Mit festlichen Köstlichkeiten für verteilte Belegschaften
von Angelika Petrich-Hornetz
Zugegeben, auch wir sind nicht immer die Schnellsten und kommen jetzt vielleicht schon etwas zu spät mit unserem Vorschlag, die betriebliche Weihnachtsfeier bitte tunlichst nicht ausfallen zu lassen. Dabei zeichnet sich bereits seit Wochen das kommende Jahresend-Desaster ab, das nun unvermeidlich wiederholt genau darauf hinausläuft, mit allen Folgen. Wir haben nach einem Sommer des vorübergehenden Aufatmens wortwörtlich viel zu spät "geschaltet". Ob es jetzt noch machbar ist, das Ruder radikal herumzureißen?
Und die Folgen sind immens: Es handelt sich dabei eben nicht nur um eine schon wieder irgendwie für jede/n Einzelne/n durchzustehende Isolation mit garantiertem Frust in den eigenen vier Wänden, anstelle von lustigen Weihnachst- und Betriebsfeiern, anlässlich derer sich tausende Belegschaften nach zwei Jahren Corona-Pandemie endlich einmal wohlverdient gegenseitig auf die Schultern hätten klopfen können, aus keinem geringeren Grund, als dass sie das Wirtschaftsjahr 2021 überlebt, das eigene und andere Leben, den Umsatz, Einkommen und Gewinn einigermaßen gerettet und die Firma als solche am Laufen gehalten haben.
Nein, es ist noch viel schlimmer. Einmal mehr drohen Kurzarbeit und Massenentlassungen in diesen und jenen Branchen, allen voran natürlich ganz akut in der Gastronomie, deren Betriebe momentan ein traumatisches Deja-Vu-Erlebnis bei jedem Klingeln des Telefons befällt wie bereits im November 2020. Es hagelt Stornierungen von Weihnachtsfeiern im Minutentakt.
Man kann es den verhinderten Gästen von Betriebs- und Familienfeiern natürlich nicht verdenken, bei bundesweit - mit einem zuletzt gemessenem Höchststand von vor ein paar Tagen von rund + 64.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden (ein "paar" Nachmeldungen aus Sachsen inbegriffen), ein seit Beginn der Pandemie nie dagewesenes, dramatisches Geschehenen, überfüllte Krankenhäuser inklusive. Die Gefahr weiterer Infektionen nach irgendwelchen Parties ist einfach viel zu hoch, um noch ausgelassen zu feiern oder auch nur halbwegs zuversichtlich solche, von einer Mehrheit der Bundesbürger*innen sehnlichst erwarteten Zusammenkünfte wirklich noch richtig genießen zu können.
Hinzu kommen die steigenden Zahlen der Krankenhauseinweisungen. Wer will schon heute mit jemanden anstoßen, der oder die vielleicht bereits Stunden danach auf der Intensivstation verzweifelt ums nackte Überleben kämpft oder selbst davon betroffen sein - und dafür auch noch verantwortlich sein, genauso wie für die seit zwei Jahren chronisch gewordene Überlastung der mittlerweile durchgehend erschöpften Krankenschwestern, Pflegern und Ärzteteams, geschweige denn für Infektionsketten, die vulnerable Familienangehörige von Kolleginnen und Kolleginnen betreffen. Aus demselben Grund werden auch immer mehr Familienfeiern abgesagt, die sich sehr darauf gefreut hattten, endlich einmal wieder einen gemeinsamen Abend auswärts verbringen zu dürfen.
Und damit zurück zum eigentlichen Thema: Wir haben ein Brett vorm Kopf, und wir sind immer noch viel zu langsam, wenn es darum geht, sich von jetzt auf gleich auf neue Gegebenheiten einzustellen. Dabei hatten wir das Problem doch schon einmal und haben fast alles, was jetzt wieder passiert - damals nur noch ganz ohne Impfstoff - bereits höchstpersönlich erlebt. Wir sind damit, ähnlich wie schon 2020, auch zum Jahresende 2021 einmal mehr lediglich auf uns selbst und auf unsere bequemen Gewohnheiten hereingefallen, insbesondere darauf, immer nur das Beste zu hoffen, in diesem Fall, dass sich Weihnachten 2020 nicht mehr wiederholen wird.
