von Juliane Beer
Linke Parteien gelten als Anwälte der LohnarbeiterInnen. In der Textsammlung "Aber sie arbeiten doch - Alphabet der linken Liebe zur Lohnarbeit" (am 13. Dezember 2019 erschienen*) setze ich mich mit dieser Frage auseinander. Besonders kontrovers wird gegenwärtig die Frage diskutiert, ob Prostitution eine Lohnarbeit wie jede andere wäre, beziehungsweise, wo die Gefahren liegen, erklärte man Prostitution zu normaler Lohnarbeit. Der Problematik habe ich ein eigenes Kapitel gewidmet, hier ein Auszug daraus.
Zuvor aber ein paar Worte zur Geschichte der weiblichen Lohnarbeit. In Westeuropa des beginnenden 19. Jahrhunderts entstanden Lohnarbeitsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft. Mädchen und Frauen, die aus bildungsfernen, armen Verhältnissen stammten und den Lebensunterhalt ihrer Familien mitverdienen mussten, gingen in Arzt-, Beamten- und Unternehmer-Haushalten in den Dienst. Dort kochten, putzten, bedienten, wuschen sie und versorgten die Kinder der ArbeitskraftnehmerInnen - im deutschen Wortgebrauch bezeichnenderweise als ArbeitgeberInnen dargestellt. Geben ist seliger denn nehmen, selbst wenn es sich um schlecht bezahlte Lohnarbeit handelt.
Frauen der höheren Stände arbeiteten zu dieser Zeit in der Regel nicht. Ihre Aufgabe war es, die Dienstbotenschaft zu beaufsichtigen und Veranstaltungen zu Hause oder in der Gemeinde zu organisieren.
Wer bürgerlich geboren wurde, aber in einer Ehe nicht das passende Lebensmodell für sich sah, oder arm geboren wurde, aber nicht im Bürgerhaus in den Dienst gehen wollte, konnte sich um die Aufnahme in ein Kloster bewerben. Auch dort fielen Haus- und Gartenarbeit an, die zum größten Teil von den Nonnen und Novizinnen selbst erledigt wurden. Zudem erteilten Nonnen aus höheren Bildungsschichten Unterricht. Und beteten. Ora et Labora - lautete das Motto des Klosteralltags. Der Unfreiheit der bürgerlichen Frau oder der Schinderei der Frau aus armen Verhältnissen war damit auch im Kloster nicht zu entkommen.
Mit dem Einzug der Industrialisierung in West-Europa fanden arme Frauen Lohnarbeit in Fabriken. Höhere Bildungsabschlüsse waren für viele Frauen dagegen weiterhin unerreichbar, weil Schulen Geld kosteten - bzw. Mädchen und Frauen als Arbeitskräfte gebraucht wurden. Zwar bestand ab 1919, mit der Weimarer Verfassung, die allgemeine Schulpflicht in Deutschland, doch strikte Kontrollen, wie heutzutage üblich, gab es nicht.
So ist es wenig verwunderlich, dass Frauen aus bildungsfernen Ständen, mehr noch als bürgerliche Frauen den Besuch einer Schule oder Universität und die anschließende Berufstätigkeit in einem Bereich, der intellektuelle Fähigkeiten erforderte, als Akt der Emanzipation ansahen, selbst dann noch, wenn sie dazu auch weiterhin für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig waren.
Lohnarbeit in der Wissenschaft, im Lehrbetrieb oder im Arztkollegium einer Klinik gilt für viele Frauen immer noch als ein Akt der Befreiung - und eine Möglichkeit, sich Ansehen zu verschaffen. Dass sie dabei noch immer Stress und Doppelbelastung durch Haushalt und Kindererziehung bewältigen müssen, scheint der nicht anzutastende Preis dafür zu sein, nicht in den Konflikt zu geraten, zwischen Lohnarbeit oder Untätigkeit wählen zu wollen.
Gleichwohl lohnarbeiten nach wie vor zahllose Frauen in Bereichen, die anstrengend, gesundheitsgefährdend, schmutzig sind, meistens, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt.
