeneren Straßen und den Ende des vorherigen Jahrhunderts überall aus dem Boden gestampften Einkaufs-Passagen vermitteln die wachsenden City-Leerstände einen geradezu bedrückenden Zustand. Was die besondere Atmosphäre einer lebendigen Stadt ausmacht – eine lebhafte Betriebsamkeit gepaart mit hoher Lebesqualität, z.B. in Form von viel Stadtgrün – verträgt sich einfach schlecht mit zunehmender Verödung und einer in zu vielen Passagen vorhandenen, spartanischen Turnhallen-Atmosphäre bei stehend schlechter Luft.

Die Innenstadt als touristischer Magnet treibt die Verödung weiter voran. Die Bewohner verabschieden sich nach und nach, wegen steigender Mieten und sie finden anderswo längst mehr und bequemer die Wohnräume, Parkplätze und Waren, die sie für ihren Alltag benötigen.

So werden Altstadt-Häuser in immer mehr Innenstädten zu Ganz- oder Teilzeit-Herbergen für Touristen umfunktioniert, damit sich der Betrieb solch eines, einst teuer sanierten Kleinods überhaupt noch rechnet. Die kommunale Politik sieht, geblendet von steigenden Besucherzahlen, entweder zu oder liefert sich dauerhafte Papierkriege mit einer blendend informierten Immobilien-Lobby, deren Interessen an guten Renditen diejenigen an bezahlbarem Wohnraum deutlich überwiegen. Ein Beispiel dafür ist der in den Medien bekannte Ausverkauf der Nordsee-Insel Sylt, deren Insulaner sich inzwischen zu einem großen Teil auf dem Festland befinden.

Wer online-shoppt denn da?

Zurück zum Einzelhandel, dessen Sommer-Thema in diesem Jahr der noch weitestgehend verkaufsfreie Sonntag ist - mit der regulären Ausnahme des Online-Handels. Im Kippen des Sonntags-Verkaufsverbot meinen nun diverse Vertreter des stationären Einzelhandels ihr Heil gefunden zu haben, jüngst gestützt durch einfachste Statistiken, die schwarz auf weiß dokumentieren, dass der Sonntag der stärkste Umsatztag im Online-Handel ist. Doch wie für solche Entscheidungen erforderlich genau sind solche Statistiken, wenn daraus nicht einmal hervorgeht, um wen es sich bei den Online-Einkäufern genau handelt?

Befinden sich darunter zum Beispiel etwa auch diejenigen Einzelhandels-Kauffrauen und -männer, die inzwischen, ähnlich wie Krankenpflegepersonal, seit den immensen Ausweitungen der Ladenöffnungzeiten mindestens im Zwei-Schicht-Betrieb arbeiten? Genau diejenigen und viele andere auch werden u.a. nach dem Wochen-Einkauf in Bausch und Bogen auf der Grünen Wiese wohl vorwiegend am Sonntag für sich selbst online einkaufen müssen, weil sie schlicht sonst keine Zeit mehr dafür übrig haben, um ihren eigenen Bedarf zu decken.

Die Wahrnehmungstörungen des stationären Handels

Neben einer überfälligen, genaueren Untersuchung der Online-Sonntags-Einkäufer, wobei es manche Überraschung geben dürfte, übersieht der stationäre Einzelhandel auch das eigentliche Problem, das gar nichts damit zu tun hat, ob der Sonntag verkaufsoffen oder einkaufsfrei ist.
Davon können nicht nur die Paketdienste hinreichend berichten, sondern auch eine immer älter werdende Bevölkerung, die sich seit Jahrhunderten den Rücken krumm trägt.
Wer kennt sie nicht, die älteren Herrschaften um die 80 Jahre im Stadtbild, die einem regelmäßig leid tun, auch wenn sie inzwischen mit Einkaufstrolleys flächendeckend ausgerüstet sind, während die jüngere Kundschaft noch ihre schwer beladenden Rucksäcke zu stemmen vermag. Seit Jahrhunderten schleppen wir uns alle an notwendigen Einkäufen halbtot. Auch das ein deutlicher Nachteil schlecht mit Parkplätzen ausgerüsteter Innenstädte. Die Kapazitäten menschlicher Muskelkraft sind im Gegensatz zum Warenangebot nun einmal deutlich begrenzt. Und kann es wirklich sein, dass dem stationären Handel im Zuge der Digitialisierung einfach nichts Besseres als neue Bezahlmöglichkeiten einfällt? Wie wäre es mit dem mehr als überfälligen schlichten Einkaufstransport zum Parkplatz oder für Anwohner ums Eck nach Hause?

Im Online-Handel fällt der anstrengende Waren-Transport für die Kunden dagegen einfach komplett weg – und der hat bis heute ein analoges, enormes Gewicht. Interessanterweise wird dieser Punkt, obwohl der Online-Handel damit seit Jahrzzehnten vehement zu Recht wirbt, von der stationären Konkurrenz einfach weiter ignoriert und unterschätzt, als hörte einfach niemand wenigstens einmal genau hin. Wo sind sie, die Umfragen, welchen Stellenwert ein wegfallender Schwer-Transport für die Kunden hat, die vielleicht ohne diese grässliche Schlepperei lieber vor Ort einkaufen würden?

