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Fusionen 3.0

Der globale Wettbewerb, der EWR und die Öffentlichkeit

von Angelika Petrich-Hornetz

Das Verfahrensergebnis wurde bereits vor seiner offiziellen Bekanntgabe halböffentlich und so rechneten Branchenkenner bereits damit. Auf die breite Öffentlichkeit wirkte die Bestätigung durch Wettbewerbs-EU-Komissarin Vestager dennoch wie ein Paukenschlag: Die lange und aufwendig geplante Fusion der deutschen und französischen Zugbauer Siemens und Alstom zu einem "Airbus der Schiene" wurde untersagt. Dann gab es die üblichen Pressemitteilungen, aus der Kommission und von den beteiligten Unternehmen und ein paar Medien, die sich mit dem Thema befassten. Auch die EU-Kommissarin äußerte sich noch einmal etwas ausführlicher zu den Gründen. Das war's dann. Dabei waren mit dieser wie mit anderen Fusionen auch viele Hoffnungen und Ängste in gleich mehreren EU-Staaten verbunden

Von allgemeinem, öffentlichem Interesse

Die offizielle Pressemitteilung zur Entscheidung aus der EU-Abteilung Wettbewerb, fiel uns ein bischen zu sehr allgemein gehalten aus. Dabei dürfte solch eine den Bahnverkehr in Europa massiv beeinflussende Fusion als solche durchaus von einem besonderem Interesse für die breite Öffentlichkeit Europas sein. Nicht nur, weil Millionen Fahrgäste die Schienen in diversen Zugmodellen unterschiedlichster Hersteller Europa befahren, sondern genauso indirekt, u.a. durch den Güterverkehr, als Steuerzahler, Arbeitgeber sowie bundesweit und auf kommunaler Ebene Interessierte einer gut funktionierenden Verkehrs-, Versorgungs- und Sicherheits-Infrastruktur im öffentlichen Raum. Damit hat diese Fusion für Europäer zumindest einen ähnlichen Stellenwert wie ein anderer Zusammenschluss der jüngeren Vergangenheit, der mindestens genauso umstritten war, nämlich der Zusammenschluss 2018 von Bayer und Monsanto, auch wenn es sich dabei um eine ganze andere Branche handelt.

Zuerst fragten wir natürlich bei den direkt Betroffenen an und parallel dazu auch das Bundesverkehrsministerium und das Bundeswirtschaftsministerium zum Thema, welche Auswirkungen die Entscheidung für europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb der Branche haben könnte. Die Bundesministerien wollten sich bis dato nicht äußern.
Ein EU-Sprecher teilte unter dem steten Hinweis auf die Hintergründe der Entscheidung mit, die Fusions-Verfahren der EU-Kommission sind für alle Fusionen identisch. Doch die Kommission führe immer auch eine Einzelbewertung durch, indem sie sich die Fakten und die von den Parteien vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen ansehen, um ihre Bedenken auszuräumen.
Zur zweiten Frage nach den Unterschieden in den Verfahren von Siemens/Alstom und Bayer/Monsanto, antwortete man uns, dass der Hauptunterschied zwischen den Fällen darin bestand, dass der Kommission von Bayer/Monsanto ein Abhilfepaket vorgelegt wurde, das aussreichte, um die von der Kommission festgestellten Wettbewerbsbedenken auszuräumen (unter Verweis auf die Pressemitteilung der Entscheidung vom 21. März 2018*. Anm. d.R.). Bei Siemens/Alstom war die Kommission es indes nicht. Daher konnte sie die Siemens/Alstom-Transaktion nicht genehmigen.
*Verweis Pressemitteilung: : Fusionskontrolle: Kommission knüpft Übernahme von Monsanto und Bayer an Bedingungen

In der Pressemitteilung wird das Volumen der Verpflichtungen der fusionierenden Saatgut-und Pflanzenschutzmittel-Hersteller (Fusions-Nummer der EU, unter der alle Dokumente abgelegt werden: M.8084. Anm. d. R.), die bereits mehrfach nachgebessert hatten, mit rund 6 Mrd. Euro beziffert. Damit konnten nach eigenen Angaben die größten Bedenken der EU-Kommission ausgeräumt werden. Zu dem Angebot gehören u.a. Veräußerungen von Geschäftssparten, bei Forschung und Entwicklung (FuE), und die Erteilung von Linzenzen im Bereich der digitalen Landwirtschaft. Zudem wurde mit der BASF ein konkreter Käufer des Veräußerungspaket vorgeschlagen. Desweiteren teilte die Kommission mit, für diesen Zusammenschluss 2,7 Mio. Dokumente gesichtet sowie sehr eng mit einer Reihe von Wettbewerbsbehörden - u.a. auch dem US-Justizministerium, den Kartellbehörden Australiens, Brasiliens, Kanadas, Chinas, Indiens und Südafrikas - zusammengearbeitet zu haben.

