von Angelika Petrich-Hornetz
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer in Deutschland zum Jahreswechsel 2007 steigerte nicht nur den regulären Satz dieser Verbrauchssteuer um 3 Prozent, sondern vergrößerte auch den Abstand zum sogenannten verminderten Steuersatz. Der steht nun wieder in der öffentlichen Diskussion, denn die Gründe, warum der Staat dem Verbraucher nun gleich um 12 Prozentpunkte unterschiedlich in die Tasche greift, sind nicht in jedem Fall nachvollziehbar und waren für sich genommen schon immer kompliziert. Einige Politiker fordern nun deshalb wieder die Liste der Ausnahmen vom Regelsatz zu überprüfen sowie der Gegenwart anzupassen. Nicht alles, was vielleicht einmal sinnvoll war, hält den gegenwärtigen Anforderungen sinngebender Subventionierung stand - und manches, das als Grundbedarf steuerlich begünstigt wird, gehörte eher in die Kategorie Luxus.
Am bekanntesten und für die meisten Bürger auch am einfachsten nachvollziehbar ist der verminderte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Grundnahrungsmittel sowie für Bücher, Tageszeitungen und Zeitschriften. Hier scheint der Auftrag des Staates mit verminderten Steuersätzen zu arbeiten klar zu sein: Jeder soll sich Lebensmittel leisten können. Auch die Information über das Tagesgeschehen, die Teilhabe an Literatur und Bildung gelten als eine Art Grundbedarf, dessen Erfüllung auch für jeden zugänglich sein soll. Nur, schon hier fangen die Widersprüche an. Was gehört zu den Dingen des täglichen Bedarfs und was nicht?
Für Kopfschütteln sorgt der bisher immer noch reguläre Steuersatz von 19 Prozent auf Mineralwasser. Die Branche bemühte sich zwar, Ende des Jahres die Politik zur Einsicht zu bringen und appellierte wiederholt - bisher ohne Erfolg. Mineralwasser ist aus Steuersicht angeblich kein Lebensmittel im Sinne des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Gammelfleisch, für das auch ohne Qualitätskontrolle nur der verminderte Steuersatz gezahlt werden muss. Vielleicht eine interessante Maßnahme, abgelaufene Lebensmittel, die falsch deklariert wurden, steuerlich nicht mehr als Grundnahrungsmittel begünstigt durchgehen zu lassen. Drohende Steuernachzahlungen könnte durchaus abschreckender wirken als lediglich die Aufstockung der Zahl der Kontrolleure - immerhin, auch in der Liste des verminderten Mehrwertsteuersatzes geführt, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser für Fleisch eben nicht für ungenießbares und verdorbenes Fleisch sowie für Schlachtabfälle gelte.
Wenn Mineralwasser in den Augen der Finanzpolitik kein Mittel des täglichen Grundbedarfs ist, wirkt es um so verwunderlicher, dass ausgerechnet Trüffel und Gänseleber genauso durch den verminderten Steuersatz subventioniert werden wie Kartoffeln und Leitungswasser. Trüffel als Grundnahrungsmittel? Kein Mensch käme von allein auf diese Idee, selbst wohlhabende Genießer halten den Schmaus zu Recht für einen echten Luxus. Auch die rigide Heraustrennung von Getränken aus der Kategorie von Lebensmitteln des täglichen Bedarfs wirkt seltsam und unterstreicht lediglich eine irrwitzige Praxis, in der weder der Gedanke eines Grundbedarfs noch soziale Ausgewogenheit eine Rolle spielen dürften: Karotten werden mit 7 Prozent besteuert, Karottensaft aber mit 19 Prozent. Hausziegen, Rennpferde und Katzenfutter werden dagegen staatlich subventioniert, mit nur 7 Prozent auf den Erwerb.
Begünstigt wird außerdem der Erwerb von Mumien, Sarkophagen, Marmorbüsten und Oldtimern von historischem Wert, sowie Auslandsflüge. Flüge ins europäische und außereuropäische Ausland werden gar nicht besteuert, aber Inlandsflüge und der öffentliche Personenverkehr mit Bahn und Bus ab Kilometer 50 – mit dem vollen Satz von 19 Prozent. Die Inlands- und Arbeitsmobilität, nämlich der Berufsverkehr und Pendler mit weiten Anfahrtswegen leiden - und zahlen voll. Dafür, dass es auf einem deutschlandweiten Arbeitsmarkt mit dem Nahverkehr bis 50 Kilometer nicht mehr weit her ist, scheint es auch trotz geforderter Flexibilität und Bereitwilligkeit zu langen Anfahrtswegen auf Arbeitnehmerseite in der Steuergesetzgebung wenig Rückendeckung zu geben. Manch einer muss sich eben mit der Pendlerpauschale begnügen, die wiederum der sehr Nahverkehrende (bis Kilometer 20) längst abgeben musste. (A.d.R.: die Regel kassierte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 wieder ein.)
