Kommentar von Angelika Petrich-Hornetz
Wenn auch das EU-Parlament eine noch ausstehende Zustimmung erteilen sollte, dürfte das gegenwärtige Internet Geschichte sein. Während wir uns bis dato als Leser, Betrachter, Spieler, Gesprächsteilnehmer, Werbende, Handelnde, Ökonomen, Politiker, Handwerker, Wissenschafler oder Künstler - sprich als Nutzer des Internets - vollkommen zu Recht ständig über immer noch zu dusselige Algorithmen aufregen, werden aber genau diese automatischen Up-Loadfilter künftig das Wohl und Wehe des WWW regieren. Der von Konzernen und einigen eifrigen EU-Parlamentariern erhoffte Upload für Europa dürfte vielmehr in einem voluminösen Download enden.
Aus Sicherheitsgründen unumgänglich werden voraussichtlich deutlich mehr wertvolle Inhalte unsichtbar, als sich einige Großverleger, die hoffen, lästige Konkurrenz loszuwerden, heute überhaupt vorstellen können. Die gesamte Internet-Öffentlichkeit Europas, die trotz aller bereits bestehenden Ärgernisse immer noch existiert, ohne jede Not und im vorauseilenden Gehorsam in eine an den Außengrenzen umzäunte, digitale Dikatur im Sinne der Zensur zu verwandeln, ist schon ein kapitaler Schildbürgerstreich, der noch vor wenigen Jahren nicht einmal ansatzweise ernst genommen worden wäre.
Auch das nächste peinliche Großwerk der EU scheint bereits beschlossene Sache zu sein - und wurde gestern (19.02.) vollmundig angekündigt: Personalausweise sollen "sicherer" werden, und zwar ausgerechnet durch Fingerabdrücke. Offenbar hat man auf Kommissions-Ebene noch nie etwas davon gehört, dass Fingerabdrücke im 21. Jahrhundert tatsächlich nicht fälschungssicher sind, mit einer einzigen Ausnahme: für deren lebendige Eigentümer, die mit diesem vermeintlichen Sicherheitsplan unfreiwillig in eine neue, latente Gefahrenlage geraten. Im Fall eines hinterlegten Fingerabdrucks kann man vor einem Online-Einkauf mit Ausweis nur noch warnen.
Man kennt das ja. Erst war der Personalausweis, was zugegeben ziemlich lange gut funktionierte, nur ein Identitäts-Nachweis gegenüber Behörden, bis 2011 war es aus guten Gründen streng verboten, einen Personalausweis zu kopieren, den inzwischen jeder Tante-Emma-Laden einzulesen verlangen kann, bevor er dem Bürger einen Kaugummi verkauft. Erst sollte die Steuer-ID nur für die Finanzbehörden eingeführt werden, ab Geburt wohlgemerkt. In der Gegenwart ist sie selbst in der exotischsten Versicherungs-Police angekommen, deren Unternehmen als aussichtsreicher Übernahmekandidat nächste Woche an irgendeinen Fonds noch unbekannter Eigentümerschaft gerät, bevor sie halt im Zuge irgendeines Datendiebstahls nach nirgendwo abhanden kam. Der digitale Fingerabdruck für alle - wohlgemerkt innerhalb der EU - wird historisch der goldene Hirsch unter den kapitalen Fehlern, den eine EU-Kommission jemals geschossen hat, die von Sicherheit offenbar nichts verstehen will oder ihren sie umlagernden Lobbyisten-Kreisen längst vollends erlegen ist.
Kurz vor der Europa-Wahl, einen Schuss ins eigene Knie nach dem anderen zu produzieren, wirkt schon fast so, als würden die größten Europa-Feinde gar nicht einmal mehr lagern, sondern wären schon mittendrin, so wie der jetzt auf breite Zustimmung der Mitgliedsländer findende faule Kompromiss a la "Artikel 13" ahnen lässt.
Im Gegensatz zu großen Presseverlagen und Ähnlichen, fehlt allen überzeugten Europäern für noch größere Faux Pas, als sie die derzeitige EU-Politik aktuell am laufenden Band abliefert, einfach jede Vorstellungskraft. Einziger Lichtblick im umnebelten Mainstream pro Upload-Filter: Finland, Italien, Luxemburg, die Niederlande und Polen, die allein auf weiter Flur gegen den Holzweg stimmten.
Dass die Buchverlage sich indes Vorteile durch das kümmerliche Werk erhoffen, ist sehr gut nachvollziehbar und wirkt angesichts der allgemeinen Verblendung geradezu erfrischend, weil es genauso geschäftstüchtig wie sinnvoll ist: Gute Literatur, durchdachte Politik, provokante Philosophie, messerscharfe Argumente, feine Ironie, gute Satire und große Kunst finden Europäer künftig schließlich wieder nur noch auf Papier zu lesen und zu sehen, aber nicht mehr in "ihrem Internet".
Besonders bewegt das Thema zurecht die jüngeren Generationen, der die EU aber eine Zukunft versprochen hat, die sie ihnen aktuell gerade krachend vor der Nase zugeschlug . Die Feinde Europas werden sich dagegen ins Fäustchen lachen, weil sich ausgerechnet ihre Positionen erstaunlicherweise immer öfter durchsetzen können.
Während sich die EU-Jugend nicht nur fragt, was aus ihren Spielen, Bildern, Videos oder denen ihrer Freunde nun werden soll, fragen sich last but not least die älteren EU-Bürger unterdessen, wo sich in diesem ganzen angeblichen "Transparenz"-Vertragswerk eigentlich die Vertragsfreiheit für den Nutzer desselben befindet.
2019-02-21, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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