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Woodstock für alle

Woodstock for all
Die kulturelle Begeisterungsfähigkeit der digitalen "Revolution" hat Luft nach oben
von Angelika Petrich-Hornetz

Lange vor Woodstock gab es schon immer herausragende Musik-Festivals, unter anderen diejenigen von den Blues-, Folk- und die der Jazz-Gemeinden wie das New Port Folk-Festival und das New Port Jazz-Festival. Die Geschichte der Festivals ist noch viel älter und entstand aus religiösen oder traditionellen Festivitäten, die stets Musik beinhalteten. So fand auch der Mardi Gras aus Frankreich seinen Weg in die USA, für den New Orleans weltberühmt wurde. Auch klassische Orchester förderten die Festival-Kultur mit ihren sich ausweitenden Sommerkonzerten, wie das Tanglwood Wood-Festival. Ende der 60-Jahre folgte die Beat-und Rock-Generation mit mehrtägigen Veranstaltungen, das Monterey-Pop-Festival gilt als bekanntester Auftakt, Woodstock aber übertrumpfte sie alle..

Unmögliches Unterfangen gelingt

Für die Veranstalter von Woodstock (15. bis 17. August 1969) sah es zunächst noch nicht nach einer Mammutaufgabe aus, zu der es später werde sollte. Man plante anfangs mit maximal bis zu 40.- bis 50.000 Besuchern pro Tag, und dann kamen insgesamt etwa 400.000, oder mehr - von denen einige auf den Zufahrtswegen feiernd abwesend verblieben (ähnlich wie Joni Mitchell, die trotzdem den schönensten Song beisteuerte) - und deren Verpflegung alles andere als "gesichert" war. Nach Regen, Sturm und Mangelernährung inklusive Konsum gewisser Substanzen hatte das dreitägige Happening an gleich mehreren Stellen wesentlich höhere Chance umzukippen und damit zu scheitern als zu gelingen.

Das Wunder dieses Festivals, weshalb man es auch 50 Jahre danach immer noch fasnziniert anstarrt, besteht zu einem großen Teil genau darin, trotz aller widrigen und widrigsten Umstände gelungen zu sein. Dazu trugen viele Menschen bei, die sich dafür mehr oder weniger ruinierten. Allen voran der eher konservative Farmer Max Yasgur, dessen Felder zertrampelt wurden und der eine zentrale Rolle zum Gelingen beitrug. Yasgur hielt während des Festivals eine bewegende Ansprache an die Menge, deren Bedeutung, zunächst wenig beachtet, in der Rückschau, zusammen mit den Fotos und dem Film über Woodstock den Geist des Festivals äußerst treffend einfing. Yasgur starb leider viel zu früh im Jahr 1973, um seine Geschichte, was ihn mit dem Festival verband, noch hinreichend erzählen zu können.

Die Bevölkerung von Bethel und diverse Hippie-Kommunen der Umgebung sorgten dafür, dass die jungen Leute nicht verhungerten, wenn sich auch einige Anrainer zwischendrin tatsächlich auf den Handel mit Leitungswasser zu happigen Preisen einließen. Und schließlich war auch die US-Army in die Verpflegung involviert worden, nachdem sie zuvor beinahe das Gelände - zum Notstandsgebiet ausgerufen - auf Veranlassung des Gouverneurs geräumt hätte. Das konnten die Veranstalter gerade noch abwenden, zwei junge Männer, die ursprüngllich lediglich ein einziges Konzert veranstalten wollten, um ihr neues Tonstudio zu bewerben, ein durchaus kommerzieller, aber nicht allzu großer Anlass. Der Rest ist Geschichte und trotz Matsch, Regen und anhaltendem Chaos in lauter schönen Bildern und Tönen konserviert worden, wie auch der Falsett-Schrei von Joe Cocker auf der Bühne, nach dem es brutal zu regnen anfing, übrigens ein ehemaliger Gasinstallateur aus Sheffield, dessen Fans, darunter sehr viele in Deutschland, immer noch auf einen ädequaten Nachfolger warten.

