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Bewertungsportale

Seit zwanzig Jahren geht nichts mehr ohne

von Angelika Petrich-Hornetz

Es ist müßig darüber nachzudenken, welchen Fortschritt und praktischen Nutzen handelsübliche Algorithmen dem öffentlichen Publikum im WW nun tatsächlich gebracht haben. Ein Element im Web ist jedenfalls seit seinen Anfängen nicht mehr wegzudenken und so kompliziert scheinen dahinter steckenden Programme seitdem auch nicht geworden zu sein. Die Rede ist von Bewertungsportalen. Wer mit dem World Wide Web aufgewachsen ist, ist auch mit Online-Bewertungen in sämtlichen Formen und Farben "groß" geworden. Während sich alles andere immer schneller ändert, wirken Bewertungsportale von heute dabei fast schon nostalgisch, nämlich erstaunlicherweise genauso aktuell wie dieselben von gestern.

Anybody Out There?

Alle Jubel Jahre geraten Bewertungsportale in die Schlagzeilen. Doch ungeachtet aller bisher aufgedeckten Skandälchen, wie auf Minijob-Basis beschäftigte Studenten in Übersee oder Hausfrauen vor Ort bis hin zu ganzen Armeen von Angestellten, die bezahlte Klicks oder manipulierte Kritiken zu ihrem Sachtgebiet zählen, scheint das handelsübliche Internet nicht ohne Bewertungen existieren zu können. Selbst langwierige Gerichtsprozess durch sämtliche Instanzen von Betroffenen, i.d.h. Regel mies oder überhaupt (ohne eigens Verlangen danach) Bewerteten, gibt es kein Entrinnen vor Bewertungen jeglicher Couleur. Ja, inzwischen haben sich von Online-Bewertungen sogar Ableger gebildet, die mehr Ähnlichkeit mit mittelalterlichen Prangern als mit der Gegenwart aufweisen. Allen Ernstes sind sie sogar zum Staatsmodell aufgestiegen, siehe China, dessen Regierung sich nicht zu schade dafür ist, das Volk mit schnöden Bewertungen zu regieren. "Teile und herrsche" ist schließlich auch nichts Neues.

Doch der sich dank technologischen Fortschritts immer mehr von sich selbst, seinen Kindern, Partnern, Nachbarn und dergleichen entfernende, dabei Zeit seines Lebens auf irgendein viereckigen Display starrende User hat ja auch nichts anderes als jeweils unterschiedliche Bewertungs-Korsetts, nach deren zweifelhaften Regeln sich deshalb auch mehr oder weniger alle richten. Und so glotzen wir zuallererst auf Bewertungen, halten uns, verzweifelt irgendeine Orientierung suchend, lieber daran als an gar nichts fest, und bilden uns ein, wir würden dort redlich angefertigte fundierte Meinungsäußerungen vorfinden. Wer ein Hotel sucht, liest zuerst die Bewertungen vermeintlicher Vorgänger-Gäste. Das erscheint zunächst sinnvoll, außerdem einfacher und weniger zeitauwendig, als die ganzen, brachenspezifischen Austattungs- und Servicelisten abzuarbeiten, die abseits von Gäste-Bewertungen unbekannter Herkunft sachliche Auskünfte erteilen könnten.

In Scheiben oder im Stück?

