Mit konsequenter Forschung gegen Pandemie, Wirtschaftskrise und schlechte Laune
In den 1980er Jahren spielte die Berliner Band "Ideal" den Song, "Komm, wir lassen uns erschießen", der u.a. einen Eindruck über die Zukunftchancen vermittelt, die sich die Jugend damals düster ausmalte. Nun haben wir es mit einem anderen Problem zu tun, das mindestens für ähnlich ausgeprägte Panik-Attacken sorgt wie seinerzeit die atomare Aufrüstung u.a. Ereignisse, die real oder gefühlt die ganze Menschheit bedrohen. Mit der Corona-Pandemie probt das federführende Säugtier das erste Mal seit dem Aussterben der Dinosaurier wieder den globalen Ernstfall, aber inzwischen hat es wenigstens Labore.
Mittlerweile sind die Straßen auch nicht mehr ganz so leergefegt, wie noch von März bis Mitte Mai 2020 - sowie in der Frühgeschichte der Säugetiere, als ein Asteroid die Millionen Jahre dauernde Herrschaft gefrässiger Reptilien (Sauropside) über den Planeten Erde kurzerhand besiegelte. Und was machte die Konkurrenz (Synapside)? Sie ging in den Untergrund. Säugetiere bzw. ihre Vorläufer - besonders die Kleinformatigen - verkrochen sich in Erdhöhlen, während die für die Saurier einst so paradiesische Umgebung erst einmal ausbrannte und die Bewohner der Erdoberfläche - besonders die großen - gleich mit. Verkriechen scheint in beiden Fällen die Methode der Wahl zu sein.
Als Europa massiv betroffen wurde, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den sich aus China weltweit verbreitenden Corona-Virus als Pandemie einstufte, wurde es still im Lockdown, die Industrie heruntergefahren, Schulen, Kitas und Universitäten geschlossen, Social Distancing angeordnet - und das alles und mehr sorgte auch in Deutschland für ein radikal anderes Lebensgefühl.
Während gestresste Eltern langsam an den Rand des Nervenzusammenbruchs gerieten, krähten im März 2020 bei einsetzender Frühlingssonne auf einmal wieder Kinder draußen vor Tür um die Wette, die sich intensiv mit allerlei selbst beschäftigten. U.a. wurde auf einem Bürgersteig auf einem kleinen ausrangierten, etwas verbogenen Fahrradständer unermüdlich und konzentriert balanciert. Jeder Bewegungs-Therapeut wäre geradezu entzückt gewesen. Immer wieder und wieder hüpften die beiden Kinder darüber, nicht müde werdend, ihre Technik fortlaufend zu verbessern.
Eine andere Gruppe auf dem Bürgersteig beschäftigte sich intensiv damit, aus Gras, das aus einem Park gepflückt wurde, zu Bergen aufzutürmen, und mit kleinen Figürchen eine Geschichte zu spielen. Wie bitte? Spielende, unbeaufsichtigte Kinder auf der Straße - in Deutschland? Ein gefühlt letztmalig im vergangenen Jahrhundert gesichtete, seltene Szenerie - unterstützt durch plötzlich frischere Luft, weil dank Home-Office kaum noch jemand zur Arbeit fuhr und niemand auf Geschäftsreise ging oder in den Urlaub flog, sauberes Wasser in Meer, Seen und Flüssen - ohne Kreuzfahrer und Motorboote - und andere Kollateral-Vorteile der plötzlichen verordneten Ruhe inklusive. Die Infektionszahlen sanken. Den ganzen großen Rest bildeten die Nachteile, u.a. setzte die Sorge um die Folgen für die Weltwirtschaft ein - die nun weltweit für bisher einmalige Konjunkturprogramme Anschub leistete.
Spätestens seit Pfingsten und Zuckerfest, Ende Mai 2020 war es mit der Ruhe und Gemütlichkeit im bislang strikt auf Abstand gebürsteten Deutschland vorbei. Die Nord- und Ostseebäder, kurz zuvor offiziell aus dem Stillstand gerufen, waren zum Teil so überlaufen wie zuletzt in den 1970er Jahren. Damals konnten sich Einheimische lediglich noch morgens und abends an ihre Strände begeben konnten, ohne überrannt zu werden. Noch voller sah es auf Berliner Gewässern aus. Von Abstandsregeln nahmen immer mehr, die nicht nur vehement an die Küsten, sondern auch in die Wälder, darunter auch In Naturschutzgebiete strebten, wortwörtlich Abstand, drängelten sich wie vor der Corona-Pandemie auf Promenaden, in Straßen und in Strandmuscheln, dicht an dicht. Auch auf Bürgersteigen wird wieder gedrängelt - und nicht gepielt, nur die Kinder haben sich wieder verkrochen. Parallel dazu setzten wieder Demonstrationen von notorisch Unzufriedenen ein, die dieses Mal gegen die Corona-Maßnahmen protestierten.