"Die Hippies"

Nach ein paar Gedenk-Veranstaltungen wurde 2019 die engagierteste Wiederholung, wieder als Großveranstaltung geplant, das 50-jährige Jubliäum von Woodstock schließlich abgesagt, nur zwei Wochen, bevor es stattfinden sollte. Einer Zugpferd nach dem anderen sagte ab. Übrig, vor Ort, auf dem Gelände in Bethel, blieb ein Mini-Festival mit Rauchverbot. Medien berichteten entsprechend groß vom abgesagten Großereignis und klein aus Bethel. Überhaupt, "die Hippies" waren einmal mehr das Schlagwort der Berichterstattung dieser Tage, so als hätte es die vergangenen 50 Jahre nie gegeben. Ein distanzschaffender Artikel für eine außenstehend erscheinende, angeblich homogene Gruppe, der genauso gern für "die 68er" genutzt wird, mit "denen" man heutzutage in etwa so viel zu tun zu haben wollte, wie mit "den Aliens", Letztere eine veraltete Bezeichnung für außerhalb der Landesgrenzen oder des Commonwealths geborene Einwanderer und Anwohner in den USA und Großbritannien, die, aus der Mottenkiste geholt, gegenwärtig wieder diskutiert wird, wie korrekt oder unkorrekt sie nun sei, was unsere Redaktion an dieser Stelle sowie als Commonwealth-Aliens einfach nicht beantworten kann und will.

Dass es sich bei Hippies und protestierenden Studenten auch um eine Generation handelt, die sich engagiert für die Beendigung des Vietnam-Kriegs, gegen Rassenhass und zeitgleich in Deutschland gegen die mangelnde Aufarbeitung der NS-Diaktatur, die bis in den Kanzler-Bungalow hineinreichte, einsetzte, - die für den Frieden marschierte und sich für Gleichberechtigung stark machte, die nicht wenige ihrer Vertreter dann - mit ihrem Gang durch die Institutionen - auch umsetzten, scheinen wieder einige schlicht vergessen zu haben, die in den Genuss dieser Errungenschaften kamen. So gilt es inzwischen offenbar wieder als Mainstream, auf "die Hippies" verächtlich herabzusehen und "die 68er" für alles mögliche verantwortlich zu machen, manchmal sogar für das, zu dessen Abschaffung sie Wesentliches erfolgreich beitrugen, darunter u.a. nichts Geringeres als die Anwendung von Gewalt in der Kindererziehung.

War's das nun? Nicht ganz, oder erstaunlicherweise sogar im Gegenteil. Nicht nur hierzulande versammelten sich über den August 2019 verteilt zum Gedenken an Woodstock unzählige kleinere Festivals, fanden kleinere und und auch einige größere Konzerte statt, um das zu tun, was Bauer Yagur in seiner Ansprache 1969 so treffend beschrieben hatte: Feiern!,, Zitat aus seiner Ansprache: "A half million young people can get together and have three days of fun and music and have nothing but fun and music, and I - God bless you for it!", Zitatende).

Woodstock fortgesetzt

Nicht zuletzt hat Woodstock eine weltweite Festival-Kultur inspiriert, die man inzwischen bereits als Tradition bezeichnen kann, daunter einige renomierteste Veranstaltungen, die seit Jahrzehnten Erfolge feiern, sowie immer wieder erstaunliche Höhepunkte hervorbringt, wie das Konzert im Central Park in New York von Paul Simon und Art Garfunkel am 19. September 1981, das den guten Zweck verfolgte, Geld für den Park einzusammeln. Auch hier kamen tatsächlich eine halbe Million Besucher, dieses Mal ganz gut ausgerüstet mit Imbiss, Camping-Stühlen und Decken ausgestattet. Der während des Konzerts immer wieder aufbrandende Szenen-Applaus hat mttlerweile einen genauso wohltuenden Klang wie die ständigen Bühnen-Durchsagen auf der Woodstock-Bühne 1969, zwischen den Auftritten der Musiker: "Susann Miller wird gebeten, sich bei Mr. Miller zu melden", "Die Eltern von Paul Smith erwarten ihren Sohn am Ausgang", und immer wieder "Bitte geht von den Türmen runter" und "No Rain, no Rain!". Das nächste Großevent war das Benefiz-Konzert "Live Aid" vom 13. Juli 1985, das Bob Geldorf organisierte und zeitgleich in London und Philadelphia stattfand, darunter der legendäre Auftritt von Queen, bei dem Freddie Mercury sich selbst ein Denkmal setzte. Dank Live-Übetragung erreichte das Doppel-Konzert rund 1,5 Milliarden Zuschauer weltweit.

Die Festival-Kultur entwickelt sich ständig weiter. Grundlage scheint eine nie nachlassende Belliebtheit von Frei-Luft-Veranstaltungen und die Liebe zur Musik an und für sich zu sein. Das Erleben, Sehen und Hören von Musik gemeinsam, draußen, unter freiem Himmel empfinden viele Menschen als etwas ganz Besonderes - und ganz im Geist von Woodstock - plötzliche Regengüsse inbegriffen. Waren es früher eher drogen- und alkoholgeschwängerte Veranstaltungen mit zum Teil zweifelhaftem Ausgang, etablierten sich neben den üblichen Musik-Groß-Events inzwischen überall kleinere Veranstaltungen mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten, davon immer mehr, in denen Familien mit Kindern willkommen sind, Musik genießen, picknicken und spielen und Entspannung und Spaß genießen. Nicht selten finden solche Veranstaltungen auf dem Land statt.