Zu weiteren, in diesem Fall unzähligen, von Dritten zu Bayer/Monsanto-Verfahren eingereichten Bedenken äußert man sich wie folgt, Zitat: "Die Prüfungsbefugnis der Kommission auf der Grundlage der Fusionskontrollvorschriften beschränkt sich jedoch auf rein wettbewerbliche Fragen. Ihre Würdigung muss unparteisch sein und kann vor den Gerichten der EU überprüft werden. Die in den Petitionen geltend gemachten Bedenken betrafen europäische und einzelstaatliche Rechtsvorschriften zur Lebensmittelsicherheit sowie verbraucher- , umwelt- und klimapolitische Belange. Auch wenn es sich dabei um wichtige Anliegen handelt, können sie nicht für eine wettbewerbsrechtliche Prüfung herangezogen werden. Die Wettbewerbskommissarin Vestager hatte diesbezüglich im August 2017 eine Antwort auf die zahlreichen Petitionen veröffentlicht, in der sie zudem äußerte, dass die Überprüfung "mehr Zeit" erfordere. Dazu hier, PDF: Antwort Vestager auf Petitionen, 22. August 2017.
Nach der Pressemitteilung vom 21. März 2018 zur Genehmigung der Fusion unter Auflagen vom 21. März 2018, folgten noch einige weitere Schrifstücke. U.a. sind hier auch je ein Papier des Advisory Commitees und des Hearing Officers vorhanden, siehe dazu weiter unten, die im aktuelleren Verfahren von Siemens/Alstom aktuell (Stand 18.02. noch nicht veröffentlicht worden sind.

EWR versus Weltmarkt

Bereits in diesen und anderen EU-Fusions-Verfahren - in der Branche hatte es kurz zuvor zwei weitere große Zusammenschlüsse gegeben - wird ersichtlich, dass sich die Wettbewerbskontrolle der EU-Kommission gemäß Artikel 1 der Fusionskontrollverordnung zunächst auf den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beschränkt. Entweder muss der ganze EWR-Markt oder zumindest große Teile davon betroffen sein, wenn die Wettbewerbskontrolle der EU überhaupt tätig wird. Die Freihandelszone der EWR umfasst (zumindest bis zum 29. März) die 28 Staaten der EU und die drei Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) Island, Liechtenstein und Norwegen und damit insgesamt 31 Staaten mit rund 520 Mio. Einwohnern. Der EWR ist aktuell der größte Binnenmarkt der Welt. Mit der Schweiz bestehen bilaterale Abkommen. Dass sich die Kontrolle grundsätzlich auf den EWR beschränkt, ist wichtig zu wissen, weil Kritiker der Untersagung der Alstom-Siemens-Fusion genau darin einen eklatanten Mangel sehen. Hatte man beim Zusammenschluss von Bayer/Monsanto den Weltmarkt etwa sorgfältiger berücksichtigt als in diesem Fall? Hatte man auch so umfangreiche Einschätzungen von Justizministerien und ausländischen Kartellbehörden außerhalb des EWR eingeholt?

In der Pressemitteilung zur Untersagung der Siemens-Alstom-Zusamenschlusses heißt es, Zitat: "Während der eingehenden Untersuchung erreichten die Kommission mehrere Beschwerden von Kunden, Wettbewerbern, Industrieverbänden und Gewerkschaften. Ferner erhielt sie von mehreren nationalen Wettbewerbsbehörden im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) negative Stellungennahmen", Zitatende.
Noch einmal, ausdrücklich zu den Abhilfen der Fusionswilligen befragt, wird die Meinung der inner-europäischen Konkurrenz in der folgenden Pressemitteilung zur Entscheidung kurz zum Thema, Zitat: "Die Kommission holte die Meinung von Marktteilnehmern zu der vorgeschlagenen Abhilfemaßnahme ein. Die Rückmeldungen waren für beide Bereiche negativ." Mit der auseinandergehenden Auffassung über Signalanlagen (Eisenbahn und U-Bahn) sowie bei Hochgeschwindiungszügen untersagt die EU-Kommission schließlich den Zusammenschluss, in eigenen Worten, Zitat: "(...) um den Wettbewerb im europäischen Eisenbahnsektor zu schützen." Zitatende
Die Pressemitteilung vom 6. Februar 2019: Fusionskontrolle: Kommission untersagt geplante Übernahme von Alstom durch Siemens.

Zur Bayer/Monsanto-Fusion gibt die EU-Kommission in einem Pressestatement an, ingesamt rund 2,7 Millionen Dokumente bearbeitet zu haben (bei Siemens/Alstom waren es 800.000). Am 30. Juli 2017 wurde der Kommission die Fusion bekannt gegeben, die einen enormen Einfluss auf den Agrarmarkt hat, da der Zusammenschluss die Parteien zum umsatzstärksten Unternehmen der Branche machte. Den Verfahrensregeln bei Fusionen folgend hat die Union mit dem Eingangs-Datum 25 Tage Zeit, um zu entscheiden, ob sie eine einfache Überprüfung (Phase I) oder intensive Prüfung (Phase II) ansetzen wird und muss 90 Tage später eine Entscheidung treffen. Angesichts des bürokratischen Umfangs, von den Auwirkungen ganz zu schweigen, dürfte auch dem Laien eine Frist von 90 Tagen als äußerst sportlich erscheinen.
Bei beiden Fusionen setzte die EU-Kommission eine tiefere Fusions-Überprüfung in zwei Phasen an. Zudem wurden bei beiden Fusionen ebenfalls alle betroffenen Dritten ausdrücklich aufgefordert, zu den Plänen Stellung zu nehmen - und hatten dazu in der ersten Phase 10 Tage und in der zweiten Phase 15 Tage, jeweils nach Veröffentlichkeitsdatum der Aufforderung.

