Die Hälfte der Wähler*innen auch bei der nächsten Bundestagswahl sind weiblich. Zudem werden dieses Jahr wieder viele junge Erwachsene, darunter Studierende und Auszubildende als Erstwähler sowie bisherige Nichtwähler*innen unter 30 und junge Eltern an die Urnen schreiten. Sie bilden zusammen eine große Wählerschaft ab, deren Anliegen in der Pandemie zu selten gefragt waren. Folglich nahmen sie sich in den vergangenen eineinhalb Jahren zum Teil als mehr oder weniger schlecht vertreten wahr. Wir fragten die Parteien darum ganz direkt, warum Frauen und junge Erwachsene im Jahr 2021 gerade sie wählen sollten.
Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Wahlinterview: Ricarda Lang, Stellvertretende Bundesvorsitzende und Frauenpolitische Sprecherin der Partei.
Wirtschaftswetter: Welche frauenpolitischen Themen haben Sie zur Bundestagswahl auf Ihrer Agenda, welche davon möchten Sie nach der Wahl dann auch unbedingt umsetzen, oder einfach gefragt: Warum sollten Frauen am 26. September 2021 Bündnis 90/Die Grünen wählen?
Lang, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir GRÜNE stehen für einen Feminismus, der alle in den Blick nimmt und Selbstbestimmung, Teilhabe und Gerechtigkeit schafft. Unser Ziel ist eine diskriminierungsfreie Gesellschaft, in der alle unabhängig vom Geschlecht selbstbestimmt und ohne Angst leben können. Das bedeutet: Frauen müssen überall gleichberechtigt mitgestalten können – von der Arbeitswelt bis in die Parlamente. Insbesondere in der Bewältigung der Pandemie ist ein geschlechtersensibler Blick notwendig, um zu gewährleisten, dass die umfassenden Maßnahmen und Programme, die jetzt aufgesetzt werden, nicht zur Benachteiligung von Frauen und zu Rückschritten wichtiger gleichstellungspolitischer Errungenschaften führen.
Wir wollen:
- Parität in der Politik vorantreiben und entsprechende Gesetzesänderungen auf den Weg bringen. Um Frauen in Entscheidungspositionen zu bringen sind Maßnahmen und Angebote erforderlich, die den Einstieg in und die Gestaltung von Politik erleichtern. In der Wirtschaft sorgen wir dafür, dass künftig bei Neubesetzungen mindestens ein Drittel der Vorstandssitze größerer und börsennotierter Unternehmen an Frauen gehen und bei Aufsichtsräten ein Frauenanteil von 40 Prozent erreicht wird. Die eingeschränkte Bandbreite der gewählten Berufe wollen wir durch eine gendersensible Berufsberatung vergrößern.
- die gläserne Decke, die Frauen am Aufstieg hindert, aufbrechen. Eine kluge Zeitpolitik, erleichtert es, Erwerbsarbeit familiengerecht und partnerschaftlich aufzuteilen. Dadurch und durch ein erweitertes Rückkehrrecht in Vollzeit werden wir die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen, damit Frauen am Ende ihrer Berufstätigkeit eine auskömmliche Rente erhalten.
- für eine eigenständige Absicherung in allen Lebensphasen sorgen – von der Berufswahl bis zur Rente. Daher fordern wird, dass gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit endlich Realität wird. Durchschnittlich verdienen Frauen, vor allem wenn sie Kinder haben, im gesamten Erwerbsleben etwa nur halb so viel wie Männer, was sich auch in ihrer ungenügenden Alterssicherung bemerkbar macht. Um das Rentenniveau zu sichern, wollen wir die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen und die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer*innen verbessern. Prekäre Beschäftigung muss überwunden werden, denn nur armutsfeste Löhne führen auch zu einer auskömmlichen Rente. Wir werden ein effektives Entgeltgleichheitsgesetz einführen, das auch für kleine Betriebe gilt und ein wirksames Verbandsklagerecht enthält.
- die Istanbul-Konvention endlich auch in Deutschland vollständig umsetzen. Wir werden dafür sorgen, dass die Monitoringstelle ihre Arbeit vollumfänglich umsetzen kann. Polizei und Justiz werden im Umgang mit Betroffenen sexualisierter Gewalt umfassender geschult. Deutlich mehr Frauenhausplätze müssen geschaffen werden, auch im ländlichen Raum. Mit einem gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schutz sichern wir über eine Geldleistung des Bundes alle Betroffenen ab und verbessern den Zugang zu Frauenhäusern und Schutzeinrichtungen.
- auf eine ausreichende und wohnortnahe Versorgung mit Ärzt*innen, Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, hinwirken. Um die Versorgung für Frauen dauerhaft zu gewährleisten, sollen Abbrüche außerhalb des Strafrechts geregelt und die Kosten generell übernommen werden. Familienplanungs- und Beratungsstellen werden wir absichern und die freiwilligen Beratungsangebote ausbauen. Den § 219a wollen wir aus dem Strafgesetzbuch streichen. Er behindert Aufklärung und Information.