Jetzt bleibt nicht mehr viel Zeit zum überlegen, sondern - ähnlich wie die Politik - müssen wir jetzt handeln, darunter alle Festkommittees eine 180-Grad-Wende hinlegen und professionell improvisieren. Das schließt sich keineswegs aus. Alle Köstlichkeiten, die uns die Gastronomie immer so gekonnt am Tisch servieren kann, kann man zum Beispiel auch abholen oder liefern lassen, hier die Argumente, die dafür sprechen:
Schon 2020 haben Menschen, die es sich leisten konnten, ganz bewusst die Gastronoie unterstützt, indem sie dort mehr und öfter als in den Jahren zuvor bestellten. Niemand, weder im Betrieb, im Familien- oder Freundeskreis, will zu Weihnachten und Silvester schon wieder ganz alleine zu Hause sitzen, weil das - auch das nächste Betriebs- und Geschäftsjahr betreffend, gerade durch die aktuelle Dramatik besonders demoitivierend wirken dürfte.
Alle Unternehmen in und außerhalb der Gastronomie, die 2020 und 2021 überstanden haben, ist diese Situation bereits bekannt. Alle haben mindestens einmal, die meisten darunter sogar gleich mehrmals, wegen der diversen Lockdowns, persönlich schwierige Anpassungen an die Gegebenheiten der Corona-Pandemie durchgemacht und haben Methoden und Techniken gefunden, um in und mit diesen handlungsfähig zu bleiben, u.a. die Gastronomie auf Abholung und Lieferung umgestellt.
Alle haben versucht, technische Möglichkeiten für virtuelle Kommuikation bis hin zu ganzen Tagungen erprobt, geprüft und eingeführt. Virtuelle Treffen mögen kein vollwertiger Ersatz für ein echtes Erleben sein, aber es ist immer noch besser als nichts und auch virtuelle Feiern haben schon 2020 so erfolgreich wie vergnüglich für unzählige Beteiligte stattgefunden.
Der Aufwand für eine virtuelle Feier ist für die Festkommittees und Lieferanten nicht von der Hand zu weisen, aber insgesamt auch nicht viel aufwendiger als eine Offline-Festlichkeit - sondern lediglich anders. Man muss z.B. eventuell auf ein räumlich näher gelegenes Angebot ausweichen, um Anfahrtswege für Abholung oder Lieferung zu reduzieren. Man muss evtl. mit externen Lieferdiensten zusammenarbeiten, die sich zutrauen, wortwörtlich, verteilte Belegschaften, Freundeskreise und Familien anfahren zu können. Und man hat vor allem nicht mehr viel Zeit um zu disponieren. Aber es wäre jetzt noch machbar, voraugesetzt, die Entscheidung fällt am besten noch heute, und zwar genau diejenige, nicht schon wieder sämtliche Feiern abzusagen, sondern exakt die konsequent am Leben zu erhalten.
Für eine Paket-Versendung dürfte es wahrscheinlich schon leider etwas zu spät sein, hinzu kommen akute Liefschwierigkeiten bei Pappe und Papier für die dafür notwendigen Verpackungen. Dennoch soll das Julius-Kühn-Institut für Kulturpflanzen als vorbildlich erwähnt werden, das erstens seine Digitalisierungbestrebungen durchgehend vorantreibt und zweitens bereits im Oktober 2021 im Rahmen des Projekts "Management des Klimawandels im Obst- und Weinbau mit innovativer Züchtung (MaKOWIZ)" - mit insgesamt drei Online-Events - eine digitale Weinverkostung veranstaltete, indem nach Anmeldung die Weinproben an die Beteiligten per Post versendet wurden, die sich anschließend, Anfang November, zu einem Expertengespräch mit öffentlicher Publikumsbeteiligung, virtuell vor dem Bildschirm zusammenfanden. Vielleicht könnte man also auch die Kunden einladen? Die Verkostung hat das Ziel, den Geschmack von neuen, klimaangepassten Sorten zu testen. Am 24. November 2021 findet nun die zweite Veranstaltung mit semi-digitaler Apfelsaft-Verkostung und am 13. Dezember die letzte Ausgabe der Reihe in diesem Jahr statt.