Sicher musste man im Fall von Siemens/Alstom nicht wie bei Bayer/Monsanto auch das US-Justizministerium um seine Meinung bemühen. Doch trotz unserer eingeschränkt möglichen Recherche (siehe Zugänglichkeit der Unterlagen), die zu einem erfüllenderen Durchblick der unzähligen Unterschiede beider Fusionen sicher notwendig gewesen wäre, fällt doch auch beim groben Überblick schon auf, dass in beiden Fällen weder die Anzahl noch die Adressaten selbst, die um ihre Stellungnahme gebeten wurden, weil sie explizite Aussagen zum Weltmarkt hätten geben können, ansatzweise öffentlich bekannt sind. Ob auch Ministerien außerhalb des EWR oder überhaupt jemand, außer den wenigen wörtlich Erwähnten, wie einige Kartellbehörden und Marktteilnehmer, gefragt wurden, entzieht sich daher nicht nur unserer Kenntnis. Die Papiere werden zum einem großen Teil nicht veröffentlicht. Das ist zum einen aus berechtigen Schutzinteressen auch notwendig und nachvollziehbar, ermöglicht nun aber auch, diese Lücke, mit Forderungen nach einer Änderung, wenn nicht sogar Reform der Fusionskontrolle zu füllen. Die Gefahr, die einige vermuten, der Weltmarkt würde in den Beurteilungen der Verfahren außen vor gelassen, konnte nicht ausgeräumt werden.

EU-Kommission - Siemens - Alstom

Auf unsere Nachfrage bei der EU, ob die Kommission in ihrer Entscheidung möglicherweise vorwiegend dem europäischen Verbraucher, jedoch auf der anderen Seite dem Weltmarkt, und dessen Einfluss auf den europäischen Verbraucher, zu wenig Beachtung eingeräumt habe, antwortet man uns, dass die Entscheidung auf den Auswirkungen der Transaktion auf die europäischen Verbraucher basiert, weil das in die Zuständigkeit der Kommission fällt.

In einer zweiten Presseerklärung 6. Februar, erklärte Vestager zur Untersagung der Fusion zudem, dass beide Unternehmen - außerhalb Chinas - bereits Champions sind, Zitat: "Es gibt mehrere Champions, darunter Siemens und Alstom, die bereits globale Unternehmen sind. Tatsächlich sind sie die beiden größten Akteure außerhalb Chinas für Hochgeschwindigkeitszüge. Und sie sind zwei der drei größten Akteure im Bereich der Signaltechnik - Der dritte ist ein weiteres europäisches Unternehmen." Zitatende
Zum PDF, Englisch: Statement by Commissioner Vestager on the proposed acquisition of Alstom by Siemens and the propesed acquisition of Aurubis Rolled Products and Schwermetall by Wieland

Ein Siemens-Sprecher bat um Verständnis, dass nicht alle Details des Verfahrens, u.a. Marktanteile, nach denen wir gefragt hatten, veröffentlicht wurden - und übersendet die Pressemitteilung des Vorstandsvorsitzenden Kaeser zur Entscheidung:
" Wir nehmen die Entscheidung der Kommission zur Kenntnis, die einen Schlusspunkt hinter ein europäisches Leuchtturmprojekt setzt. Während sie nicht unerwartet kommt, zeigt sie doch deutlich, dass Europa dringend eine Strukturreform benötigt, um wirtschaftlich in einer global vernetzten Welt in Zukunft bestehen zu können. Der Schutz von lokalen Verbraucherinteressen muss nicht notwendigerweise heißen, dass Europa nicht mit führenden globalen Wirtschaftsnationen wie Amerika, China oder anderen mithalten kann. Die anstehenden Europawahlen und die damit verbundene neue Führung hat eine einmalige Chance, ein Europa der Zukunft zu bauen, das es einer modernen, gemeinsamen Außenwirtschaftspolitik mit den Besten in der Welt aufnehmen kann."
Er sendet uns außerdem die Präsentation der geplanten Fusion Siemens/Alstom. Dort gehen die Parteien bei einem Zusammeschluss von 15,4 Mrd. Euro Einnahmen (Vorjahreszahlen) aus. Das geplante Unternehmen wäre damit an die zweite Stelle hinter der chinesichen CRRC mit angenommen Einnahmen von 30,5 Mrd. Euro gerückt, gefolgt von Bombardier (6,8 Mrd.), GE (4,3), Hitachi (4,1), Caterpillar und CRSC, jeweils (4,0 Mrd.), Wabtec (3,7), Stadler (1,9), Thales (1,6), CAF (1,3), Hyundai Rotem (1,2), Kawaki (1,1), Vossloh (0,9), Pesa (0,8) und Taigo (0,6).

Ein Unternehmensprecher von Alstom antwortet und auf die Frage, was der Kommission angeboten worden war: "Das Maßnahmenpaket betraf die Bereiche Signaltechnik und Hochgeschwindigkeit und machte wertmäßig etwa 4 Prozent des Umsatzes des geplanten Unternehmens aus."
Und auf die gleichzeitig gestellte Frage, dass die EU im Laufe des Verfahrens offenbar zu der Ansicht gelang, das Angebot sei zu niedrig ausgefallen, äußerte er:
"Alstom ist fest davon überzeugt, dass es die Bedenken der Kommission beantwortet hat. Gegenwärtig sind wir bespielsweise bei 17 Prozent der Ausschreibungen mit Siemens im Wettbewerb. Im Hochgeschwindigkeitsmarkt respräsentieren wir mit Siemens 19 Prozent des Marktanteils. Für die einzige Ausschreibung in diesem Bereich in Europa gab es sieben Wettbewerber - darunter auch die chinesische CRRC, die ihren Prä-Qualifizierungs-Antrag (vorwettbewerbliche Eignungsprüfung zum Nachweis von Fachkunden und Leistungsfähigkeit. Anm. d. R.) einreichte. Für uns ist klar, dass es hier einen ausreichenden Wettbewerb in Bezug auf die Kritieren der Kommission gibt.
Was die Signaltechnik betrifft, so haben wir Lösungen angeboten, die darauf abzielen, einen neuen, glaubwürdigen Akteur in diesem Segment hervorzubringen. Wir sind bis zum Maximum dessen, was wir anbieten konnten, gegangen. Die der Kommission vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen waren sowohl sehr signifikant als auch angemessen. Als Beleg dafür gaben mehrere Käufer Angebote ab oder zeigten sich bereit, erhebliche Summen zu investieren, um diese Aktivitäten zu übernehmen, was zweifelsfrei beweist, dass diese Abhilfemaßnahmen industriell tragfähig und kommerziell attraktiv waren."
Und nach dem Grund für die Entscheidung, äußert Alstoms Sprecher, Zitat: "Alstom ist natürlich enttäuscht von dem Ergebnis. Die Kommission ist am besten in der Lage, ihre Gründe zu erläutern." Zitatende.

