von Angelika Petrich-Hornetz
Aktuell verhängte der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen den Iran. Die Mullahs drohen, am Öl-Hahn zu kurbeln. Das Drehen am Ölhahn war schon einmal ein Anlass für eine Wirtschaftskrise, und die fand ausgerechnet in den 70er Jahren statt, an die sich viele im Vergleich zu heute als geradezu rosige Zeiten erinnern. Erinnerungen verklären einfach zu gern die Vergangenheit. Dabei gab es damals wie heute Terroristen und Terroranschläge, zahlreiche, verherrende Kriege, den Nahost-Konflikt und zu hohe Ölpreise, und das deutsche Wirtschaftswunder endete abrupt.
Über 30 Jahre ist es her, als Europa im Oktober 1973 durch das Ölembargo eiskalt erwischt wurde. Man nannte es den Ölschock, denn es war das erste Mal, dass der Weltwirtschaft ihre eigene Abhängigkeit vom Öl schlagartig bewusst wurde. Aber es brachte auch den damals am Horizont der tatsächlichen Machbarkeit zart aufkeimenden regenerativen Energien die erste, breitere Unterstützung in der Bevölkerung ein und eine neue ökologische Bewegung, die ohne diese historische Entwicklung wahrscheinlich ausgefallen oder erst viel später zum Einsatz gekommen wäre. Ob in jenem Fall der für uns heute schon fast selbstverständlich wachsende Wind- und Solarenergiemmarkt dennoch Realität geworden oder noch lange reine Zukunftsmusik geblieben wäre – eine gute Frage.
Können Sie sich überhaupt noch an die Ölkrisen in den 70er Jahren erinnern oder waren Sie überhaupt schon anwesend, auf dem Planeten Erde, der von Geld und Öl regiert wird? Gleich zwei Mal, 1973 und 1979 kletterten die Ölpreise in bis dahin ungekannte Höhen. 1973 wurde die Öl-Knappheit - und daraus resultierend, hohe Benzinpreise - durch die Drosselung der Ölförderung durch die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) verursacht. Damit wollten diese ihre Kunden gegen den israelisch-arabischen Nahost-Krieg (Yom-Kippur-Krieg) unter Druck setzen. Auf den Waffenstillstand, der am 22. Oktober aufgrund einer UN-Resolution eintrat, folgte 1979 schließlich das Friedensabkommen zwischen Ägypten und Israel. Der Bundesrepublik Deutschland wurden die Öllieferungen während dieser ersten Ölkrise um ein Viertel gekürzt, den Niederlanden und den USA – die als Israel freundlich galten - drehte die OPEC den Hahn gleich ganz zu.
Doch das erinnern sich die meisten von uns nicht, von denen damals viele noch Kinder waren. Obwohl der Hintergrund, ein Nahost-Krieg mit vielen Toten, mindestens so ernst war, wie es der Nahost-Konflikt heute noch ist und obwohl das Ende der weltweiten Ölverschwendung zumindest eingeleitet wurde, erinnern sich viele von uns hauptsächlich an vergnügliche Spaziergänge mitten auf großen, stillen Straßen.
Deutschland reagierte auf die erste Ölkrise nämlich mit einer ungewöhnlichen Sparmaßnahme und verhängte mit dem Energiesicherungsgesetz vom 9. November 1973 vier autofreien Sonntage (25. November, 2., 9. und 16. Dezember 1973) sowie Tempolimits. Staunend nutzten die Bundesbürger in ganzen Familienverbänden die seltene Möglichkeit, einmal die Autobahn zu Fuß zu erkunden. Lediglich Taxis und Ärzte durften fahren sowie Frischware-Lieferanten. Am vierten autofreien Sonntag gab es dann so viele Ausnahmen, dass es auf den Straßen glatt wieder zu Staus kam.
Auch wenn die Fahrverbote wirtschaftlich nichts gebracht hätten, so hieß es, die Menschen begegnetem der verordneten Ruhe auf der Straße mit Humor. Ein paar Autos wurden zur Publikums-Belustigung kurzerhand hinter Pferde gespannt, der Kurfürstendamm war so voll wie immer, weil die Berliner in Massen zu Fuß über ihren Ku’damm schlenderten.
Der autofreie Sonntag war durchaus ein Erlebnis – allein die Stille sorgte für eine besinnliche Vorweihnachtszeit. Doch der Ölschock brannte einer ganzen, aufwachsenden Generation, den sogenannten Babyboomern, gleichfalls ins Bewusstsein, dass eine allein mit Öl geschmierte Weltwirtschaft aktiver Modifizierungen bedarf, wenn sie nicht irgendwann wegen ihrer einseitigen Energiequelle zusammenklappen will. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum so viele Unternehmer der jungen Energie-Branche in den 60er Jahren geboren wurden.