Wem beim Einkaufen schon einmal fast die Arme abfielen – und in der ganzen Stadt keinen einzigen, eigentlich für den Handel einfach zu organisierenden Aufbewahrungsplatz fand, wo er seine Einkäufe temporär unterbringen konnte, um zwischendurch nett einen Kaffee trinken zu gehen, der weiß, wie anstrengend der stationäre Handel inzwischen für seine Kunden geworden ist, zumal es eben auch die nicht schlafende Online-Konkurrenz gibt. Die Schwerstarbeit statt Einkauferlebnis für Kunden ist seit jeher an der Tagesordnung, während aber der Online-Kunde mit der Tasse Kaffee in der Hand durch den Laden surft. Mit der Schlepprei plagen sich dagegen im Online-Handel nicht die dafür einfach immer viel zu schlecht ausgerüsteten Kunden, sondern die Profis ab.

Wer sich aktuell in den sonnendurchfluteten Innenstädten umschaut, sieht sie immer noch: Genervte Frauen und Männer mit schweren Tüten, Taschen, Rucksäcken, zunehmend auch mit o.g. Einkaufstrolleys durch die Stadt schiebend, die allerdings auch sperrig sind, nicht durch jeden Gang passen und an Parkplätze für Einkaufstrolleys hat natürlich auch noch kein Einzelhändler gedacht.
Die Folge: Im Sommer bei 25 bis 30 Grad im Schatten kann man sich wahrlich etwas Bequemeres, geschweige denn Schöneres vorstellen, als ausgerechnet in einer Innenstadt einkaufen zu gehen.

Das eigentliche (Transport-)Problem des stationären Einzelhandels

Der stationäre Handel kann den Einkaufs-Sonntag getrost vergessen, zumindest bis er sein dringlichstes Problem gelöst hat - und sollte sich erst einmal um die wortwörtliche Entlastung seiner Kunden kümmern, so umfassend wie möglich. Der ein oder andere nimmt die Ware sicher auch weiterhin gern unterm Arm mit, aber immer mehr Kunden wären äußerst dankbar, wenn sie sich nicht mehr wie in den angeblich vergangenen Jahrhunderten krumm und schief schleppen müssten, sondern zwischenlagern oder wenigstens bis zum Parkplatz bringen lassen könnten.

Das nach wie vor bestehende Transport-Problem ist das eigentliche Problem des stationären, sowie der eigentliche Vorteil des Online-Handels. Turnhallenatmo und immer weniger vorhandene Spiegel in großen Bekleidungsgeschäften, tragen im Übrigen auch zu einem schlechten Einkaufs-Erlebnis bei, das sich der stationäre Handel einfach nicht mehr leisten kann, weil er damit lediglich den Online-Handel nachahmt und die Schwerstarbeit des Transports weiterhin allein seinen Kunden überlässt. Dass solch ein Konzept nicht aufgehen kann, liegt auf der Hand.

Außerdem sind die Leute inzwischen einfach viel zu gut informiert und umsorgt und damit anspruchvoll. Das Einkaufsvergnügen als solches - angefangen vom Anfassen, Riechen bis zum Aus- und Anprobieren - fehlt im Online-Handel indes immer noch gänzlich, aber dafür wird‘s bequem geliefert . Und die bequeme Lieferung gehört unbedingt zu einer guten Einkaufsstimmung dazu, die der stationäre Handel erstaunlich selbstständig abschafft, in dem er dieses vorhandene Problem seiner Kunden schlicht ignoriert.

Manche versuchen es wenigstens noch, ihren Kunden entgegenzukommen und beides zu kombinieren, zum Beispiel wenigstens einen Umtausch vor Ort, für das im angeschlossenen Online-Shop Gekaufte - eine naheliegende praktikable Lösung. Und praktische, kraft- und zeitschonende Lösungen sind diejenigen, die Kunden wollen.

Wo bleibt also in der viel beschworenen Digitalisierung der autonom fahrende Einkaufstrolley, egal, wie man ihn nennen will, der auch bis zum Parkplatz oder um die Ecke zu Hause liefert? Und wenn das nicht funktioniert, müssen andere Lösungen her. So geht es jedenfalls nicht weiter, zumal das Geldvermögen der Deutschen Ende 2021 einen neuen Höchststand von 7325 Milliarden Euro erreicht hat, darunter allein 2910 Milliarden Euro Bargeld und Bankeinlagen auf Giro- und Tagesgeldkonten. Nie war der Zeitpunkt so günstig, wie in der aktuell steigenden Inflation, dieses Geld endlich für Sinnvolleres auszugeben, als es lediglich immer weniger wert liegen zu lassen.

Statt die seit hundert Jahren gepflegte Schlepperei-Ödnis jetzt auch noch auf den Sonntag auszudehnen, sollte sich der Einzelhandel lieber wandeln, vernetzen, dabei seine eindeutigen Vorteile hervorheben – darunter auch die deutlich geringere Datensammelei - und in echte Innovationen investieren. Oder anders ausgedrückt: sich endlich etwas wirklich Neues einfallen lassen. Dann könnte der stationäre Handel auch wieder zur echten ernst zu nehmenden, weil erlebbaren Konkurrenz für den Online-Handel werden, der nämlich seine ganz eigenen Probleme, und zwar in nicht unerheblicher Größenordnung, hat.


2017-07-01, aktualisiert 2022-02-17, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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