Wir fragten noch einmal bei der EU nach, wo wir die Kommentare oder wenigstens Zusammenfassungen von Dritten, vielleicht auszugsweise oder zusammengefasst, nachlesen könnten. In der Antwort heißt es, dass Kommentare von Dritten nicht öffentlich zugänglich sind, aber in der Entscheidung der Kommission kann auf sie Bezug genommen werden, soweit sie für die Kommission relevant sind. Ähnlich verhalte es sich mit Marktanteilen, von denen erwartet wird, dass diese in der Entscheidung, zumindest in ihrer Tragweite, öffentlich erscheinen.
Für ein etwas vollständigeres Bild solcher Verfahren im Sinne der Öffenlichkeit könnte es zumindest nicht schaden, wenn wenigstens ein paar Zahlen mehr und die abgegeben und eingeholten Statements in Auszügen oder Zusammenfassungen überhaupt zugänglich wären.

Einschätzungen aus den Bundestags-Fraktionen

Nun fragen wir parallel in den Bundestagsfraktionen, Bundesländern und Städten und bei einigen anderen Stakeholdern nach ihren eigenen Einschätzungen über die Auswirkungen der EU-Entscheidung und setzten uns - ähnlich den Bekundungen in den Verfahren - eine Frist von 10 Tagen.

Zuerst trifft ein beherztes Contra von Reinhard Houben, dem wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion ein:
"Wir brauchen in Europa keinen Monopolisten für Bahntechnik. Die hier tätigen Unternehmen sind durchaus in der Lage, sich auch international zu behaupten. Die chinesische Konkurrenz hat enorme Fortschritte gemacht, ist bislang jedoch fast ausschließlich in China aktiv. Wir sollten den Wettbewerb in Europa nicht durch die Schaffung eines europäischen Champions einschränken. Nur Wettbewerb bringt den nötigen Innovationsdruck, um dauerhaft erfolgreich zu sein."

Der ernergie- und wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dr. Pfeiffer erkennt zur selben Frage nach den Auswirkungen indes eine verpasste Chance, weist u.a. auf die Möglichkeit einer zu kurz überlegten Entscheidung hin und forderte eine Überarbeitung der Fusionskontrolle:
"Die untersagte Fusion der Bahnsparten von Siemens und Alstom durch die EU-Kommission ist eine verpasste Chance, nicht nur für Siemens und Alstom, sondern für Deutschland und Europa. Die Entscheidung ist zu kurz gesprungen und zeigt, dass die europäische Fusionskontrolle an den Weltmarktrealitäten vorbeigeht und einer Überarbeitung bedarf. Denn es zählt nicht immer nur der relevante Markt, wie die Kommission ihn sieht. Damit schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Insbesondere aus China kommt starke Konkurrenz, z.B. auch in der Zugsparte. Daher kann man hier auch getrost von einem Weltmarkt als relevantem Markt ausgehen. Es ist doch immer dieselbe Leier: Mit CRRC, dem staatlich gestützten und weltweit größten Zughersteller, einem rund 30.000 Kilometer langen Schienennetz für Hochgeschwindigkeitszüge sowie subventionierten Hochgeschwindigkeitszügen, drängt China in den Markt und sichert sich die vordersten Plätze. In diesem unfairen Wettbewerb können wir nur mit europäischen Champions mithalten. Wir sollten die selbst angelegten Fesseln lösen und das deutsche Instrument der Ministererlaubnis in das europäische Wettbewerbsrecht integrieren."

Für den energie- und wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Bernd Westphal steht zur Frage der Auswirkungen der EU-Entscheidung der Weltmarkt der Branche vor allem mittel- und langfristig zur Debatte und damit einmal mehr die Einschätzung von Zeiträumen und des "relevanten Marktes":
"Eine Fusion von Siemens und Alstrom wäre aus meiner Sicht wünschenswert gewesen. In einzelnen Marktsegmenten könnten diese beiden und auch andere europäische Unternehmen im globalen Markt durchaus noch wettbewerbsfähig sein und bleiben. Gerade im Bereich der Schnellzüge werden aber häufig technische Komplettpakete bzw. -systeme eingekauft. Hier ist fraglich, ob die deutschen und europäischen Unternehmen mittel- und langfristig gerade in diesem Sektor noch mithalten können. Im Ergebnis darf die Herausbildung europäischer Champions, die auf dem Weltmarkt bestehen sollen, nicht durch eine zu enge europäische Marktbetrachtung - oder auch durch einen zu kurzen Betrachtungszeitraum - verhindert werden.
In diesem Zusammenhang sollten wir auf europäischer Ebene auch über die Einführung einer politischen Revisionsmöglichkeit der kartellbehördlichen Entscheidung durch die Europäische Kommission nachdenken, die sich - bei allen Unterschieden - am Beispiel der deutschen Ministererlaubnis orientieren könnte." Zitatende