So gab es in den siebziger Jahren geradezu einen Berichte- und Analysen-Boom, wann die Ölquellen weltweit versiegt sein werden. Dass Ressourcen tatsächlich auch dazu neigen zur Neige zu gehen, wurde erstmals ein in der breiten Öffentlichkeit bekanntes und viel diskutiertes Thema, unsere Lehrer sprachen fast andächtig von der neuen Bibel der 70er Jahre, dem Buch "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome. Andererseits wurde es dank der hohen Ölpreise nun tatsächlich rentabel und modern Öl aus der Nordsee zu fördern, lange Pipelines zu bauen und ernsthaft über alternative Energien nachzudenken, was wiederum auch der Atomlobby Auftrieb verschaffte. Es wurden nun auch Ölvorräte angelegt – vor 1973 hatte noch nie jemand darüber nachgedacht. Öl galt vor 1973 tatsächlich als eine nie versiegende Quelle – heute geradezu undenkbar. Und sogar Energiespar-Maßnahmen wurden populär, auch das ein absolutes Novum. In den 80er Jahren, nach der zweiten Ölkrise zeigten die ersten dieser Maßnahmen Wirkung: Anfang der 80er sank der Ölabsatz, der Weltmarktanteil der OPEC sogar um rund 40 Prozent.
Angesichts der vielen Menschen, die damals als Kinder staunend über die leeren Autobahnen liefen, die mit dem Ölschock und der grundsätzlichen Energiefrage geradezu aufwuchsen, ist es trotzdem ein Wunder, dass diese heute 40 bis 50-Jährigen nicht noch mehr Engagement an den Tag legten, möglichst weit weg vom Öl zu kommen, aber schließlich auch eine Frage von etablierten Strukturen. So wurde die Ökosteuer erst Jahrzehnte später eingeführt, immer gegen den Widerstand von denjenigen, die wider besseren Wissens von der Dringlichkeit der Energiefrage noch nicht ganz überzeugt zu sein scheinen, sich damit immer wieder auf mehr oder weniger auf's Öl verlassen, dessen versiegende Quellen spätestens seit 1973 für alle sichtbar vorprogrammiert sind.
Seitdem stellen wir uns auf einen Anstieg der Ölpreise um 70 Prozent, wie 1973 geschehen, gar nicht erst vor. Irgendwann kommt sie sowieso, die nächste Ölkrise. Die zweite Ölkrise endete 1979 nach der Revolution im Iran und dem anschließenden Irak-Iran-Krieg bei gerade einmal rund 40 US-Dollar pro Barrel - die erste Ölkrise steigerte den Preis von, im Vergleich zu heute unglaublichen, 3 auf genauso unfassbare 5 Dollar und im Folgejahr auf, aus heutiger Sicht, immer noch billige 12 US-Dollar. Heute liegt der Preis zwischen 60 bis 70 US-Dollar und erreichte im August 2006 einen vorläufigen Höhepunkt mit fast 80 US-Dollar pro Barrel.
Dank globaler Wirtschaft wird’s kaum es eine neue Gelegenheit geben, noch einmal bundesdeutsche Autobahnen zu sperren. Polnische und französische LKW-Fahrer, die vor der Grenze warten, weil die Autobahnen in Deutschland gesperrt sind? Undenkbar. Und doch: Die Bundesrepublik war am 25. November 1973 nicht das einzige Land mit Fahrverbot, auch in Luxemburg, Dänemark, der Schweiz und in den Niederlanden waren die Autobahnen leer. Ist ein europäischer autofreier Sonntag denkbar – in allen 25 Mitgliedsstaaten? Immerhin kursierten schon einmal Vorschläge zur Gründung einer Organisation erdölimportierender Länder. Dank neuer Fortbewegungsmittel wäre ein autofreier Sonntag gegenwärtig sicher noch attraktiver als jemals zuvor. Während sich im November 1973 neben Fußgängern und Radfahrern auch Reiter hoch zu Ross auf der Autobahn tummelten, dürfte gegenwärtig ein Trip mit dem Strandsegler sicher etwas mehr Fahrt aufnehmen -, einen Container kann aber auch der nicht transportieren. So sind die Erfinder einmal mehr gefragt, bzw. ihre Investoren. Ölembargo hin oder her, irgendwann wird es kein Öl mehr geben. Sich rechzeitig darauf einzustellen ist seit über 30 Jahren eine der wichtigsten Aufgaben der Industrienationen - eine Aufgabe, die leider dazu neigt, immer wieder auf die lange Bank geschoben zu werden.
Dass der Zwang zum Sparen auch als eine Chance gesehen werden kann, versuchte zum ersten autofreien Sonntag, im November 1973, der damalige Bundeskanzler Willy Brandt, den Bundesbürgern zu erklären, Zitat: "Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wird sich morgen und an den folgenden Sonntagen vor Weihnachten unser Land in eine Fußgängerzone verwandeln. Die Energiekrise kann auch zu einer Chance werden. Wir lernen in diesen Wochen, dass wir auf gegenseitige Hilfe angewiesen sind. Wenn wir diese Erfahrung nutzen, meine Damen und Herren, dann hat jeder von uns Grund, dem Winter mit Zuversicht zu begegnen." Zitatende, Quelle: MDR.
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2006-12-27 von Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Illustrationen: ©Angelika Petrich-Hornetz
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