Warum Mineralwasser kein Lebensmittel sein soll, zwar Oldtimer begünstigt und Kinderwagen dagegen nicht begünstigt werden, scheint in den Sternen zu stehen. Es bleiben nicht die einzigen Wunder der Besteuerungspraxis, die auf das Unverständnis der Verbraucher trifft. Vielflieger ins europäische und außereuropäische Ausland, Trüffel-Gourmets, Besitzer von Mineralien- oder Münzsammlungen kaufen zum verminderten Steuersatz ein. Otto Normalverbraucher, der einen täglich weiten Weg zur Arbeit hat und seine Kinder ein bis zweimal jährlich neu einkleiden muss, wird weitaus seltener begünstigt einkaufen. Er kauft nichts besonderes, eher selten Pralinen und guckt damit in die Steuerröhre.
Der verminderte Steuersatz für Bücher und Zeitungen stieß indes bislang auf breite Zustimmung. Unverständlich in dem Zusammenhang ist nur, dass für Brillen immer noch satte 19 Prozent verlangt werden. Die Brille ein Luxusgut wie Kaviar? Dank einer der vorangegangenen Gesundheitsreformen müssen auch gesetzlich versicherte, erwachsene Menschen ihre Brille selbst bezahlen. Vielleicht ist noch niemandem aufgefallen, dass seitdem Ständer mit Brillen zu 2,50 Euro das Stück in fast jedem größeren Supermarkt zu finden sind. Supermarktbrillen sind ein unschlagbares Angebot, zumindest was die dafür zu zahlende Summe betrifft. Für arme Bürger, von denen es bekanntlich trotz Wirtschaftsaufschwung zahlreiche gibt, zählt nun einmal jeder einzelne Euro. Das können sich manche Politiker wohl nicht so recht vorstellen. In der Praxis kann eben nicht mehr jeder das begünstigte Buch gleicht gut bebrillt lesen.
Eltern, die sich eher über subventioniertes Hundefutter ärgern, bei gleichbleibend hoher Saft- und Windelbesteuerung, dürften auf Zypern und in Großbritannien fündig werden. Auf den beiden Inseln darf man die lieben, schnell wachsenden Kleinen wenigstens mehrwertsteuerfrei einkleiden. Im immer kinderloseren Deutschland indes leistet man es sich, Alkohol, Wein und Bier ganz genauso wie Mineralwasser, Fruchtsaft und Limonade zu besteuern – mit dem vollen Satz. Vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl: Wer so viel und so oft Alkohol trinkt, als wäre es Mineralwasser, fällt schneller aus dem seinerseits für den Staat kostenintensiven Ruhestand heraus - lässt sich allerdings für die letzte Reise lieber woanders ausstatten: Für Särge erheben die Belgier einen verminderten Satz von 6 Prozent.
Dass dies nicht zwingend ist und ein Mehr an steuerlicher Senioren- und Kinderfreundlichkeit durchaus verminderte Sätze nach sich ziehen kann, machen andere Länder vor, und zwar nicht wenige, Mineralwasser, Fruchtsaft und Limonade werden in Estland, Spanien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Finnland und Schweden mit ermäßigten Steuersätzen getrunken.. In Spanien mit 7, in Frankreich mit 5,5 Prozent (Alkohol, Bier und Wein indes 19,6), in Luxemburg müssen Sie auf Mineralwasser und Saft sogar nur 3 Prozent Mehrwertsteuer zahlen.
Neben armen Menschen mit kleinen Einkommen sind es vor allem Familien mit mehren Kindern und mit pflegebedürftigen Angehörigen – also, überall, wo viele sind - die unter hohen Verbrauchssteuern leiden. Auch wenn das Einkommen mittelschichtig ausfällt - in großen Haushalten sind die Konsumausgaben stets hoch. Sie zahlen damit auch einen ganzen Batzen der Verbrauchssteuern, die andere dank Minihaushalt sparen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus interessant zu wissen, dass einige Länder Kinderbekleidung und Personenbeförderung steuerlich subventionieren. Ob die Finanzminister dieser Länder besser als andere wissen, wie schnell Kinder ihren Kleidergrößen entwachsen und wie wichtig Mobilität nicht nur im Alter ist?