Statements aus den Bundesländern

Aus den Bundesländern erreicht uns zuerst die Einschätzung von Schleswig-Holsteins Wirtschaftminister Dr. Bernd Buchholz, FDP, der beide Seiten der Medaille diplomatisch betrachtet, aus der Warte als Nachfrager und der als Europäer, die gleichermaßen den Wettbewerb begrüßen , Buchholz stellt ebenfalls die Frage nach dem relevanten Markt:
"Schleswig-Holstein hat als Nachfrager von Schienenfahrzeugen großes Interesse an funktionierendem Wettbewerb. Er ermöglicht uns - auch im Interesse der Kunden im Nahverkehr und der Steuerzahler - möglichst wirtschaftliche Angebote zu bekommen, wenn neue Fahrzeuge beschafft werden. Insofern begrüßen wir die Entscheidung der EU-Kommission, die den Wettbewerb in Europa schützt.
Die EU-Wettbewerbspolitik muss gleichwohl im Blick behalten, welches der für die europäischen Unternehmen relevante Markt ist. Offensichtlich ist man in der EU-Kommission für den Moment und auf Sicht der Meinung, dass dies in erster Linie der europäische Markt ist - deswegen die Entscheidung gegen die Fusion. Sollten sich die Gewichte in Richtung Weltmarkt verschieben, bedarf es ggf. einer Neubewertung. Die EU-Wettbewerbspolitik muss sich auch daran messen lassen, ob sie einen Beitrag zu guten Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt leistet. Dazu könnte es sinnvoll werden, auch große Fusionen zuzulassen, wenn sonst eine Verdrängung von kleineren europäischen Unternehmen durch wenige global agierende Giganten droht."

Das Statement aus Nordrhein-Westfalen, von Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart, FDP hält die Entscheidung für aktuell angemessen, und aus Sicht NRWs, den Wettbewerb gesichert, vermisst jedoch etwas die wortwörtliche internationale Zugkraft, die eine Fusion ermöglicht haben könnte:
"Die Entscheidung der Europäischen Kommission ist vor dem Hintergrund der bestehenden innereuropäischen Regularien zu akzeptieren. Dennoch hätte ein "Airbus für die Schiene" von Siemens und Alstom gemeinsam die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser beiden Unternehmen deutlich stärken können. Mit ihren High-End-Produkten bewegen sich beide Hersteller in einem kleinem, aber auch einem strategisch wichtigen Markt.
Mit dem Siemens-Produktionsstandort in Krefeld und einer starken Zulieferindustrie sind wir gerade in Nordrhein-Westfalen in besonderem Maße von dieser Entscheidung betroffen und wissen um die Herausforderungen der Branche im sich aktuell verändernden Transport- und Mobilitätssektor. Ich gehe aber davon aus, dass Fahrzeughersteller und Mobilitätsanbieter in NRW mit zukunftsorientierten Fertigungsverfahren und innovativen Produkten aktuell und auch zukünftig am globalen Markt erfolgreich sein können."

Die Einschätzung von Niedersachsens Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann, CDU hebt die wachsende Bedeutung des Weltmarkts für die Bundesländer hervor und verweist hierzu auch auf die kürzlich vorgestellte Industriestrategie des Bundeswirtschaftsministeriums:
"Als Wirtschaftsminister Niedersachsens hätte ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht, schließlich betreibt das Unternehmen Alstom am Standort Salzgitter sein weltweit größtes Werk mit rund 2.500 Mitarbeitern.
Mit Blick auf die globale Wettbewerbsfähigkeit hätte die Fusion von Alstom und Siemens eine gute Antwort auf die Konkurrenz aus Asien und Nordamerika sein können. Wir brauchen nun eine offene und ehrliche Auseinandersetzung über notwendige Änderungen des EU-Wettbewerbsrechts, wie auch in der "Nationalen Industriestrategie 2030" des Bundeswirtschaftsministeriums angeregt. Die aktuellen Herausforderungen des Weltmarktes in vielen industriellen Bereichen mit seinen teils wettbewerbsverzerrenden Eingriffen einiger Länder zu Lasten europäischer und deutscher Unternehmen verlangen wirksame Antworten der Politik zur Stärkung unserer industriellen Basis und eines fairen Wettbewerbs."

Aus dem Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt hebt Sprecher Matthias Stoffregen die in der Entscheidung liegenden Interessenskonfklikte vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Definitionen von Wettbewerbsfähigkeit hervor, Zitat:
"Die Entscheidung über die Fusion der Zugsparten beider Konzerne ist inhaltlich eine Gratwanderung. Im Interesse aller Bahnfahrer liegt es, dass die Wettbewerbsfähigkeit in Europa gewährleistet bleibt, weil andernfalls mit Preissteigerungen gerechnet werden müsste. Mit Blick auf den weltweiten Wettbewerb muss Europa aber auch ein Interesse daran haben, dass europäische Konzerne auch von ihrer Größe her gegenüber der Konkurrenz (etwa aus Asien) wettbewerbsfähig bleiben. Noch sind chinesische Hersteller auf den europäischen Märkten kaum präsent. Sollte sich das in den kommenden Jahren ändern, sollte auch eine Fusion der Zugsparten der europäischen Unternehmen nicht ausgeschlossen werden. Letztlich würde ja die Konkurrenz aus Asien dazu beitragen , dass der Wettbewerb auch auf dem europäischen Markt erhalten bleibt."