Die Klassik zog längst nach, Festivals klasssischer Musik unter freiem Himmel sind ein ein fester Bestandteil der Musik-Kultur hierzulande, eine der bekanntesten Orte dafür ist die Berliner Waldbühne. Nicht nur bei Metallern dürfte auch der Ort Wacken, bzw. das seit 1990 dort stattfindende "Wacken Open Air" ein Begriff dafür sein, wie 75.000 ausgewachsene Rockfans einvernehmlich mit der örtlichen Feuerwehr musizieren und anschließend tagelang friedlich feiern. Es ist, wie so viele beliebte Festivals, in der Regel bereits wenige Stunden nach seinem Ende fürs kommende Jahr jeweils restlos ausverkauft, aus einem einzigen Grund: weil es Spaß macht.

Woodstock für alle

Überhaupt: Spaß haben. Ist das inzwischen etwa schon wieder verboten? Auch das ist ein sinngemäßes Vermächtnis von Yagurs Ansprache: Die (jungen) Leute sollen sich schließlich auch amüsieren und entspannen dürfen. Sie sind nicht allein dazu auf die Welt gekommen, um überleben zu müssen und eine große Menge Stress auszuhalten, den Befehlen und Vorstellungen irgendwelcher Erwachsener zu folgen und zu entsprechen, gar die Lasten der Welt, ganz allein auf ihren Schultern, (er)tragen zu müssen, sondern sie haben gefälligst genauso das Recht erhalten, eine gute Zeit zusammen zu verbringen und gemeinsam Spaß zu haben.

In diesem Sinne könnte man durchaus überlegen, wie es neben den gut funktionierenden Freiluft-Festivals und den nächsten Woodstock-Jubiläen weitergehen könnte - und mehr Menschen Freude an Musik haben könnten. Und auch, wenn das jetzt wieder einigen zu kritisch klingt, könnten sich die Tech-Giganten - Google, Twitter, Facebook, + Co. endlich einmal etwas Sinnvolleres dazu einfallen lassen, als bisher geschehen. Ganz so, wie es ihren ursprünglichem Ansinnen entsprach u.a. "Menschen weltweit zu verbinden".

Foto, Sommer IIFür ortsgebundene Veranstaltungen hat heutzutage nun einmal nicht jede/r das Glück, kostspielige Eintrittskarten finanzieren zu können (zum Glück etablieren sich aktuell immer mehr "Kultur-Tafeln") und oder es fehlt schlicht die Zeit, stunden- oder tagelang anzureisen - oder sich auf die Lauer für Karten für das nächste - in weniger als zehn Minuten bereits ausverkaufte - Festival zu legen oder überhaupt für den ganzen Aufwand.
Der Ansatz von Live-Aid in den 80er Jahren einer parallelen Veranstaltung an verschiedenen Orten gleichzeitig besitzt den zusätzichen Reiz des Dezentralen, der, wenn man die krampfhaften Zenralisierungtendenzen dieser Tage ausblendet, durchaus vielversprechend klingt, auch, weil erst jetzt die technischen Möglichkeiten für weltweit umspannende dezentrale und gleichzeitige Veranstaltungen existieren. Und nicht zuletzt: Man hat es noch nie ausprobiert, ist das etwa kein Grund?

Man könnte auch ganz klein anfangen, mit offnenem Ausgang, sozuagen ein Mini-"I-Would-Festival". Wie wäre es, wenn an einem 15. August auf der ganzen Welt von ein paar Millionen Musikern zum selben Zeitpunkt das gleiche Lied gespielt würde - und alle, die noch wach oder gerade aufgestanden sind, singen mit?
Natürlich müsste, bei Wiederholung, jedes Jahr zu einer anderen Uhrzeit aufgespielt werden, damit nicht immer die Australier um 3 Uhr morgens aus den Betten müssten, um überhaupt teilnehmen zu können, sondern alle Erdteile im Wechsel. Und natürlich müsste es eine - ebenfalls ein Novum - weltweite Abstimmung geben, welches Lied überhaupt gespielt werden soll und um den mehrstimmigen Gesang auf den Punkt zu bringen. Das erforderte die Einrichtung eines weltweiten Festkommitees, allerdings computergestützt, das dürfte also relativ einfach zu bewerkstelligen sein. Die spannenste, zu klärende Frage bei diesem weltweiten Musik-Projekt bleibt tatsächlich nur noch die eigentliche Umsetzung: Wie es wohl klingt?!


2019-08-18, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto Banner: aph

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