Auch in Irland ist Kinderkleidung mehrwertsteuerfrei, für die Bekleidung von Erwachsenen beträgt der Mehrwertsteuersatz indes 21 Prozent, dasselbe gilt für Schuhe. Neben Irland subventioniert ebenfalls Luxemburg immerhin noch mit einer Mini-Mehrwertsteuer auf Kinderkleidung und Schuhen von 3 Prozent, während die Erwachsenen den vollen Satz zahlen müssen. Und wie gesagt, auch in Großbritannien und Zypern zahlen Eltern für Kinderkleidung und Kinderschuhe keine Mehrwertsteuer.
In der EU fällt die Gestaltung der Mehrwertsteuersätze vielseitig aus. Während man in Deutschland, in den Niederlanden und in einigen weiteren EU-Ländern lediglich zwei verschiedene Mehrwertsteuersätze kennt - den Regelsatz und einen ermäßigten Satz - leisten sich andere bis zu vier Steuersätze. Mit Mehrwertsteuersätzen wird – auch wenn Kritiker deren Sinn bezweifeln – offenbar gearbeitet. Der kleine Staat Luxemburg hat zum Beispiel vier Umsatzsteuersätze: einen stark ermäßigten Satz, einen ermäßigten Satz, einen Normalsatz und einen Zwischensatz. Viele EU-Länder wandten in der Vergangenheit zusätzlich einen erhöhten Steuersatz an. Momentan scheint dieser jedoch nicht mehr besonders beliebt zu sein.
Frankreich hat drei Mehrwertsteuersätze – einen stark ermäßigten, einen ermäßigten und den Normalsatz. Ganze sieben Länder arbeiten zusätzlich zum ermäßigten mit einem stark ermäßigten Steuersatz zwischen 2,1 - gilt in Frankreich u.a. für bestimmte pharmazeutische Erzeugnisse, Bücher, Zeitungen, Zeitschriften - und 4,5 Prozent (Griechenland). Medikamente, auf die in Deutschland der volle Steuersatz aufgeschlagen wird, werden in Frankreich mit gleich drei verschiedenen Sätzen unterschiedlich behandelt.
In Slowenien wird der ermäßigte Steuersatz von 8,5 Prozent auf Arzneimittel sowie Lebensmittel und einige andere Waren und Dienstleistungen angerechnet, ebenso auf Mineralwasser, Saft und Limonade. Alkoholische Getränke, Bier und Wein werden in Slowenien dagegen mit dem normalen Satz von 20 Prozent besteuert. Die Dänen ersparen sich die Rechnerei, auf fast alles wird der volle Satz von 25 Prozent erhoben. Steuern in skandinavischen Ländern sind fast überall durchgehend hoch – nur falls wieder jemand auf den Lebensstandard neidisch werden sollte: Dafür greift der Staat seinen Bürgern sehr kräftig in die Tasche, doch auch dort gibt es noch ein paar unterschiedliche Mehrwerststeuersätze für unterschiedliche Waren und Dienstleistungen.
Die in einigen EU-Ländern vorhandenen Zwischensteuersätze – von 12 bis 13,5 Prozent - fallen etwas niedriger als der Normalsatz aus. Nicht selten betreffen diese Energieerzeugnisse. In Irland wird zusätzlich dazu die Dienstleistung von Jockeys, in Luxemburg maßgeschneiderte Herrenbekleidung mit einem Zwischensatz belegt. Ob die maßgeschneiderte Damenbekleidung dazu zählt oder es demnächst Schwierigkeiten wegen der Antidiskriminierungsrichtlinie geben wird, steht nicht in Steuersatzlisten.
Zurück nach Deutschland, das zwar die Steuerbälle beim Kauf von Büchern, aber nicht von Brillen niedrig hält. Für ebenfalls mit 7 Prozent staatlich subventionierte Nackedeimagazine brauchen die meisten Leser vielleicht einfach keine Brille. Jedenfalls zählen diese Blätter (7 Prozent), so haben wir jetzt gelernt, offenbar zu den Mitteln des täglichen Bedarfs, Kinderwagen und Windeln (beide 19 Prozent) dagegen nicht.
Grundnahrungsmittel werden hier mit 7, auf Malta übrigens mit 0 Prozent besteuert, mit Ausnahme von einigen Süßigkeiten – als Anregung zur Modernisierung von deutschen Steuersätzen geeignet, schließlich macht Süßes dick - jedenfalls ohne Bewegung. Für Springseile zahlt man in Deutschland allerdings wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer. Dass Mineralwasser in Deutschland mit 19 Prozent, zuckerhaltiges Gummigetier mit 7 Prozent belegt wird, wirkt ebenso rätselhaft wie unverständlich angesichts sämtlicher Ernährungsempfehlungen. Sicher, nach dem zweiten Weltkrieg war Zuckerzeug für Kinder überlebenswichtig, ebenso Kaninchen und Brennholz. Momentan scheint es – was Süßigkeiten betrifft – eher umgekehrt. Eine zuckerreiche Ernährung gilt in den Industrieländern nicht mehr als besonders lebensverlängernd. Die alte Steuerermäßigungsliste hat’s schlicht verpennt.