Einschätzungen aus den Großstädten

Oberbürgermeister, Dr. Ulrich Maly (SPD) aus Nürnberg als Bahnverkehrsknotenpunkt und Siemens-Standort für Antriebstechnik erwidert auf unsere Frage nach den möglichen Auswirkungen der Entscheidung im Hinblick auf industrie- und wettbewerbspolitische Interessen:
"Auch wenn lokale Siemens-Standorte gegebenenfalls von einem solchen Verbund wegen des möglichen Wegfalls bestimmter Produktionen betroffen sein könnten, hat das „Airbus-für-die-Schiene“-Konzept meines Erachtens eine hohe Plausibilität. Tatsächlich ist der Markt für schwere Schienenfahrzeuge kein europäischer Markt, sondern ein weltweiter mit nur wenigen wettbewerbsfähigen Marktteilnehmern. Insofern wäre der Siemens-Alstom-Deal durchaus im europäischen industriepolitischen Interesse und am Ende wohl auch im wettbewerbspolitischen. Denn wenn auf lange Sicht die beiden verbliebenen europäischen Hersteller weltweit nicht konkurrenzfähig wären, wäre das auch für europäische Kunden solcher Fahrzeuge ein Problem."

Für Frankfurt am Main, einem Drehkreuz der Schiene, gab der Stadtrat Klaus Oesterling, SPD im Verkehrsdezernat ein Statement zur Kommissions-Entscheidung mit einem klarem Bekenntnis zum Wettbewerb im Binnenmarkt:
"Die Entscheidung der europäischen Wettbewerbshüter, die Fusion zwischen Siemens und Alstom zu untersagen, wird von mir vorbehaltslos unterstützt. Eine Fusion dieser beiden Unternehmen hätte für die deutschen Nahverkehrsbetriebe gravierende Nachteile zur Folge, da zum Beispiel für U- und Straßenbahnen ein bedeutender Anbieter auf dem Markt weniger auftreten würde. Dies gilt auch im Fernverkehrsbereich, wenn durch die Fusion von Siemens (ICE) und Alstom (TGV) auf dem europäischen Markt für Hochgeschwindigkeitszüge praktisch ein Monopol eines einzigen Anbieters entstünde.
Die "chinesische Gefahr" halte ich für weit hergeholt, bei dem chinesischen Anbieter handelt es sich übrigens um die privatisierten Werkstätten der chinesischen Staatsbahn."

Aus dem Berliner Abgeordnetenhaus erhielten wir die Antwort des verkehrspolitischen Sprechers der oppostionellen CDU-Fraktion, Oliver Friederici, MdA der die internationale Wettbewerbsfähgikeit betont:
"Gerade die internationale Wettbewerbsfähigkeit würde gestärkt werden mit einer solchen Fusion oder Zusammenarbeit. Denn die "Global Player" im Herstellerbereich des Bahnverkehrs sind allesamt groß und multinational tätig."

Weitere Reaktionen

Die Deutsche Bahn AG bat um Verständnis, sich zu der Entscheidung nicht äußern zu wollen. Wir fragten beim Fahrgast-Verband "Pro Bahn e.V." nach, für den sich Lukas Iffländer äußert, der die Wettbewerber hinsichtlich ihrer Aktivitäten und Planungen beobachtete.
"Bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit weltweit zeigen beide Hersteller (insb. Siemens) aktuell, das man sich gut behaupten kann. Zuletzt konnte man ja mehrere Aufträge in den USA und Kanada sichern. Gerade auf den Qualitätsmärkten (Nordamerika, große Teile der EU und Russland) werden die europäischen Hersteller auf mittelfristige Sicht keine ernsthafte Konkurrenz bekommen. Wer auf der "InnoTrans" (Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik. Anm. d. Red) die chinesischen Produkte besichtigt hat, der merkte doch, dass da oft billig gearbeitet wurde (Schaltschränke, die man, obwohl sie abgeschlossen waren, mit einem kräftigen Ruck aufbekam etc.).
Gerade auf dem deutschen Markt ist auch auf mittelfristige Zeit nicht mit einem großen Eintreten des Konkurrenten CRRC zu rechnen. Die Versuche von PESA (Dieseltriebzug "Link") und Skoda (Doppelstockwagen für München-Nürnberg-Express), sich auf dem deutschen Markt zu etablieren, haben sich in den Zulassungsverfahren verfangen. Die Ablieferungen erfolgten oder erfolgen mit Verspätungen von teils über drei Jahren. Gleichzeitig haben Siemens und Alstom (wenn auch oft kurz vor knapp) ihre Fahrzeuge pünktlich ausgeliefert.
Für die deutschen und europäischen Fahrgäste ist daher erstmal nicht mit großen Änderungen zu rechnen. Auch große Preisschwankungen durch teurere oder günstigere Fahrzeuge sind aktuell nicht zu erwarten. Während Bombardier aktuell schwächelt, konnte Stadler in letzter Zeit mehrere Aufträge gewinnen. Auch Talgo konnte jetzt gerade den Auftrag für bis zu 100 Intercity-Garnituren bei der DB eintüten. Es gibt also auch innerhalb Europas ordentliche Konkurrenz zu den beiden Platzhirschen. Das ist auch gut so, wenn eine gewisse Diversifizierung der Fahrzeugflotte vorherrscht. Wird bei einer Monokultur in einem Fahrzeugtyp ein Fehler gefunden, taucht dieser oft auch in verwandten Fahrzeugen auf. Bei mehreren Herstellern ist zumindest nur eine Teilflotte betroffen."

Pressmitteilungen + Reden

Das vorletzte Wort zur Sache hat der scheidende Airbus-Chef Tom Enders, der in einem Interview mit der Zeit, die dessen Antwort als Pressemitteilung herausgab, in etwa sinngemäß sagte, dass es heute keine konkurenzfähige europäische Luft- und Raumfahrtindustrie mehr gäbe, wenn beim Zusammschluss der EADS vor zwanzig Jahren bereits die EU-Maßstäbe der Siemens-Alstom-Fusion angesetzt worden wären.

