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BDS als populär-kulturelle Performance

von Juliane Beer


Am 17. Mai 2019 nahm der Bundestag den Antrag „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ der Parteien CDU/CSU, Parteien SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen an. Die Union, die SPD, die FDP sowie PolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Mario Mieruch stimmten für den Antrag. Die Linksfraktion stimmte fast geschlossen dagegen, ebenso einige Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen. Die AfD-Fraktion enthielt sich, ebenso ein paar wenige Abgeordnete der Linksfraktion und der Grünen.

Kaum hatte der Bundestag den Antrag angenommen hob in den sozialen Netzwerken das Lamento an. Deutsche BDS-AnhängerInnen und -SympathisantInnen gerierten sich als Opfer eingeschränkter Meinungsfreiheit, gar als mit Redeverbot Belegte. Allerdings twitterte und postete niemand der Unterdrückten live aus dem Gefängnis, auch waren gegen niemanden Geldstrafen verhängt oder Verwarnungen ausgesprochen worden.
Der Beschluss des Bundestags besagt lediglich, dass keine öffentlichen Gelder mehr für BDS-Veranstaltungen bewilligt werden. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass Veranstaltungen, auf denen dazu aufgerufen wird, gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe, Homosexuelle oder Andersgläubige vorzugehen, und dafür geworben wird, China, Russland oder Bangladesch zu zerstören, ebenso wenig öffentlich gefördert werden.

Was ist BDS?

"BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen)" ist eine internationale Kampagne, die Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren versucht. Die Ziele werden unterschiedlich formuliert. Einige BDS-AktivistInnen fordern, Israel müsse die Besiedlung von Gebieten (welche genau, variiert) beenden und arabischen Flüchtlingen sowie deren Kindern und Kindeskindern die Rückkehr ermöglichen. Andere BDS-AktivistInnen bestreiten das Existenzrecht Israels und verlangen klar artikuliert (und nicht in Form des Codes ca. 5 Millionen AraberInnen die Rückkehr zu ermöglichen) diesen Staat abzuschaffen. In beiden Fällen bestehen Überschneidungen mit Forderungen der radikal islamischen Hamas*.

Bei der BDS-Bewegung mitstreitende Personen und Organisationen kommen indes aus allen politischen Lagern. Da wäre zum Beispiel Leila Chaled, Flugzeugentführerin und Führungsmitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas** oder die rechte Kleinpartei Der dritte Weg*** oder die Internationale Vereinigung Demokratischer Juristen (International Association of Democratic Lawyers, IADL), gegründet in der ehemaligen Sowjetunion. Neben BDS-Unterstützung liefert man eine Rechtsverteidigung des Nuklearprogramms des iranischen Regimes****.
Oder die amerikanische AktivistInnengruppe Code Pink, deren Begründerin Medea Benjamin 2014 an der Teheraner Konferenz „Review of the Holocaust“, einem Treffen internationaler HolocaustleugnerInnen, teilgenommen haben soll, was Benjamin jedoch bestreitet*****.
Code Pink wirft Israel u.a. "Pink Washing" vor. Israel würde durch die Wahrung des Rechts auf Ausleben von Homosexualität seine Politik reinwaschen wollen. Ob Code Pink es begrüßen würde, wenn Israel Homosexualität unter Strafe stellte, wie in fast allen arabischen Ländern Usus, ist nicht bekannt

Darüber hinaus bedient sich BDS antisemitischer Argumentationsmuster, dazu zwei Beispiele:
- An Israel werden andere Maßstäbe gelegt, auch wenn der Bewertung zugrunde liegenden Sachverhalte strukturell gleichartig sind. Menschenrechtsverletzungen u.a. in China, Iran, Syrien usw. werden von BDS ignoriert. Israel unterliegt hingegen einer obsessiven Beobachtung in Bezug auf die arabische Bevölkerung.
- Jüdinnen und Juden werden von BDS kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich gemacht, außer, sie schließen sich der BDS-Bewegung an.

