Wirtschaftswetter    Wirtschaftswetter-Schwerpunktthema - Tombola 2020

 

Strafrecht Missbrauch

Warum Chancengleichheit der Maßstab beim Kampf gegen Kindesmissbrauch sein sollte

von Angelika Petrich-Hornetz

Wer den Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie nicht als Verbrechen, sondern als Vergehen einstuft und sanktioniert, hat unter vielem anderen die Macht brutaler Bilder nicht verstanden, deren massenhafte Produktion, Verbreitung und Gebrauch mittlerweile in so gut wie in jedem Fall sexueller Gewalttaten gegenüber wehrlosen Opfern zum festem Bestandteil geworden ist.

Genau deshalb hätte der Gesetzgeber längst tätig werden müssen - nicht zuletzt auch, weil der exorbitante Bilderrausch längst ein lukratives, globales Geschäftsmodell geworden ist, das durchaus Potential hat, ganze Regionen und Gesellschaften zu zersetzen - und auch Dank der Untätigkeit von Gesetzgebern zu einem regelrechten Selbstläufer geworden ist. Wer allein diesem schwunghaftem Handel mit dem Leid wehrlosester Opfer Einhalt gebieten will, muss sich über die Einstufung Straftaten hinaus selbstverständlich noch weitere Maßnahmen, inbesondere gegen die hinter den Bildern stehenenden Taten - und vor allem zum Schutz der Opfer - einfallen lassen, z.B. dürfen Ermittlungen nicht be- oder verhindert werden.

Den großen Fehler, die Bilderflut nicht ernstzunehmen, sollte man sich jedenfalls nicht mehr leisten, im wahrsten Sinne des Wortes. Für die immensen Folgekosten, die allein Opfer solcher Greueltaten und die Gesellschaft tragen müssen, sollten endlich Schadensersatzansprüche installliert werden, damit ähnlich wie im Strafrecht noch viele Jahrzehnte nach der Tat Recht gegenüber dem Täter einklagbar wird, weil es sich bei Gewalt gegen Kinder, und darunter besonders sexualisierte Gewalt um ein besonders schweres Verbrechen gegen wehrlose Opfer, gegen die Gesellschaft und gegen die Menschlichkeit handelt.

Strafen, Einträge und blinde Flecke

Die Heraufstufung von einzelnen Strafttaten in diesem Komplex von Vergehen zu Verbrechen, sorgt u.a. dafür, dass bereits der Versuch strafbar sein kann, bei einem Vergehen ist dies nur möglich, wenn es in dem jeweiligen Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Außerdem kann das Strafmaß Auswirkungen auf Einträge in einem Führungszeugnis haben. Im Jahr 2010 wurde die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses zum Zweck des Kinder und Jugendschutzes als Norm eingeführt. Diese gilt u.a. für Erzieher, Jugendamtsmitarbeiter, Kinderpfleger, Lehrer u.a. Beschäftigte in Schulen, Kindergärten, aber auch für Trainer im Jugendsport, Busfahrer in der Schülerbeförderung, sowie Ehrenamtliche in der Jugendfürsorge, die beruflich mit Minderjährigen Kontakt haben. Die erweiterte Version ist aber zum Beispiel nicht zwangsläufig für sämtliche Ärzte, psychologische Psychotheratpeuten oder Beschäftigte in Krankenhäusern vorgesehen, da sich eine Verpflichtung dazu grundsätzlich nach den jeweiligen Berufsgesetzen richtet. Und es gibt viele Ausnahmen, da auch in Bereichen, in denen Minderjährige betreut, erzogen, beschult, therapiert u.a. werden, nicht jeder Beschäftigte als im direkten Kontakt mit Minderjährigen stehend definiert wird. Auch hier könnte man auch nachbessern, um Opfer zu schützen - aber auch Arbeitgeber vor falschen Entscheidungen.