Das letzte Wort hat der Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission, Johannes Laitenberger, der zum Verfahren Siemens/Alstom vor wenigen Tage, am 15. Februar 2019, in einer Rede, anlässlich einer Arbeitssitzung der Studienvereinigung Kartellrecht in Brüssel, einiges zu den Hintergründen sagte, das auch in die Pressemitteilungen und Antworten der EU-Kommission einging, Zitat: "Das angestrebte Unternehmen hätte sehr hohe Marktanteile gehabt, und zwar sowohl im EWR als auch auf dem weiter gefassten Markt - mit der Ausnahme von Südkorea, Japan und China (die nicht für den Wettbewerb geöffnet sind) - die ganze Welt umfasst." Zitatende.
Zu den angebotenen Abhilfemaßnahmen holte die Kommission noch einmal die Meinung von Marktteilnehmern ein, die in beiden Fällen (Schnellzüge und Signale) negativ ausfiel, wie auch in o.g. Pressemitteilungen erwähnt wurde. Laitenberger betonte in seiner Rede, dass auch die Mitgliedsstaaten im Wege des beratenden Ausschusses angehört wurden und verweist auf dessen Stellungnahme, die erst noch veröffenlticht wird. (Stand: 18.02.) Die Fragestellung, ob chinesische Unternehmen bereits heute oder in absehbarer Zukunft einen zu großen Einfluss auf die relevanten Märkte (s.o.) haben, verneint er entschieden und sieht entsprechende Bedenken eher im Bereich der Spekulation angesiedelt (Zitat, "noch spekulative Behauptungen"), für die die Kommission "keine ausreichenden Beweismittel" finden konnte. Die Fusionskontrolle, so Laitenberger weiter, unterliege jedoch der Begründung durch "nachvollziehbare Tatsachen". In seinen weiteren Ausführungen äußert sich der EU-Generaldirektor kritisch gegenüber einer, Zitat "Champion-Anwartschaft" als solcher sowie gegenüber deren möglichen Formen der Umsetzung und Folgen für den Wettbwerb.
Die Rede können Sie hier nachlesen: Aktuelle Entwicklungen und Probleme des EU-Kartellrechts: Anmerkungen zu den Fusionskontrollentscheidungen der Europäischen Kommission in den Fällen Wieland/Aurubis und Siemens/Alstom

Zum Thema Verbraucherschutz hätten wir auch sehr gern noch die Einschätzung des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen gehört, dessen Brüsseler Büro sich nach eigenen Angaben mit dem Thema derzeit nicht befasst. Vor dem Hintergrund mehrerer Hinweise in dem Verfahren zum europäischen Verbraucherschutz ist das: bedauerlich.

Neue Strukturen für Fusionen?

Die unterschiedlichen Einschätzungen verdeutlichen u.a. die Vielfalt der möglichen Auswirkungen eines solchen Zusammenschlusses. Im Zentrum steht wiederholt der für die EU-Entscheidung relevante Markt, der aus Sicht der EU zunächst als Binnenmarkt der EU und EWR definiert wird. Die wenigen vorhandenen, (direkt unter der Fall-Nummer) öffentlich zugänglichen Dokumente und Äußerungen der EU-Kommission dazu, besonders die Pressemitteilungen im Verfahren, schwanken in ihren spärlichen Äußerungen dagegen hin und her, zwischen EWR und Weltmarkt, betonen einmal diese oder ein anderes Mal jene Relevanz, ohne, dass eine begründete Trennschärfe, die das eine vom anderen unterschiede, auf den ersten Blick erkennbar wäre. Das klingt wenig transparent. Wurde erwähnt, der Markt auch außerhalb des EWR sei beachtet worden, abgesehen von China, Japan, Süd-Korea, die der Branche nur lokale Anbieter zugestehen, fallen die Äußerungen noch knapper aus und die Faktenlage, als Basis, bleibt weitestgehend unbekannt.
Eine genauere Überprüfung scheint zumindest im Groben deshalb unter Umständen dennoch "nur" innerhalb des EWR überhaupt möglich zu sein. ("nur" - in Anspielung auf den, am Umfang der bereits vorhandenen Bürokratie gemessenen, knappen Zeitrahmen. Anm. d. Red).

Das könnte ein grundsätzliches Problem sein, obwohl die EU sowohl mit allen nationalen Kartellämtern der EU regelmäßig als auch mit internationalen Wettbewerbshütern zusammenarbeitet. Zusätzlich stehen der Kommission unzählige Berater-Gremien (Advisory Committees) selbstredend beratend zur Seite sowie sogenannte Hearing Officers (= Anhörungs-Beauftrage) zur Verfügung. Letztere wurden 1982 eingeführt. Ihre Aufgabe besteht darin, für den Generaldirektor als unparteiischer Mediator zu fungieren., indem er - im Sinne des Rechts angehört zu werden - mündliche Anhörungen organisiert, Kommentare für die Untersuchungen verfasst und in Disputen Entscheidungen im Sinne eines Schiedsmanns trifft. Das wird zum Beispiel nötig, wenn ein Disput zwischen Generaldirektion und den bei einer Fusion beteiligten Parteien als unlösbar gilt. Last but not least entscheiden die Hearing Officers, laut Stellenbeschreibung, welche dritte Parteien auf Antrag in den jeweiligen Verfahren angehört werden. In der Abteilung Wettbewerb gibt es zwei Anhörungsbeauftrage, die ihrerseits von einem neun-köpfigem Team beraten werden.