Manche Länder lösen das Problem der Qual der Wahl, indem diese wie Luxemburg Waren in Bausch und Bogen mit einem niedrigem Mehrwertsteuersatz belegen – oder gezielt unterschiedliche Lebensmittel unterschiedlich besteuern. Ob diese Lenkungsfunktion jemals eine Wirkung zeigt, hängt wohl auch davon ab, ob jemand jemals auf die Idee kommen sollte, die Wirkung ermäßigter Mehrwert-Steuersätze auf das Konsumverhalten zu untersuchen.
Keine Steuern werden auch in Belgien für Tages- und Wochenzeitungen zur allgemeinen Information erhoben. Ähnlich im sonst steuer-teuren Dänemark: Keine Mehrwertsteuer auf den Verkauf von Zeitungen, die öfter als einmal monatlich erscheinen. Gleiches in Irland, keine Steuern für die Lieferung von Büchern und Schriften – allerdings unter Ausnahme von Zeitungen, Zeitschriften, Katalogen und Kalendern. In Irland wird die Lieferung diverser Güter nicht besteuert, so auch nicht die von Nahrungsmitteln und Getränken für den menschlichen Verbrauch – mit Ausnahmen wie Alkohol, Süßwaren und Eiscreme. Die Lieferung von weißen, ungeschmückten Kerzen wird in Irland genauso wenig besteuert wie die von Rollstühlen und Krücken, von Bekleidungsartikeln für Kindern unter 10 Jahren (mit Ausnahme von Pelzen) sowie von Arzneimitteln für Mensch und Tier.
In Italien wird indes die Freude einer Lieferung Goldbarren von keiner Mehrwertsteuer getrübt. Auf Zypern wird keine Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel und Getränke für den menschlichen Verbrauch erhoben, außer – ähnlich wie in Irland - auf Alkohol, Eiscreme, Süßwaren, Knabberzeug und einiges andere, das nach kleinem Luxus schmeckt. Ganz ähnlich auf Malta. Gleichfalls ist die Lieferung von Nahrungsmitteln in Großbritannien von der Mehrwertsteuer befreit, ebenso die von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Musiknoten und Karten, Arzneimitteln und ebenso einiges andere mehr – die Liste der mehrwertsteuerfreien Lieferungen in Großbritannien ist lang. Dazu gehört auch die Personenbeförderung mit mindestens 12 Sitzplätzen in Fahrzeugen, auf Schiffen und in Fliegern.
Erdgas und Elektrizität unterliegen in Großbritannien dem verminderten Steuersatz von 5 Prozent. Der gilt auf der britischen Insel übrigens auch für Heizöl. Auch in Italien, Luxemburg, Estland und Portugal liegt der Mehrwertsteuersatz für Gas und Elektrizität niedriger als der Normalsatz. Doch nicht nur die Deutschen, auch viele andere EU-Länder senken den Steuersatz höchstens für Leitungswasser und Brennholz. Luxemburg gewährt jedoch einen Zwischensteuersatz von 12 Prozent (normaler Satz: 15 Prozent) auf bleifreies Benzin und Heizöl.
Niedrig sind auch die Sätze für Personenbeförderung im Inland mit 3 Prozent in Luxemburg und mit 6 Prozent in Belgien. Den höchsten Steuersatz von 19 Prozent erheben die Niederlande auf Personenbeförderung im Luftverkehr. Auf andere Fortbewegungsmittel schlagen diese wie die Belgier 6 Prozent drauf. In Deutschland ist Personenbeförderung mit 19 Prozent ab Kilometer 50 vergleichsweise steuer-teuer – bis 50 Kilometer werden nur 7 Prozent fällig. In Frankreich sind es grundsätzlich 5,5 Prozent, in Österreich 10 Prozent, in Portugal 5 Prozent, in Finnland 8 und in Schweden werden 6 Prozent fällig.