Damit war ein wieder punktuell steigendes Infektionsgeschehen vorprogrammiert, wie es aktuell in Göttingen stattfindet, allerdings mit Folgen weit über die Stadtgrenzen hinaus. Hunderte Menschen wurden zügig infiziert, einige davon liegen in Krankhäusern und auf Intensivstationen, andere steckten auch weitere Personen in weiteren Bundesländern an - und Göttingen wurde gezwungen, wegen ein paar Unvorsichtigen wieder sämtliche Schulen, Kindergärten zu schließen und inzwischen auch alle Vereinssportaktivitäten - die gerade so zaghaft wieder aufgenommen worden waren.
Das Phänomen, dass etwa 20 Prozent einer Gruppe die Situation beherrschen, deren Folgen dann aber alle tragen müssen, ist bekannt. Man schätzt z.B., dass rund 80 Prozent Verkehrsteilnehmer defensiv fahren und sich damit regelkonform im Straßenverkehr verhalten, die auf rund 20 Prozent Verkehrsteilnehmer regelrecht aufpassen müssen, die sich deutlich weniger regelkonform verhalten - damit der Verkehr fließt und ohne exorbitantes Unfallgeschehen funktioniert.
Genauso schätzt man, dass rund 20 Prozent Versicherte aller möglichen Versicherungsarten für 80 Prozent der Kosten sorgen, die Versichertengemeinschaften insgesamt tragen müssen. Das beinhaltet allerdings in diesem Fall keinerlei Schuldzuweisung, zumal gerade in der Kranken- und Unfallversicherung die meisten unverschuldet Leistungen in Anspruch nehmen müssen, sondern bezieht sich ausdrücklich lediglich auf die Verteilung, die notwendig ist, damit das System funktioniert.
Auch wenn es an dieser Stelle rein spekulativ ist, könnte es mit den Abstandsregeln ähnlich sein, so dass die 20 Prozent, denen Abstandsregeln und Corona-Maßnahmen komplett egal sind, von den 80 Prozent - oder zumindest einer deutlichen Mehrheit - derjenigen aufgefangen werden, die sich an die Regeln hält, um einen gefürchteten 2. bundesweiten Lockdown zu verhindern.
Auch darum existieren seit ein paar Wochen Bußgelder, um ein zumindest vermeidbares Verhalten wenigstens etwas zu regulieren, aber die Einsichtigsfähigkeit - nicht nur ausschließlich sich selbst der Nächste zu sein, sondern auch andere Menschen in der Umgebung schützen zu müssen - wird sich dadurch wohl kaum erhöhen. Oft verweisen die Gegner von Corona-Maßnahmen auf die Herdenimmunität, von der zur Zeit keiner weiß, wie hoch die in Deutschland und Europa derzeit ist. Als Beispiel wird gern Schweden aufgeführt, das sein öffentliches Leben kaum heruntergefahren hatte, deshalb nun einen weniger starken Einbruch seiner Wirtschaft und des öffenlichen Lebens verschmerzen muss.
Allerdings wurde dafür u.a. unter älteren Mitbürgern in Alten- und Pflegeheimen höhere Todesraten in Kauf genommen Außerdem, das wird gern vergessen, fallen dem weltweiten Infektionsgeschehen fortlaufend auch nicht gerade wenige gesunde, junge Männer zum Opfer. Es handelt sich also eher um die Fähigkeit über den eigenen Tellerrand sehen zu können, über den diskutiert wird, wie viel davon vorhanden sein muss, um hohe Infektionszahlen und Todesfälle zu vermeiden. Doch, wenn grundsätzlich nur diejenigen, die höchstpersönlich, knapp und mit immensem Aufwand mit dem Leben davongekommen sind, begreifen, wie lebensgefährlich dieses Virus ist, das u.a. die Lunge, die Nieren - und in noch nicht bekanntem Ausmaß - auch das Hirn schädigen kann, mit noch viel unbekannteren, möglichen Spätfolgen - muss man wohl weiter konsequent Aufklärung betreiben - und manchmal auch einfach Maßnahmen anordnen.