Das Bundesinstitut verfolgt selbstverständlich ein anderes Anliegen als lediglich eine Betriebsfeier abzuhalten, aber testet dabei eben auch die eigenen, digitalen Möglichkeiten und deren Umsetzbarkeit aus. Die meisten Betriebe, Familien, Freundeskreise - und zuvorderst die Gastronomie - hatten sich 2021 dagegen redlich eine endlich wieder mögliche, reale Feier vorgestellt. Das ist mehr als nur nachvollziehbar und doch wird es aktuell durch die zunehmende Infektionsgefahr immer schwieriger an deren Machbarkeit zu glauben. Die ersten Weihnachstmärkte sind in einigen Bundesländern bereits komplett abgesagt worden, und zwar ohne irgendeine Alternative für Anbieter und Gäste, die sich nichts sehnlicher wünschen, als im Dezember schlicht einmal zusammen zu sein.
Spätestens seit dem Winter 2020 hatten sich bereits viele Gastronomie-Betriebe auf Weihnachtsfesttagsmahl-abholende Familien eingstellt. Einige bieten den mobilen Gänsebraten mit Rotkohl bereits seit vielen Jahren, lange vor der Pandemie, an, zunächst den veränderten Arbeitssituationen gestresster Großstädter mit zunehmender Arbeitsverdichtung geschuldet. Und gegen die zieführende Wiedereinführung von Gulasch-Kanonen und öffentlichen Erbsensuppen, ob mit oder ohne Fleisch, hat wohl auch niemand etwas einzuwenden, die man sehr gut aus- und verteilen kann. All diese vielfältigen, bereits gemachten Erfahrungen und gelebten Anpassungen kann man zusammennehmen, und daraus etwas machen, das viel besser als nichts ist.
Wer sich von der anhaltenden Corona-Pademie nicht komplett aus dem Fest-Konzept bringen lassen will, für das leibliches und seelisches Wohlbefinden einfach unverzichtbar ist, wer auch noch 2022 und 2023 eine lebendige Gastronomiekultur in Wohnortnähe vorhanden wissen möchte und wem seine Mitarbeiter*innen, Familienmitglieder und Freunde wirklich lieb und teuer sind, sollte sich auch jetzt nicht komplett kirre machen lassen, sondern eine machbare 180-Grad-Wendung einlegen und mit der Planung einer digitalen Weihnachts-, Betriebs- und/oder Silvesterfeier, und zwar inklusive realer Verkostung von Weihnachtsbraten, Silvesterbuffet und o.a. Köstlichkeiten für "verteilte Belegschaften" unverzüglich beginnen.
Da Kultur, Musik und Kunst auch dazugehören, dürfte die Zuschaltung von bereits gebuchten (2G)-Bands, Orchestern, Streetart, Vocal-, Instrumental-Solisten u.a. Kulturschaffenden zumindest technisch kein Problem sein, eine 180-Grad-Wende findet grundsätzlich immer und vor allem in den Köpfen statt. Und die ist allemal verträglicher für alle Beteiligten als ein totaler - analoger und digitaler - Feier-Lockdown, wie man danach zufrieden feststellen wird - und nebenbei für kommende Katastrophen weitere, wertvolle Erfahrungswerte zu sammeln Gelegenheit hat. Unter miesen Bedingungen feiern zu müssen, da sind die meisten von uns sowieso weder die Einzigen, noch die Ersten. Dafür müssen wir nur noch etwas schneller reagieren, grundsätzlich beweglicher werden, die vorhandenen Möglichkeiten ausloten und den Mut haben, immer wieder neue, in der jeweiligen Situation anwendbare Wege auszuprobieren.
Vor diesem Hintergrund naheliegend: Die in der elekronischen Unterhaltsindustrie so bewanderten IT-Riesen könnten sich wenigstens im zweiten Corona-Winter jetzt auch endlich einmal etwas Unterhaltsameres einfallen lassen, als immer nur dröge Geld und Daten zu scheffeln. Wann findet sie denn nun statt, die weltweite GAFA-Party, zu der vor 30 Jahren eingeladen wurde, wenn nicht jetzt?
Vielleicht üben sie noch, wendiger zu werden.
2021-11-23, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz für Wirtschaftswetter
Foto: ©cccl
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