Schnittblumen genießen dagegen in Deutschland den begünstigten Steuersatz von 7 Prozent. Das wollte der frühere Finanzminister Hans Eichel einmal ändern, worauf ihm der Gegenwind entgegenblies, als würde der komplette Bundesrat alle drei Tage frische Blumen bestellen. Andere Länder wie Großbritannien (17,5 Prozent), Schweden (25 Prozent) oder Finnland (22 Prozent) scheuen vor dem normalen Steuersatz für das blumige Schmuckwerk nicht zurück. Seltsamerweise gelten im Vereinigten Königreich und in Finnland niedrigere Sätze für Pflanzen, aber auch für Schnittblumen, wenn diese als Nahrungsmittel verwendet werden. Vielleicht können Finnländer ihren Blumenhändler davon überzeugen, dass sie den gerade ausgesuchten Tulpenstrauß essen werden und bezahlen dann weniger?
Für die Dienstleistung von Anwälten gilt in Luxemburg der Zwischensteuersatz von 12 Prozent, für die Reinigung von Fenstern und die Reinigung in privaten Haushalten der verminderte Steuersatz von 6 Prozent. Für häusliche Pflegedienste (Betreuung von Kindern, älteren, kranken oder behinderten Personen) schlägt die Mehrwertsteuer in Frankreich mit nur 5,5 zu Buche. Der Friseurkunde in Estland bezahlt nur 7 Prozent Mehrwertsteuer für den Haarschnitt, Niederländer sogar nur 6 Prozent. Ebenso zahlt der private Kunde auf Fahrräder in den Niederlanden und in Luxemburg einen verminderten Steuersatz von 6 Prozent. In Deutschland zahlt man für alles in diesem Absatz genannte den vollen Satz von 19 Prozent, dito in Dänemark, nämlich gleich 25 Prozent.
Es sei die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, wurden deren Kritiker nicht müde zu betonen, als die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 um gleich 3 Prozent erhöht wurde (zur Erinnerung: während der Bundestagswahl stritt man sich um 2 Prozent) und es stimmt: Deutschland klotzt, was die regelmäßige Erhöhung dieser Verbrauchssteuer betrifft. Frankreich brauchte ganze 32 Jahre für etwas, das Deutschland mit dem Wechsel von Silvester auf Neujahr hinkriegte. In Frankreich lag der Normalsatz im Januar 1968 bei 16,66 Prozent und im Jahr 2000 bei 19,6 Prozent. Deutschland lag 1968 bei einem Normalsteuersatz von 10 Prozent und verdoppelte diesen innerhalb von rund 40 Jahren fast - während der verminderte Steuersatz seit 24 Jahren, nämlich seit Januar 1983 ein und derselbe geblieben ist.
Alles in allem sind in Europa die Mehrwertsteuersätze vielfältig. Wirft man allein in Deutschland einen Blick auf die lange Liste des verminderten Steuersatzes, findet man darin sowohl Maulesel als auch Hauskaninchen, Zuchtpferde, Sammlermünzen, Skulpturen, Zierblumen und vieles mehr, das steuerlich günstig gehalten wird. In manchen Fällen war eine Begünstigung vielleicht noch nie sinnvoll, in anderen mag diese dagegen nur in der Vergangenheit tatsächlich sinnvoll gewesen sein und in wieder anderen Fällen hat man sich daran so sehr gewöhnt, dass sich niemand die Abschaffung der betreffenden Begünstigung vorstellen und durchsetzen will, selbst wenn deren Beibehaltung noch so unnsinnig sein mag. Das Geschäft mit der Einrichtung oder Abschaffung von Begünstigungen war eben noch nie einträglich und selten der positiven Imagepflege dienlich.
Der verminderte Mehrwertsteuersatz wird in Deutschland nun einmal ausgerechnet in diesem Jahr so interessant, weil sein Unterschied zum Normalsatz auf einen Schlag zweistellig aufstieg. In Zeiten auseinanderklaffender Einkommen liegt es nahe, den Katalog der begünstigen Waren und Dienstleistungen beherzt zu aktualisieren und statt Schnittblumen und Hauskaninchen lieber Kinderschuhe und Schulhefte, statt Zuchtpferde lieber Schulranzen und Arzneimittel und statt Sammlermünzen aus Gold, Platin oder Silber lieber Mobilität und damit den Übernah-Berufsverkehr sowie Gehstützen zu subventionieren. Immerhin: Bilderbücher und Malbücher für Kinder sowie Rollstühle und Hörgeräte nutznießen bereits den verminderten Steuersatz. Ein gründlicheres Durchforsten kann trotzdem nicht schaden, jetzt, wo der Unterschied zum normalen Steuersatz plötzlich so groß geworden ist.
2007-01-19 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Illustrationen + Banner: ©Angelika Petrich-Hornetz
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Quelle Steuersätze der EU:Die Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, Stand 1. Februar 2006, Herausgeber: ©EU-Kommission
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