Während US-Präsident Donald Trump sowwie die chinesische Regierung fortgesetzt im Selbstmarketing-Modus verharren und immer noch nicht bekannt ist, wo und wann genau diese Pandemie ihren Anfang und wohin genau im Dezember 2019 und Januar 2020 ihren Weg nahm, gibt es dennoch Möglichkeiten, weiter daran zu forschen. Auch das würde einen Beitrag gegen das fröhliche Sprießen von Verschwörungstheorien leisten.
Je eher man den Weg des ursprünglichen Infektionsgeschehens nachvollziehen kann, um so besser ist es auch für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen. Und dass man auch auf nationaler Ebene noch eine Menge tun kann zeigte jüngst u.a. wieder die Charite, die messbare Unterschiede im Blut von leicht und schwer Erkrankten feststellte - konkret: Protein-Biomarker im Blutplasma entdeckte (veröffentlicht im Fachmagazin "Cell Systems"). Es ist ein wichtiger Beitrag zur Vorhersage der sehr unterschiedlichen Krankheitsverläufe, der damit auch den Weg zu notwendigen, unterschiedlich intensiven Therapien weist. Die Forscher entdeckten 27 Proteine, deren Konzentration je nach Schwere des Krankenheitsverlaufs erhöht oder verringert waren - und dieses neu entdeckte Biomarker-Profil konnte den Schweregrad der Erkrankung tatsächlich korrekt beschreiben.
Selbst wenn die internationale Zusammenarbeit bei der Suche nach der Quelle schwierig ist, könnte man zumindest auf nationaler Ebene bereits vorhandene,archivierte Seren u.a. Proben auf SARS-CoV-2 untersuchen, um Infektionswege und -zeitpunkte zu konkretisieren.
Die bestehenden Informationen gehen von einem weltweiten Start im Dezember 2019 in Wuhan/China aus. In Deutschland wurde der 1. Corona-Fall Ende Januar 2020 bekannt. Aber, ob und wie lange das Virus vor Ende Januar 2020 im Inland bereits vorhanden gewesen sein könnte, weiß man nicht. Man könnte mit einer Rückwärtssuche ab Ende Januar 2020 in asservierten Seren möglicherweise versuchen, zumindest Anhaltspunkte für ein früheres Vorhandensein zu finden - oder umgekehrt, einen früheren Beginn womöglich ausschließen. Dafür eigenen sich u.a. Proben von ehemaligen Patienten, die ähnliche Symptome wie bei einer Covid-19-Lungenentzündung aufwiesen, bevor das Virus überhaupt bekannt war und Testsysteme entwickelt werden konnten - um herauszufinden, wann und wo die Corona-Pandemie in Deutschland und Europa auftrat .
Dafür eignen sich u.a. nicht bakterielle Lungenentzündungen, die sogenannten "Interstitiellen Lungenerkrankungen" (diffus parenchyme und/oder interstitielle Lungenerkrankungen), die häufig schleichend beginnen. Die Symtome sind dann über einen längeren Zeitraum nicht sehr ausgeprägt, so dass bis zur Diagnosestellung nicht selten mehrere Wochen bis Monate vergehen - und die Betroffenen genauso lange nichts von ihrem bereits lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel bemerken. Auch bei Corvid-19 gibt es solches Fälle - "Happy Hypoxics" genannt, deren persönliches, deutlich besseres Empfinden nicht der Tatsache einer bereits vorhandenen, schweren Erkrankung mit mangelnder Sauerstoffsättigung entspricht. Man könnte mit Altfällen solcher Lungenentzündungen kryptogenen (unbekannten) Ursprungs u.a. Fällen mit corona-ähnlichen Symptomen in den Regionen beginnen, in denen SARS-CoV-2 erstmals in Deutschland auftrat sowie mit prominenten Fällen, bei denen die Ursachen vollkommen im Dunkeln lagen. Sollte man hierzulande tatsächlich auf Covid-19-Fälle stoßen, die vor Ende Januar 2020 datierbar sind - und sich andere Länder anschließen, könnte man den Weg der Pandemie in Europa weiter eingrenzen und dadurch neue Erkenntnisse gewinnen, die inzwischen nicht nur zur Bekämpfung der Pandemie, sondern damit einhergehend auch zur Wiederbelebung der Weltwirtschaft nützlich werden könnten. Und nicht zuletzt ermöglichte das auch Kindern, wieder unbeschwerter - und zusammen - draußen wie drinnen zu spielen.
2020-06-05, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
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