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BVerfG-Urteil - Sanktionen Hartz IV

Kurzinterview mit:

Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zum Thema hat er das Buch „Hartz IV und die Folgen“ veröffentlicht. Mit der wachsenden Ungleichheit in Deutschland befasst sich sein Buch „Die zerrissene Republik“, das am 20. November erscheint. Wir fragen ihn nach seiner Einschätzung des Bundesverfassungsgericht-Urteils, 1 BVL 7/16, vom 5. November 2019.


"Ein wichtiger Teilerfolg"

Wirtschaftswetter: Wie schätzen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen im Hartz-IV-Bezug ein?

Christoph Butterwegge: Ich halte das Urteil für einen wichtigen Teilerfolg der Hartz-IV-Kritiker und Erwerbsloseninitiativen. Zwar hat der Erste Senat die Sanktionen im Grundsatz gebilligt, aber Kürzungen der Regelbedarfe, die über 30 Prozent hinausgehen, als unverhältnismäßig und zu massiven Eingriff in das Existenzminimum mit sofortiger Wirkung für verfassungswidrig erklärt. Der willkürlichen Vernichtung von Existenzen wurde damit ein Riegel vorgeschoben.


Jüngere Hartz-IV-Bezieher besser geschützt, Mitwirkung mit Wirkung, Spielraum

Wirtschaftswetter: Welche Teile davon erscheinen Ihnen besonders wichtig zu sein?

Christoph Butterwegge: Ohne dass dies Gegenstand des Verfahrens war, hat Karlsruhe nebenbei auch die härtere Sanktionierung von Unter-25-Jährigen aus der Welt geschafft, denn natürlich müssen die Ausführungen des höchsten deutschen Gerichts zur Wahrung der Menschenwürde und zur Verhältnismäßigkeit von Sanktionen unabhängig vom Lebensalter gelten. Vermutlich werden junge Menschen künftig also nicht mehr aus ihren Wohnungen und in die Kleinkriminalität oder die Überschuldung gedrängt.

Außerdem hat Karlsruhe die starre Dauer der Sanktionen - drei Monate, selbst wenn der Betroffene inzwischen seiner Mitwirkungspflicht nachkommt - verworfen, sich für Härtefallregelungen ausgesprochen und den Jobcentern einen größeren Ermessensspielraum bei der Verhängung von Sanktionen eingeräumt.


Karlsruhe fordert von Parlamentariern neue Konzepte

Wirtschaftswetter: Welche Auswirkungen wird das Urteil auf den Gesetzgeber und Betroffene haben?

Christoph Butterwegge: Diese Hausaufgaben müssen die Parlamentarier jetzt zügig erledigen. Das Urteil sollte auch Anlass sein, grundsätzlich über das Hartz-IV-System nachzudenken. Denn die Sanktionen sind ja nur eine seiner Baustellen, auf denen neue Konzepte gefragt sind.

 

2019-11-07, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz und Interviewpartner Prof. Dr. Christoph Butterwegge

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