Fusionen sind komplexe Gebilde, deren Auswirkungen auf die Märkte schwer einzuschätzen sind - und trotz Digitalisierung wahrscheinlich auch bleiben werden. Spätestens seit dem Jahrtausendwechsel bewegen und verändern sich die Gegebenheiten immer schneller. Märkte sind längst nicht die einzigen Faktoren im Machtgefüge des weltwirtschaftlichen Getriebes. So sieht sich Bayer zügig nach der Fusion mit Monsanto zahlreichen Gerichtsprozessen in den USA ausgesetzt, die u.a. das von Monsanto produzierte Pflanzenschutzmittel Glyphosat zum Thema haben. Die US-Justiz hätte bis zum Zusammenschluss deutlich weniger Probleme mit dem Pflanzenschutzmittel gehabt, wie mehrere Branchen- und Wirtschafts-Medien übereinstimmend monierten.

Siemens-Alstom hatte als Zugeständnis 4 Prozent des Umsatzes des neuen Unternehmens angeboten, der in der Präsentation mit 15,4 Mrd. Euro beziffert wurde - ein Anteil, der deutlich kleiner ausfällt als die Zusagen von Bayer/Monsanto, was wir allerdings - aus Mangel an nachweisbaren Zahlen - nicht belegen können. Offenbar war es der Kommission zu wenig. Laut einer älteren Bloomberg-Grafik (basierend auf Verkaufszahlen von 2013 bis 2017) wurden auf dem Markt für Hochgeschwindigkeitszüge in Europa für die Fusionierten von einen Marktanteil von rund 50 Prozent und weltweit von rund 10 Prozent ausgegangen. Diese Zahlen wollte uns der Siemens-Sprecher jedoch nicht bestätigen.

Wer äußert was und wie?

Bei Fusionen ist die EU nicht verpflichtet sämtliche Unterlagen und Zahlen zu veröffentlichen, wie Marktanteile oder andere harte Fakten, die bei solchen Entscheidungen allerdings unverzichtbar wären. Geschäftgeheimnisse verlangen allerdings auch einen gewissen Schutz. Das langwierige Ringen um die Herausgabe von Papieren aus den Verhandlungen zwischen der EU und den USA zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTiP) dürfte sicher auch noch einigen in Erinnerung sein. Die Kartellbehörden aus vier Ländern - Großbritannien, Belgien, Spanien und die Niederlande - hatten sich laut Medienberichten im Verfahren Siemens/Alstom zusätzlich sehr negativ geäußert - u.a. soll die Veräußerung des Hochgeschwindigkeitszüge-Geschäfts verlangt worden sein. Damit hätte es den "Airbus auf der Schiene" wohl vollkommen ad absurdum geführt. Und laut einem anderen Pressebericht durften, Überaschung, sich auch die Wettbewerbshüter Australiens in diesem Fall zu Wort melden.

Und damit wird es immer undurchschaubarer, zumal ausgerechnet die Bekundungen Dritter - die, bis wenige Fälle oder Details, die man schwärzen könnte - wohl kaum zu den Geschäftsgeheimnissen zählen - der Öffentlichkeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. Auch wir haben, ähnlich Herrn Laitenberger, darum inzwischen mehr Fragen als Antworten: Wie standartisiert laufen Fusionskontrollen ab? Gibt es ein verpflichtendes Protokoll? Wie viele Fakten müssen die beteiligten Parteien liefern? Wie viele Fakten müssen dritte Interessenten in ihren Bekundungen anliefern, um eine Anhörung zu erhalten? Sind 90 Tage für weltweit wirksame Fusionen ausreichend? Geraten rechtzeitige Anmeldungen und zügige Verfahren solcher Großprojekte inzwischen gar an die Grenzen ihrer Umsetzbarkeit, weil in der Ära der Semi-Digitalisierung immer weniger fundierte Argumente sachlich ausgetauscht, als vielmehr Behauptungen für unvereinbar erklärt werden?

Schnell-Züge Eines ist in Europa jedenfalls ganz gewiss: Wer sich in der inzwischen wieder heiß umkämpften Gegenwart vor die Tür stellt und zu einem König deklarieren lassen will, wird unverzüglich mit Tomaten beworfen. Dagegen helfen nur noch Fakten, und vielleicht auch lieber ein paar öffentlich zugängliche mehr als unbedingt noch weniger. Damit könnte man tatsächlich noch punkten. Vor diesem Hintergrund könnte die Kommission ihren guten Ansatz der öffentlichen Konsultationen überdenken bzw. über den EWR-Tellerrand schauern lassen. Warum sich nicht auch die Meinung zu Fusionen außerhalb von Kartellbehörden und geschlossenen Zirkeln einholen und erweitern, wenn, laut eigenen Angaben der Kommission, zumindest einige Meinungen in der Fusionskontrolle als solche durchaus vorgesehen sind? Sowohl Ernährung und Gesundheit als auch der Zugverkehr gehen schließlich alle etwas an. Menschen tun ihre Meinung gegenwärtig überall ungefragt kund, ob in "sozialen Medien" oder auf der Straße. Vielleicht würden sie auch gern einmal in einem zeitgemäßeren Rahmen gefragt werden, als nur auf den ewig gleichen, ausgetretenen analogen und digitalen Pfaden. Ihr Rat wäre sogar kostenlos - und die Erkenntnisse aus ehrlichen Antworten sind generell unbezahlbar

Wir danken allen Beteiligten ausdrücklich für ihre Einschätzungen und Gesprächsbereitschaft.


Anhang:
Öffentlich Zugängliche:
M.8084 Bayer/Monsanto

M.8677Siemens/Alstom


2019-02-19, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz + Gesprächspartner
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