BDS und die Kunst

Betroffen sind unter anderem KünstlerInnen, um die es im Folgenden gehen soll. 2015: BDS veranlasste die VeranstalterInnen des Festivals "Rototom Sunsplash" in Spanien, den jüdischen Musiker Matisyahu auszuladen, weil dieser eine Erklärung zu Palästina verweigert hatte. Nur aufgrund heftiger internationaler Proteste zog der Veranstalter die Ausladung zurück und entschuldigte sich. Matisyahu ist Jude aber kein Israeli.
Überflüssig zu erwähnen, dass hier Anknüpfungen an die antisemitische Verschwörungstheorie, Jüdinnen und Juden steckten alle unter einer Decke, deutlich werden (weshalb BDS sie kollektiv boykottiert******).
Doch auch nichtjüdische KünstlerInnen, die in Israel auftreten, werden von BDS verfolgt. 2017: der britische Musiker Nick Cave gab trotz Drohungen in Israel sein Konzert und äußerte sich in einer Pressekonferenz wie folgt, Zitat: „Brian Eno hat mich vor drei Jahren dazu aufgefordert, eine Anti-Israel-Liste zu unterzeichnen. Ich habe mich aber intuitiv dagegen entschieden, denn diese Liste stinkt wirklich zum Himmel.“ Zitatende*******

Wer meint, Caves Statement bilde die Mehrheitsmeinung im aktuellen Kunst- und Kulturbetrieb ab, weil es doch umgekehrt die Methode diktatorischer Regime und Despoten ist, KünstlerInnen zu verfolgen oder mit Auftrittsverboten zu belegen, der irrt. BDS hat im Kunstbetrieb Einzug gehalten. Eine Liste, in der lediglich britische KünstlerInnen der schreibenden Zunft nicht etwa gegen eine konservative, rechte oder diktatorische Regierung mobilisieren, sondern gegen einen demokratischen Staat, in dem Homosexualität gelebt wird, Versammlungsfreiheit und Wahlrecht für alle Bürger herrscht, Araber in der Knesset sitzen und KünstlerInnen frei arbeiten dürfen, ist beachtlich lang*********.

Besonders grotesk mutet das in Anbetracht eines völligen Verbots von Konzertveranstaltungen, Theateraufführungen, Publikationen oder Ausstellungen in zahlreichen arabischen Nachbarländern Israels an. Warum BDS nahe KünstlerInnen in diesen Fällen keinen Prostest organisieren bleibt ein Rätsel. Die isländische, offen queere Band Hatari hielt im Gegenteil beim 64. Eurovision Song Contest 2019 in Tel Aviv als Zeichen ihrer „Israel Kritik“ ein „Palestine“-Banner in die Kamera. Dass Schwule in „Palestine“ nicht zu den erwünschtesten Personen gehören, dürfte bekannt sein. Ebenso, dass man, wäre man Bewohner des Gebiets, für das man sich stark machte, lieber mit Kritik sparte, läge einem die eigene Gesundheit am Herzen.
Ob solche Verirrungen dem aktuell in der internationalen links-intellektuellen Kulturszene gepflegtem Kuturrelatisvismus mit Wortführerinnen wie Judith Butler geschuldet ist, sei dahingestellt (Gemäß des Mottos „Andersheit der Anderen“ erklärte die in Berkeley lebende und lehrende Butler 2003 in einem Interview beispielsweise zur Burka, Zitat: „Sie (die Burka, Anm. der Autorin) symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden“, Zitat-Ende.

Den links(liberalen) KünstlerInnen-Zulauf zur BDS-Bewegung würde aber auch Kulturrelativismus allein nicht erklären. Ebenso wenig links(liberale) Sympathien für die Anti-Apartheid-Bewegung Südafrikas, die häufig mit der BDS Bewegung verglichen wird, wobei die Anti-Apartheid-Bewegung zu keiner Zeit auf die Vernichtung des Staates Südafrika abzielte. Ganz zu schweigen davon, dass der Vergleich ohnedies jeder sachlichen Grundlage entbehrt, da Israel anders als das rassistischen Südafrika kein diktatorisches Regime ist.

Und auch eine Vorliebe für Nationalismus kann man in der Regel gerade im deutschen linksliberalen Kulturbetrieb nicht ausmachen. Niemand dort würde Deutsche unterstützen, die im polnischen Grenzgebiet ganze Landstriche in Brand setzen, weil ihre Vorfahren hier einst lebten und vertrieben wurden. Erika Steinbach ist keine angesagte Heldin; der Bund der Vertriebenen erntet bestenfalls Spott in den dem Zeitgeist verpflichteten KünstlerInnenkreisen.