Verurteilungen mit einer Freiheits- auch einer Jugendstrafe werden bei bestimmten Vergehen in einem erweiterten Führungszeugnis 10 Jahre lang aufgeführt, in einem regulären Führungszeugnis gewöhnlich nur 3 bis 5 Jahre lang. Ein Beispiel - für sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 sind nach derzeitigem Stand Freiheitsstrafen von 3 Monaten bis zu 5 Jahren vorgesehen. Bereits der Versuch ist strafbar, aber ein Gericht kann nach Absatz 5 sogar ganz von einer Bestrafung absehen, wenn das Unrecht der Tat nach dessen Auffassung "gering" ausfällt. Dabei geht es um eindeutige Abhängigkeitsverhältnisse und um sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen unter 16 Jahren, u.a. auch in Einrichtungen der Jugendfürsorge, um Auszubildende, Schüler, betreute Kinder, behinderte Kinder.
Wie kann das Unrecht also gering aufallen?
Ein Eintrag im Führungszeugnis wegen "geringfügiger Verurteilung wegen eines Sexualdelikts" (bis 3 Monate Freiheitsstrafe) sowie eine Strafe zur Bewährung (3 Monate bis ein Jahr) verjährt im Führungszeugnis indes aktuell bereits nach drei Jahren, ab einem Jahr Freiheitsstrafe nach 5 Jahren, im erweiterten Führungszeugnis nach 10 bzw. 20 Jahren, aber erst ab einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr.

Die Waffengleichheit als Wiederherstellung der Chancengleichheit

Alles, was einst kindlichen Opfern zurückliegender Straftaten mehr Möglichkeiten geben kann, sich auch noch Jahre später zur Wehr zu setzen, leistet einen Beitrag zur Waffengleichheit im Nachhinein zugunsten der Opfer, die zum Zeitpunkt des Geschehens offenkundig körperlich und geistig immer unterlegen sind. Eine Chancengleichheit hat damit zumindest bei allen Gewalttaten erwachsener Täter gegenüber Minderjährigen nie bestanden. Die Bilder solcher Taten sind, das sollte man auch bedenken, manchmal nie wieder vollständig aus dem Internet zu löschen - und auch das, weil sie schlicht immer weiter und weiter verbreitet werden. Auch die Plattformen, die dies zulassen, sollten mehr als bisher zur Veranwortung gezogen werden - und auch Europa als solches, muss sich endlich seiner eigenen Verantwortung stellten: 90 Prozent der im Netz kursierenden kinderpornografischen Seiten sollen laut aktuellen Meldungen auf europäischen Servern herumliegen. Europol berichtete am 19. Juni 2020 von einem sprunghaften Anstieg des Bilderraustauschs von vergewaltigten und sexuell ausbeuteten Kindern seit März 2020, um, je nach Quelle, das Doppelte bis Zehnfache. Europol zieht daraus den Schluss, dass in der - aktuell forgesetzten - Coronakrise Kinder weltweit verstärkt gefährdet sein könnten. Inzwischen raten immer mehr Behörden Eltern dazu, überhaupt keine Bilder mehr von den eigenen Kinder ins Netz zu stellen. Allein das zeigt bereits das Ausmaß einer Gewaltspirale, über die die internationale Gemeinschaft die Kontrolle zu verlieren droht - und die Kinder weltweit ihrer Rechte beraubt.

Opfer, Zeugen und Ermittler müssen darum von Gesetzgebern deutlich besser, als es jetzt möglich ist, in die Lage versetzt werden, sich gegen den Missbrauch, die Gewalttat und gegen die Verbreitung der entsprechenden Bilder wehren zu können. Das kann man sehr wohl so gestalten, dass dadurch die Unschuldsvermutung nicht angetastet wird. Gesetzgeberische Schnellschüsse sollten dabei selbstverstänlich vermieden werden, wie der Missbrauchsbeauftragte Rörig kürzlich vollkommen zu Recht warnte - und es muss mehr als nur ein Gesetz her, aber Handeln statt nur Reden ist unvermeidbar, nicht zuletzt, weil auch Gewalt gegen Kinder eine unerträgliche Diskriminierung ist, und zwar die unerträglichste von allen, nicht zuletzt Altersdiskriminierung in der Umkehrung, da Kinder und Jugendliche aus ihrer Sicht immer von wesentlich älteren, mit Film-Foto- und Gewalt-Ausrüstung bewaffneten Tätern schwer geschädigt werden. Die Opfer selbst sind bis heute gänzlich unbewaffnet, und damit wehrlos.