Genauso ergeht es Immobilien, Küchengeräten, Möbeln und Dienstleistungen wie Paketzustellern, Autowerkstätten, Fluglinien, Taxiunternehmen, Reinigungspersonal, Rechtsanwälten, Lehrern, Universitäten, Krankenhäusern und Ärzten etc.. Das alles und die alle müssen irgendwie übersichtlich in irgendetwas ein- und zusortiert und deshalb bewertet werden, damit sich überhaupt noch jemand in dem unübersichter werdenden Angebot zurechtfindet.
Mehr oder weniger unterschiedlich gestaltet, werden infolgedessen wilkürlich festgelegte Qualitäts-Kriterien abgefragt wie z.B. "Einfühlsamkeit" im Gesundheitsbereich, die bei Autowerkstätten hingegen schon seltener abgefragt wird. Dagegen wird "Transparenz" zum Pluspunkt auf sämtlichen Bewertungsprotalen, aber nur, wenn Transparenz als Qualitäts-Kriterium überhaupt vorhanden ist. .Am Ende steht dann i.d.R. immer dasslelbe: Fünf oder sechs Punkte sind der Jackpot für sehr gute Leistung - und danach geht es abnehmend rapide bergab.

Dass Bewertungsportale aktuell immer noch ähnlich vor zwanzig Jahren wirken (mit Sternchen, Smileys, Daumen hoch, Blingbling usw.), und damit nicht besonders ernst zu nehmend, liegt wohl einerseits an ihrer grafischen Umsetzung (die offenbar als ausreichend empfunden wird), aber auch daran, dass sich immer noch viel ehemals Selbstgebasteltes darunter befindet. Einstige Garagenfirmen mit ein paar hochmotivierten Studenten als Gründer sieht man an, dass sie an ihrem liebgewonnenen Ursprungs-Bewertungs-Tool festhalten, als sei es ein unverzichtbares Maskottchen, selbst wenn sich die Welt seit deren Programmierung schon mehrere tausende Mal weiter gedreht hat. Man hat dann, aufbauend auf diesem Ursprungsmodell, einfach weiter draufgesattelt, sich aber nie gefragt, ob der liebegwonne Ursprung nicht inzwischen im Kern veraltet ist - oder noch schlimmer, von Anfang an bis heute keiner einzigen neutralen Qualitätsübeprüfung hätte jemals standhalten können.

Nachschub-Probleme

MarotteIm Ergebnis passiert dann das, wir mir neulichs. Von einem Portal, dessen Existenz mir glatt entfallen war, erhalte ich eine Nachricht, dass meine ehemalige Bewertung von XY bereits drei Jahr alt sei. Soso. Man fragt mich weiter, ob ich nicht inzwischen aktuellere Erfahrungen gemacht hätte, die ich dem Bewertungsportal mitteilen möchte. Mein Vorteil wäre, dass meine alten Bewertungen dann automatisch von meiner neuen Bewertung überschrieben werden würden. Welcher Vorteil? Wenn jemand chronologisch korrekt mehrere Bewertungen darstellen will, müsste doch eigentlich die alte Bewertung dort drin stehen bleiben und die jeweils neuen folgen. Damit könnte der Nutzer immerhin eine Entwicklung ablesen. Es seit denn, das Bewertungsportal erteilt die transparente Information, dass es lediglich neue Bewertungen mit einer zeitlich begrenzten Laufzeit von maximal drei Monaten veröffentlicht. Aber nirgends finde ich dazu irgendeine entsprechende Information.

Sei es drum. Dasselbe Portal fällt mir gerade ein, schrieb schon vor zwei Jahren, dass meine Bewertung inzwischen veraltet sei und nicht mehr berücksichtigt werden könnte. Und jetzt, zwei Jahre später ist sie auf einmal wieder aktuell, so dass sie immer noch online ist? Ja, was denn nun, könnten sich die Betreiber bitte entscheiden? Vielleicht sollte man einen Branchenverband Bewertungsportale gründen, um den Betrieb zu professionalisieren und damit Qualitätskriterien, auch zur Verbraucherinformation, zu erstellen. Alles andere bleibt reine Spekulation. Und im Übrigen stehe ich zu meiner "veralteten" Bewertung, damit ist sie nach wie vor aktuell. Selbst wenn sie gelöscht wird, entspricht sie meiner Meinung. So viel zum aktuellen Informationsgehalt von Bewertungsportalen.


2019-01-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto Banner: aph
Foto Marotte: Cornelia Schaible

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