Was macht BDS für (deutsche) KünstlerInnen attraktiv?

Der Wille, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wie 2018, als BDS sich im Zusammenhang mit dem Berliner "Pop-Kultur-Festival" wochenlang in der Presse hielt, verlesen und erklärt wurde? Einige britische und amerikanische Gruppen und InterpretInnen sagten damals ihren Auftritt beim Festival ab, weil drei israelische KünstlerInnen auftraten, die von Israel 1200 Euro Unterkunfts- und Reisekostenbeteiligung erhielten. Unterstützung und Sponsorung andere Staaten wurde akzeptiert.
Die walisische Sängerin Gwenno schrieb dazu, Zitat: „Ich bin solidarisch mit dem palästinensischen Volk… in dem Glauben, dass wir die Welt zu einem besseren Ort machen können.“ Zitat-Ende*********

Die Welt zu einem besseren Ort machen? Eine Solidaritätserklärung für all jene, die weltweit nach Unabhängigkeit streben war von Gwenno nicht zu hören. Nicht für ArmenierInnen in Aserbaidschan, nicht für bengalische Hindus in Bangladesch, nicht für MongolInnen, TibeterInnen oder UigurInenn in China, auch nicht für ArmenierInnen in Georgien, usw. . Auch nicht solidarisch erklärte sich Gwenno mit den Zugewanderten, die während des britischen Mandats aus arabischen Staaten nach Israel kamen (seit der Charta der PLO von 1964 als PalästinsererInnen bezeichnet), und heute in arabischen Nachbarländern leben, wo ihnen keinerlei BürgerInnenrechte zugestanden werden. Und ebenso wenig war oder ist Gwenno solidarisch mit den ungefähr 900 000 Jüdinnen und Juden in der arabischen Welt von 1945, von denen die meisten ins Exil gezwungen wurden, sodass die heutige jüdische Population in arabischen Ländern bei ca. 4500 liegt.

Eine Berliner Diskussion zur Causa Pop Festival, Israel und BDS, an der auch der linke Kultursenator Lederer teilnahm, endete, bevor Erhellendes zu Tage kam. Mit Geschrei, Tumult und Drohungen aus den Reihen von BDS. Vorher konnte Lederer noch verkünden, ´gerade Deutsche` hätten sich dieser Boykottbewegung zu enthalten. Warum ´gerade Deutsche`? Weil Deutsche ihren Beitrag zur Vernichtung von Jüdinnen und Juden bereits geleistet haben? Eine zweite Chance sollten sie laut Lederer also nicht bekommen?

Doch auch im deutschen Literaturbetrieb, im Westen seit 1945 eigentlich eine eher leise Zunft, ist BDS angekommen. Beim diesjährigen "VS-Lesemarathon", einem traditionellen Leseabend Berliner AutorInnen, die dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller angehören, sollte ausgerechnet am 10. Mai, Tag der Erinnerung an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten, eine BDS-Aktivistin mit auftreten.
Bereits Monate vor der Lesung war von einer Kritikerin eine Diskussion zu BDS auf dem Berliner VS-Mailverteiler angeregt worden, was dazu führte, dass die BDS-Aktivistin, offen ersichtlich für alle Berliner Mitglieder der Kritikerin mitteilte, sie würde ihre Mail (die Kritik an BDS enthielt) an ´kompetente Stelle´ weiterleiten.
Dem widersprachen genau zwei Mitglieder, zwei weitere versuchten, von den guten Absichten der BDS-Aktivistin zu überzeugen. Erst als sich daraufhin eine Diskussion zum Thema Weiterleiten von Verteiler-Mails an Dritte entspann, entschuldigte sich die BDS-Aktivistin lapidar. Das Thema BDS wurde nicht mehr wieder aufgegriffen. Auch nicht die Frage, ob die aus guten Absichten Handelnde ihre Berliner BDS-Truppe der eigenen schreibenden KollegInnen nach Hause schicken würde, falls diese beabsichtigten, in Israel eine Lesung abzuhalten. Und auch nicht die Frage - falls die BDS-Truppe nicht benachrichtigt werden würde - ob man sich durch Freundschaftsdienste mit BDS-AktivistInnen von Verfolgung frei kaufen konnte. Wenige Monate später, am 10 Mai, trat BDS zum Tag des Buches auf; eine einzige der an diesem Abend zum Lesen eingeladene AutorInnenn sagte ihre Teilnahme ab.