Kindesmissbrauch ist anti-demokratisch

Bei Waffengleichheit bliebe überführten Täterinnen und Tätern zur Herabsetzung ihres Strafmaßes also nur noch das ausgelatschte Argument, sie seien angeblich verführt oder falschen Beschuldigungen ausgesetzt worden - und das ist, mit der Ausnahme von wenigen Einzelfällen, bereits vor Jahrzehnten widerlegt und ad acta gelegt worden. Dass aber der Missbrauch von Kindern weltweit - und besonders von der ach so freien "westlichen Welt" ausgehend dennoch einfach so weiter geht, liegt also nicht an den besseren Argumenten - die übliche Art der Auseinandersetzung in Demokratien - von Tätern, sondern allein und einzig daran, dass diese die Möglichkeit zum Missbrauch erhalten- und nutzen. Genau damit besteht eben keine Waffengleichheit. Damit existiert auch keine Chancengleicheit. Der Gesetzgeber muss nachliefern, so gut und umfangreich, wie nur möglich und damit endlich auch für Kinder wieder demokratische Verhältnisse herstellen.

Im Rahmen dieses Grundsatzes der Waffengleichheit sollte der Gesetzgeber mehrere Maßnahmen treffen, nicht zuletzt aus reinem Eigeninteresse, weil sexualisierte Gewalt an Kindern in der Gegenwart, die Erwachsenen von morgen zum Teil lebenslänglich traumatisiert und damit die ganze Gesellschaft zersetzt. Die Gegenargumente, u.a. wird einer Verschärfung des Strafrechts ständig eine abschreckende Wirkung abgesprochen, können widerlegt werden. Setzt man dieses Argument in den Bereich Straßenverkehr, würde schließlich auch niemand auf die Idee kommen, es wäre sinnvoll, bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung, Bußgelder möglichst niedrig zu halten, das Punktesystem abzuschaffen oder gleich sämtliche Verkehrsregeln auszusetzen, nur weil sich immer noch nicht alle an diese halten möchten. Außerdem führt die Straßenverkehrsordnung inklusiver ihrer regelmäßigen Novellierungen eindeutig dazu, dass es fortlaufend immer weniger Todesopfer im Straßenverkehr gibt. Und genau darum geht es, um eine drastische Reduzierung der Opferzahlen. Selbst wenn man diesen "Markt" und seine "Geschäftsmodelle" vielleicht nie komplett trockenlegen kann, muss und darf man diesen nicht auch noch durch Unfähigkeit und Untätigkeit befördern. Man wird Kindern mehr Sicherheit anbieten können und müssen, denn im Gegensatz zu den ältlichen Tätern, sind sie die Zukunft, der in jeder Demokratie immer eine besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge zuteil werden muss, u.a. gibt es hierzulande schließlich einen Generationenvertrag, aus dem sich nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten ableiten.