In Deutschland gilt, und zwar auch in linken Kreisen, dass "sozial ist, was (Lohn)Arbeit schafft". Im Umkehrschluss bedeutet das, dass jede Lohnarbeit gut ist. Auch solche, bei der die Lohnarbeiterin nicht nur ihre Arbeitskraft vermietet, sondern sogar ihren Körper gegen Lohn zur Verfügung stellen muss.
Nicht nur im übertragenen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes ist für die Prostituierte jede Grenze zwischen der Lohnarbeit und demjenigen, der diese Lohnarbeit, oder in diesem Fall den LohnarbeiterInnen-Körper mietet, aufgehoben. Man darf Prostitution somit zu Recht als Königsdisziplin kapitalistischer Ausbeutung bezeichnen.
Wie halten es Linke mit dieser Form allumfassender Verfügbarkeit?
Nehmen wir die Partei Die Linke. Dort lautet eine von der Mehrheit der Mitglieder vertretene Position, dass Prostitution, euphemistisch als "Sexarbeit" bezeichnet, eine Lohnarbeit wie jede andere wäre.
Diejenige, der nichts anderes übrig bleibt, als ihren Körper gegen Lohn zur Verfügung zu stellen, ist laut der Partei "eine Sexarbeiter*in". Wollte man zynisch sein, könnte man der Linke hier Konsequenz attestieren, denn die Prostituierte ist das Produktionsmittel in Person.
Zwar spricht man sich in der Partei Die Linke gegen den Kapitalismus aus, wo immer das Volk es hören will oder auch nicht, aber die Partei findet offenbar nichts dabei, dass derjenige, der sich - im Sinne des Systems Kapitalismus - geschickt verhält, gegen Zahlung eines Geldbetrags über den Körper derjenigen verfügen darf, die sich im System Kapitalismus aus zahlreichen Gründen, beispielsweise Sozialisation zur Rücksichtnahme und Bescheidenheit, Kindererziehung oder Geburt in einem Land, in dem die Frau Leibeigene des Mannes ist, gar nicht erfolgreich verhalten kann.
Ungeachtet der zahllosen Frauen, die Monat für Monat unter falschen Versprechungen aus Ländern ohne Sozialsystem nach Deutschland verschleppt werden und hier aufgrund der großzügigen Regelungen bezüglich Prostitution in Bordellen verschwinden, hält man in der Linken, die "Sexarbeit" hoch, betont aber gleichzeitig, Zwangsprostitution zu verurteilen. Dass die Positionierung gegen Zwangsprostitution im Widerspruch zu einer Haltung steht, nach der die Prostitution Lohnarbeit wie jede andere wäre, übersehen die Sexarbeit-ApologetInnen der Partei - oder wollen es übersehen.
Zwang ist der Prostitution immanent. Ohne Zwang gäbe es keine Prostitution, denn mit den paar Prostituierten, die erklären, ihre Tätigkeit gern und freiwillig auszuüben, wäre eindeutig kein Milliardengeschäft zu machen, wie es jedoch in Europa und gerade in Deutschland gemacht wird.
Zum Thema Freiwilligkeit ist hinzuzufügen, dass das, was man aus freier Entscheidung tut, dennoch immer in einem gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden muss.
Freiwillige Prostitution innerhalb des kapitalistischen Systems zu betrachten, bedeutet u.a. Frauenarmut und Frauenunterdrückung mit zu betrachten. Keine Millionärin würde tagtäglich mehrmals ihren Körper für Beträge von zum Teil rund 20 Euro und darunter zur Verfügung stellen.
Das sogenannte "Schwedische Modell", das in den skandinavischen Ländern eine Strafverfolgung von Sexkäufern vorsieht, wird von den Sexarbeit-ApologetInnen der Linke häufig abgelehnt, mit der Begründung, es würde Prostituierte bei der Arbeit behindern.
Man fürchtet, dass Sexkäufer sich abgeschreckt fühlten, wenn die Gefahr bestünde, ertappt und zu Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilt zu werden. Die Sexarbeit-BefürworterInnen der Partei betrachten Prostitution damit aus der Perspektive des wirtschaftlich überlegenen Sexkäufers - und nicht aus der Perspektive der Prostituierten, denen mit der Gesetzgebung nach dem "Schwedischen Modell" zumindest eine, wenn auch nicht ausreichende Form der Sicherheit zugestanden wird.