Die vermeintliche Rettung der Welt

Nein, nicht jede und jeder, der im Kunst- und Kulturbetrieb mit BDS sympathisiert, ist AntisemitIn. Zahllose KünstlerInnen sind erklärt unpolitisch und haben sich auch mit den Zielen der BDS-Bewegung nicht beschäftigt. Dennoch sind sie bereit, etwas für die vermeintliche Rettung der Welt zu tun, wie es unter KünstlerInnen von jeher zum guten Ton gehörte, und wie es der angespannte Markt heutzutage geradezu einfordert. So schließt man sich BDS oder zumindest von der Bewegung initiierten KünstlerInnen-Unterschriftenlisten an, denn in Zeiten gnadenloser Konkurrenz besonders im ideologielastigen Literatur-, Theater- und Musikbetrieb will sich niemand einem Verdacht aussetzen, der ins Abseits katapultieren könnte.
Es scheint, als habe sich der jahrhundertealte Mythos, Jüdinnen und Juden (und seit Mitte des letzten Jahrhundert ihr Staat) beherrschten die Welt und zögen unsichtbar sämtliche Fäden zum Nachteil aller Ehrbaren, plötzlich in ein zeitgemäßes, poppig glitzerndes "Rettet-die-Welt-vor-den-Juden-Outfit" gehüllt.
So getarnt wird einer der letzten, vergleichsweise Ressentiment- und Hass-resistenten Gruppe – Menschen die es sich von jeher zur Aufgabe gemacht haben, in ihrem Werk die Welt unbeeinflusst nach Intuition und Idealismus abzubilden - die uralte Mär vermittelt, dem jüdischen Volk habe man, wenn nicht mit Vernichtungsabsichten, dann aber zumindest strafend und reglementierend entgegen zu treten.

Bild, Himmel, Lübeck, Link Sommer-Bilder-Galerie Aber halt... Künstlerinnen und Künstler waren von jeher nicht übermäßig anfällig für verordneten Hass, ja, möglich. Jedoch waren gerade sie nie gegen Mythen gefeit, die unter Zuhilfenahme einfacher, und damit oft ästhetisch ansprechender Erklärungsmuster die komplexe Welt trostreich zu erklären vermögen.
Dass viele von denen, die sich nicht nur im Kunst- sondern auch im linken Kulturbetrieb tummeln, nicht erkennen, dass BDS auf rechte, bis zur Schlichtheit vereinfachte Denkmuster setzt, also ethnisch homogene Kollektive bildet – hier die unterdrückenden Jüdinnen und Juden, dort die unterdrückten AraberInnen (die durch die BDS-Kampagne Arbeitsplätze verlieren**********) – ist tragisch.

Doch auch dies ist bekannt: Künstlerinnen und Künstler sind ebenso wenig wie alle anderen Menschen ein homogenes Kollektiv.


Quellen:
*usahm.info/Dokumente/Hamasdeu.htm, **972mag.com/interview-with-leila-khaled-bds-is-effective-but-it-doesnt-liberate-land/91000/, ***www.nzz.ch/international/ein-gespraech-mit-leila-khaled-wir-sind-die-opfer-ld.146511, ****der-dritte-weg.info/2014/07/israel-boykott-was-jeder-gegen-den-zionistischen-voelkermord-tun-kann/, *****www.ngo-monitor.org/ngos/international-association-democratic-lawyers-iadl/, *****iadllaw.org/2011/11/iadl-expresses-concern-about-threats-against-iran/, ******jungle.world/artikel/2014/41/truther-teheran, *******www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/ich-will-musik-fuer-alle-machen/, ********www.rollingstone.de/nick-cave-bezieht-mit-konzert-in-tel-aviv-stellung-gegen-israel-boykott-1409969/, *********artistsforpalestine.org.uk/a-pledge/, **********www.deutschlandfunkkultur.de/bds-gegen-berliner-pop-kultur-festival-diese-sogenannte.1079.de.html?dram:article_id=421635, ***********https://www.ruhrbarone.de/bds-vernichtet-palaestinensische-jobs/157712


2019-07-20, Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer

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