Wirtschaftswetter: Wie sieht es mit der Jugend aus, die über ein Jahr Hybrid- und Home-Schooling, Online-Studium, ausgefallene Praktika, abgesagte Ausbildungsplätze, null Studentenjobs hinter sich hat - oder kaum eine Kindertagesstätte mehr von innen gesehen hat: Warum sollten Neuwähler, junge Erwachsene und junge Eltern gerade jetzt für Ihre Partei stimmen?
Lang, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir GRÜNE machen eine Politik für alle und stellen Kinder dabei in den Mittelpunkt. Kinder und Jugendliche sind Expert*innen in eigener Sache. Sie haben eigene Rechte und sollten mitbestimmen, wie ihre Welt aussieht. Wir sorgen dafür, dass jedes Kind mit fairen Chancen aufwächst, egal woher es kommt oder wer die Eltern sind. Familien brauchen Zeit. Wir kümmern uns darum, dass Beruf und Privatleben besser miteinander zu vereinbaren sind. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Kinder und ihre Rechte viel zu schnell hintangestellt werden. Das darf nicht wieder passieren. Kinder und Jugendliche wissen sehr genau, was sie wollen. Es ist deshalb höchste Zeit, sie in politische Prozesse einzubinden und an der Gestaltung ihrer Welt zu beteiligen.
Wir wollen, dass sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene frei und selbstbestimmt entwickeln können. Verantwortungsvolle, selbstbewusste und mündige junge Menschen sollen über alle Angelegenheiten, die sie betreffen, mitentscheiden und sichere Lernorte und Freiräume haben, die sie selbst mitgestalten. Ob in der Schule, in Kinder- und Jugendparlamenten, auf dem Campus oder im Ausbildungsbetrieb - wir wollen junge Menschen dabei unterstützen, ihre Ideen und Rechte wirksam einbringen zu können.
Wir wollen das Wahlalter auf 16 Jahre senken und einen Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung auflegen. Bei Planungen zu einem neuen Jugendclub oder Bolzplatz sollen Kinder und Jugendlichen einbezogen werden. Das werden wir im Baugesetzbuch berücksichtigen. Mit einem Verbandsklagerecht sollen Jugendverbände Beteiligung gegenüber den Kommunen einfordern können. Wir starten eine Informationskampagne über Kinderrechte und Beschwerdemöglichkeiten.
Mit guten Kitas und Ganztagsgrundschulen legen wir den Grundstein für faire Chancen und Perspektiven. Eine verlässliche und gute Kinderbetreuung ist das A und O für berufstätige Eltern. Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, ist die zentrale Voraussetzung insbesondere für Frauen und Alleinerziehende, um nicht ungewollt in Armut zu rutschen.
Wir wollen den DigitalPakt Schule weiterentwickeln und alle Lehrkräfte mit guten Fort- und Weiterbildungen und bester Beratung fit für den Unterricht mit Whiteboard, Tablet und Laptop machen. Wir investieren in moderne Räume und fördern multiprofessionelle Teams, in denen Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen und Erzieher*innen die Schüler*innen bestmöglich fördern können.
Wir wollen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – mehr Zeit für Kinder oder um Angehörige zu pflegen. Viele Menschen müssen tagtäglich jonglieren, um der Arbeit und ihren Kindern oder pflegebedürftigen Eltern gerecht zu werden. Oft sind es Frauen, die diese Aufgaben schultern. Wir wollen verhindern, dass ihnen die Puste ausgeht und Familien dabei unterstützen, ihr Leben so leben zu können, wie sie es sich wünschen.
Mit einer Ausbildungsgarantie wollen wir allen jungen Menschen eine Ausbildung ermöglichen. Dafür fördern wir außer- und betriebliche Ausbildungen und sorgen für mehr Unterstützung im Betrieb. Für gute Beratung aus einer Hand und unter einem Dach werden wir Jugendberufsagenturen stärken.
Damit kein Studium am Portemonnaie der Eltern scheitert, wollen wir das BAföG zu einer elternunabhängigen Grundsicherung für Studierende und Auszubildende umbauen. Diese beinhaltet einen Garantiebetrag für alle und darüber hinaus einen Bedarfszuschuss für jene aus einkommensarmen Elternhäusern.
Wirtschaftswetter: Frau Lang, wir danken Ihnen für Ihre Stellungnahmen.
Anm. d. Red.: Insgesamt werden voraussichtlich 47 Parteien bei der Bundestagswahl 2021 vertreten sein, die wir aus rein zeitlichen Gründen nicht alle persönlich anzufragen schaffen. Sollten Sie sich als Vertreter einer der zur Wahl stehenden Parteien durch unsere Fragen angesprochen fühlen, laden wir Sie hiermit herzlich ein, diese ebenfalls öffentlich zu beantworten und den Leserinnen und Lesern Ihre Ziele und Positionen im Kurzinterview zu schildern. Bitte senden Sie Ihre Antworten per E-Mail an: info@wirtschaftswetter.de
2021-07-30, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz für Wirtschaftswetter und Ricarda Lang für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Foto + Banner: ©Angelika Petrich-Hornetz
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