Die Linke - ansonsten stets die Arbeiterinnenrechte hochhaltend -, verwehren den Prostituierten somit sogar die Möglichkeit, den Sexkäufer anzuzeigen, falls er sich nicht angemessen verhält - was immer man in einer Situation, in der jemand einen Körper zu mieten in der Lage ist, beziehungsweise jemand den eigenen Körper zu vermieten gezwungen ist, unter "angemessenem Verhalten" verstehen mag.
Die logische Konsequenz dieser Sichtweise, Prostitution sei gleich jeder Arbeit wie jede andere auch, wäre, Sexdienstleistungen als zumutbare Lohnarbeit beim Arbeitsamt zu vermitteln. Würde die Erwerbslose entsprechende Stellenangebote ablehnen, hätte sie mit Sanktionen, u.a. Kürzungen des Arbeitslosengeldes zu rechnen. Bereits heute (Stand: 2019) berichten Prostituierte, dass ihre Bestrebungen, aus der Prostitution auszusteigen, beim Arbeitsamt oder Jobcenter nicht unterstützt werden. Im Gegenteil, werden tatsächlich betroffene Frauen aufgefordert, sich innerhalb der "Branche" eine andere Betätigung, wie beispielsweise Tätigkeiten in einer Peepshow oder oder einem Pornofilmdreh, zu suchen.
2016 wurde der Fall einer Physikerin publik, die in der Kinderbildung arbeitete, aufstockend HartzlV bezog und deshalb aufgefordert wurde, sich als Vollzeit-Verkäuferin in einem Erotik-Shop zu bewerben, über den die Berliner Tageszeitungen berichteten. Die junge Frau hatte den Job abgelehnt, daraufhin wurde ihr die Unterstützung gekürzt. Erst, als sich die Presse einschaltete, wurde die Sanktion des Jobcenters wieder zurückgenommen.
Die Linke, Berlin äußerte damals öffentlich Empörung ob dieses Falls. Was für eine verlogene Farce! Genau an diesem Fall zeigte sich schließlich, was es in der Praxis der Arbeitvermittlung bedeutete, Prostitution beziehungsweise Lohnarbeit im Sexgewerbe als Lohnarbeit wie jede andere anzuerkennen. Es handelte sich dann schlicht und einfach um eine zumutbare Beschäftigung, nach §140 SGB III, Absatz 1 und Absatz 5, der keinen einzigen Hinweis auf eine Möglichkeit enthält, eine Beschäftigung im Sexgewerbe abzulehnen.
Da auch homosexuelle Männer Sexkäufer sind, müsste die "Prostitution-ist-Arbeit-wie-jede-andere"-Fraktion innerhalb der Partei Die Linke konsequenterweise dafür sein, ebenfalls junge Männer über Arbeitsagenturen in diese Tätigkeit zu vermitteln. Über derartige Ansätze ist nichts bekannt.
Recherchiert man zum Thema "Die Linke und männliche Prostitution", finden sich, im Gegenteil, lediglich Verurteilungen und Empörung, und zwar in Bezug auf den sogenannten Flüchtlingsstrich im Berliner Tiergarten, wo sich geflüchtete Männer, zumeist ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland, für Spottpreise Homosexuellen anbieten (müssen). Die Empörung der Linken darüber ist absolut verständlich, was die gleichzeitige Beschönigung weiblicher Prostitution allerdings nur umso unverständlicher macht.
Die einzige humane Antwort auf Prostitution kann nur die sein, wie in skandinavischen Ländern praktiziert, Sexkäufer zu bestrafen. Darüber hinaus muss präventiv in der Erziehung von Mädchen endlich höchstes Ziel sein, Selbstwertgefühl, Selbstliebe und Kritikfähigkeit auszubilden. Wer um seinen Wert weiß, verkauft seine Arbeitskraft nicht unter diesem. Und den eigenen Körper schon gar nicht.
Werbung, Info + Update, Dezember 2019: Das Buch ist am 13.12.2019 erschienen, weitere Infos bei buecher.de:
Aber sie arbeiten doch - Juliane Beer
2019-10-16, Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer
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