Die Verschiebung der Folgekosten

Eine weitere Maßnahme wäre, die immensen Folgekosten solcher Taten, in Form langwieriger, nicht selten sogar lebenslänglich notwendiger Therapien für die Opfer nicht wie gehabt einseitig ihnen persönlich aufzubürden sowie der Vergemeinschaftung durch Steuerzahler und der Versichertengemeinschaft zu überlassen. Es handelt sich hier nämlich, wie oben geschildert, um ein einzigartiges, generationsübergreifendes Verbrechen, das eine Sonderstellung unter allen anderen einnimmt und damit einer besondere Behandlung bedarf. Hinzu - zu jahre- bis jahrzehntelangen teuren Therapien - kommen zum Schaden für die ganze Gesellschaft u.a. auch noch der Aufwand für einem möglichen, jahrelangen Verdienstausfall der Opfer, damit möglicher, einhergehender mangelnder Alterssicherung für gleich zwei Generationen, die durch solche Taten damit unmittelbar betroffen sind. Zunächst sind die direkten Folgen für die Opfer gemeint, aber auch diese immensen Folgekosten meint die Zivilgesellschaft ganz konkret, wenn sie sich zu Recht immer wieder nach Fällen von Kindesmissbrauch, darüber empört, dass trotz allen bestehenden Gesetzen regelmäßig die Opfer bestraft würden - und das Urteil für die Opfer lebenslänglich laute. Die Opfer und die Gesellschaft bezahlen diese durch unverantwortliche Dritte verursachte Traumata faktisch jahre- bis jahrzehntelang bis hin zu lebenslänglich, das ließe sich mit Sicherheit ausrechnen. Desweiteren ist mit "lebenslänglich" im 21. Jahrhundert zusätzlich die Verbreitung der Bilder gemeint - und auch dadurch entstehen Folgekosten, u.a. durch Rechtsstreitigkeiten mit Verbreitern, Plattformen, Mitgliedern von Plattformen u.a., die ebenfalls anders aufgeteilt werden sollten, weil die Taten als solche und das Verbreiten von deren Bildern unter vielem anderen aktuell einfach viel zu billig ist. Was hindert die Plattformen daran, ihre AGBs dementsprechend anzupassen?

Verantwortung übernehmen

Dass Opfer auch noch bis zu 30 Jahren nach der Tat Täter verklagen können, war mit der Verlängerung der Verjährungsfrist vor ein paar Jahren ein guter, längst überfälliger Anfang auf dem Weg zum Ziel der Waffengleichheit. Zusätzlich sollte ein deutlicher Unterschied für Zivilklagen ausschließlich für sämtliche Fälle von Gewaltversbrechen gegen Kinder, s.o. zur besonderen Stellung des generationsübergreifenden Verbrechens, gegenüber anderen Strattaten eingezogen werden, gerade um die besondere Verantwortung, die Erwachsene in dieser Gesellschaft gegenüber Kindern haben, endlich verpflichtend einzufordern - und damit gegenüber in jeder Beziehung hilflosen Menschen, die nicht nur im Strafrecht, sondern auch auf andere Weise besonders hervorgehoben werden sollte - und damit wiederrum Waffengleichheit, u.a. bei den Folgekosten, hergestellt wird.

Man könnte viel tun, u.a. die Grenzen der Prozesskostenbeihilfe für ehemalige Opfer von Kindesmissbrauch und sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern heraufsetzen, um sie auch als Erwachsene besser bei einer Klage gegen ihre ehemaligen Peiniger zu unterstützen. Vor allem sollten Behörden mehr Handlungsspielraum erhalten, um sich Folgekosten, u.a. für Verdienstausfall, Aus- und Weiterbildung und Alterssicherung für die Opfer von den Tätern zurückzuholen. Als Sofortmaßnahme sollte den Krankenkassen ehemaliger Opfer unverzüglich die Möglichkeit gegeben werden, Täter zu den Aufwendungen für Therapien ebenfalls mindestens 30 Jahre lang in Regress nehmen zu können.
Ähnlich wie im Verkehrsrecht, dass mit einem ganzen Maßnahmenkatalog aufgestellt ist, um rund 83 Millionen Verkehrsteilnehmer zur Befolgung der Straßenvekehrsordnung zu motivieren, damit die Schwächsten unter ihnen eben nicht regelmäßig und in hoher Zahl halb- oder ganz totgefahren werden, sollte konsequent von mehreren Seiten gegen Kindesmissbrauch vorgegangen werden, damit Kindsein in Deutschland nicht mehr so regelmäßig zur Hölle wird, wie es für viel zu viele von ihnen derzeit noch der Fall ist. Kinder sind für Deutschland nämlich uneingeschränkt systemrelevant.

 

2020-06-21, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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